Quelle: AZW Nummer 07, erschienen am 03.08.1995 | |
[Startseite] [AZW] [07] |
Auf diese Weise soll der Staatssäckel geschont und die soziale Problematik gelöst werden. Ähnliches versucht die Bundesanstalt für Arbeit bei LeistungsbezieherInnen von Arbeitslosengeld und -hilfe zugunsten der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung schon seit Jahren. Händeringend werden Arbeitgeber gesucht, die Arbeitslose einstellen, bei sogenannten Langzeitarbeitslosen (solche, die ein Jahr und länger arbeitslos sind - 1994 sollen dies laut Angaben der Bundesanstalt für Arbeit knapp 800.000 gewesen sein) mit Lohnkostenzuschüssen.
Auch Gelder für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen stehen zur Verfügung. Die meisten ArbeitnehmerInnen dürften nach Ablauf des Förderungszeitraumes wieder arbeitslos sein. Finanziell dürfte sich die Sache für Bund, Länder und Gemeinden auch kaum auszahlen, statt Sozialhilfe zu zahlen werden Zuschüsse gewährt, Beschäftigungsgesellschaften gegründet und Arbeitsplätze finanziert.
Fraglich scheint auch die Qualität dieser Arbeitsplätze zu sein. Wer arbeitet schon gerne für den Papierkorb? Volkswirtschaftlich dürfte sich die Sache nur lohnen, soweit ein Bedarf an Leistungen und/oder Waren bestünde. Arbeitgeber ziehen es zudem vor, Maschinen und Computer einzusetzen. Wer wollte es ihnen verdenken? Beschäftigung nur um der Beschäftigung willen ist mit der Würde des Menschen unvereinbar und hilft weder den BezieherInnen von Sozialleistungen noch dem Finanzhaushalt des Staates.
Der Verdacht drängt sich auf, daß neuerdings SozialhilfeempfängerInnen als Sündenböcke herhalten sollen, wo doch AusländerInnen aufgrund der deutschen Vergangenheit für diesen Zweck ungeeignet erscheinen, und der rechtschaffende deutsche Bürger eben ein "Schaffender" ist.
Den Modus, wie arbeitsmarktpolitisch vorzugehen ist, hat Seehofer vorgegeben: "Die Deutschen müssen länger arbeiten". Bravo, so schafft man sicher mehr Arbeitsplätze.
Die Androhung einer Kürzung der Sozialhilfe um 25 % bei Ablehnung zumutbarer Arbeit klingt vor dem Hintergrund von über 3 Millionen Arbeitslosen, darunter viele durchaus qualifizierte Arbeitskräfte, die keinen Arbeitsplatz finden, befremdlich. Wenigstens schafft eine solche Regelung mehr Rechtssicherheit. war es doch bisweilen durchaus üblich, die Hilfe in solchen Fällen nach freiem Ermessen ganz zu versagen oder dies zumindest anzudrohen.
Die Abkehr vom Bedarfsprinzip unter Zugrundelegung eines "Warenkorbes" soll fürderhin mit der Anpassung der alljährlichen Steigerung des Regelsatzes, derzeit 527.- DM pro Monat, an die Nettolohnentwicklung und dem Abstandsgebot von 15 % vollzogen werden. Dies führt dazu, daß eine sozialhilfebedürftige Person trotz Bezug von Sozialleistungen bedürftig bleibt, da ihr/sein Existenzminimum nicht mehr abgedeckt wird. Zudem normiert 1 Abs. 2 BSHG in Umsetzung des Sozialstaatsprinzips und Art. 1 Grundgesetz als Aufgabe der Sozialhilfe die Ermöglichung eines menschenwürdigen Daseins. Maßstab des menschenwürdigen Daseins in wirtschaftlicher Hinsicht ist das sogenannte Existenzminimum, eben der Mindestbedarf. Würden die Niedriglöhne zum Maßstab genommen und der Sozialhilfesatz noch 15 % darunter angesetzt, so entzöge sich der Staat seiner verfassungsmäßig vorgegebenen Verpflichtung. 2,3 Milliarden ("Die Zeit" v. 21.07.1995) sollen solcherart eingespart werden. Beiträge in dreistelliger Milliardenhöhe dagegen entgehen laut Bundesrechnungshof dem Staat durch unlautere SteuerzahlerInnen. Wie wäre es dort, nämlich bei den mutmaßlich zu unrecht Bereicherten anzusetzen? Dies meint nicht, Mißbrauchsgegenstände gegeneinander aufzurechnen, es geht jedoch nicht an, bei der Bekämpfung dieser die wirklich Bedürftigen, die zweifelsohne in der Mehrheit sind, in eine menschlich und wirtschaftlich verzweifelte Lage zu bringen.
Was Seehofer und Blüm vorhaben, läuft auf ein Verschieben der Soziallasten zwischen den einzelnen Trägern hinaus.
Wird ein/e SozialhilfeempfängerIn nach Ablauf einer Beschäftigungsmaßnahme, während der ja die Sozialhilfe in Gestalt eines Zuschusses für den Arbeitgeber weiter anfällt, arbeitslos - was zu erwarten ist - bezieht er/sie zunächst Arbeitslosengeld, sodann Arbeitslosenhilfe und fällt der Arbeitslosenversicherung zur Last. Von der Bundesanstalt für Arbeit könnte er/sie wiederum auf bezuschußte Arbeitsplätze vermittelt werden, bis er/sie alt genug ist, um vorzeitig in Rente zu gehen - was ja die Arbeitsämter anstreben, so daß dann der Rentenversicherungsträger zuständig wäre. Die Problematik der Rentendeckung ist bekannt.
Was ändert sich eigentlich durch die "Reformen", außer, daß das Vorurteil genährt wird, daß SozialhilfeempfängerInnen und Arbeitslose schmarotzende Faulenzer wären.
Johann Ch. Paletta, Mitarbeiter der Arbeitsloseninitiative Konstanz
Die Arbeitsloseninitiative Konstanz e.V. ist eine von der Stadt Konstanz als gemeinnützig anerkannte seit ca. 15 Jahren bestehende Einrichtung, die das satzungsmäßige Ziel hat, die Interessen von Erwerbslosen und Einkommensschwachen insbesondere gegenüber den Behörden zu vertreten. Sie berät kostenlos Mitglieder und Nicht-Mitglieder, wobei die Mitgliedschaft durch Erklärung gegenüber dem Vorstand und Entrichtung eines Beitrages von DM 2,- pro Monat erlangt werden kann.
Unsere Räume befinden sich in 78462 Konstanz, Konradigasse 24 (Eingang Ecke Klostergasse).
Beratungszeiten: Montag und Mittwoch 15.00 - 18.00 Uhr
Freitag 09.00 - 12.00 Uhr
und nach telefonischer Vereinbarung unter (07531) 2 66 02
Zu den angegebenen Zeiten besteht auch die Gelegenheit, sich mit Gleichgesinnten und/oder Betroffenen auszutauschen.
Zudem sind wir dankbar für Ideen, Anregungen und Mitarbeit, sowohl im Rahmen der Rechtsberatung als auch für andere Initiativen.
[Startseite] [AZW] [07] |
linksrhein,cm, 29.5.00