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Ein Viertel kippt die Tassen aus
Das Schanzenviertel ist bunt, weltoffen, innovativ, vielfältig,
eigenwillig und tolerant. Man ist kein Rassist und will es nicht
werden. Sozialhilfeempfänger, Studenten, Minderheiten, Ausländer,
junge Selbständige und Angehörige neuer Medienberufe bilden
die typische soziale Mischung, die dieses Viertel so charmant und
liebenswert macht. Es ist nicht immer einfach miteinander, aber
wir schaffen das schon. Und zwar gemeinsam. Wir gründen Arbeitsgruppen
und AGs, bringen uns ein und machen mit. Die Bürgersteige
werden sauber gemacht, die Probleme werden angepackt und Alle dürfen
sich beteiligen. Gründerstimmung in der Schanze, vom Problemstadtteil
zum Zukunftsviertel.
So sieht es aus glaubt man den Beteiligten . Und selbst die
STEG ist nicht mehr einfach nur neutral und sozial kompetent. Sie
ist dabei sogar sexy, wie es ihr Geschäftsführer unlängst
formulierte. In diese Aufwertungseuphorie hinein die schmutzigen
Wörter Rassismus, Vertreibung und Repression zu rufen. In diesem
harmonischen Miteinander völlig unmodern von Widerstand zu
sprechen es kann sich nur um ideologisch Unbelehrbare handeln,
die weiter schlechte Stimmung verbreiten.
In diesem Szenario empfehlen sich die Gutwilligen durch ihre Mitmachqualitäten
, erarbeiten konstruktive Lösungsvorschläge für Probleme,
die sie gefunden haben, berufen sich auf das Wohl des Viertels und
entwerfen ein Bild von diesem Stadtteil, das eher an ein Sozialbiotop
erinnert als an die Realität. Dazu gehört auch der saloppe
Tonfall, in dem die STEG sich zum Sexsymbol verklärt und die
Diskussion um die offene Drogenszene zum Problem verstrahlter Nichtsmerker
wird. Man ahnt, woher hier der Wind weht. Es geht oft genug nicht
um Lösungen, sondern um deren Simulation. Es geht öfter
noch nicht einmal mehr um die Frage, welche Probleme hier herrschen,
sondern wer die Definitionsmacht darüber besitzt. Wo eine solche
Politik gemacht wird, entstehen Sprechblasen ohne Inhalt und Symbolik
mit Folgen. Während gebetsmühlenartig von Toleranz gesprochen
wird, wird knallhart ausgegrenzt, während kulturell umarmt
wird, wird politisch kalt gestellt, während vom Miteinander
gesprochen wird, wird aufgewertet. Während die Einen sich beteiligen,
werden die Anderen endgültig zu Störfaktoren.
Dabei weiß man dann natürlich, dass die staatliche Drogenpolitik
der Grund für das Elend ist, aber der Horizont der politischen
Fantasie reicht über eine sogenannte angemessene Polizeidichte
und die Verlagerung des Fixsterns trotzdem nicht hinaus. Da gehört
ein Projekt wie die Flora selbstverständlich dazu, aber nach
Spielregeln, die man selbst aufgestellt hat. Da ist Kritik willkommen,
aber man kann ja über alles solange reden, bis am Ende Realpolitik
entsteht.
Es gibt aber Dinge, über die kann man eben nicht reden und
vor allem nicht mit jedem. Dass die STEG genau dieses Prinzip trotzdem
verfolgt, ist kein Irrtum, sondern das Prinzip selbst. Auf dem Weg
mit der STEG treffen sich so die unterschiedlichsten Interessen.
Die Polizei ist mit dabei, Geschäftstreibende, engagierte Viertelfreunde.
Und ob sie es im Einzelfall wollen oder nicht: Am Ende kommt genau
jene Form von Ordnungspolitik heraus, die hier in den vergangenen
Jahren eindrucksvoll in Szene gesetzt wurde. Ein bisschen Repression,
ein bisschen Beteiligung, ein bisschen alternative Kultur und viel
Aufwertung und Ausgrenzung. Dieses Spiel werden wir auf absehbare
Zeit nicht mitspielen können, weil wir leider immer wieder
konsequent und absichtlich die Regeln vergessen.
Und das ist gut so, denn die Stille der Vertreibung und Ausgrenzung
hat auch morgen noch laute und störende Stimmen verdient.
Bei allen Unzulänglichkeiten und bei allen Fehlern: Die Rote
Flora war in den vergangenen Jahren eine zuverlässige schräge
Stimme im Kanon der Kritik. Ob sie dies bleibt, wird auch von denen
entschieden, die den Verhältnissen immer noch misstrauisch
gegenüber stehen, egal wie sexy sie daherkommen.
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