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Vorbereitungsgruppe
des Aktionstages vom 27.2.99,
November 1999
Ausgrenzung
als joint venture
Das Zusammenspiel von Drogenpolitik, Sicherheitswahn
und Rassismus im Schanzenviertel
Am 27.2. fand im Schanzenviertel ein Aktionstag gegen Rassismus,
Ausgrenzung und Vertreibung statt. Die AktivitŠten wandten sich
gegen die PolizeiprŠsenz im Viertel, gegen die rassistische Zuschreibung,
alle Schwarze seien Dealer und die damit einher-gehende Kontroll-
und Verfolgungspraxis und gegen die Vertreibung marginalisierter
Gruppen, insbesondere der Drogenszene mittels Platz-verweisen und
Gebietsverboten. Dem alltŠglichen Kontroll- und Sicherheitswahn
auch aus Teilen der lokalen Bevšlkerung sollte šffentlich widersprochen
werden. Den anstehenden Proze§ wegen Nštigung, Widerstand und Landfriedensbruch
gegen drei mutma§liche Aktionstags-Teilnehmer, verstehen wir als
einen Teil der Entwicklung, auf die mit dem Aktionstag aufmerksam
gemacht werden sollte.
Verstärkt seit 1997 wurden im Rahmen einer Säuberung repräsentativer
Orte Obdachlose und offene Drogenszene vom Hansaplatz/Haupt-bahnhof
vertrie-ben. Da sich entgegen dem Bedürfnis von Stadtverwal-tung
und Geschäfts-leuten diese Menschen aber nicht einfach in Luft
auflösen konnten, etablierte sich ein Teil der Drogenszene
im Schanzenviertel, zunächst im Schanzenpark, dann in die Wohnstraßen
bis zur Flora. Die Bewohne-rInnen fühlten sich vom Senat im
Stich gelassen und gründeten Initiativen, die schließlich
das in einer Medien-kampagne kolportierte Bild vermittel-ten, das
Viertel winde sich unter dem Würgegriff der Dealer. Der alte
rote und neue rotgrüne Senat reagierte prompt und schickte
seine Ordnungshüter auf die Straßen - mal als Groß-einsatz,
mal als Streifen-büttel oder Kontakt-bereichs-beamter. Ihre
Aufgabe: Die Szene "auf Trab halten" (heißt: Ausweiskontrollen,
Platz--verweise, Festnahmen etc.) und das verloren-ge-gan-gene Vertrauen
in die Handlungsfähigkeit des Staates (der Stadt) wiederherzustellen.
Die Flora bekundete schließlich in mehreren Flugblättern,
vor allem dem Zwergen-flugblatt, ihre Solidarität mit der Drogen-szene
bzw. den Widerstand gegen die staatlichen Säuberungs-maß-nahmen.
Auch an anderen Aktionen, den Informations-tagen oder mit dem Anzünden
der bürgernahen Wanne, wurde deutlich, daß mit der radikalen
Linken kein "runder Tisch" zu machen ist.
Die herrschende Drogenpolitik wird von dem Widerspruch geprägt,
illegalen Drogenkonsum weder verhindern zu können noch offiziell
legali-sieren zu wollen. Resultat dieses Wider-spruchs ist es, einerseits
Druckräume für Konsumen-tInnen einzurichten und andererseits,
sobald diese die ihnen zugestandenen Räume verlassen, zum Vertreibungsobjekt
zu machen. Noch krasser tritt dieser Widerspruch in der Spaltung
der Drogenszene in HändlerInnen und Konsumen-tInnen zutage:
Was so selbstverständ-lich zusammen-gehört wie das Essen
auf dem Teller und der diesem Zustand vorangegangene Kauf desselben,
wird in der öffentlichen Wahrnehmung des Drogenkonsums ausein-ander-gerissen
und einer unterschiedlichen Bewertung unterworfen: der Konsum der
Droge ist zwar nicht erwünscht, wird aber kaum mit einem solchen
Haß verfolgt wie der Verkauf. Nicht die Kriminalisierung von
Drogen-konsum ist dann schuld an dem verelendeten und rechtlosen
Zustand der KonsumentInnen, sondern der/die VerkäuferIn.
Zu dieser tendenziellen Dealerfeindschaft tritt in dem Fall, wo
wie im Schanzenviertel - in der Wahr-nehmung der BürgerInnen
der Handel von Nichtdeutschen betrieben wird, Rassismus hinzu. Nachdem
die Figur des "schwarzen Dealers" in der öffentlichen
Diskussion erst einmal konstruiert war, wurde die Ursache für
das tagtäglich zu beobachtende Elend in sie projiziert. Was
diese Figur so erfolgreich macht, ist u.a. zweierlei: Zum einen
kann mit ihrer Hilfe die Schuld für das Elend im Viertel auf
etwas projiziert werden, das außerhalb der (Viertel-) Gemeinschaft
steht. Zum anderen sind diejenigen, die mit dieser Figur verbunden
werden nämlich Menschen mit schwarzer Hautfarbe - ständig
im Viertel physisch präsent und damit als Hassobjekt durchgängig
verfügbar. Das Bild des "kriminellen Ausländers"
als oberstem Schädling und Bedrohung des Gemein-wohls dürfte
das Bild von seinem prominenten Kollegen, dem "Wirtschafts-flüchtling",
in den letzten Jahren auf die unteren Plätze der rassistischen
Haßliste verdrängt haben. Dabei entsprechen dem rassistischen
Bild des "schwarzen Dealers", der unbemerkt eine "fremde",
gefährliche Substanz, in die Mitte unserer "Gemeinschaft"
bringe und diese damit angreife, die ständigen Verschär-fungen
der Migrationspolitik in Hamburg (z.B. Abschiebungen von Reise-unfähigen,
Zerreißen von Familien durch getrennte Abschiebungen oder
deren Zwangs-verteilungen). So werden oft genug Afrikaner nach Kontrollen
in Abschiebehaft genommen und gegebenenfalls abgeschoben, wenn es
sich um Illegalisierte handelt.
Im Zusammenhang mit dieser Konstellation muß auch die Mißhandlung
von Alimang S. am 14.11.97 gesehen werden, der als vermeint-licher
Drogendealer von Zivilstreifen am Schulter-blatt aufgegriffen und
im Beisein drei weiterer Kollegen am Schlachthof zusammengeschlagen
worden war. Diese Überschreitung ihres legalen Handlungs-rahmens
ist kaum auf die Frustration der Bullen zurückzuführen,
sondern entspricht dem strukturellen Verhältnis und den rassistischen
Dealerhatzkampagnen. Als Organe der Staats-gewalt werden sie zunehmend
mit willkürlichen Handlungs--kompetenzen versehen, wie z.B.
den massenhaft ausge-sprochen-en Platzverweisen, dem probatesten
Mittel, mit dem die Vertrei-bung von Obdachlosen und offener Drogenszene
durch-gesetzt wird. Ihr Einsatz wird nicht einer jeweils individu-ellen
richterlichen Entscheidung unter-worfen, sondern in der Willkür
des einzelnen Beamten belassen. Diese Willkür übersetzen
die entsprechen-den Beamten für sich als absolute Macht. Das
Objekt, an dem sie ihre Omnipotenz schließlich ausleben können,
steht ihnen strukturell wie im Fall des Flüchtlings
- mehr oder weniger rechtlos gegenüber. Die populis-tischen
Sprüche ihrer Vorge-setzten, Innenminister/-senator, entschlossener
gegen Ausländerkriminalität vorzugehen, setzen sie dann
im kleinen schon mal praktisch um. Die Bullen, die Alimang S. mißhandelten,
wußten sehr genau, wen sie sich aussuchten.
Auch an den zwei neuen drogenpolitischen Verfügungen vom 1.9.
dieses Jahres läßt sich ablesen, mit wie wenig Sinn und
Verstand, aber dafür umso stärker ausgeprägten autoritär-populis-tischen
Reflexen der Hamburger Senat geseg-net ist. Mit der "Verfügung
zur wirksameren Bekämpfung von Straßendealern" konkretisiert
sich das allge-meine Rätsel, wie die in der zweiten "Verfügung
zur Anwendung des §31a Abs. 1 des BtMG" entkriminalisierten
KonsumentInnen an ihren Stoff kommen sollen. In der Verfügung
zur Bekämpfung der Straßendealer wird nicht nur technisch
eine Zusammenfassung einzelner Vergehen geregelt, sondern darüberhinaus
eine Beweislage für Drogenhandel ermöglicht, die jeder/m
rechtstaatstreuen BürgerIn soweit es sie/ihn noch gibt
- die Haare zu Berge stehen lassen müßte: "Gelingt
die Sicherstellung des Rauschgifts nicht, kann die Beweislage für
einen Verstoß gegen das BtMG dennoch ausreichen, wenn [...]
Zeugen-aussagen dafür vorliegen, daß Drogen vom anbietendem
Dealer verschluckt worden sind." (aus der Verfügung).
Hatte sich in Bremen noch leichter Protest entwickelt, als vermeintlichen
Dealern Brechmittel verabreicht wurden, scheinen ihre hanseatisch-liberalen
Kollegen einen "unsicht-bareren" und sauberen Weg gefunden
zu haben, um den vermuteten Handel zu beweisen. Wer sich also in
Zukunft in unmittelbarer Nähe der Drogenszene befindet, sollte
mögliche Schluckreize dringenst unterdrücken, wenn klar
ist, daß noch andere "relevante Umstände",
sprich: die "falsche" Hautfarbe, hinzukommen. In der Ver-fügung
zur Entkriminalisierung wird allerdings auch den KonsumentInnen
einiges abverlangt. Von der Straf-verfolgung soll nur dann abgesehen
werden, wenn kein "sozialschädliches Verhalten" vorliegt.
"Sozialschädliches Verhalten" liegt dann vor, wenn
"der Konsum vor besonders schutzbedürftigen Personen,
etwa Kindern oder Jugendlichen, geschieht" (Verf. zur Anwendung
des BtMG) Weil sich der Konsum illegalisierter Drogen nicht wirklich
verbieten läßt, sollen sich die Konsumenten wenigstens
an Orte halten, an denen sich niemand gestört sieht
was in einer Stadt, die nun einmal aus vielen Menschen besteht,
schlicht unmöglich ist. Gegenüber den Dealern wird die
Brechstange herausgeholt, als ob sie dafür büßen
sollen, daß der Staat sich außerstande sieht, seinen
Drogenverbotsauftrag auch nachzukommen. (vgl. ausführlich Zeck
Nr.81, Oktober 99).
So unwidersprochen sich letztlich rechtliche Ver-schärfungen
gegenüber Junkies und Dealern durch-setzen, so behutsam sucht
der Senat das Einver-ständnis des Bürgers. Während
aus der Sicht vieler BewohnerInnen des Schanzenviertels sie vom
Drogenproblem betroffen sind, und nicht etwa die gehetzten KonsumentInnen
und Händler vom Drogen-verbotsproblem, hat die Schanze als
innen-stadtnahes Viertel für zahlkräftiges Publikum eine
weitaus positivere Perspektive als das Gejammer über Verslummung
vermuten läßt. So zeigt die Politik neben ihrer rabiaten
auch eine konstruktive Seite. Die Einsetzung des 9er Gremiums soll
in Bezug auf das in drei Bezirken liegende Viertel (Mitte, Altona,
Eimsbüttel) eine einheitlichere Politik ermöglichen. Der
von diesem Gremium wiederum ernannte Quartiers-manager soll nun
die Interessen der AnwohnerInnen und Gewerbetreibenden in Einklang
bringen und die anvisierte Um-struk-turierung umsetzen. Da der Senat
letzlich auch nicht weiß, wohin er die Drogen-szene vertreiben
soll, zudem mit dem Fixstern eine städtisch finanzierte Einrichtung
vor Ort ist, wird den verunsichterten Anwohne-rInnen auch noch ein
Kontaktbereichs-beamter zugeteilt. Dieser soll Bürgernähe
suggerieren, indem er als Bürger, der zwar eine Uniform trägt,
sich im wesentlichen aber als "Partner im öffentlichen
Raum" anbietet, einge-führt wird. Der Kontakt-bereichsbeamte
erfüllt dabei gleich zwei Funktionen: Zum einen ist er die
kommunikative Brücke zwischen den (alternativ-liberalen) AnwohnerInnen
und den Exekutiv-organen in Kampfanzügen und soll Akzeptanz
für die Vertreibung schaffen. Zum anderen suggeriert er als
Ansprechpartner ein Ernstnehmen der Sorgen und Ängste der BürgerInnen,
und stellt damit das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des
Staates wieder her. Das Bewußtsein, daß das mit ihm
verbundene staatliche Interesse nicht immer das des Bürgers
sein muß, verschwindet.
Obwohl zur Zeit die Linke im Schanzenviertel nicht unter einer massiven
Repression zu leiden hat, besitzt jedes angestrengte Ermittlungsverfahren,
jeder Prozeß, eine Bedeutung. Verfahren kosten Geld, Zeit,
binden Kräfte und sind schlicht nervig. Sie bedrohen GenossInnen
konkret in ihrer persön-lichen Freiheit und Unabhängigkeit.
Ein Straf-prozeß richtet sich nicht nur per se gegen die ver-meintliche
Schuld eines/r Einzelnen. Häufig werden deshalb keine Massenverfahren
angestrengt, damit sich die politische Situation nicht aufschau-kelt.
Gemeint sind aber alle, die sich der staat-lichen Vert-reibungs--praxis
in den Weg stellen. Dies geschieht in einer Form, die jeder und
jedem klar machen soll, daß sie/er die/der Nächste sein
könnte. Im Juristendeutsch wird dies als Generalprävention
verstanden. Einer breiteren Solidari-sierung soll so zumindest der
Wind aus den Segeln genommen werden. Insbesondere soll durch eine
Indivi-duali--sierung der Strafverfolgung der gesellschaftliche
und politische Rahmen, in dem die Kriminalisierung stattfindet,
möglichst wenig hervortreten.
Insofern war es beispielsweise eine eindeutig politische Entscheidung
des Repressionsapparates, den juristisch zweifel-haften Nötigungsvorwurf
gegen Andreas B. in diesem Frühjahr bei Amtsrichter Schill
verhandeln zu lassen. Mit seiner Verurteilung zu vier Monaten Freiheitsstrafe
auf zwei Jahre Bewährung sollte allen, die sich immer noch
der rassistischen Vertreibungspoltik in den Weg stellen, ein Signal
gesetzt werden.
Die Antwort auf die aktuelle Repressions-ent-wicklung kann für
uns nur heißen, das, wofür die angegriffenen GenossInnen
politisch stehen, weiter-zu-entwickeln. Das heißt konkret,
den Widerstand in Theorie und Praxis gegen Rassis-mus, Ausgrenzung
und Vertreibung (nicht nur) im Schanzenviertel fortzusetzen. Es
muß weiterhin darum gehen, soviel Druck wie möglich zu
erzeugen, um den Hand-lungs-spielraum der Behörden und ihrer
HandlangerInnen einzuengen und das politische Kräfteverhältnis
vor Ort in unserem Sinne zu verändern.
Kontrollen stören!
Gegen Ausgrenzung, Vertreibung
und Sicherheitswahn!
Für freies Fluten!
Vorbereitungsgruppe des Aktionstages vom 27.2.99,
November 1999
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