Quelle: AZW Nummer 04, erschienen am 22.06.1995 | |
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Die für den 14. bis 18. Juni geplanten "Panama"-Kulturtage auf Klein-Venedig fielen buchstäblich ins Wasser. Die Jugendinitiative "Panama", die vom Gemeinderat eigentlich schon die Genehmigung für ein Autonomes Jugendzentrum (AJZ) in Form einer Wagenburg auf dem Gelände Klein Venedig zugesichert bekam, wollte mit ihren Kulturtagen auf die Verschleppung des Beschlusses durch das Bauamt hinweisen und so politisch Druck erzeugen.
Als die Gruppe von 30 bis 40 Jugendlichen am 14. Juni Klein Venedig betrat war klar, das hier höchstens ihre Eltern eine "Woodstock-Gedächnis- Schlammschlacht" veranstalten könnten, Kulturtage mit Musik, Fest, Film, Disco, Kinderfest und Workshops allerdings nicht zu realisieren waren. Die Gruppe überlegte sich, welche Ausweichrnöglichkeiten es gab und beschloß am darauffolgenden Tag das alte Bahnwärterhäuschen am Wollmatinger Bahnhof zu besetzten und die Kulturtage so auszulagern.
Nachdem der Gruppe bei der Besetzung der Inselgasse 6 vor knapp zwei Jahren von Eigentümern und Südkurier Sachbeschädigungen vorgeworfen wurden, nahmen sie diesmal gleich einen Südkurier-Journalisten als Zeuge zur Besetzung mit. Kurze Zeit darauf traf auch schon die Polizei ein und stellte die Personalien aller anwesender Jugendlicher fest, welche sich dieser Kontrolle nicht entzogen. Nachdem es Anfangs noch einige Unsicherheiten über die Eigentumsfrage des Hauses gab, wurde doch sehr bald klar, daß die Polizei auf eine schnellstmögliche Räumung drängte. Da nützte es auch nichts, daß "Panama" eigentlich nur die Kulturtage dort verbringen wollte. Die an die Polizei übermittelte Bereitschaft der BesetzerInnen mit VertreterInnen von Stadt und Deutsche Bahn AG zu sprechen, wurde ignoriert.
Am Abend, nachdem die BesetzerInnen das ersten vegane Mahl der Volxküche vezehrt hatten, kam eine Polizeistreife "mit schlechten Nachrichten", wie es ein Polizist zynisch formulierte. Er erläuterte, daß sie eigentlich nur noch auf ein Fax des Karlsruher Immobilienverwalters der Deutschen Bahn AG warte, um die Aktion zu beenden. Entschlossenheit demonstrierten die Staatsorgane in rnassiver Anwesenheit von Einheiten der Konstanzer Polizei, des Bundesgrenzschutzes und der Konstanzer Feuerwehr. Die Einheiten des Grenzschutzes unterstützten dabei zum ersten Mal seit Inkrafttreten des Schengener Abkommens in der ihnen nun zugebilligten "30 km-Exekutivzone" die Polizei bei einer derartigen Aktion. Ein klarer Beleg dafür, daß sich die Ausdehnung polizeilicher Rechte im Zuge der Asylrechtsverschärfungen auf andere gesellschaftliche Gruppen ausdehnen lassen.
Die Polizei, die vorher eindringlich vor Lärmbelästigungen warnte, sah und hörte nun zu, wie die Feuerwehr mit Kreissägen Holzplatten zusägte und sie in Fenster und Türen hämmerte. Erheiterung bei den BesetzerInnen kam nur auf, als über die Sprecheranlage des Bahnhofes Wollmatingen folgende Durchsage ertönte: "Achtung, Achtung, hier sprechen die Hausbesetzer. Die Polizei hat innerhalb 5 Minuten das Gelände zu verlassen, sonst müssen wir andere Maßnahmen ergreifen". Der Sprecher, der sich unerlaubt technischen Zugang auf die Anlage verschafft hatte, floh erfolgreich durch das hohe Gras vor zwei Beamten im lockeren Laufschritt.
Ob die Besetzung für die Jugendlichen Konsequenzen haben wird, will die Deutsche Bahn AG davon abhängig machen, ob das Haus beschädigt wurde. Ob die Jugendlichen mit der Dritten Besetzung, nach der des Jugendzentrums und der Inselgasse 6, bezüglich AJZ etwas bewegen konnten, wird eine öffentliche Diskussion darüber zeigen, die bislang nicht stattgefunden hat.
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