Licht am
Horizont
Annäherungen an die PKK |
III. Der Kampf der Frauen
als zentraler Punkt innerhalb der PKK
III.1. Frauen in der traditionellen
kurdischen Gesellschaft
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III.1.2. Entscheidung für die Teilnahme am bewaffneten Kampf
Der größte Teil der Frauen in der Guerilla ist in Dorfstrukturen aufgewachsen, unter den oben beschriebenen Voraussetzungen. Aus diesen Bedingungen zu fliehen ist eine große Motivation für sie. Die Guerilla bietet die Möglichkeit, sich aus diesen sklavischen Lebensbedingungen zu befreien, die nur einen Lebensweg für Frauen vorsieht: die lebenslange Dienerrolle.
Auch die starke Repression auf die Dörfer hat den Wunsch, der Staatsmacht, dem Spezialkrieg etwas entgegenzusetzen, wachgerufen. Viele Frauen haben Verwandte und Bekannte durch die Repression verloren. Besonders in NW-Kurdistan, aber auch im, Kleinen Süden, ist ein starker Patriotismus entstanden, die Partei hat großen Einfluß und viele junge Frauen gehen zur Guerilla.
Die Staatsmacht, in Gestalt von Dorfschützern und Soldaten, und die patriarchalen Strukturen sind eng miteinander verbunden. Ein Beispiel dafür erzählt eine junge Kommandantin, Heval Newroz, aus Botan: „Meine Familie war eine sehr patriotische Familie und hat in dieser Beziehung großen Einfluß auf mich gehabt. Vor allem meine ältere Schwester hat mir viel von der Partei erzählt. Ein Verwandter von mir ist als Märtyrer gefallen. Da war ich erst recht entschlossen, der Partei beizutreten. Eigentlich waren wir drei Schwestern, die zur Guerilla gehen wollten; meine ältere Schwester, meine jüngere Schwester und ich. Die Familie wollte vor allem, daß meine ältere Schwester zur Partei geht. Sie war sehr aktiv und politisch geschult. Wir wollten alle drei zusammen gehen, weil wir dachten, das hätte großen Einfluß auf die Verwandtschaft. Wir hofften auch, daß sich Jugendliche deshalb entschließen würden, der Partei beizutreten. Alle meine Verwandten wußten, daß meine Schwester zur Partei gehen wollte. Abends als sie aus dem Haus gehen wollte, um noch etwas zu erledigen, standen meine Onkels und Cousins da und haben sie entführt. Ein Cousin von uns hat sie bekommen. Wir wußten nicht was los ist. Am nächsten Tag haben wir erfahren, daß man sie entführt hat. Sie mußte ihn heiraten. Sie hat das nicht freiwillig gemacht, wir wollten das auch nicht. Nachdem wir von der Entführung erfahren haben ist mein ältester Bruder mit Freunden zu der Familie gegangen. Sie haben vor dem Haus gewartet, um eine Gelegenheit zu finden sie wieder dort wegzuholen. Aber der Feind hatte erfahren, daß mein Bruder und die Freunde vor dem Haus Wache halten. Sie mußte ihn heiraten und sagte, schickt mir etwas ich werde mich selbst und alle umbringen. Sie wollte natürlich fliehen, aber es wurde immer Wache gehalten, Tag und Nacht, das ging sehr lange. Gleichzeitig hat diese Familie sehr engen Kontakt mit dem Feind und sie hat einfach keine Gelegenheit zur Flucht bekommen. Ich weiß nicht was meine Schwester jetzt macht. Nachdem sie entführt wurde, bin ich zur Partei gegangen und hab nie wieder was von meiner Familie gehört. „
Die Tatsache, daß Frauen sich überhaupt am Befreiungskampf der Guerilla beteiligen können, daß die Namen der Märtyrerinnen wie Azime Demirtas, Hanim Yaverkana, Binevs Agal, Rahime Kahraman, Sultan Yavuz überall bekannt wurden, hat viele Frauen motiviert und ihnen den Mut gegeben, sich dem bewaffneten Kampf anzuschließen. Frauen waren in der Regel viel mehr an das Land gebunden als Männer. Da sie ihr Leben ausschließlich im Dorf zubrachten, waren sie dem Assimilierungsdruck des türkischen Staates viel weniger ausgesetzt als Männer, die nämlich türkische Schulen besucht hatten, außerhalb des Dorfes gearbeitet hatten und dadurch viel offener für die Einflüsse des türkischen Staates waren. Für die Frauen, die im Dorf groß geworden waren und ihr ganzes Leben dort zugebracht haben, war das türkische Regime, die Soldaten viel mehr etwas Fremdes Bedrohliches, das mit Angst und Unterdrückung verbunden war, vor allem auch mit Angriff auf ihre Ehre. Frauen haben sich oft sehr entschlossen gewehrt, wenn Soldaten ins Dorf kamen, haben sie sie z.B. mit Steinen beworfen. Den Ehrbegriff betreffend gibt es heute einen Wertewandel. Während früher die Ehre der Familie von der „Reinheit" der Töchter abhing, ist es heute eine große Ehre für die Familie, wenn die Kinder zur Guerilla gehen, vor allem auch die Töchter. Das Vertrauen zu der Partei ist in der Beziehung sehr groß.
Viele kurdische Männer haben sich der Guerilla angeschlossen, weil sie gesehen haben, daß Frauen mitkämpfen und es nicht mit ihrer Ehre vereinbar ist, daß sie selbst nicht am Kampf teilnehmen.
Heval Hatice: „lch kannte die Freunde, die Partei nicht. Wir hatten eine Miliz im Dorf. Von ihnen haben wir einiges erfahren, aber nur sehr lückenhaft. Erst als eine Freundin aus unserem Dorf gefallen ist, hat sich in mir ein Bewußtsein entwickelt. Es hat mich sehr betroffen gemacht. Die Tatsache, daß Frauen sich am Kampf beteiligen können, hat mich sehr angezogen. Ich begann mich zu fragen, welcher Typ Frauen sich am Kampf beteiligen kann. Man sagte mir, vor allem körperlich starke Frauen. In der Beziehung hatte ich sehr großes Selbstvertrauen zu mir. Ich hatte seit meinem siebten Lebensjahr auf dem Feld gearbeitet, weil meine Eltern beide sehr krank und die älteren Geschwister alle aus dem Haus waren. Ich war körperlich sehr stark.
In unserem Dorf war es gar nicht nötig, daß man Repression gegen uns angewandt hätte, denn es gab eine Kaserne und der Feind beherrschte es. In den anderen Dörfern in unserer Umgebung gab es sehr große Massaker. Dort wurden immer wieder Menschen verhaftet, gefoltert und unterdrückt. Einer meiner Brüder war Polizist. Die Bevölkerung der Nachbardörfer hat immer wieder gesehen, wie mein Bruder gefoltert hat. Deshalb hat man unsere Familie sehr skeptisch gesehen. Man mochte unsere Familie nicht und ich hatte deshalb sehr großen Haß auf meinen Bruder. Ich fühlte mich ausgeschlossen und gleichzeitig schuldig. Mein Bruder wollte auf keinen Fall, daß Frauen etwas werden.
Der Grund, warum ich in die Partei gegangen bin, war erstens, daß die Freundin gefallen war, dann daß Frauen sich bewaffneten und vor allem, daß ich die Ehre der Familie retten wollte. Diese Ehre hat mein Bruder verletzt. Mein Vater hat immer gesagt, ich habe dich wie einen Sohn erzogen, du sollst nicht heiraten, aber meine Mutter wollte mich dem Sohn ihres Bruders geben. Die Macht war aber in den Händen meines Vaters. Das hat mich dazu gebracht, daß ich erst ein Jahr später in die Partei eingetreten bin; denn dadurch, daß ich sozusagen der Sohn war, hatte ich die ganze Verantwortung zuhause. „
Gerade bei Frauen, die aus dörflichen Verhältnissen kommen, gibt es oft wenig Auseinandersetzung über ihre Rolle als Frau, ihrer eigenen Identität. Die eigene Unterdrückung wurde als persönliches Schicksal gesehen. Die Werte der Gesellschaft sind an vielen Punkten soweit verinnerlicht, daß die Unterdrückung, vor allem die Unterdrückung der eigenen Person, die Selbstkolonialisierung, nicht wahrgenommen wird.
Bei Frauen aus den Metropolen, die sich der Guerilla anschließen, hat oft schon eine Annäherung an die Geschlechterfrage stattgefunden. Auf der Universität oder Schule, in den Jugendorganisationen der PKK wurden diese Fragen diskutiert. Frauen aus kleinbürgerlichen Verhältnissen sehen sich oftmals als befreit an. Frauenbefreiung sehen sie als individuelle Befreiung.
Heval Neval: „Nach der Pubertät war es so, daß mein mittlerer Bruder versucht hat, meine Ehre zu schützen, daß er mich unter Kontrolle halten wollte. Um mich zu schützen hat er mich immer wieder verfolgt. Das hat mir nicht gefallen und ich habe mich dagegen gewehrt. Dadurch fing ich an etwas zu suchen, ich habe mir den Kopf zerrissen, was die Frauenbefreiung betrifft ... Ich wußte noch nicht so richtig was ich wollte, da habe ich die Aufnahmeprüfung für die Universität bestanden. Auf der Universität habe ich mich auf das kleinbürgerliche Leben vorbereitet. Auf der anderen Seite habe ich mich meinem ältesten Bruder, der Revolutionär war, sehr nahe gefühlt, ich war so gleichzeitig auch dem Gedanken der Revolution nahe. Auf der einen Seite habe ich mir überlegt, wenn ich Revolutionärin werden wollte, müßte ich wie mein Bruder alles aufgeben; das Studium, das kleinbürgerliche Leben, auf der anderen Seite habe ich mich auch hingezogen gefühlt.
Durch die patriotische Jugend an der Universität habe ich das erste Mal Kontakt zur PKK bekommen. Ich habe dann angefangen mich mit der Revolution und der Kurdistanfrage zu beschäftigen; es war alles noch sehr theoretisch... Es gab Auseinandersetzungen mit meinen Eltern, die sich Sorgen machten und Angst hatten.
Ich hatte eine Beziehung mit einem Mann, der Einfluß darauf hatte, daß ich in die Partei eingetreten bin. Er kam aus einer patriotischen Familie und ich habe mich offiziell mit ihm verlobt. Durch die Beziehung hat mich dann auch die Familie in Ruhe gelassen: „Jetzt hat sie jemanden, an den sie gebunden ist, da wird sie nicht in die Berge gehen!" Als wir uns dann immer mehr der Revolution, dem Befreiungskampf angenähert hatten, habe ich bemerkt, daß er sehr feudalistisch geprägt ist . . . Ich war es nicht gewohnt, daß man sich in mein Leben einmischt. Als ich sagte, daß ich in die Berge gehen wollte, hat seine Familie, die eigentlich patriotisch ist, immer wieder versucht, die Partei auf offiziellem Wege zu beeinflussen, daß ich nicht angenommen werde. Sie meinten, das ist unsere Schwiegertochter. Wenn es diesen Umgang nicht gegeben hätte wäre ich vielleicht nicht so entschlossen gewesen, aber es hat viele Fragezeichen in mir eröffnet. „
Auch eine andere Freundin berichtet darüber, daß ihre Familie sich offen gegeben hat, auch politisch aktiv war, in Dev-Yol; Dev Sol, bei den eigenen Töchtern aber eine selbständige Entwicklung nicht zulassen wollte. Heval Dilan: „lch war eine typische Frau der Gesellschaft, eine richtige Sklavin. Ich durfte nicht viel Kontakt zur Außenwelt haben, war nur in Kreisen der Familie. Erst als ich auf die Universität gegangen bin habe ich mich frei gefühlt. Es war aber eine Befreiung, die nicht wirklich stattgefunden hat. Zumindest war ich außerhalb der Familie. Ich nahm an politischen Aktivitäten teil, versuchte mich politisch zu entwickeln. Ich wollte mich als Frau befreien. Die Lösungen suchte ich bei Dev Yol, später bei der PKK. „
Auch türkische Freundinnen schließen sich zunehmend der Guerilla an. In den linken türkischen Organisationen sehen sie einen großen Widerspruch zwischen Theorie und Praxis gerade in der Frauenfrage. Heval llgaz: „ Gerade in der letzten Zeit sieht man bei Dev Sol zum Beispiel keinen Unterschied mehr zu bürgerlichen Bewegungen. Sie sagen, der Mann würde die Rechte der Frau verteidigen. Sie behaupten, daß sie das tun, ändern aber nichts an sich selbst. Frau bleibt Frau und muß in der Küche sein. Muß auf die Kinder aufpassen, sie erziehen. Der Mann führt sein revolutionäres Leben, geht ins Gefängnis, die Frau bleibt zuhause. Sie muß abhängig sein von ihm. Sie hat kleine Freiräume, so daß sie links eingestellt ist, aber in der Gesellschaft ändert das nichts... Von der Uni gehen viele in den Befreiungskampf. Das Mädchen, die Frau auf der Universität sieht die Unterdrückung ihrer Mutter. Wenn sie selbst auf der Uni eine Beziehung hat, sieht sie, daß es kein großer Unterschied zu ihr ist. Es gibt viele Konflikte, über die sie nachdenkt und die sie versucht zu lösen.
Es gibt viele Frauen, die mit den traditionellen Werten in Konflikt
geraten, und deshalb zur PKK gehen, weil sie dort radikale sozialistische
Werte finden. Sie sieht die Gleichberechtigung in der Partei und das zieht
sie an. Es gibt viele türkische Frauen bei der Guerilla, wenige Männer,
einige Frauen treten auch über die Beziehung mit einem kurdischen
Mann in die Guerilla ein ... Man muß sagen, für jede egal woher
sie kommt, ist die Beteiligung vor allem für sie selbst wichtig. Weder
in der Türkei noch in anderen Ländern gibt es eine Lösung
für die Frauenfrage."
Die Gründe, warum sich Frauen dem Befreiungskampf in so großer
Zahl angeschlossen haben, sind vielfältig. Auch wenn viele noch nicht
aus einer wirklich politisch bewußten Entscheidung eingetreten sind,
noch kein Bewußtsein darüber haben, daß sie sich selbst
als Frau vom Patriarchat befreien müssen, sind die ersten Schritte
getan, vor allem ein erster Schritt für sie selbst, der Schritt aus
den erdrückenden Familienverhältnissen, aus einer ungewollten
Ehe, aus kleinbürgerlichen Verhältnissen heraus.
Der Spezialkrieg des türkischen Staates und die Situation der Frauen
sind untrennbar miteinander verbunden. Bei vielen Frauen muß sich
ein Bewußtsein der eigenen Unterdrückung, über die Zusammenhänge
von Imperialismus und Patriarchat noch entwickeln.