Verhaftung und Knast

Frage: Ende 1987 begann die Bundesanwaltschaft unter Federführung von Generalbundesanwalt Rebmann mit einer massiven Welle der Kriminalisierung gegen kurdische Organisationen vorzugehen, die den Unabhängigkeitskampf in Nordwest-Kurdistan unterstützen. Es gab Bespitzelungen, Angriffe auf eure Feste, zahlreiche Hausdurchsuchungen und die Beschlagnahme von Geld und Schriften. Den vorläufigen Höhepunkt erreichte diese Kampagne am 15. Februar 1988 mit Deiner Verhaftung und der von 19 weiteren Kurden und Kurdinnen. Grundlage hierfür war der § 129a. Hüseyin kannst du erzählen, wie es Dir damals ergangen ist und was dir vorgeworfen wurde? Welcher Zweck wurde deiner Meinung nach mit dieser sehr breit angelegten Repressionswelle verfolgt?

Hüseyin Celebi: Diesen 15. Februar 1988 werde ich so schnell sicherlich nicht vergessen. Aber ich will etwas weiter ausholen: die Repressionswelle begann zwar insoweit 1987 als sie besonders verstärkt wurde, aber die eigentliche Verfolgung ging schon etwas länger. Schon Mitte der 80er Jahre hatte es sehr heftige Hetzkampagnen gegeben mit dem Ziel, uns zu kriminalisieren. Das war in Schweden so, aber auch hier in der BRD. Das ging soweit, daß Komplotte organisiert wurden - ich erinnere da an die Sache mit Faruk Bozkurt in Hamburg - und so wurde eine Atmosphäre geschaffen, die zusammen mit der rechtlichen Erweiterung des § 129a auf ausländische Organisationen dazu führte, daß am 1. Januar 1987 ein Ermittlungsverfahren gegen die PKK eingeleitet wurde. Aber es hat schon, ich glaube im Jahre 1983, Drohungen vom Innenministerium gegeben, daß man die PKK verbieten werde, wenn es sein müsse. Das war kurz nach dem Verbot von Dev Sol/Halk Der (nach der Besetzung des türkischen Konsulats in Köln, Anm. d. Red.) und schon 1984 wurde immer wieder geäußert, daß man uns beobachte usw. Der Beginn des Ermittlungsverfahrens war verbunden mit einem Haufen von Repressionen, die den Zweck hatten, uns erstemal auszuforschen. Es sollte eine Grundlage geschaffen werden, wie man uns angreifen könne und diese Vorbereitungen endeten dann, vorläufig, mit dieser Verhaftungswelle im Februar 1988. Wenn wir uns diese ganze Zeitspanne ansehen, dann wird klar, daß dahinter viel mehr Sachen stecken, als das, was uns da jetzt konkret vorgeworfen wird.

Es gibt 3 Grundsäulen dieses Projektes ,,Angriff auf die PKK": die erste, wesentliche Grundsäule ist die Entwicklung in Kurdistan, d.h. die Entwicklung eines Befreiungskampfes, der den Nato-Partner Türkei, die Südostflanke der Nato, in Bedrängnis bringt und wodurch eine Lösung der kurdischen Frage im imperialistischen Sinne zunehmend verhindert wird. Ein Befreiungskampf, der dieses kolonialistische Gebilde im Nahen 0sten, das den Interessen des Imperialismus entsprach und entspricht, angreift und versucht, auseinanderzunehmen. In dieser Situation war es für sie ganz wichtig, einen Einhalt zu gebieten.

Die Türkei hat in diesem Krieg die verschiedensten Methoden angewandt. 1984 (Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes der PKK in Nordwest-Kurdistan) wurde der Beginn dieser Entwicklung noch mit ziemlichem Schulterzucken quittiert, sie sagten, das ist eine Frage von 72 Stunden und dann haben wir das hinter uns. Aber der Befreiungskampf entwickelte sich zunehmend, es wurden neue Stufen erreicht und sie kamen schließlich an den Punkt, wo sie sagen mußten, so wie bisher, so schaffen wir das nicht. Das Problem konnte für sie nur in einem letzten Schlag gelöst werden, den sie dann vorbereite. 1988 ist von ihnen daher als ,,Schicksalsjahr" bezeichnet worden, was auch mit den Beschlüssen des 3. Kongresses der PKK 1986 zusammenhängt, wo wichtige Entscheidungen für die Weiterentwicklung des Befreiungskampfes getroffen wurden. Während 1987 die Vorbereitungen für die Umsetzung dieser Beschlüsse getroffen wurden, mit mehr oder weniger erfolgreichen Aktionen, sollten sie im Jahr 1988 umgesetzt werden. Dem türkischen Staat war diese Planung natürlich bekannt und er hat alles daran gesetzt, diese Entwicklung zu verhindern. In diesem Kontext müssen wir diese Offensive 1988 sehen.

3 Standbeine hatte ich gesagt, einmal also der militärische Angriff der Türkei Ende 1987 gegen die Guerilla ziemlich verstärkte. Diese Vorgehensweise entsprach der militärischen Lösung des ,,Problems". Das zweite Standbein waren die Angriffe in der BRD. Es wurde ganz deutlich gesagt, daß man die Luftröhre der Bewegung ins Ausland abschneiden müsse. Damit sollte die Unterstützung gekappt werden und der Schlag sollte so endgültig sein, daß die Bewegung auch durch Öffentlichkeitsarbeit nichts mehr dagegen unternehmen könne.

Zum Hintergrund muß man auch sagen, daß die Türkei schon seit 1985 immer wieder die verschiedensten Regierungsvertreter in die BRD schickte und ein Ende der sog. ,,separatistischen Aktivitäten im Ausland forderte. Gerade hier in der BRD gibt es ca. 400 Tausend Kurden und Kurdinnen, von denen ein beträchtlicher Teil den Befreiungskampf massiv unterstützt, sowohl ideell als auch materiell. Das wollen sie verhindern.

Die BRD, deren Interessen sich mit denen der Türkei decken, hat dann ohne viel Federlesen Vorbereitungen getroffen, deren vorläufiges Ende die Verhaftungen 1988 gewesen sind.

Das dritte Standbein des Projekts ,,Angriff auf die PKK" war ein Angriff aus dem Innern der PKK, dessen gesamtes Ausmaß bis heute noch nicht geklärt werden konnte. Es gab Infiltration durch den türkischen Staat, die, vermischt mit politischen Differenzen, dazu führten, daß eine Clique innerhalb der Organisation versuchte, die Organisation zu liquidieren. Die mittlerweile verfaulende Losung von der Schaffung einer ,,demokratischeren PKK" sollte durchgesetzt werden. Diese Angriffe waren tatsächlich auch zeitlich ziemlich gut aufeinander abgestimmt: die militärische Offensive im Winter 1987/88, im Frühjahr 1988 die Verhaftungen und im Herbst 1988 der Vorstoß dieser Gruppe. Objektiv gehören diese Angriffe alle zusammen und haben alle das gleiche Ziel verfolgt. Und es wird auch subjektiv Zusammenarbeit gegeben haben. In diesem Schicksalsjahr ging es also darum, die Entscheidung zu fällen. Das ist, grob geschildert, der Hintergrund zu diesem Verfahren.

Wie es mir dann speziell ergangen ist? Ja, ich habe also hier im Kurdistan-Komitee gesessen, als das SEK auf seine ,,liebenswürdige" Art hier hereingestürmt kam und wir wurden mit aufs Polizeipräsidium genommen. Uns wurde nicht gesagt, worum es ging. Am nächsten Morgen kam dann mein Anwalt, aber der war auch kaum informiert, er sagte nur, wir würden nach Karlsruhe geflogen, es sei ein Verfahren der Generalbundesanwaltschaft und er rechne damit, daß ein Haftbefehl erlassen würde. Wir sind dann nach Karlsruhe geflogen worden und kamen vor den Haftrichter. Es war noch ein Vertreter der Bundesanwaltschaft anwesend. Der Haftrichter verlas den Haftbefehl und auch die konkreten Vorwürfe gegen mich: Mitgliedschaft in einer ,,terroristischen" Vereinigung, § 129a, Freiheitsberaubung und versuchter Mord. Was den anderen im einzelnen vorgeworfen wurde, wußte ich damals noch nicht, die Trennung voneinander war spätestens seit unserer Ankunft in Karlsruhe perfekt. Ich war sehr erstaunt über diese Vorwürfe, besonders über die Formulierung, die der Vertreter der BAW betonte, nämlich daß ich Mitglied einer ,,terroristischen" Vereinigung innerhalb der PKK" sein solle. Naja, mit diesem Haftbefehl kam ich dann nach Wuppertal in den Knast. Ich muß sagen, daß es einige Tage gedauert hat, bis ich den ersten Schock hinter mir hatte, bis ich mal verstanden hatte, was passiert war. Ich hab den Haftbefehl unzählige Male durchgelesen und konnte es immer noch nicht begreifen. Das hatte sicherlich damit zu tun, daß ich völlig unvorbereitet von dieser Verhaftung getroffen wurde.

Frage: Du hast gerade gesagt, ihr seid sofort in Karlsruhe voneinander getrennt worden. Kannst du zu Euren und zu Deinen Haftbedingungen etwas sagen?

Hüseyin: Getrennt wurden wir eigentlich schon in dem Moment, in dem wir festgenommen wurden. Hier im Büro gibt es ja recht viele Räume und wir wurden schon hier jeder in einen Raum gesteckt. Ich wurde dann allein ins Polizeipräsidium gefahren, wo ich einige Leute sehen konnte, die noch aus anderen Büros und Räumen dorthin gebracht worden waren. Das Interessante im Polizeipräsidium war, daß alles ablief wie in einer Maschine: ich kam meine Tür, wo ich stehenbleiben mußte. Dort konnte ich sehen, wie jemand anders von uns dort drin durchsucht wurde und ein Dritter bereits aus dem Raum zur nächsten Maßnahme geführt wurde. Dann kam ich in den Raum zur Durchsuchung, der vor mir wurde weitergeführt und hinter mir wartete der nächste - das war wie in einer Maschine. Offensichtlich war, daß wir uns nicht sehen und nicht miteinander reden sollten. Wenn wir uns doch trafen wurden wir sofort voneinander weggezogen. Dann kam ich in eine Einzelzelle. Später, bei einer Gegenüberstellung kamen einige von uns, so ca. 8 Personen, noch mal zusammen Wir haben erst aus den Akten, erfahren, daß es sich um eine Gegenüberstellung gehandelt hatte, es lief alles verdeckt ab. Das waren natürlich nur ein paar Minuten, aber ich schildere das so ausführlich, weil es selbst diese paar Minuten später für lange lange Zeit nicht mehr gegeben hat. Auf dem Weg nach Karlsruhe kamen wir noch einmal zusammen. Wir wurden auf dem Weg zum Hubschrauber in so eine Wanne verfrachtet, wo zwischen den Einzelzellen so Fensterscheiben waren, daß wir uns sehen und ein bißchen miteinander reden konnten. Da hab ich auch einige getroffen, von denen ich bis dahin nicht wußte, daß wir Opfer desselben Schicksals geworden waren. Im Hubschrauber waren wir auch zusammen, aber Reden war da nicht möglich, es war einfach zu laut. Danach war Schluß, bis zum Prozeß haben wir uns nicht mehr gesehen. Ich weiß noch, daß ich in Karlsruhe, als ich mit dem Haftbefehl weggebracht wurde, an einer Tür, die ungefähr 100 m weit weg war, den Selman gesehen hab, wie er weggebracht wurde. Das war das letzte Bild im Hinterkopf, was ich noch mitgenommen habe. Im Knast selber war es die absolute Isolation. 24 Stunden war ich allen, 23 Stunden allein auf der Zelle, 1 Stunde allein Hofgang. Menschen sah ich, wenn überhaupt, nur in Uniformen, meist drei bis vier. Als besonders gefährlicher Gefangener wirst du stigmatisiert, du hast drei bis vier Schließer um dich herum. In der ersten Phase der Verhaftung hast du ja auch nichts, keine Zeitungen, keine Bücher, kein Radio. Du wirst also völlig von der Umwelt abgeschnitten. Es hat dann ungefähr 3 Monate gedauert bis es erste Veränderungen gab: Zeitungen, gemeinsamer Hofgang. Ich bekam keine türkischen Zeitungen, weil ich der deutschen Sprache so mächtig bin, daß ich deutsche Zeitungen zu lesen hatte.

Frage: Du hast eben gesagt, daß ihr nach drei Monaten die Möglichkeit gemeinsamen Hofgangs hattet, aber das mit anderen Gefangenen, nicht mit deinen Freunden?

Hüseyin: Ja natürlich, ich vergaß das immer zu sagen, es ist ganz klar, daß politische Gefangene nie Zusammen-kommen. In diesem Knast gab es sowieso, außer mir nur noch einen anderen politischen Gefangenen. Das änderte sich allerdings, als ein weiterer Genosse von mir, der in einem ganz anderen Trakt gewesen ist, den ich nie zu Gesicht bekommen habe; der ist dann kurze Zeit später auch entlassen worden. Aber auch das habe ich erst sehr viel später über Beschlüsse mitgekriegt, in denen stand, daß ich nicht mit ihm zusammengebracht werden dürfte. Dann kam später noch ein palästinensischer Genosse, der lange Zeit dort war, der Hafiz, mit dem aber auch kein Kontakt möglich war. Ab und zu passiert ein Versehen, wenn sie uns zum Einkaufen führen, politische Gefangene werden allein zu einer bestimmten Zeit dorthin gebracht, und zwar nacheinander. Und wenn sie dann die Koordination nicht genau hinkriegen, passiert es, daß dann plötzlich zwei politische Gefangene in einem Raum sind. Die merken das meistens nach ein paar Minuten und dann ist sofort Schluß. Aber ein-, zweimal hab ich den Hafiz so gesehen und wir haben ein bißchen geredet. Später, nachdem die Anklageschrift gekommen war, gab es ein umfangreiches Haftstatut, das aus 57 Einzelpunkten bestand. Diese Einzelpunkte waren so ein richtig auf uns als ausländische politische Gefangene abgestimmtes Programm. Kurdische Zeitungen wurden einfach verboten, türkische Zeitungen wurden reduziert auf drei Boulevardblätter, die man wirklich nicht lesen konnte; Radio wurde dahingehend zensiert, daß wir keine Kurzwellen und keine UKW-Sender hören durften und das bedeutete, daß es keine Sendung gab, die wir überhaupt hören konnten in einer Sprache, die wir verstanden - also wenn wir kein deutsch konnten. Dann gab es noch einige Spezialitäten, z.B. daß wir zum Gemeinschaftshofgang herausgehen durften, aber nicht mit Gefangenen kurdischer Volkszugehörigkeit, wie sie sich ausdrückten, zusammenkommen durften. Es gibt selten Situationen für Kurden, wo es gut ist, daß sie keinen Paß haben, aber in dieser Situation war das schon ganz gut, denn die Knastleitung konnte zwischen Türken und Kurden nicht richtig unterscheiden und so ließ sich dieser Beschluß praktisch nicht durchsetzen. Ein sehr starkes Mittel der Isolation, das sehr oft mit den verrücktesten Begründungen angewendet wurde, war die Zensur. So wurden politische Äußerungen ohne Maßstäbe, z.B. in Briefen angehalten, zerschnippelte Zeitungen kamen rein usw. usf.

Frage: Ihr habt zwischendurch ja Hungerstreiks gemacht, um bessere Haftbedingungen durchzusetzen. Hat sich dadurch denn irgend etwas spürbar für euch verändert?

Hüseyin: Es gab minimale Veränderungen. Es gab diese ganz verrückten und harten Beschlüsse, wie z.B. daß wir ein Radio haben durften, das wir aber nicht verstehen konnten, oder Zeitungen lesen zu müssen, die man sonst im normalen Leben nicht mal anfassen würde - also solche Dinge wurden schon geändert. Auch gemeinschaftlichen Hofgang machen zu können wurde erst nach einem Hungerstreik eingeführt. Und auch, daß wir sog. Gemeinschaftsveranstaltungen besuchen durften, wobei gesagt werden muß, daß bei diesen Gemeinschaftsveranstaltungen Bedingungen vorgeschrieben wurden, die wirklich menschenunwürdig waren. So erlaubten sie einem z.B. an einem Gottesdienst teilzunehmen - was vom Inhalt her ziemlich uninteressant ist, aber es ist gut, mit anderen zusammenzukommen. Deswegen gehen auch die meisten Gefangenen dorthin. Sie sagten also, man durfte am Gottesdienst teilnehmen, aber müsse irgendwo so abseits gesetzt werden, daß man mit keinem anderen Gefangenen direkten Kontakt bekommen könne und Schließer müßten dabei sitzen. Das wollten wir so natürlich nicht machen, das ist doch absolut sinnlos.

Ich möchte noch ausdrücklich betonen, daß zu dieser gesamten Situation der Isolation kommt, daß wir die Sprache nicht können; außer mir und einem anderen Genossen können alle anderen kein deutsch sprechen. Selahattin Erdem beschrieb in einem Brief an mich das mal so: er meinte, "Du bist ein Gefangener, aber ich bin ein doppelter Gefangener." Er konnte noch nicht mal diesen Schließern irgend etwas sagen oder irgend etwas verstehen, was sie ihm sagten.

Frage: Diese Haft wird ja international als ,,weiße Folter" bezeichnet. Warst du in irgendeiner Weise auf solche Haftbedingungen vorbereitet, hattest du dich irgendwie und irgendwann mal damit auseinandergesetzt oder war das eine völlig neue Erfahrung für dich?

Hüseyin: Es war eine völlig neue Erfahrung für mich, was nicht heißt, daß ich nicht schon einmal davon gelesen hatte, aber wenig. Ich möchte das Wort Erfahrung betonen, man kann soviel lesen darüber, wie man will, ohne die praktische Erfahrung glaube ich nicht, daß du einen wirklichen Sinn dafür bekommen kannst, was es ist. Ich kann das absolut unterstreichen, wenn gesagt wird, das ist die ,,weiße Folter", die saubere, unblutige Form von Folter. Denn im Endeffekt, was die Zielsetzung und die langfristigen Schmerzen betrifft, hat es denselben Effekt. Einen, den du physisch folterst, dem bereitest du kurzfristig, in dem Augenblick der Folter, schwere Schmerzen mit dem Ziel, etwas aus ihm herauszupressen oder ihn zu brechen. Es bleiben aber die langfristigen Schäden. Und hier, bei der Isolationshaft, ist es genau dieselbe Sache, nur daß es alles langfristiger geplant ist. Dieses ständige Alleingelassen werden, dieses ständige Schikanieren, diese ständigen willkürlichen Beschlüsse, das ständige Hin und Her, dieser ständige Druck, der auf dich ausgeübt wird, die absolut kalte Umwelt, die absolute Abschottung von jeder Form von Menschlichkeit, von jedem Kontakt - das alles hat genau dasselbe Ziel. Nach 3 Monaten Totalisolation kommen plötzlich so BKA-Typen zu dir und fragen, ob du denn nicht endlich eine Aussage machen willst. Damit nutzen sie eine ganz bestimmte Situation aus, nachdem du 3 Monate lang mit niemandem geredet hast, hast du ein ganz natürliches Verlangen egal mit wem, egal aber was, mit irgendwem zu reden. Das ist eine gezielte Politik. Das, was die türkischen Folterer versuchen, an einem Tag zu erfahren, versuchen hier die Folterer mit 3 Monaten Isolationshaft zu erreichen. Der Unterschied ist erstemal, daß es keine offen physische Folter ist, aber wenn ich mir ansehe, was es für Spätfolgen bei Menschen gibt, die in der Türkei gefoltert wurden und den Menschen, die hier gefoltert wurden, dann sehe ich da keine großen Unterschiede. Im Endeffekt geht es darum, wie es die Menschen prägt, daß man in ganz bestimmten Situationen immer noch unter dem Eindruck dieser Folter steht, das sind vor allen Dingen psychische Folgen.

Frage: Für die politischen Gefangenen in der BRD ist die Isolationshaft seit 20 Jahren, d.h., seitdem es hier politische Gefangene gibt, eine Realität. Am 1. Februar 1989 begannen die Gefangenen aus der RAF den 10. Hungerstreik für ihre Zusammenlegung und die Freilassung der haftunfähigen Gefangenen.
Gefangene aus dem revolutionären Widerstand schlossen sich ebenfalls dieser Hungerstreikkette an. Nach und nach haben sich dann noch andere Gefangene diesem Hungerstreik mit eigenen Forderungen angeschlossen oder sie haben sich einfach solidarisiert. Hast du zu diesem Hungerstreik irgend etwas mitbekommen und wie war dein eigenes Verhältnis dazu?

Hüseyin: Mitbekommen habe ich den Beginn und den Verlauf des Hungerstreiks schon. Authentisches habe ich nicht mitbekommen, denn alles, was hierzu an mich geschickt wurde, wurde konsequent angehalten. Jede Seite, auf der etwas ausführlicher über den Hungerstreik berichtet worden ist, jeder Artikel, jede kleine Nachricht weggeschnitten, die Zensur war absolut. Auch das, was wir oder was ich je dazu geschrieben habe, wurde, soviel wie ich weiß nicht durchgelassen. Sie haben wirklich alles daran gesetzt, zu verhindern, daß wir mitbekommen, was dort abläuft. Meine anderen Genossen, also da muß ich sagen, daß einige, also diejenigen, die der Sprache überhaupt nicht mächtig sind, lange Zeit überhaupt nichts von dem Streik mitgekriegt haben. Bei uns gab es während des Hungerstreiks ganz andere Diskussionen, über ganz andere Sachen.

Diese Auseinandersetzung um die Zusammenlegung kannte ich schon von früher, ich war auch informiert über die konkrete Realität der Gefangenen, erst recht noch mal durch unsere eigene Situation und damit war für mich klar, daß die Forderung nach Zusammenlegung und alle anderen Forderungen auch unsere Forderungen waren. Auch wenn wir sie nie so formuliert haben, dann ist es für uns doch ganz klar, daß die Forderungen der politischen Gefangenen dieselben sind, wie unsere, denn es geht um dieselben Sachen. Es lief bei uns während dieser Zeit ja auch ein Hungerstreik, mitten in dieser Phase, gegen diese verschärften Haftbedingungen, das war sicherlich ein unglücklich gewählter Zeitpunkt.

Ich habe in meiner Erklärung zu unserem Hungerstreik auch einen konkreten Bezug hergestellt zu dem Hungerstreik der Gefangenen hier und erklärt, daß ich mich solidarisiert habe. Ich weiß nicht, ob dies je bekannt geworden ist, soviel ich weiß, wurden meine Erklärungen dazu alle beschlagnahmt und nicht herausgelaufen.


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Vorwort

Prozessverlauf und Verteidigungsrede

Hintergrund und Solidaritätsbegriff