Bremen (ppa). Innenministerkonferenz plant Kontrollstaat,
Massenabschiebungen und deutsche Kriegsbeteiligung - alles in Ordnung?
Videoüberwachung beim Einkaufen, am Geldautomaten
und im Bahnhof; Chipkarten speichern Bewegungsprofile und Konsumverhalten;
Privatisierung öffentlicher Räume, damit Ordnungsdienste
in den Passagen der Innenstadt und in den Einkaufszentren alle fernhalten
können, die dort nicht konsumieren wollen oder können
- alles in Ordnung?
Mehr als 50.000 Abschiebungen jährlich;
geplante Massendeportationen von Roma, kurdischen LibanesInnen und
wohl demnächst auch AfghanInnen; Konzentration von Flüchtlingen,
für die "Abschiebehindernisse" bestehen, in sogenannten
Ausreisezentren; Residenzpflicht für AsylbewerberInnen; No-go-areas
für Flüchtlinge; permanente Schikanierungen von (potentiellen)
Nicht-Deutschen durch den institutionalisierten Rassismus; Rasterfahndung
gegen alle, die die Kriterien "männlich", "arabisch",
"jung" erfüllen - alles in Ordnung?
Personelle und materielle Aufstockung von Polizei
und Verfassungsschutz; Ausweitung der Zusammenarbeit von Polizei
und Bundesgrenzschutz mit der "Aktion Sicherheitsnetz";
Videoüberwachung des Bahnhofsplatzes - alles in Ordnung?
Demonstrationsverbote; Verschärfung des
Versammlungsrechts; "Gefährdungsanschreiben" und
Ausreiseverbote für diejenigen, die verdächtigt werden,
in anderen Ländern bei EU- oder G8-Gipfeln demonstrieren zu
wollen - alles in Ordnung?
Deutsche Truppen derzeit in mehr als einem
Dutzend Länder - Einsatzgebiet: etwa ein Drittel des Globus;
Bundeswehr als führende NATO-Besatzungsmacht im Protektorat
Mazedonien; Oberkommando für die deutsche Marine am Horn von
Afrika; Ausweitung des Mordauftrags für das Kommando Spezialkräfte
(KSK) in Afghanistan; Deutschland ab Februar 2003 "Lead-Nation"
der "Schutztruppe" in Kabul (Afghanistan) und Umgebung;
Vorbereitung weiterer Angriffskriege durch die Bundeswehr - alles
in Ordnung?
Alles in Ordnung!
... meinen zumindest die SicherheitsstrategInnen,
die sich vom 4.-6. Dezember 2002 in Bremen zur Innenministerkonferenz
(IMK) treffen wollen. Es müsste sogar noch sicherer und ordentlicher
zugehen in Deutschland, finden Böse und Konsorten. Dabei ist
man in den letzten zwölf Monaten nicht nur in Sachen Kompetenzerweiterung
für die OrdnungshüterInnen einen gehörigen Schritt
weitergekommen.
Mit Hilfe einer nach den Anschlägen vom
11. September 2001 bewusst erzeugten Sicherheitspanik wurden die
"Antiterrorpakete" I und II innerhalb kurzer Zeit verabschiedet.
Mit der behaupteten "Terrorismusbekämpfung" hatten
Schilys "Otto-Kataloge" indes wenig zu tun - die neuen
Gesetze oder Verschärfungen wären nicht geeignet gewesen,
die in Deutschland lebenden mutmaßlichen Attentäter vom
11. September vorab ausfindig zu machen.
Beschlossen wurde das, was schon lange in den
Schubladen lag und nun, in der allgemeinen Terrorismushysterie,
fast ohne Protest oder Widerstand durchsetzbar war: die Ausweitung
der Befugnisse für das Bundeskriminalamt und die Geheimdienste,
die Abschaffung des "Religionsprivilegs" für islamische
Gemeinschaften, der neue § 129b Strafgesetzbuch ("Vereinigungen
im Ausland"), die effektivere Überwachung des Telekommunikationsverkehrs,
neue Ausweispapiere und anderes mehr. Oder es wurden "Grauzonen",
in denen sich die Sicherheitsbehörden ohnehin schon bewegten,
legalisiert, zum Beispiel bei der informationellen Zusammenarbeit
mit den Ausländerbehörden.
Auf Länderebene wurden parallel dazu Aufrüstungsprogramme,
ausgestattet mit jeweils zig Millionen Euro, beschlossen: Das Personal
der Verfassungsschutz- sowie der Polizeibehörden wurde massiv
aufgestockt, außerdem viele Millionen Euro in neue Technik
investiert.
Wer meint, das alles hätte mit dem "Antiterrorkampf"
wenig zu tun und etwa noch beklagt, der Datenschutz käme bei
all dem zu kurz, macht sich per se verdächtig. Denn all diese
Maßnahmen dienen dazu, die Bevölkerung präventiv
unter Generalverdacht zu stellen, ganz nach dem Motto "Wer
nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten."
Sie sind Bestandteil des Konzeptes der "Inneren Sicherheit",
zu dessen Logik auch gehört, dass immer mehr Lebensbereiche
kontrolliert und überwacht werden, sei es über die Speicherung
der bei Chipkartenverwendung erfassten Daten, sei es durch die immer
breitere Videoüberwachung von Innenstädten, großen
Plätzen etc. Dies geht Hand in Hand mit einer Vertreibungspolitik,
die darauf abzielt, dass zum Beispiel Obdachlose und DrogengebraucherInnen
keinen Platz mehr im Stadtbild haben sollen. So werden ganze Personengruppen
nicht nur ausgegrenzt, sondern darüber hinaus für die
gesellschaftliche Wahrnehmung unsichtbar gemacht.
Als verdächtig gilt im Standort Deutschland,
wer sich nicht aktiv dem kapitalistischem Verwertungsprozess unterwirft
und dabei ein hohes Maß an Integrationsbereitschaft zeigt
- nur dann nämlich soll er/sie die Möglichkeit zur "Teilhabe
an der Gesellschaft" haben. Diese Integrationsbereitschaft
"fördern" soll das Programm der Hartz-Kommission,
das Rot-Grün aktuell "eins zu eins" umsetzen will.
Dessen "Neue Zumutbarkeit" bedeutet noch mehr Druck für
Erwerbsarbeitslose, mit "Ich-AGs" und staatlich geförderter
Zwangsleiharbeit sollen noch mehr Menschen in unterbezahlte miese
Jobs gezwungen werden. "Schwarzarbeit" und "Sozialleistungsmissbrauch"
sollen so verhindert werden, potentielle LeistungsverweigerInnen
und Störenfriede keine Chance mehr haben. Die werden von den
Ämtern nicht nur mit einem zunehmend perfekteren Kontrollinstrumentarium
drangsaliert, immer öfter sehen sie sich auch bei den "Bürgertelefonen"
denunziert, die eigens zu diesem Zweck von immer mehr Behörden
eingerichtet werden.
Der Staat kann sich dabei offensichtlich auf
eine in der Bevölkerung weit verbreitete Denunziationsbereitschaft
verlassen. Auch viele Festnahmen von Flüchtlingen an den Grenzen
gehen auf Hinweise von rechtschaffenden, ordnungsliebenden BürgerInnen
zurück, die ihre imaginierte Schicksalsgemeinschaft "Deutschland"
und ihr liebgewonnenes Eigentum ständig von irgendwelchen "Fremden"
bedroht sehen. Die tagtägliche rassistischen und antisemitischen
Übergriffe sind nur der extremste Ausdruck dieses gesellschaftlichen
Klimas.
Ordnungsgemäß: Institutioneller
Rassismus
Die Innenministerkonferenz in Bremen ist voraussichtlich
die letzte vor dem geplanten Inkrafttreten des neuen "Zuwanderungsgesetzes".
Bei diesem neuen Gesetz, dessen Regularien aller Wahrscheinlichkeit
nach auf der IMK abgestimmt werden, handelt es sich faktisch um
eine Verschärfung der rassistischen Maßnahmen der Ausländer-
und Asylverfahrensgesetze, die für alle diejenigen gelten,
die nicht im Besitz eines deutschen Passes sind: Arbeitsverbote,
Ausdehnung der Behördenwillkür bei der Anerkennung des
Flüchtlingsstatus, flächendeckende Unterbringung in Sammellagern
("Ausreisezentren"), Einschränkung von Familiennachzugsmöglichkeiten
usw.
Dieses Einwanderungsbeschränkungsgesetz
reiht sich ein in ein immer perfekter funktionierendes Grenzregime
und spiegelt Tendenzen der westeuropäischen Flüchtlingspolitik
wider, in der beispielsweise die massenweise Unterbringung von Flüchtlingen
in Lagern in immer mehr Ländern Praxis wird. Während die
Grenzen zu den Flucht- und Durchreiseländern hochgerüstet
werden, entstehen auch im Inneren Grenzen: Der Bundesgrenzschutz
(BGS) patrouilliert bis 50 Kilometer ins Landesinnere und alltäglich
finden bundesweit rassistische Polizeikontrollen statt, die ganze
Stadtviertel zu No-go-areas machen. Weiterhin sind Flüchtlinge
durch die Residenzpflicht in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt
und durch das Gutschein- und Chipkartensystem beim Einkauf von Lebensmitteln
diskriminiert.
Gleichzeitig werden auch die Spielräume
für die Menschen enger, die es trotz aller Abschottungsmaßnahmen
geschafft haben, nach Deutschland zu kommen (oder aus Angst vor
Abschiebung untergetaucht sind) und sich hier ihren Alltag und ihr
Überleben organisieren. Ohne Papiere sind die schätzungsweise
rund eine Million "Illegalen" von elementaren Bedürfnissen
wie gesicherter Wohnung und Gesundheitsversorgung ausgeschlossen
und gezwungen, in ungesicherten Niedriglohnverhältnissen zu
arbeiten.
Das "Zuwanderungsgesetz" eröffnet
in diesem Zusammenhang lediglich neue Spielräume für bedarfsorientierten
Arbeitskräftezuzug. Die Menschen, die für die deutsche
Wirtschaft nützlich sind und gesteigerte Profite bringen, sollen
eine befristete Aufenthaltserlaubnis erhalten. Diese "Just-in-time-Migration"
ist moderne Wirtschaftpolitik des globalisierten Kapitalismus, der
weltweiten Konkurrenz um billigste Arbeitskräfte und Rohstoffe.
Auf dem Programm der IMK stehen auch die geplanten
Massendeportationen von Roma und anderen Minderheiten in das ehemalige
Jugoslawien. Im September hat Deutschlands der Bundesrepublik Jugoslawien
ein verschärftes "Rücknahmeabkommen" aufgezwungen,
das die beschleunigte Abschiebung von rund 100.000 von Bundesinnenminister
Schily als "illegale Migranten" bezeichneten Flüchtlingen
vorsieht. Der Grossteil der betroffenen Flüchtlinge sind Roma,
die bereits seit acht bis zehn Jahren hier leben und vor rassistischer
Verfolgung und/oder den NATO-Angriffen geflohen sind. Auf Grund
der anhaltenden Verfolgung im ehemaligen Jugoslawien haben sie dort
keinerlei Existenzmöglichkeiten mehr.
Auch in andere Krisen- und Kriegsgebiete soll
massenhaft abgeschoben werden, denn Flüchtlinge gelten mindestens
als überflüssig und unerwünscht, wenn sie nicht gar
zum "Sicherheitsrisiko" hochstilisiert werden. So möchte
Bayerns Innenminister Beckstein Tausende KurdInnen aus dem Nordirak
noch vor dem bevorstehenden Krieg abschieben. "Ob sie dort
Opfer eines der letzten Massaker des untergehenden Saddam-Hussein-Regimes
werden oder in der amerikanischen Bilanz als bedauerliche Kollateralschäden'
aufgeführt werden, dürfte für die Betroffenen keinen
Unterschied machen." (Pro Asyl)
Welt-Kriegs-Ordnung
Ausgrenzung, institutioneller Rassismus wie
auch die "präventive" Politik der Inneren Sicherheit
sind nicht allein Phänomene der deutschen Politik, sondern
konstituierende Elemente aktueller Krisenlösungsstrategien
kapitalistischer Staaten. Vom "Sozialstaatsgedanken" ist
in den Staaten Westeuropas schon längst keine Rede mehr. Statt
dessen dominieren in der verschärften Standortkonkurrenz -
wie bei Rot-Grün - Konzepte, die sich "New Labour"
oder ähnlich nennen. Sie fordern von Einheimischen wie "AusländerInnen"
die aktive Unterwerfung unter den kapitalistischen Verwertungsprozess
und wollen auch damit dem grenzüberschreitend flexibel gemachten
Kapital optimale Verwertungsbedingungen am jeweiligen nationalen
Standort bieten.
Zusätzlich gibt es auf EU-Ebene derzeit
Bestrebungen, die Kriminal- und Justizpolitik weiter zu vereinheitlichen.
Das betrifft nicht nur das gemeinsame Vorgehen gegen Flüchtlinge,
die nach Europa gelangen, sondern etwa auch "terroristische
Bewegungen" ebenso wie den emanzipativen Widerstand gegen diese
Politik.
Weltweit betreiben die führenden kapitalistischen
Staaten seit dem 11. September 2001 eine Art "Weltinnenpolitik".
Zahlreiche Staaten, die vor allem den USA als "Schurkenstaaten"
oder zumindest als terrorismusverdächtig galten, haben sich
den G7 in der "Anti-Terror-Kampagne" bereitwillig oder
gezwungenermaßen unterworfen, um nicht selbst zur Zielscheibe
militärischer Angriffe zu werden.
Deutschland mischt kräftig mit im "Anti-Terror-Kampf"
und ist dabei bestrebt, eigene materielle und geostrategische Interessen
zu verfolgen, die bereits 1991 in den Verteidigungspolitischen Richtlinien
unverhohlen auch militärisch formuliert wurden. Derzeit stehen
deutsche Truppen in mehr als einem Dutzend Länder dieser Welt
- das Einsatzgebiet umfasst mindestens ein Drittel der Erde. Die
rot-grüne "Friedenspolitik" ist längst permanente
Kriegspolitik geworden.
Ausschlaggebend ist dabei immer die Konkurrenz
zu den anderen führenden Industrienationen. Die USA haben sich
nach dem 11. September von ihren BündnispartnerInnen die "uneingeschränkte
Solidarität" versichern lassen, diese aber nach deren
Auffassung zum Ausbau ihrer weltweiten (militärischen) Vormachtstellung
missbraucht. Und so droht derzeit im Falle eines erneuten Angriffs
auf den Irak ein Szenario, das nach Auffassung nicht nur von Schröder,
Fischer & Co. schlimmer noch wäre als das nach dem zweiten
Golfkrieg 1990/91 - die USA würden sich die hierbei zu erzielenden
Profite (wiederum) fast alleinig sichern, diesmal sogar die gesamten
irakischen Ölreserven. Nur deshalb hat die Bundesregierung
ihre Washington im März gegebene Zusage für eine Beteiligung
an einem Angriffskrieg (Reuters, 6.8.2002) zurückgezogen und
den "deutschen Weg" (Bundeskanzler Schröder) eingeschlagen.
Der Anfang August von Rot-Grün erklärte "Anti-Kriegs-Kurs"
dient einerseits der Mobilisierung antiamerikanischer Ressentiments
an der Heimatfront, andererseits will sich Deutschland zumindest
die Pfründe aus den Beziehungen zu den gegen einen Angriff
auf den Irak eingestellten Staaten der arabischen Region sichern.
Ordnungswidrig sein!
Die Innenministerkonferenzen sind eine Drehscheibe
für repressive Strategien des Law-and-Order-Staates. Dieser
Ort der Macht ist anzugreifen und bloßzulegen. Der Politik
der SicherheitsstrategInnen setzen wir unsere eigenen Vorstellungen
von sozialen und politischen Rechten und einem Leben jenseits kapitalistischer
Verwertungslogik entgegen. Wider die Kontrolle sämtlicher Lebensbereiche,
die repressive Sicherheitspolitik und die herrschende Ordnung!
Wir kämpfen
für offene Grenzen, Bewegungsfreiheit und Freizügigkeit.
Solidarität mit den Bleiberechtskämpfen der MigrantInnen
und Flüchtlinge!
Keinen erneuten
Angriff auf den Irak! Rückzug der deutschen Truppen weltweit!
Für einen revolutionären
Ausnahmezustand!
AufruferInnen:
Antifaschistisches Komitee (ak), AntirassismusBüro Bremen (ARAB),
Archiv der sozialen Bewegungen Bremen, Autonome Antifa Bremen, Autonome
Antifa Gruppe Bremen (AAGB), Bluna, Bremer Anti-Atom-Forum (BAAF),
Bündnis "Alles in Ordnung?", Büren-Gruppe Paderborn,
FrauenLesbengruppe F.L.O.P., GesamtschülerInnenvertretung (GSV)
Bremen, gr.appa, hugg, Infoladen Bremen, kassiber - Stadtzeitung
für Politik, Alltag, Revolution -, Kombo (p), Marxistischer
Zirkel (MZ), MediNetz Bremen, no border, Stadtkommune Alla Hopp,
Stefan Wichmann (Vorsitzender Solidarische Hilfe e.V.), Vereinigung
der Verfolgten des Naziregimes - Bund der AntifaschistInnen (VVN/BdA)
Bremen, www.antifa-bremen.de
Die Demonstration unterstützen ferner:
akzept Landesverband Bremen e.V. (für akzeptierende Drogenarbeit
und Drogenpolitik), Flüchtlingsarbeitskreis Walle, Karawane
für die Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen, Medieninitiative
Gina Bremen, PDS Landesverband Bremen, ['solid] - die sozialistische
Jugend - Landesverband Bremen
Demonstration am Donnerstag, den 5. Dezember
2002, um 17 Uhr
Auftaktkundgebung: Bahnhofsplatz
Info- und Anlaufstelle am 4./5. Dezember 2002
ist der Infoladen Bremen in der St.-Pauli-Straße 10/12 (Straßenbahnlinien
2 und 3, Haltestelle Wulwestraße).
Weitere Infos:
Bündnis "Alles in Ordnung?", c/o Infoladen Bremen,
St.-Pauli-Straße 10/12, 28203 Bremen, eMail: alles-in-ordnung@gmx.de
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