Quelle: Handbuch für Asylarbeit, 1.Aufl. April 1995 | |
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Lager sind die Logistik der administrativen Abwicklung und damit Drehscheibe in die Folgeunterkünfte, Abschiebeknäste oder auch die Illegalität. Lager sind ein Synonym für die Internierung von sozialen Problemen, sie stehen für Aussonderung und Isolierung. Die kritische Psychiatrie kennt sie unter dem Begriff einer "totalen Institution". Lager sind Verwaltungseinrichtungen, die als rationelle Kontrollinstrumente der Selektion und Schnellabschiebung dienen sollen.
Sie sind nicht unmittelbar kostengünstiger als die Wohnungsunterbringung, sondern gemäß einer Berechnung des BM für Gesundheit von 1983 ca. 30 - 50 % teurer, sie rechnen sich also erst über ihre gesellschaftliche Funktion der "Beseitigung von Überschußbevölkerung".
Über diese allgemeine Charakterisierung hinaus ist es sinnvoll, die einzelnen Bestandteile von "Lagern", also sowohl den "Zentralen Anlaufstellen" (§ 23 AsylVG) als auch den "Sammelunterkünften" der Folgeunterbringung (§ 55 AsylVG) sichtbar zu machen.
Erstes Augenmerk ist der Zaun, oft 2, 3 Meter hoch, teils mit Stacheldraht, sogar mit Natodraht gesichert. Der Zugang ist oft nur durch ein Tor, gesichert mit Schranke und Wachhäuschen, möglich. Dort finden in der Regel Eingangskontrollen statt. Oft erhalten die Insassen Lagerausweise, auf einigen Wohnschiffen ersetzt das Wasser den Zaun, dort gelten Bordkarten. In Bremen wird ein Bordbuch geführt, in dem alle Bewegungen der Flüchtlinge registriert werden.
In allen Fällen gilt gemäß dem AsylVG Residenz- und Anwesenheitspflicht. Die wird bis zu dreimal täglich durch Abgabe einer Unterschrift kontrolliert. Bei Verstoß verliert der Flüchtling nach drei Tagen die Unterkunft die Sozialhilfe, die Aufenthaltsberechtigung und wird zur Fahndung ausgeschrieben. Innerhalb einiger ZASTen befinden sich Aussenstellen der Kripo, Einrichtungen zur ED-Behandlung, Stellen der Ausländerbehörden und neuerdings auch Ausgabeschalter der Sozialämter. Ein sich schließendes System.
In einigen Unterkünften herrscht Besuchsverbot, in anderen muß sich der Besucher ausweisen und den Namen des Besuchten angeben, oft wird beides notiert. In einige Einrichtungen gelangt man problemlos, in anderen wird ein Besuchsverbot mit der "Sicherheit" begründet, um nicht zugewiesene Asylbewerber fernzuhalten, "um den Drogenhandel zu unterbinden", den "Lageralltag nicht zu stören" oder gar "Neid von den anderen zu vermeiden, die keinen Besuch bekommen".
Viele Lager liegen "auf der grünen Wiese", sie sind nur mit "Sonderbus mit Sonderpreis und Sonderkontrollen zum Sonderhaus" erreichbar (A.Zahedi, "Die Tränen..." 1992).
In den meisten Lagern wurde mittlerweile auf Zentralküchenverpflegung umgestellt, die weder dem individuellen Geschmack noch dem Notwendigen entspricht. Zudem gibt es feste Ausgabezeiten, an die sich Flüchtlinge zu halten haben und während der die Anwesenheitskontrolle stattfindet.
Grundsätzlich werden Flüchtlinge in Gemeinschaftszimmern, nie einzeln untergebracht. Viele Räume sind überbelegt, es gibt keine Privatsphäre, beides Gründe für Lagerkoller und Spannungen unter den Flüchtlingen. In Blankenburg sind 1/3 der Insassen Kinder, Spielzeug gibt es nicht. Die Körperpflege soll durch wenige Duschen und Toiletten für je 40 und mehr Menschen abgedeckt sein.
Zunächst erhalten Flüchtlinge keine Sozialhilfe, sondern nur ein Taschengeld in Höhe von 70 DM für den "persönlichen Bedarf'. Damit ist Seife, Tabak, Telefongeld, Zeitungen, Früchte, evtl. Fahrgeld und ggf. auch Kleidung gemeint, dies ist mit der Summe sicherlich nicht zu bezahlen und erzwingt weitgehenden Verzicht. Erst später erhalten Asylbewerber Sozialhilfe, deren Art und Höhe immer wieder zur Disposition steht, 25 %ige Kürzungen in Brandenburg oder Warengutscheine statt Bargeld werden immer mehr zur üblichen Praxis. Kleidergeld steht ihnen erst nach 6 Monaten zu, wer im Herbst in Sommerkleidung kommt, muß vielleicht sogar frieren. Aushelfen sollen Altkleiderkammern der Wohlfahrtsverbände, doch nicht immer ist passendes darunter. Die Botschaft ist mehr als deutlich: Für Flüchtlinge abgelegtes oder gar nichts.
In einigen Lagern bestehen Arbeitsmöglichkeiten nach dem BSHG § 19. Für die Mitarbeit im Garten oder beim Putzen wird 1.50 - 2,- pro Std. ausgezahlt. Eine rumänische Mutter von drei Kindern aus der ZAST Blankenburg in Oldenburg berichtete: "Ohne dieses Geld brächte ich meine Kinder nicht durch". Zumindest in diesem Fall ist damit sowohl die dramatische Unterversorgung als auch der Zwang zur Arbeit belegt.
Es gibt auch in Großlagern keine Ärzte, ohnehin sind Flüchtlinge gesetzlich weitgehend von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen. Psychologen, Therapeuten, Betreuung von Folteropfern oder Traumatisierten sind nicht vorgesehen. Nur in ca. 6 Städten existieren derartige Initiativen.
Hinter der scheinbaren Neutralität der Lagerordnung verbirgt sich ein geschlechtsspezifisches Elend. Für Frauen gibt es keine Rückzugsmöglichkeiten, sie sind den Aggressionen von Männern ebenso ausgeliefert, wie sie schwer an der Verantwortung der Familien tragen, weder sind separate Duschen, noch Toiletten vorgesehen. Aus Oldenburg wurde erzählt, dort wurden Frauen aus dem Lager in hafennahe Bordelle gelockt, sogar von einem Strich in Lagernähe berichtet. Aus Freiburg und Ingelheim wurden Fälle von massiver sexueller Belästigung bis hin zu Vergewaltigungen durch Lagerangestellte bekannt. 1)
Die Organisation, Verwaltung und Leitung (kurz Betreibung) liegt in einigen Bundesländern bei den Regierungsbezirken, in anderen bei den Wohlfahrtsverbänden. Obwohl fast alle Bundesvorstände gegen Lager votierten, entscheiden die Landesverbände oft anders.
Die mittelbaren Folgen der Lagerunterbringung sind vielfältig und "zum Teil akut gesundheitsgefährdend". 2) 1982 hieß es in einem Beschluß des Hamburger Senats, daß ab Lagern "mit mehr als 200 Plätzen damit zu rechnen ist, daß die desozialisierenden Faktoren einen Stellenwert erreichen,... die dem einzelnen Asylbewerber keine menschenwürdige Unterbringung mehr sichert". Außerdem führen sie "zu schwerwiegenden psychischen und psychosomatischen Beeinträchtigungen" 3) Psychologe Jalal vertritt die Auffassung. "Flüchtlinge werden dreimal traumatisiert, im Herkunftsland, durch die Flucht, durch Asylverfahren und Lager hier". Das heißt konkret: "viele leiden unter funktionalen Beschwerden im Magen-Darm-Bereich; an Nierenentzündungen; Lungenerkrankungen; Kopf, Muskel und Gelenkschmerzen; Herzangst und Schlaflosigkeit", die "hiesigen Lebensverhältnisse" lassen "psychotische und paranoide Zustände. Gedächtnisstörungen, Menstruationsanomalien und Drogenmißbrauch" dazutreten (AK Asyl...).
Oft sind es nicht die psychischen, sondern die "vielfach katastrophalen hygienischen Bedingungen" in Sammelunterkünften, die "ohne Zweifel die Gesundheit zerstören". Dies sind "feuchte Wände, Schimmelpilzbefall", die Atemwegs und Hauterkrankungen sowie Vergiftungen zur Folge haben, fehlende Desinfektion gegen Ungeziefer, fehlende Waschmaschinen und zu wenige Toiletten (ebenda). Die Ernährung ist mitunter derart mangelhaft, daß es in einem Demo-Redebeitrag zur ZAST Blankenburg hieß: "die Menschen dort sind alle dünn, wirken abgemagert und eingeschüchtert".
"Daß man in den Sammellagern nicht die Vorraussetzung für eigene Nahrungsmittelbeschaffung und Zubereitung ermöglicht, stellt wohl eine gezielte Verweigerung eines der stärksten Bedürfnisse der Menschen dar. Dies kommt verordnetem Hunger bedenklich nahe und ist besonders venverflich". 4) Für den Bremer AK Asyl "steht fest, daß der Verwahrvollzug in den Gemeinschafts und Sammelunterkünften die Menschen längerfristig weiter schädigt und sie zerstört".
An diesem Punkt einer von Ärzten erstellten Studie drängen sich nun doch Vergleiche zu den Nationalsozialistischen Konzentrationslagern (nicht den Vernichtungslagern) auf. Während eines lang andauernden Prozesses wurden trotz des warnenden Studien (Hamburger Senat 1982. DRK und DPWV 1989, UNHCR 1992) das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit der Asyl und Ausländerpolitik, der Verfahrensrationalisierung und Abschreckung geopfert.
Darüberhinaus haben Lager eine eminente gesellschaftliche Funktion. Sie "erscheinen als der vorletzte Schritt der Psycho-Logik totalitärer Ausgrenzung, der letzte Schritt wäre das Pogrom. 5) Sie sind der Zeigefinger des Rassismus und drücken den derart Stigmatisierten einen deutlichen sichtbaren Stempel auf. Mit der sichtbaren Aussonderung einer bestimmten sozialen Gruppe erniedrigt und demütigt der Staat sie öffentlich, stellt sie zur Schau und errichtet mit dem Lager eine Art Pranger. Es existieren zwei sich ergänzende Praktiken, zum einen jene Lager außerhalb von Ansiedlungen. abgeschnitten vom ÖPNV und zum anderen jene in Wohngebieten. Letztere sind mittlerweile zu trauriger Berühmtheit gelangt. Militante Rassisten betrachten diese Pranger der "Asylbetrüger" als Aufforderung zu Stein und Brandbombenwürfen, treiben die derart gebrandtmarkten außer Landes. Also nicht die Asyldebatte allein, sondern erst die auf den Präsentierteller gesetzten Flüchtlinge lösten die Militantisierung des Rassismus aus. Erst vor den mitten in Wohnviertel gesetzte Lager verließen die Gewaltaktionen die Ebene der Kleingruppen und formierten sich als Massenbewegung. Heute erscheint sie uns Seite an Seite mit den Behörden als Bestandteil der Politik von Aussonderung, Einkreisung und Unterdrükkung.
Die Einrichtung von Lagern, das Zur-Schau-Stellen von Flüchtlingen sowie die Konstruktion von (Überbelegungs)-Notständen und Bedrohungssituationen sind zentrale Bestandteile der rassistischen Formierung von Gesellschaft. Deshalb müssen dort antirassistische Gegenstrategien ansetzen.
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