Seeblättle  <<  >>  Quelle:  Seeblättle  Jg. 2000  Nr. 3 

Eine beachtliche Initiative

Kommt endlich Bewegung in die Bildungspolitik?

Deutschland hinkt nach in der Bildungs- und besonders der Schulpolitik, wenn es um internationale Vergleiche geht. Von allen Seiten setzt es daher auch berechtigt Prügel, und das bereits seit vielen Jahren. Der letzte und für einen Staat wie die Bundesrepublik Deutschland durchaus vernichtende Hieb kam nun mit dem OECD-Bildungsbericht. Der hat den Teufelskreis auch endlich geschlossen: Deutsche Studenten studieren nicht nur zu lange, sie studieren auch die falschen Fächer. Das ist wiederum eine Folge der immer nur viertelherzigen und durch den Föderalismus oft auch widerstreitenden Versuche, jene Schulformen zu reformieren, die zur Hochschulreife führen. Jetzt zeigt der OECD-Grundschulvergleich, dass die Misere bereits in der Primarstufe beginnt.

Dabei ging es weniger um die Inhalte, als zunächst einmal um die reinen Zahlen. Bei der Bildungsfinanzierung kommt die Grundschule (auch im Vergleich zur Oberstufe) sehr schlecht weg: Mit 3490 US-$ pro Jahr und Grundschüler liegt Deutschland weit zurück (OECD-Durchschnitt: 3851 US-$). Dänemark, Norwegen, die Schweiz und Österreich wenden sogar mehr als 6000 US-$ auf! Außerdem sind deutsche Grundschulklassen vergleichsweise besonders groß: Auf einen Lehrer kommen 21,6 Schüler (OECD-Schnitt: 17,1). In den Niederlanden sind es 17,8, in Schweden 13,4 Schüler pro Lehrer. Um es auf den einzig möglichen Nenner zu bringen: Das ist eine verheerende Statistik. Aber gehört die Grunschule wirklich an den Pranger?

Die Lehrergewerkschaften fordern seit Jahrzehnten einen stärkeren personalen Ausbau der Grundschulen und eine deutlich bessere materielle Ausstattung. Einige Bundesländer haben auch mit der Einrichtung einer so genannten "Orientierungsstufe" zwischen Grund- und Mittelstufe den Erfahrungen vieler anderer Länder Rechnung getragen, die eine sechsjährige Primarstufe praktizieren. Außer Deutschland sind es in Europa nur noch Österreich, Portugal und einige schweizer Kantone, die an einer vierjährigen Grundstufe festhalten. Zudem liegt seit Anfang der 1970er Jahre ein inzwischen erhebliches Erfahrungsmaterial von den (alternativen) Freien Schulen vor in Bezug auf die Anzahl, die Inhalte und die didaktischen Finessen der Wissensvermittlung in den wirklich notwendigen Kulturtechniken und Fächern. Leider waren und sind die Alternativen Freien Schulen stets Spielbälle von Politik und Kultusbürokratie und dadurch in der Rolle des weisen alten Pädagogen, dem leider niemand mehr zuhören möchte. Dabei haben sie - ohne das pädagogische Rad neu erfinden zu wollen - doch in vielerlei Hinsicht in der alten Bundesrepublik wegweisende Impulse gegeben, sei es bei der Integration behinderter und nichtbehinderter Kinder, beim Fremdsprachenunterricht ab der ersten Klasse, beim vorgezogenen Schuleintritt oder auch bei integrativen Modellen von Kindergarten/Vorschul-Lerngruppen/Grundstufe.

pr


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Linksrheincm27.09.2000