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Festung Europa in Konstanz? Ein Widerspruch!Sie haben sie vielleicht schon gesehen, die schwarzen, gepanzerten Limousinen mit Blaulicht und den wichtigen Ministern und Staatssekretären samt Damenbegleitung drinnen. Auch die hohe Dichte von BGS-Fahrzeugen je näher mensch dem Konstanzer Inselhotel kommt. Vom 4. bis 6.9.2000 treffen sich dort beinahe unter Ausschluß der Öffentlichkeit (in den Zeitungen wird kaum berichtet) die Innen- und JustizministerInnen von Deutschland, der Schweiz, Österreich, Liechtenstein, Italien und Frankreich zur sogenannten "Alpenländerkonferenz". Schreibtischtäter bei der ArbeitDieses Gremium kommt in regelmäßigen Abständen zusammen, um gemeinsam Vorgehensweisen zu zentralen Themenfeldern auszuarbeiten. In Konstanz wird heuer "Migration" und "grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit" auf der Tagesordnung stehen. Angeblich soll aus aktuellem Anlaß auch auf Rechtsradikalismus in den Teilnehmerstaaten eingegangen werden. Letzteres scheint uns eher eine scheinheilige Ablenkung von den seit langem vorbereiteten eigentlichen Hauptthemen dieses Treffens zu sein, die für uns den Inbegriff des länderübergreifenden institutionellen Rassismus darstellen: Ausbau der Festung Europa, Abschottung gegenüber Flüchtlingen sowie rassistisch motivierte und ausschließlich der kapitalistischen Verwertbarkeitslogik untergeordnete Asyl- und Einwanderungspolitik. Das Konstanzer Treffen steht in einer Reihe mit vorangegangenen europaweiten Gipfeln zu Fragen von Migration und Grenzpolitik. Zur Erinnerung: |
Mit dem Schengener Abkommen von 1985 sollten die Grenzkontrollen an den EU-Binnengrenzen abgeschafft und an die Außengrenzen verlagert werden. Ferner wurden eine Vereinheitlichung und ein Ausbau des Visumszwangs vereinbart, sowie diverse "Ausgleichsmaßnahmen" beschlossen, wie der Ersatz der Grenzkontrollen durch Kontrollen im grenznahen Zwischenraum und die Einrichtung umfassender Fahndungsinformationssysteme, von denen das Schengener Informationssystem das wichtigste ist. Mittlerweile sind Kontrollen von Grenzlinien durch permanente Kontrolloptionen im Binnenland ersetzt worden. Sogenannte "verdachtsunabhängige Kontrollen" bieten das Instrumentarium dazu. Als innovativ galt auch das sogenannte "Erstasylabkommen", das es Asylsuchenden unmöglich macht, Asylanträge in mehr als einem europäischen Staat einzureichen. Seit 1995 ist das Schengener Abkommen in den 5 Gründerstaaten in Kraft. Nach und nach sind immer mehr Staaten dem Schengener Abkommen beigetreten. Das Schengener Abkommen wurde inzwischen mit den Verträgen von Amsterdam im Jahr 1998 in die EU-Strukturen integriert und damit für alle Mitgliedsstaaten der EU verbindlich.
Auf dem Sondergipfel der Justiz- und InnenministerInnen der EU in Tampere im Oktober 1999 wurde das europäische Asylrecht offiziell auf die schon bestehende Praxis der einzelnen Mitgliedsstaaten zurückgestuft. Zudem wurden sogenannte Aktionspläne zu bestimmten Herkunftsregionen von Flüchtlingen (Afghanistan/Pakistan, Albanien/Kosovo, Somalia, Marokko und Sri Lanka) beschlossen, die dem Vorbild des Aktionsplans von 1998 "Irak und benachbarte Regionen" d.h. Fluchtverhinderung, Regionalisierung und Abschottung der EU folgen.
Über jeden Flüchtling, der nach Europa kommt, (unabhängig davon ob er oder sie legal oder illegal einreist), wird umfangreiches Datenmaterial gesammelt. Unter anderem haben sich die Mitgliedsstaaten seit 1999 verpflichtet, von allen Flüchtlingen, die älter als 14 Jahre sind, Fingerabdrücke zu nehmen und diese zentral zu speichern (EURODAC-Übereinkommen). Mit dem sogenannten FADO-Programm (False and Authentic Documents), einem europäischen Bildspeichersystem, soll sichergestellt werden, daß Flüchtlinge nicht mit gefälschten Papieren in europäische Länder einreisen können. Die europäische Fahndungspolizei EUROPOL, mit ihren umfassenden und durch kein Parlament kontrollierten Befugnissen wäre ebenfalls ohne die Vorarbeiten der Gruppe Schengen nicht denkbar.
Es gilt als vordringliches Ziel der EU, die Grenzkontrollen an den Außengrenzen zu verstärken und ost-und mitteleuropäische Beitrittskandidaten wie Polen oder Tschechien zu "Pufferstaaten" zu machen. Mit aufwendigen Projekten, für die die EU jährlich Beträge in Millionenhöhe bereitgestellt hat, wurden und werden die Grenzen dieser Länder hochgerüstet und mit EDV, Wärmebildkameras und CO2-Sonden auf den technischen Stand Westeuropas gebracht (z.B. Phare/Tacis Programm der EU). Heute zählt beispielsweise die deutsch - polnische Grenze zu den mit am "besten gesicherten" Grenzen der Welt, an der jährlich Menschen zu Tode kommen, beim Versuch, sie zu überschreiten (seit 1995 mehr als 60 Menschen). Vormals liberale Asylgesetze werden in Ost- und Mitteleuropa auf Druck der EU drastisch verschärft, Illegalisierungkampagnen durchgeführt und Abschiebeknäste eingerichtet. Mit dem Konstrukt der "sicheren Drittstaaten" und entsprechenden "Rückübernahmeabkommen" können Flüchtlinge, die über den Landweg in Staaten der EU einreisen möchten, umgehend wieder abgeschoben werden, ohne deren Fluchtgründe zu prüfen.
Noch sind Gesetze, die das Procedere eines Asylverfahrens regeln, Sache der Einzelstaaten. Dies soll sich jedoch bald ändern. Im "Wiener Strategiepapier", das auch der deutsche Innenminister Schily begrüßt hat, wird vorgeschlagen, den individuellen Rechtsanspruch auf Asyl europaweit abzuschaffen und statt dessen Flüchtlinge nach Kontingentquoten aufzunehmen und sie zentral auf Einzelstaaten zu verteilen. Damit wurde die erste offizielle Attacke auf die Genfer Flüchtlingskonvention lanciert. In Deutschland wird zur Zeit nach der "green card"- Initiative der Bundesregierung parteienübergreifend über Vorschläge diskutiert, Zuwanderung künftig ausschließlich der kapitalistischen Verwertbarkeitslogik zu unterwerfen. Fluchtursachen werden in den EU-Richtlinien ebensowenig thematisiert wie die Verflechtungen und Ausbeutungsverhältnisse zwischen Europa und den Staaten des Trikonts.
Erst 1999 wurde zwischen Österreich und der Schweiz, eine sogenannte Clearingstelle vereinbart, die gemeinsame Abschiebungen von Flüchtlingen in Chartermaschinen koordinieren und durchführen soll. Ein weiteres Treffen im Herbst desselben Jahres unter Beteiligung der Länder Deutschland, Frankreich und Liechtenstein sollte dieses Vorgehen auf ganz Europa ausdehnen.
Ziel all dieser EU-Anstrengungen ist die Verhinderung und Eindämmung von unerwünschter, weil nicht verwertbarer Migration nach Möglichkeit schon am Ort ihrer Entstehung, deren datenmässige Erfassung und Kontrolle. Europa wird zur immer undurchdringlicheren Festung ausgebaut, die sich vor MigrantInnen abschottet. Die wenigen Flüchtlinge, die es trotz Drittstaatenregelung, Rückübernahmeabkommen und hochgerüsteter Grenzen schaffen einzureisen und einen Asylantrag zu stellen, werden in Sammellagern interniert, entrechtet und baldmöglichst wieder abgeschoben. Hier setzt unser Widerspruch an:
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