V. Resümee

Kosovo macht Doppelmoral des Westens deutlicher
Gleiche Maßstäbe für ähnliche Konflikte
Auch der Westen hat Hausaufgaben zu erledigen
Hindernisse auf dem Weg zum Frieden beiseite räumen
Gelingt es, den Kreis zu schließen?


Gleiche Maßstäbe für ähnliche Konflikte

Wir müssen uns fragen, warum wir seinerzeit die Vietnamesen, die Algerier, die Kubaner, die Palästinenser, die Sandinisten, die Angolaner, die Eritreer, die Salvadoraner, die Südafrikaner ohne Vorurteile, ohne Vorbehalte eifrig unterstützt haben und warum wir bei den Kurden nicht ähnlich verfahren können?
- Wenn es tatsächlich um "Terror" oder "Terrorismus" geht, wie wurden die oben genannten Bewegungen von ihren "Unterdrückern" und den "Mächtigen dieser Welt" bezeichnet? Wurden nicht auch sie als Terroristen beschimpft?
- Wenn es um Gewalt und Terror gegen die Zivilisten geht, haben nicht auch sie diese Fehler begangen und sich schuldig gemacht? Oder ist die UCK sauberer als die anderen und die Kurden?
- Eine palästinensische Mutter fragte: "Wer hat keine blutigen Hände?" (FR, 10.12.98) Etwa die Waffenlieferanten oder die NATO, wenn sie über Leben oder Tod entscheidet? Haben sie saubere Hände?
Deswegen müssen Vorurteile beiseite geräumt und muss damit begonnen werden, sich endlich mit den Ursachen der ungelösten Kurdenfrage zu beschäftigen. Ohne die Beseitigung und Bekämpfung der Ursachen können die Folgen und Auswirkungen auch hier nicht beseitigt werden.
Obwohl die Lösung politischer Probleme nur über Gespräche, Dialoge und Kontakte erreicht werden kann, finden Kurden keine große Unterstützung in Europa. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Hier sollen 3 Aspekte genannt werden:
1. Die Türkei ist Mitglied der NATO. Also ein Bündnispartner der Bundesrepublik. Die Türkei hat sich während des Kalten Krieges als ein Bollwerk und Südpfeiler der NATO tapfer bewiesen. Und heute brauchen die "Mächtigen dieser Welt" die Türkei als einen Brückenkopf für den Nahen Osten und Kaukasus sowie in den Turkstaaten, also Mittelasien, wo sich u.a. riesige Mengen von Energievorkommen befinden. Um die Türkei nicht zu verärgern und voll an ihrer Seite zu haben, wird die kemalistische türkische Kurdenpolitik in den Mitgliedsstaaten der NATO mit anderen Mitteln und unterschiedlicher Intensität fortgesetzt. Auch die Treibjagd Öcalans quer durch Europa, Asien und Afrika verdeutlicht diese Zusammenarbeit. Werfen wir einen Blick auf die Situation in Deutschland:
- Alle Menschen, die aus der Türkei kommen und einen türkischen Pass haben, sind offiziell "Türken" und werden dementsprechend behandelt. Wegen dieser Politik werden die hier in Deutschland lebenden über 600.000 KurdInnen nicht als eine eigenständige Migrantengruppe anerkannt. Kurdische Kinder dürfen sogar bei deutschen Standesämtern keine kurdischen Namen erhalten. Die deutschen Standesbeamten legen den Eltern eine aus dem türkischen Konsulat stammende und mit lediglich türkischen Namen versehene Liste vor, um einen Namen auszusuchen. Ein anderer Name darf nicht eingetragen werden. Hier in Deutschland darf ein Kind Ali oder Ayse heißen, aber nicht Bawer oder Bejna.
- Kinder anderer Herkunft, z.B. türkische, griechische oder spanische, haben die Möglichkeit, in den Schulen ihre Muttersprache zu lernen. Kurdische Kinder sind von diesem Recht ausgeschlossen. Sie haben auch in Deutschland nur die Möglichkeit, Türkisch zu lernen.
- Obwohl die Zahl der kurdischen Flüchtlinge seit zwei Jahrzehnten zu den höchsten überhaupt zählt, findet keine Beratung und Betreuung speziell für kurdische Flüchtlinge statt. Um z.B. einen Asylantrag formulieren oder irgend ein Schriftstück übersetzen zu lassen, müssen auch KurdInnen Beratungsstellen für türkische Flüchtlinge aufsuchen.
- Der WDR sendet in seinem fremdsprachigen Programm täglich in vielen Sprachen, aber nur einmal in der Woche und auch nur für Nordrhein-Westfalen in kurdischer Sprache. Obwohl auch KurdInnen Rundfunkgebühren zahlen, müssen sie sich mit türkischen Sendungen begnügen.
- Viele kurdische und armenische Vereine sind von öffentlichen Fördermitteln ausgeschlossen. Faschistische türkische Vereine erhalten sogar ABM-Stellen, aber KurdInnen und Armenier kaum. In der letzten Zeit ist hier gegen einige "politische Zugeständnisse" eine Lockerung zu verzeichnen.
- Die Liste kann noch erweitert werden. Durch jahrelange und unermüdliche Bemühungen der KurdInnen sind in einigen Bundesländern ein paar positive Veränderungen in den Bereichen Namensgebung, muttersprachlicher Unterricht usw. erreicht worden. Sie sind aber noch sehr weit davon entfernt, die KurdInnen mit den anderen Migrantengruppen gleichzustellen.
Dies sind Beispiele für die Fortsetzung der kemalistischen Politik mit anderen Mitteln und Methoden in Deutschland. Und es gibt leider noch viele weitere Parallelen. Wenn Kurden in der Türkei z.B. für ihre elementaren Grundrechte kämpfen, werden sie vom türkischen Staat als Terroristen bezeichnet und gnadenlos verfolgt. Auch hier werden kurdische Vereine verboten, Häuser durchsucht, Menschen verhaftet und misshandelt, Kurden kriminalisiert.
2. Kurden leben mitten unter uns, aber da es nicht nur ein paar Hundert oder Tausend, sondern Hunderttausende sind, sind sie nicht "exotisch". Man schottet sich eher von ihnen ab. Zudem gehören viele Kurden zur untersten sozialen Schicht dieser Gesellschaft: sie arbeiten als Putzfrauen oder Müllmänner und haben ein niedriges Bildungsniveau. Viele Kurden und Türken sind als Arbeitsimmigranten nach Deutschland gekommen und genießen als "Gastarbeiter" keinen guten Ruf.
3. Natürlich haben die Kurden und die PKK auch Fehler gemacht. Hieraus müssen sie lernen und dürfen ihren Gegnern nicht selbst die Munition liefern. Inzwischen gibt es erfreulicherweise Erklärungen seitens der Kurden, dass sie sich von gewaltsamen Methoden fernhalten und ausschließlich auf einer legalen Plattform bewegen werden.
Für die Schaffung einer solchen Plattform ist es aber wichtig, dass das kontraproduktive und den Dialog verhindernde PKK-Verbot endlich aufgehoben wird. Außerdem haben die letzten Jahre mehrfach bewiesen, dass es unmöglich ist, das gegen eine Massenbewegung ausgesprochene Verbot konsequent durchzuhalten, "die laut Verfassungsschutz in der Bundesrepublik 10.000 Mitglieder und ein zu mobilisierendes Potential von weiteren 50.000 Sympathisanten hat".
(131) Großdemonstrationen der Kurden wie die am 17. April 1999 in Bonn belegen eindrucksvoll, dass sich tatsächlich sogar doppelt so viele mobilisieren lassen. Dies entspricht etwa einem Fünftel aller KurdInnen bzw. der Hälfte der erwachsenen KurdInnen in Deutschland. Diese Werte verdeutlichen gleichzeitig, dass es in jeder kurdischen Familie in Deutschland durchschnittlich mindestens einen "potentiellen Terroristen" geben muss, und das bei steigender Tendenz.


(131) taz, 28.8.98