Hintergrund und Solidaritätsbegriff Frage: Welche Rolle wird die BRD im Konflikt zwischen der Türkei und Kurdistan einnehmen? Um welche Interessen geht es da? Siehst du einen Zusammenhang zwischen dem Prozeß und der Entwicklung des Befreiungskampfes in Kurdistan? Hüseyin: Die BRD ist Partei in dieser Auseinandersetzung. Sie ist Partei auf der Seite der Türkei oder besser gesagt, auf der Seite der herrschenden Klasse in der Türkei. Die BRD ist konkret auf allen Ebenen der Auseinandersetzung beteiligt. Es sind ihre Interessen, die Angriffsziele des Befreiungskampfes sind, es sind ihre Interessen, die die Unterdrückung durch den kolonialistischen türkischen Staat ausmachen, es sind ihre Waffen, die in dem Krieg benutzt werden, es ist ihr Geld, was hier investiert wird. Das macht auch ihre Rolle in der konkreten Auseinandersetzung aus. Seitdem sich der Befreiungskampf in NW-Kurdistan sowie jetzt aktuell entwickelt, versuchen in Westeuropa und die verschiedenen Großmächte der imperialistischen Staaten eine ganz bestimmte Kurdistan-Politik zu entwickeln. Es gibt verschiedene Versuche der Befreiung und hier muß man ganz klar sehen, daß die BRD bei dem Versuch, eine neue Politik zu entwickeln, die reaktionärste Position einnimmt und vertritt. Viele versuchen durch Umarmen und Erdrücken Kurdistan zu befrieden, die BRD aber versucht es über den direkten Angriff. Die BRD übernimmt ganz klar die Rolle eines Mitkämpfers, eines Bündnispartners in diesem Krieg. In diesem Kontext sehe ich den Prozeß, der ist ganz klar Teil dieser Position. Wenn man sich die offiziellen Verlautbarungen der westeuropäischen Länder zur Kurdistan ansieht und dann, was hier in der BRD, gerade in der Aktuellen Stunde jetzt im Bundestag gesagt wird, darin wird deutlich-. die Koalitionsparteien stehen auf der Seite der Türkei und das, was die SPD gesagt hat, fällt weit weit hinter das zurück, was andere sozialdemokratische Parteien in Europa inzwischen dazu sagen. Die BRD verficht eine Position, die inzwischen überholt ist. Frage: Du meinst die reale Situation, die Entwicklungen in Kurdistan haben diese Haltung überholt? Die Politik der BRD ist veraltet, wie die der Türkei? Hüseyin: Genau so meine ich das. Die BRD hat uns mit diesem Prozeß angegriffen, es ging um die Liquidierung der PKK. Das ist ihnen aber nicht gelungen, das Gegenteil ist eingetreten. Eine Liquidierung auf diesem Wege ist nicht möglich, das weiß die BRD ebenso wie die Türkei. Es gibt keine militärische Endlösung mehr gegen uns, das sind Realitäten, die sie anerkennen müssen. Wenn sie aber trotzdem auf dieser Politik der militärischen Endlösung beharren, dann kann ich nur sagen, diese Politik ist überholt und wird von den Realitäten entsprechend beantwortet werden. Man muß schon sehen, daß nach den letzten Entwicklungen in Osteuropa sich die Situation ziemlich rasant verändert, aber das bedeutet nicht, daß die BRD ihr Interesse für unsere Region jemals aufgeben wird, Das Verhältnis wird sich verändern. Die Türkei wird ihre alte Stellung als die Südostflanke der Türkei, als das einzige Nato-Land mit einer direkten Grenze zur Sowjetunion nicht mehr so behalten, die Bedeutung ändert sich. Diese gewichtige Rolle, die sie in der Phase des Status-Quo hatte, verliert sie damit. Das will sie aber nicht. Mit allen möglichen Methoden versucht sie an ihrer alten Rolle festzuhalten, was sie aber immer weiter in Bedrängnis bringt, zunehmend auch zu den anderen Regimen in der Region. Seit den neuen Entwicklungen in Osteuropa hat sich die Türkei ja von einem Fettnäpfchen ins andere gesetzt, was ihre diplomatischen und auswärtigen Beziehungen betrifft. Einerseits sollten die USA bei der Stange gehalten werden, indem sie Israel unterstütze bei der Einwanderung sowjetischer Juden nach Israel, die über die Türkei reisen konnten, sie hat versucht, Druck auf den Irak und Syrien mit der Wasserzufuhr auszuüben und dadurch Staaten, die eigentlich natürliche Bündnispartner der Türkei sind, vor den Kopf gestoßen. Die veränderte Situation in Bulgarien hat sie als Ventil genutzt, um türkisch-nationalistische Gefühle, die sog. türkisch-islamische Synthese, noch weiter anzuheizen, was Bulgarien erst einmal in Angst und Schrecken versetzt hat und im Endeffekt gerade den türkischstämmigen Bulgaren sehr viele Schwierigkeiten bereitet hat. Aber trotz all dieser Entwicklungen - und gerade das macht wohl die besondere Beziehung zwischen der Türkei und der BRD aus - steht die BRD immer noch zur Türkei. Wahrscheinlich soll das so bis zum bittren Ende bleiben. Das muß schon eine sehr innige Liebe sein, denn mit Vernunft ist das nicht mehr zu erklären. Hier müßte die BRD eigentlich wirklich mal neu nachdenken. Die neue Marktsituation in Osteuropa, der Zusammenschluß der gesamten Nordhalbkugel unter völliger Herrschaft des Weltimperialismus ist die derzeit bestimmende Politik. Das bedeutet einerseits, daß die Länder des Trikont außen vorgelassen werden und die Machtkonzentration im Norden eine zunehmende Gefahr für die Trikontländer bedeutet. Andererseits ist die Situation aber auch eine Chance, hier einen Zusammenschluß gegen den reichen Norden anzustreben. Der Druck in manchen Regionen ist etwas zurückgegangen, was auch Möglichkeiten in ganz bestimmten Regionen für die Durchsetzung revolutionärer Umgestaltung schafft. Länder wie Kuba, Nikaragua usw, werden natürlich Angriffsziele des Imperialismus bleiben. Aber es entstehen natürlich Lücken, die wir erkennen müssen und nutzen sollten. Frage: Das ist ein wichtiges und umfangreiches Thema, über das wir sicherlich noch länger reden könnten und auch müssen. Aber noch einmal zu eurem konkreten Kampf: kurz nach Beginn der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes in Kurdistan begann in einigen Ländern Westeuropas eine beispiellose Hetze- und Diffamierungskarnpagne gegen die PKK als die führende Kraft des Befreiungskampfes. In allen Medien wurde sie als "terroristisch" bezeichnet, die in Kurdistan Frauen und Kinder massakriert und in Europa angebliche Abweichler mit dem Tode bestrafen. In Schweden hat man sogar versucht euch den Mord an Ministerpräsident Palme anzuhängen. Hüseyin: Sehr viele verschiedene Sachen kamen da zusammen und haben ein gemeinsames Interesse ausgemacht und daran hat sich eine Politik der Hetze festgemacht. Erstmal gibt es das Interesse des türkischen Staates, dann gibt es das Interesse des BRD-Imperialismus, das muß man sehen. Wieso aber, und das ist doch die eigentliche Frage - haben sich denn Linke und Fortschrittliche an dieser Kampagne beteiligt? Und hier sehe ich ein Bündnis von ganz bestimmten Kräften aus der türkischen und aus der BRD-Linken, die bei dieser Kampagne zusammengearbeitet haben. Viele haben es als Nebenkriegsschauplatz genutzt, um von ihrer eigenen Situation abzulenken. Für die türkische Linke war das der Zusammenbruch seiner Strategien, ihre Perspektivlosigkeit, in die sie geraten waren. Da, wo sie selber keine Lösung hatten, versuchten sie andere anzugreifen. Für die BRD-Linke möchte ich sagen, daß sie von einer sehr stark eurozentristischen, metropolenchauvinistischen Haltung geprägt ist, die konkret den Leuten vielleicht noch gar nicht einmal bewußt ist, wie überheblich, was für eine.... ich finde fast schon keine Worte mehr für dieses Ausmaß an Anmaßung, was in dieser Haltung steckt. Sie haben gar nicht mehr mitgekriegt, wie sehr ihnen der Imperialismus schon die Köpfe gestohlen und das, was hier als Metropole bezeichnet wird, in ihre Köpfe hereingemauert hat. Ich habe bei einigen Gruppen noch nie so viel Energie feststellen können im Kampf gegen die Hauptwidersprüche, wie sie in die Hetzkampagne gegen die PKK eingebracht haben. Ganz konkretes Beispiel sind dafür mich die Hamburger Grünen, die GAL, die im Jahre 1987 zwei Broschüren herausgebracht haben, die beide Teil dieser Hetzkampagne gegen die PKK waren. Diese Hetzkampagne nutzte dann auch sehr stark den Komplotten, die es gegeben hat - unsere Geschichte ist eine Geschichte von Komplotten, das kann man schon so sagen. Schon vom 1. Tag unserer Entstehung an waren wir mit solchen Sachen konfrontiert, daß es uns z.T. heute noch wundert, daß noch immer manche Menschen darauf hereinfallen. Noch mal zusammengefaßt, was da zusammenkommt: einmal diese Niedergeschlagenheit der Linken, diese Perspektivlosigkeit plus das nicht Anerkennen wollen der eigenen Fehler, was dann überging in die Auseinandersetzung gegen eine Kraft, die einen anderen Weg eingeschlagen hat. Andererseits ist es bei der BRD-Linken dieser tiefe Ausdruck, wie sehr es dem Imperialismus schon gelungen ist, die Köpfe der Menschen einzubetonieren. Was nicht heißt, daß es auf unserer Seite keine Fehler gegeben hat. Frage: Ja, Du hast die Hetzkampagnen, an denen sich viele linke und fortschrittliche Kreise der BRD beteiligt und diese widerspruchslos übernommen haben jetzt schon sehr deutlich angesprochen. Das ist sicherlich auch ein Grund, warum sich bis heute keine breite Solidarität gegen diesen Prozeß und mit dem Befreiungskampf in Kurdistan hier durchgesetzt hat. Ich möchte da noch einmal nachfragen, ob es auf Eurer Seite nicht auch Fehler im Umgang mit den Linken hier gegeben hat? Hüseyin: Ja, natürlich, auch auf unserer Seite hat es viele Fehler gegeben, kleine und große, Wir können und wollen sie nicht bestreiten. Wichtig ist weniger, ob wir das nun anerkennen oder nicht, sondern wichtig ist, was lernen wir daraus? Wir haben einen Prozeß durchgemacht, den ich gern als einen Prozeß des Erwachsenwerdens bezeichne. Ein Prozeß, bei dem wir aus unseren Kinderschuhen langsam herausgewachsen sind, ein Prozeß, bei dem wir unsere Kinderkrankheiten durchgemacht haben und heute in eine neue Phase eintreten. Ich will betonen, daß wir das natürlich nicht alles einfach so als Kinderkrankheiten abtun können, daß es jetzt vorbei und alles wieder gut ist. Ich sehe da in vielen Vorkommnissen, die es gegeben hat, auch eine gewisse Gesetzmäßigkeit Wir sind eine Bewegung gewesen, die in einer äußerst schwierigen Situation entstanden ist, mit schwierigsten Bedingungen konfrontiert, einen äußerst schwierigen Kampf geführt hat. Noch dazu ohne jegliche Erfahrung und in einer Situation der absoluten Verfolgung. Die PKK und das ist bekannt, ist der eigentliche Staatsfeind innerhalb der Türkei schon immer gewesen. Nun, daß es in einer solchen Situation zu etlichen Fehlern gekommen ist, das ist für mich klar, und ich denke, das gehört auch mit zur Einschätzung. Heute gibt es eine andere Seite der Geschichte, heute versuchen wir, aus unseren Fehlern zu lernen, sie möglichst nicht zu wiederholen - und ich glaube auch, daß uns das gelingen wird - und damit haben wir bewiesen, daß wir lernfähig sind. Und jetzt fordern wir einen eben solchen Lernprozeß bei genau denjenigen, die lange Zeit an diesem Konflikt beteiligt waren. Es gibt, das sehen wir, einen gewissen Lernprozeß, Denkveränderungen, es gibt keine offenen Angriffe mehr; die, die früher am lautesten diese Angriffe geführt haben, schweigen heute. Und viele, die damals die Angriffe mitgeführt haben, haben ihr Schweigen gebrochen und reden jetzt auch wieder. Das ist gut und das müssen wir auch weiter vorantreiben. Das ist die Basis, auf der ein Dialog entstehen könnte und auf beiden Seiten, das möchte ich betonen, auf beiden Seiten zu gucken, was falsch gelaufen ist, um daraus für die Zukunft für beide Seiten zu lernen. Wer versucht, nach wie vor alle Schuldauf. uns abzuwälzen , den werden wir einfach nicht ernst nehmen, mit denen werden wir darüber auch nicht weiter diskutieren, das ist für mich ganz klar. Frage: Ich möchte noch einmal auf diesen Vorwurf des Eurozentrismus zurückkommen, denn ich denke, daß ist ein sehr wesentlicher Punkt, dieses metropolenchauvinistischen Denkens bei vielen Linken hier, das ihnen möglicherweise nicht bewußt ist, wie Du gesagt hast. Sag doch mal so ein Beispiel dafür. Hüseyin: "Ich möchte nicht wissen, wie es der kurdischen Bevölkerung ergehen wird, wenn die PKK an der Macht ist", das ist konkret so ein Satz, den ich vor einigen Tagen gehört habe und der für mich ein Ausdruck für dieses absolut überhebliche Denken ist. Es ist dumm, was sie sagt (es war eine Frau, die das sagte), einfach, weil es ausdrückt, daß sie nichts weiß. Sie weiß nicht, daß die Kurden noch nie "an der Macht" gewesen sind, noch nie strukturelle Macht hatten, mit der sie was falsch machen konnten. Was da zum Ausdruck kommt ist, daß diese Frau die Menschen in Kurdistan für dumme Leute hält, die irgendeiner Kraft zur Macht verhelfen und sich dann wie Blinde unter deren Fittiche stellen. Das heißt das doch: Wie wird die PKK denn - wenn - die an die Macht kommen? Doch nicht über einen Putsch oder sonstwie! Nur über den Befreiungskampf, an dem die Bevölkerung sich aktiv beteiligt! Das weiß sie auch, daß das so ist. Und das heißt, sie assoziiert mit dem Kampf der Bevölkerung den Kampf eines dummen, armen, kleinen Negerleins, des armen, kleinen, dummen Asiaten, der irgendwelchen schlauen Demagogen hinterherläuft und denen, die gute Missionarin aus dem Land der Weißen erst einmal klarmachen muß, was für eine Dummheit die Menschen dort begehen. Das drückt sich darin aus. Wenn ich ihr das so ins Gesicht sagen würde, ich glaube, sie würde umfallen. So denken die Menschen auch nicht, ich glaube auch kaum, daß sie es mit bösem Willen gesagt hat, jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, daß sie die Türkei näher kennt. Ich mache ihr das auch nicht zum Vorwurf, vielleicht ist sie auch aufgehetzt. Ich mache ihr nur zum Vorwurf, daß das, was in diesem Satz steckt, viel tiefer, etwas in ihr selber ist. Aber das ist nur einer solcher Sprüche, es gibt ganz viele in diesem Zusammenhang. Das drückt sich auch immer wieder bei der Kritik unserer Struktur aus: "Wie sieht es denn mit der inneren Demokratie der PKK aus?" Das war auch so eine Frage, die ich in den letzten Tagen gehört habe. Jemanden, der draußen steht, den weißen Mann sozusagen oder die weiße Frau, geht diese Frage erst einmal gar nichts an. Mit dieser Frage werden doch die eigenen Entwicklungen, die die Menschen hier durchgemacht haben, assoziiert. Mit den Vorwürfen gegen die K-Gruppen-Mentalität, die K-Gruppen-Strukturen, mit den Vorwürfen gegen die Parteistrukturen usw. usf., schlechte Erfahrungen, die hier Realität sind. Und aufgrund dieser Basis hat man eine ganz bestimmte Auffassung von innerer Demokratie, von Struktur. Und jetzt zu versuchen, aus diesem Blickwinkel etwas zu betrachten und sogar zu bewerten, was sich ganz woanders entwickelt, ist für mich metropolenchauvinistisch. Wer von denen, die sowas sagen, kennt auch nur einen Aspekt der kurdischen Geschichte, der kurdischen Parteigeschichte, der kurdischen Entwicklung?! Doch wohl niemand. Und trotzdem versuchen eine Bewertung unserer Bewegung - das ist für mich Ausdruck von Metropolenchauvinismus. Frage: Ende der 60er Jahre, zur Zeit des Vietnamkrieges hat eine sehr breite internationale Solidarität auch in der BRD in dem Kampf des vietnamesisch Volkes gegen die USA gegeben Massaker in Kurdistan, auf den Philippinen oder in Palästina scheinen die Menschen heute nicht mehr zu erschüttern. Kannst da Gründe vorstellen, warum es ein internationalistisches Bewustsein auch bei den Linken hier der BRD nicht mehr gibt? Wie würdest Du die politische Situation hier in der BRD und Westeuropa definieren? Siehst Gefahren für die Zukunft? Hüseyin: Ich glabe, die Solidatätsbewegung von damals hat bei der Definition des klassischen Imperialismus einen wichtigen Aspekt vergessen, nämlich die unglaubliche Flexibilität und Lernfähigkeit, die der Imperialismus inzwischen gewonnen hat. Der sog. sterbende Kapitalismus ist kein alter krank Mann, sondern ist eine junge Entwicklung, die zwar objektiv sich in einem Prozeß des Sterbens befindet, die aber aus diesem Wissen heraus alles dazu tut, den Zeitpunkt des Todes so weit wie möglich hinauszuzögern. Und in dies Kampf ist der Kapitalismus unglaublich dynamisch. Das ist die Situation des Imperialismus heute. Die Vietnam-Bewegung war eine sehr starke und wichtige Bewegung bezüglich bestimmter Entwicklungsprozosse hier. Und sie war auch ein wichtiger Bestandteil des Kampfes in Vietnam, diese Bewegung hat den Vietnamesen sehr viel geholfen. Die Lehre, die der Imperialismus aus dieser Etappe gezogen hat ist, das solche Bewegungen wie zur Zeit des Vietnam-Krieges nicht wieder entstehen dürfen. Um das zu verhindern, wird alles getan. Auf der anderen Seite, und das ist eine Frage des Bewußtseinstandes hier, war die Vietnam-Bewegung das Ergebnis einer Entwicklungsgeschichte hier in der BRD. Wesentlicher Bestandteil für die damalige Solidaritätsbewegung war sicherlich der Kampf des armen, kleinen vietnamesischen Volkes gegen den bösen, großen imperialistischen Yankee. Die Widersprüche waren so kraß, daß es leicht war, sich auf die eine Seite gegen die andere zu stellen. Gleichzeitig wurde der vietnamesische Kampf zu etwas, was man zwar selber wollte, die Ungerechtigkeit nämlich zu bekämpfen, aber nicht schaffte. Diese kleinen Vietnamesen, in allem klein, also wirklich ein kleines Volk, auch als Menschen sind sie ja klein, schafften es, dem Imperialismus derart die Stirn zu bieten. Das rief einfach Bewunderung hervor. Insbesondere nach dem zweiten Weltkrieg hatten die Menschen mit dem Neuaufbau Europas ja mitgekriegt, daß es nichts anderes war als die Neuauflage von dem, was es schon immer gewesen war, nur in einer anderen Farbe. Man hatte gemerkt, daß man betrogen und belogen worden war. Und dort war das vietnamesische Volk, daß sich alledem entgegenstellte. Mit diesem Kampf konnte man sich identifizieren. Aber, und das ist ein Grund dafür, daß es heute diese Bewegung nicht mehr gibt, damit wurde vieles verbunden, was mit der Realität nichts zu tun hatte. Die Vietnam-Bewegung war stark geprägt von Utopie und Euphorie, die einfach nichts mit der Realität Vietnams zu tun hatten. Vietnam braucht gerade heute z.B. nach 1975 eine ebenso starke Solidarität. Aufgrund der unglaublichen Folgen des Krieges, an denen das Volk heute noch zu leiden hat, klappt eben auch vieles nicht so, wie es klappen sollte. Natürlich liegt das auch an Fehlern, die politisch gemacht werden, aber auch an der wirtschaftlichen und ökologischen Situation. Diese Solidaritätsbewegung hörte auf, als die USA vertrieben waren und das vietnarnesische Volk den Alltag versuchte zu organisieren. Ich möchte noch ein bißchen zu diesem Begriff "Utopie" sagen: es fehlte die Vorstellung, daß auch die Vietnamesen nur mit Wasser kochen. Aufgrund der Entfernung und daß man nicht sehr viel über die konkrete Situation im Trikont weiß, gibt es die Vorstellung, diese Menschen seien mit irgendwelchen Zaubertränken ausgestattet. Das ist natürlich nicht so, wir kämpfen mit den Mitteln, die wir haben und versuchen, mit dem, was wir erkämpfen, etwas Neues aufzubauen. Niemand im Trikont hat Wundermittel. Die Kämpfe im Trikont wurden und werden leicht idealisiert. Und dann, wenn gemerkt wird, daß auch dort nur mit Wasser gekocht wird, gibt es den abrupten Abbruch der Solidarität. Hätte die Vietnam-Bewegung auf einer realistischen Grundlage gestanden, auf der Grundlage des konkret Möglichen und des konkret Machbaren, dann hätte diese Bewegung nicht zusammenbrechen dürfen. Die Nicaragua-Bewegung hat daraus ein bißchen gelernt, auch wenn sie nie das Ausmaß der Vietnam-Bewegung erreichte. Nicaragua hatte ja vor der Revolution kaum Solidarität, wer kannte schon die Sandinisten 1978? Doch nur wenige. Danach hat sich das dann geändert, obwohl auch hier Fehler gemacht wurden. Darauf einzugehen würde jetzt wohl zu weit führen, nur soviel, die Herangehensweise an ein die Situation Nicaraguas wie an ein Sozialprojekt, wurde den Problemen überhaupt nicht gerecht. Im Endeffekt müssen die Veränderungen in großem Maßstab erfolgen, um sich wirklich auf die konkrete Situation der Menschen auswirken zu können. Frage: Sprichst du auf die Projektepolitik in Nicaragua an? Hüseyin: Ja, das auch, aber ich will auf keinen Fall sagen, daß das alles falsch gewesen ist. Es kommt auf die Situation drauf an, z.B. dieses Projekt der Kaffeernte war eine ziemlich internationalistische Bewegung in einer Situation, wo diejenigen, die eigentlich den Kaffee pflücken, in den Krieg ziehen mußten. Das war schon eine sehr konkrete Form des Intemationalismus. Interessant ist hier bei den europäischen Solidaritätsbewegungen auch, daß sie sich mit Entwicklungen beschäftigen, die sehr weit von ihnen entfernt passieren. Sachen, die sozusagen vor ihrer Nase passieren, werden von ihnen nicht besonders stark aufgegriffen. Das hat wohl auch sehr viel damit zu tun, daß Internationalismus und Solidaritätsbewegung stark romantisiert wird. Der Papa fährt nach Mallorca und Fritzchen fährt nach Nicaragua - und beides ist Urlaub. Was fehlt ist das Bewußtsein über den charakteristischen Unterschied, daß es um die konkrete Veränderung der Situation der Menschen dort geht, um eine andere Politik. Ich glaube auch, daß das viel damit zu tun hat, daß es hier keine revoltionäre Perspektive gegeben hat. Das heißt, daß es um Machtergreifung, die Veränderung der Machtverhältnisse geht. Die Veränderung der Struktur ist nur mit der Veränderung der Machtverhältnisse zu erreichen. Wer von den Menschen, die hier von der Revolution irgendwo schwärmen, kann sich schon vorstellen, morgen irgendein Minister zu sein? Und jetzt muß man mal versuchen, sich in die Köpfe von Ortega, Borge oder anderen hineinzuversetzen. Das war doch auch nur eine ganz bestimmte Szene in der Linken, die unter den konkreten Bedingungen dort, die Macht erreicht bzw. die Macht erhalten hat Daß also revolutionäre Perspektiven hier gefehlt haben, ist für mich mit ein wichtiger Grund, daß es hier keine Solidaritätsbewegung geben kann. Das Fehlen einer hiesigen Organisierung (Organisation, die ihre eigenen Interessen formuliert und umsetzt in konkrete revolutionäre Politik, ist der Grund, daß es keine starke internationalistische Bewegung gibt -das bedingt sich gegenseitig. Frage: Welche Gefahren siehst du jetzt in den Entwicklungen in Westeuropa, auch für die Menschen und Völker im Trikont? Hüseyin: Also, da entstehen viele Gefahren, das sehen wir hier in der BRD am besten: es gibt nur noch Deutschland und der Rest der Welt ist zusammengebrochen. In dieser Situation der Nabelschau, der Kraftmeierei, die hier betrieben wird, fallen viele wichtige Sachen weg. Der hiesigen Linken fehlt auch hier eine Alternative. Ein anderes Informations- und Nachrichtensystem fehlt, wo wirkliche Nachrichten aus aller Welt zusammengeholt und weitergegeben werden, denn auch die Linken hier kriegen nur wenig von dem mit, was wirklich in der Welt passiert. Dieses letzten Massaker z.B. in Palästina, das größte wohl seit es die Intifada gibt, hat zu gar keinen Reaktionen geführt, oder die aktuellen Entwicklungen in der Türkei, kein Mensch kriegt das so richtig mit, daß es dort in Kurdistan einen Volksaufstand gibt, der von Tag zu Tag in die verschiedenen Orte schwappt, sich ständig entwickelt - das ist hier so gut wie gar nicht bekannt. Insofern würde ich auch nicht sagen, ob ich eine Gefahr sehe, denn ich lebe in dieser Gefahr, sie ist schon da. Bei der Linken hier herrscht derzeit eine ziemliche Niedergeschlagenheit, Perspektivlosigkeit. Es besteht die große gefahr, im Selbstmitleid zu versinken und nur noch die eigenen Wunden zu lecken. Das kann man natürlich machen, eine Zeitlang mag das ja auch ganz schön sein, aber wenn das nicht aufhört, dann geht die Bewegung und die Perspektive hier für immer kaputt. Dann wird es im Endeffekt darauf hinauslaufen, daß es vielleicht noch einige guten Kabarettisten mehr gibt, die die Situation in Ironie und Karikatur darstellen können und der Rest wird sich ins normale Leben zurückziehen. Hier gilt es, im Namen des Trikonts zu sagen: Hört auf mit diesem verdammten Selbstmitleid! Hört auf, die eigenen Wunden zu lecken! Gut, ihr müßt eure Wunden schon verbinden, aber dann könnt ihr euch nicht wochen- oder jahrelang in irgendwelche Lazarette legen und warten, bis es auskuriert ist. So lange kann die Welt nicht warten, angesichts der vielen Probleme! Und egal, wie schwierig diese Situation für euch heute ist, egal wie perspektivlos ihr seid, eins ist doch klar: das, was die da oben an Wiedervereinigung vollziehen oder nicht, das passiert auch ohne euch. Ihr spielt darin überhaupt keine Rolle, mit deren Interesse habt ihr doch nichts zu tun! Wer immer noch von der Mitgestaltung dieser neuen Situation träumt, der ist schon verloren. Wir können nur sagen: eure Interessen und unsere Interessen, das sind gemeinsame Interessen! Unsere Interessen im Trikont, die gefährliche Situation die jetzt schon besteht durch die große konterrevolutionäre Bewegung, sind bedroht. Dieser Kampf wird verschärft, wird mit allen Mitteln gegen uns geführt. Und die Menschen hier müssen erkennen, was ihre wirklichen Interessen sind, wo ihre wirklichen Bündnispartner sitzen. Frage: Kannst du jetzt zum Schluß noch einmal sagen, z.T. zieht es sich ja immer wieder durch deine Stellungnahmen, die neue Politik der real-sozialistischen Staaten und ihre weltweiten Auswirkung. Kannst noch mal was dazu sagen, welche Auswirkungen diese Entwicklungen auf die Perspektiven von nationalen Befreiungsbewegungen haben? Hüseyin: Mittlerweile gibt es ja aus verschiedenen Teilen der Welt Thesenpapiere dazu. Einige kommunistische Parteien Lateinamerikas haben dazu z.B. eine Erklärung abgegeben. Wir können sagen, daß wir die Entwicklung in den sozialistischen Staaten nicht völlig ablehnen. Wir sehen die Notwendigkeit von Veränderungen in diesen Staaten. Wir sehen die Stagnation, wir sehen die unglaublichen Folgen der Staatsbürokratie, diese Auswirkungen des administrativen Sozialismus. Wir sehen die Notwendigkeit der Öffnung und der Umgestaltung. Wir sehen gleichzeitig die unglaubliche Macht des imperialistischen Weltmarktes und die Auswirkungen der jahrzehntelangen Einkesselung der UdSSR durch diesen Weltmarkt. Und wir sehen dies alles auch als Ergebnis der falschen Politik der friedlichen Koexistenz. Die lenin'sche Taktik der friedlichen Koexistenz wurde zueiner chruschtschow'schen, schon einer stalin'schen Strategie der friedlichen Koexistenz, die die Interessen der Völker des Trikonts außer acht läßt. D.h. die Interessen der eigentlichen Bündnispartner wurden nicht mehr beachtet, mit denen ein revolutionäres rollback hätte geschafft werden können. Das, was man die Notwendigkeit einer permanenten Revolution nennt, Hierfür gibt es eine Mitschuld der real-sozialisti schen Staaten, man kann nicht sagen, die Schuld für diese Situation käme nur von außen. Aus diesem Grund sagen wir, mit der Veränderung muß endlich angefangen werden. Die alten Denkstrukturen müssen aufgegeben und die große Chance muß genutzt werden, daß wir uns zusammensetzen, ausdiskutieren, weiche Fehler wir wirklich gemacht haben und welche Perspektiven wir für uns entwickeln können. Gerade das ist heute wichtig. Derzeit betreibt die Sowjetunion eine Politik, die sowohl lang- als auch kurzfristig gesehen, ziemlich schädlich für sie selbst ist und natürlich auch für die anderen Länder in dieser Region. Andererseits aber dürfen wir uns aufgrund dieser Entwicklungen nicht in irgendeine Resignation treiben lassen, wie das in der BRD sehr stark der Fall ist. Revolutionsimporte mögen noch so gut gemeint sein, sie helfen nicht. Wir wußten schon immer, daß die Revolution nur das Werk unserer eigenen Hände sein kann. Aus diesem Grund kann es für uns nur eine Perspektive geben: unsere revolutionäre Perspektive weiterzuentwickeln und voranzutreiben. In dem Zusammenbruch des reellen Sozialismus sehen wir einen großen Verlust aber auch einen großen Gewinn. Wir haben schon viele wichtige Dinge damit verloren, aber auch viel Schlechtes, und das ist jetzt er daraus lernen und das Positive heraus zu ziehen. Das heißt für mich, anzuerkennen, daß eine falsche Politik gegenüber dem Imperialismus betrieben wurde und damit verbunden auch eine falsche Politik nach innen. Die revolutionäre Perspektive müssen wir jetzt neu aufbauen. Was in der Sowjetunion derzeit passiert, das ist es auf jeden Fall nicht! Wir müssen die großen Chancen, die diese Situation mit sich bringt, nutzen. Wir müssen unsere eigenen Modelle, unsere eigenen Vorstellungen versuchen durchzusetzen und zu realisieren. Wir müssen die große Chance, neue Perspektiven mitentwickeln zu können, nutzen. Wir müssen die neue Perspektive selbst sein, anstatt immer nur andere Perspektiven darzustellen. Und wir müssen aus den Fehlern lernen, um sie nicht noch einmal zu begehen und das anhand unserer eigenen konkreten Bedingungen. Das sind die wichtigsten Lehren die wir aus dieser Entwicklung ziehen. Und das wir mit dieser Haltung richtig liegen, das zeigen die aktuellen Entwicklungen in Nordwest-Kurdistan jetzt. |
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