II. Meilensteine im Kampf der Kurden

Das Erbe Atatürks
Nach 30 Jahren 'Friedhofsruhe'

Erneute 'Auferstehung' der kurdischen Bewegung
Unsäglicher Terror durch die Militärjunta
Bewaffneter Kampf der PKK
Versuche, 1993 die Kurdenfrage friedlich zu lösen
Verbrannte Erde
Eine Zwischenbilanz des Krieges


Versuche, 1993 die Kurdenfrage friedlich zu lösen

1990 bis Ende 1992 weitete die PKK ihr Operationsgebiet stark aus. Nach dem 2. Golfkrieg befreiten kurdische Organisationen Irakisch-Kurdistan. Die Alliierten errichteten dann nördlich des 36. Breitengrades eine Schutzzone, um weitere Angriffe von Saddam Hussein gegen die Kurden zu verhindern. Im Mai 1992 wurden Wahlen für ein autonomes Parlament abgehalten und eine nationale Regierung gebildet. Im Oktober des gleichen Jahres beschloss das so gewählte Parlament die Gründung eines kurdischen Teilstaats innerhalb des föderativen Irak. Alles dies gefiel dem türkischen Staat überhaupt nicht. Er befürchtete, das Beispiel Irakisch-Kurdistans könne Schule machen. So wurde ein ständiger Ausschuss zwischen der Türkei, Iran und Syrien geschaffen, um die neuen Entwicklungen zu beobachten und ein eventuelles Bündnis der Kurden aus verschiedenen Teilen Kurdistans untereinander mit allen Mitteln zu verhindern.
Obwohl der türkische Staat mit schwersten Waffen, über 300.000 Soldaten, 60.000 Dorfschützern, mit Unterstützung der irakischen Kurden und mit Notstandsgesetzen die PKK bekämpfte, war kein militärischer Sieg in Sicht. Aus jedem von der Türkei verkündeten "Sieg" ging die PKK gestärkt hervor. De facto entstanden zwei parallel existierende Rechts- und Verwaltungssysteme im gleichen Land. Die türkischen Parteien waren nicht mehr in der Lage, selbst Vorstände in kurdischen Provinzen und Kreisstädten zu bilden.
So verstanden Staatspräsident Turgut Özal und einige seiner Generäle endlich die Notwendigkeit, mit den Kurden in der Türkei Frieden zu schließen. Özal ließ zuerst einen mächtigen Armeekommandanten, General Esref Bitlis, der sich im Krieg viele Jahre hindurch hervorgetan hatte und Mitglied des Nationalen Sicherheitsrats war, vorsprechen. Bitlis gelangte zu der Überzeugung, dass es keinen militärischen Sieg geben werde, und deswegen müsse über eine friedliche Lösung nachgedacht werden. Kurze Zeit danach kam er am 17. Februar 1993 durch den Absturz einer Militärmaschine ums Leben. Seine Familie, Augenzeugen und einige seiner engsten Mitarbeiter sind davon überzeugt, dass General Bitlis durch einen Sabotageakt beseitigt worden ist. Sein Sohn Tarik Bitlis sagte am 20.1.97 gegenüber der Tageszeitung Milliyet, "weil sein Vater eine friedliche Lösung des Südostproblems forderte, wurde er durch Sabotage ermordet." (12)
Die mutmaßliche Ermordung von General Bitlis war gleichzeitig eine Warnung an die Adresse Özals. Trotzdem kündigte dieser auf einer Reise in die asiatischen Turkstaaten im Februar 1993 gegenüber Politikern, Ministern und Journalisten an, dass er die Kurdenfrage mit friedlichen Mitteln lösen wolle, auch wenn dies sein Leben kosten würde. Er setzte dann Dschalal Talabani (Vorsitzender der PUK, Patriotische Union Kurdistan/Irak) ein, um zu erkunden, ob der Vorsitzende der PKK, Abdullah Öcalan, bereit sei, den bewaffneten Widerstand zu beenden und einen Waffenstillstand zu verkünden. Dann schickte er einen seiner Berater zu Öcalan. Nach dieser heimlichen Kontaktaufnahme erklärte Öcalan am 17. März 1993 einen einseitigen und unbefristeten Waffenstillstand.
In Kurdistan wurde diese Nachricht wie ein Fest gefeiert. Während des einseitigen Waffenstillstandes der PKK hat die türkische Armee ihre Operationen aber fortgesetzt.
Özal kam am 17. April 1993, nur einen Monat nach Bekanntgabe seiner Friedensinitiative, durch einen mysteriösen "Herzinfarkt" ums Leben. Özals Sohn Ahmet erklärte in der türkischen Zeitschrift Tempo, "er habe Anhaltspunkte dafür, dass sein Vater nicht, wie die Ärzte behaupten, an Herzversagen gestorben, sondern vergiftet worden sei", was er mit den Bemühungen seines Vaters um eine politische Lösung der Kurdenfrage in Verbindung brachte. Auch Özals Witwe schloss sich der Giftmordthese an. (13)
Nach dem Tode Özals kam es am 23. Mai 1993 zu einem verhängnisvollen Ereignis. 33 unbewaffnete türkische Soldaten wurden von der PKK ermordet. Der leitende Kommandant dieser Exekution war Semdin Sakik, der sich im März 1998 von der PKK trennte und zur irakischen KDP überwechselte. Er wurde bald darauf vom türkischen Militär in die Türkei verbracht und sitzt im Gefängnis von Diyarbakir. Mit der Provokation von Mai 1993 war der Versuch, den Krieg durch eine politische Lösung zu beenden, vorerst gescheitert.

(12) Milliyet, 18. u. 20.1.97

(13) Frankfurter Rundschau (FR), 21.11.97; ÖP, 21.1.97 u. 15.11.97