Quelle: AZW Nummer 01, erschienen am 11.05.1995 | |
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Norbert Rahm von der "Initiative gegen Gift" führt in einer Expertise zum Einsatz dieses Lackes in den Asylbewerberunterkünften aus: Das Gift schädigt das Zentralnervensystem, das Herz und das Atmungssystem und kann bei den Menschen, die damit in Kontakt kommen zu Kopfschmerzen, tauber Zunge, Augenbrennen, Schluckbeschwerden und häufigen Infekten führen. Nach seiner Ansicht ist deshalb seine Anwendung in Dauer- Aufenthaltsräumen für kleine Kinder und Schwangere gesundheitlich untragbar, eine Situation, die in den Container in der Max- Stromeyerstraße ohne Zweifel vorliegt. In einem Offenen Brief an das Sozialamt fordert er die Leiterin auf, "in allen Räumen die Reste dieser Anwendung sofort gründlichst zu entfernen und sicherzustellen, daß in Zukunft keine weiteren chemischen Nervengase in die Räume gelangen". Er weist noch auf eine "besonders delikate Angelegenheit" hin: Deutsche Chemiker haben in der Nazizeit die Phosphorsäureester Nervengase erfunden, aus deren chemischen Substanzen der Detmol-Lack zusammengesetzt ist. "Wenn auch nur der Hauch eines Verdachts besteht, daß Asylbewerberkinder in ihren Unterkünften durch ähnliche Stoffe permanent geschädigt werden, muß dies sofort beendet werden!"
Auf Grund des offenen Briefs und eines "Südkurier"-Berichts über den Gifteinsatz sahen sich das Sozialamt und das Staatliche Gesundheitsamt veranlaßt, erst einmal eine Denkpause einzulegen, "ob die lange Zeit regelmäßig vorgenommenen Begasungen in diesem Umfang notwendig" seien. Die beiden Behörden sehen baulichen und hygienischen Mängel als Ursache für den zum Teil heftigen Schaben-Befall. Sie wollen nun prüfen, "ob der Befall durch Schädlinge durch andere Mittel - etwa durch größere Umsicht beim Umgang mit gelagerten Lebensmittel - gestoppt oder zumindest verringert werden kann". Auf Vorschlag des Arbeitskreis Asyl wurde vom Sozialamt beim Freiburger Institut für Umweltchemie ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die genaue Schadstoffbelastung in der Containerunterkunft ermitteln soll.
Die weitere Unterbringung von Flüchtlingen in den Wohncontainern ist jedoch auch ohne den Nachweis einer gesundheitsgefährdenden Belastung durch Schadstoffe schon lange unzumutbar.
Die Container sind in sogenannter Leichtbauweise erstellt. Sie haben extrem schlecht isolierte Außenwände. Dies führt im Sommer zu einer starken Aufheizung der Räume, im Winter zu ihrer Auskühlung. Bereits nach kurzer Zeit waren die Wände von Schimmel befallen. Feuchtigkeit dringt in die Wohnräume ein und damit Ungeziefer. Auch die Sanitärräume spotten jeder Beschreibung, eine wahrhaft zum Himmel stinkende Angelegenheit.
Das marode Gesamtbild der Container ist jedoch entgegen landläufig und zum Teil auch behördlich gepflegten Voruteilen eindeutig Bau und Planungsfehlern zuzuschreiben und nicht etwa einer nachlässigen oder falschen Nutzung durch die dort lebenden BewohnerInnen. Waren die Container ursprünglich nur für alleinstehende Flüchtlinge zur kurzzeitigen Unterbringung vorgesehen, so leben heute auch zahlreiche Familien mit kleinen Kindern dort, zum Teil bereits seit 4 Jahren. Die dünnen Trennwände zwischen den mit 2 bis 4 Personen belegten Zimmern lassen jedes Geräusch durch. Intimität oder nur ein Mindestmaß an Privatsphäre ist nirgendwo möglich. Hinzu kommt jetzt noch die Belastung durch die Gifteinsätze und das Vorhandensein weiterer Schadstoffe in den Räumen wie z.B. Formaldehyd und PCB. "Da die Baracken- Siedlungen sowieso schon wegen der Schadstoff und Schimmelbelastung unzumutbar sind, müßten endlich menschenwürdige Unterkünfte zur Verfügung gestellt werden! Wer jetzt noch abwiegelt, setzt sich dem Vorwurf der Körperverletzung aus", so Norbert Rahm in einer zusammenfassenden Einschätzung. Ein Vorwurf, der nicht aus der Luft gegriffen ist, wenn mensch sich die überproportionale Krankheitshäufigkeit der in den Flüchtlingsunterkünften lebenden Kinder vor Augen führt.
Auch beim Runden Tisch, einem Zusammenschluß verschiedenster Institutionen und Initiativen vom Sozialamt über die Polizei bis hin zu GemeinderatsvertreterInnen verschiedener Fraktionen und dem AK Asyl, hat sich deshalb seit längerem die Überzeugung durchgesetzt, daß nur ein Abriß der Container und die andersweitige Unterbringung der dort lebenden Flüchtlinge dazu taugt, deren Wohnsituation qualitativ zu verbessern.
Bleibt die Frage, warum aus der vorhandenen Einsicht nicht die notwendigen praktischen Konsequenzen gezogen werden, ja, warum die städtischen Gremien und Ämter, die nach wie vor für die Unterbringung der Flüchtlinge zuständig sind, eine "normale" Unterkunft nach der anderen dicht machen und immer mehr der noch in Konstanz lebenden Flüchtlinge in die Container verlegen? Und zwar trotz der horrenden Kosten für die Containerunterbringung, die derzeit bei 310 DM für 4,5 Quadratmeter im Monat liegen.
Die Anwort hierauf gibt ein Blick in eine Gemeinderatsvorlage, die die Kosten für die Container auflistet. Die Stadt hat 1991 knapp 2,3 Mio für den Erwerb der Container aufgewandt. Von dieser Gesamtinvestitionssumme sind bis heute erst knapp 550000 DM abgeschrieben worden, so daß sie immer noch auf einem Schuldenberg von 1,7 Mio sitzt. Während sie mehrere der anderen Flüchtlingsunterkünfte (Schlüssel, Stefansplatz) nur befristet angemietet hat, hat sie die Container gekauft. Um heute nicht auf den Investitionkosten sitzen zu bleiben, hat die Stadt deshalb ein großes Interesse daran, daß die Container mit der größtmöglichen Zahl von Flüchtlingen belegt sind. Die für die Unterbringung entstehenden Kosten kann sie nämlich mit dem Land abrechnen. Bei einer geringeren Belegung der Container würde sie auf einem Teil ihrer Kosten sitzen bleiben. Die Erkenntnis, daß die Unterbringung in den Con- tainer unzumutbar ist, wird deshalb erst dann zu praktischen Konsequenzen führen, wenn die kommunalpolitisch Verantwortlichen bereit sind, die Konsequenzen aus ihrer damaligen Fehlentscheidung zu ziehen, und das investierte Geld als Verlust abzuschreiben. Ohne Druck von unten - von Seiten der Kommunen - wird das Land auch nicht von seiner für die Flüchtlinge verheerenden Lagerpolitik abrücken. Dezentrale Unterkünfte in normalen Häusern sind notwendiger denn je - für die Gesundheit der Flüchtlinge, aber auch für ihre Chance, sich in ihrer schwierigen Situation zurechtzufinden und Kontakte zu knüpfen.
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