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Gegen autoritäre Ordnungsvorstellungen, Ausgrenzung und Vertreibung
Erklärung der Roten Flora zur geplanten Schließung der Drogenhilfeeinrichtung Fixstern


Seit 1995 gibt es die niedrigschwellige Drogenhilfeeinrichtung „Fixstern“ im Schanzenviertel am Schulterblatt. In den ersten zwei Jahren hat kaum jemand im Stadtteil seine Existenz wahrgenommen. Das änderte sich 1997/98 massiv durch die Verdrängung der Drogenszene aus der Innenstadt in die umliegenden Viertel. Dadurch vergrößerte sich die bereits existierende Szene des Stadtteils und der Fixstern wurde in seinen Kapazitäten überfordert. Weil der Umfang des Angebots der Nachfrage nicht gerecht werden konnte und die verantwortlichen politischen Instanzen eine Ausweitung der Einrichtung ablehnten, blieb der Fixstern überlaufen. Er konnte seine Arbeit nur noch um den Preis der ständigen Überforderung notdürftig leisten.
In der Wahrnehmung vieler ViertelbewohnerInnen stellte sich die Situation jedoch so dar, dass die Existenz des Fixsterns die Ursache der offenen Drogenszene sei. Trotz vieler öffentlicher Initiativen des Fixsterns und anderer Gruppen setzte sich eine Stimmung durch, die eine Verlagerung der Einrichtung forderte. Unter Federführung des „Neunergremiums“ (Koordinierungsgruppe für das Schanzenviertel, mit VertreterInnen der damaligen Bezirksfraktionen) wurde unter Moderation der STEG 2001 die Entscheidung getroffen, einen neuen Standort für den Fixstern an der Lagerstrasse zu schaffen. Forderungen, den Fixstern nicht zu verlegen, sondern stattdessen eine zweite Einrichtung im Stadtteil zu schaffen, wurden mit Hinweis auf angeblich fehlende Mittel abgebügelt. Schon damals zeigte sich deutlich, dass das Interesse an einem aufgeschickten Schulterblatt mit der „Piazza“ als Kernstück Grund genug waren, eine das Ambiente störende Fixerstube zu vertreiben.
Seitdem der sogenannte „Bürgerblock“ aus CDU, FDP und Schillpartei im Amt ist, ist von einer Verlagerung im Stadtteil gar keine Rede mehr. Auch der kurze Aufstand, den die FDP an dieser Frage innerhalb der Senatskoalition probte, stellt die eingeschlagene Linie nicht in Frage und wird das damit fürs Schanzenviertel entworfene Szenario allerhöchstens in Akzenten verschieben. Der Fixstern als niedrigschwellig arbeitende Einrichtung soll ersatzlos verschwinden, was in der Konsequenz bedeutet, dass es in absehbarer Zeit im Schanzenviertel kein Angebot akzeptierender Drogenarbeit mehr geben wird.


I. Das „Zwergenflugblatt“:Flora & Schanze ‘97


Vor dem Hintergrund der Vertreibungsszenarien und des vom Thema „Innere Sicherheit“ dominierten Wahlkampfes 1997 sahen wir uns in der Situation, uns positionieren zu müssen. Im Dezember 1997 veröffentlichten wir das sogenannte „Zwergenflugblatt“ mit folgenden Positionen die wir auch heute noch richtig finden:

  1. Der traditionelle positive Bezug aufs „eigene“ Viertel war nicht länger aufrechtzuerhalten, da ein Großteil der ViertelbewohnerInnen die Vertreibungspolitik unterstützte.

  2. Die widersinnig-verlogene Einteilung in legale und illegale Drogen führt zu Kriminalisierung, Ausgrenzung und Vertreibung der UserInnen. Der einzige wirkliche Lösungsansatz wäre eine Legalisierung aller illegalisierten Substanzen.

  3. Die Unterscheidung in KonsumentInnen als Opfer und Händler als Täter ist unsinnig. Konsum und Handel gehören zusammen.

  4. Die Vorstellung „im Stadtteil dealen lediglich Schwarze“ ist falsch. Diese Wahrnehmung ist rassistisch und führt dazu, dass Menschen schwarzer Hautfarbe unter Generalverdacht gestellt werden und sich im Stadtteil nicht mehr frei bewegen können.

Die Konsequenz aus dieser Situation war für die Flora der Versuch, sich nicht zum Teil dieser Vertreibungspolitik zu machen. Das resultierte in der auch unter uns nicht unumstrittenen Haltung, den Konsum und Handel von illegalisierten Drogen rund um die Flora zwar ausdrücklich zu billigen, in der Flora selbst aber zu untersagen. Die Konsequenz für die eigene politische Praxis sahen wir darin, uns parteiisch zu den (im Stadtteil) laufenden Ausgrenzungsdiskursen zu verhalten und gegenüber Vertreibungsaktionen, Razzien, Festnahmen, Kontrollen etc. nicht passiv zu bleiben sondern einzugreifen.
So analysierten wir Ende 1997 die Situation und versuchten Konsequenzen zu ziehen. Jetzt, fünfeinhalb Jahre später stehen wir vor der gleichen anderen Situation: Zunächst war es auf Dauer nicht möglich gewesen, die ständige Polizeipräsenz und -praxis zu stören, geschweige denn zu verhindern. Dafür lassen sich zwei Gründe ausmachen:

1. Dieser Ansatz sah sich von vornherein mit dem Problem konfrontiert, dass die polizeiliche Repression auf einer alltäglichen Ebene operiert, gegen die eine interventionistische Politikpraxis auf Dauer nichts ausrichten kann. Die Kapazitäten derjenigen, die es trotzdem versuchten, stießen hier an Grenzen. Einerseits kann mensch nicht immer und überall bei jeder Kontrolle präsent sein und andererseits wurde ein nicht unerheblicher Teil der eigenen Kräfte durch die sich in diesem Zusammenhang häufenden Verfahren wegen Beleidigung, Widerstand, Behinderung von Vollstreckungsbeamten etc. gebunden.

2. Des Weiteren ließ sich dieser Ansatz im Stadtteil nicht verbreitern. So konnte auch kein wenigstens lokal begrenztes Klima im Viertel entstehen, in dem die Vertreibungspolitik gegen die Drogenszene politisch nicht mehr durchsetzbar gewesen wäre. Zurück blieb ein schales Gefühl der Ohnmacht, dass das Übrige tat, um die Ansätze eigenen Handelns nahezu zum Erliegen zu bringen.


II. Der Siegeszug der Gartenzwerge? Flora & Schanze ‘03


Heute kann das Schanzenviertel als für Verwertungsinteressen weitgehend erschlossen gelten. Widerstände gegen Umstrukturierungsmaßnahmen lassen sich höchsten noch partiell ausmachen und stellen keinen relevanten politischen Faktor dar.


Ihren zynischen und im Stadtteil sicherlich markantesten Ausdruck findet die aktuelle Situation rund um den Achidi-John-Platz. Hier gehen die nicht zu knapp in Anspruch genommene Angebotspalette an die offene Koffeinszene auf der Sonnenseite, die KonsumentInnen und HändlerInnen illegalisierter Drogen im Schatten des Fixsterns und die Polizei, die sich mit ständiger Präsenz letzteren widmet, ein „harmonisches“ und multikulturelles Miteinander ein. Normaler kann eine Normalität nicht sein. Oder ?


III. Der Fixstern zwischen Quartiersaufwertung und Messeerweiterung


Dass sich seit Bestehen des Fixsterns immer wieder Menschen an seiner Existenz gestört haben ist hinlänglich bekannt und u.a. Thema dieses Flugblatts. Doch die Rufe nach Verlagerung fanden ihren ersten Höhepunkt im September 1999. Eine Rückschau: Im Juli 1999 wurde die STEG mit dem Quartiersmanagement für das Schanzenviertel beauftragt und gründete alsbald die „AG zur Umgestaltung des Schulterblattes“.
In diesem Zuge wurde der heutige Achidi-John-Platz (ehemals Schulterplatz) erschaffen um eine Zone des Verweilens innerhalb der Konsummeile Schulterblatt zu ermöglichen - schließlich kann einkaufen nur allzu stressig sein. Wer diesen Platz wie nutzen sollte und was konsumieren bedeutete war damit schnell bestimmt: Alle die Geld auf der Tasche haben um am Flanieren teilzunehmen seien herzlichst eingeladen.
Der Rest sollte aus dem Sichtfeld verschwinden. Eine niedrigschwellige Drogenhilfeeinrichtung mit ihren BesucherInnen passt nicht dazu. Armut passt nicht zu Schwarzwälderkirsch und latte macchiato. So sprach sich das Neuner-Gremium (heute Dreizehner-Gremium) bereits im September 1999 einstimmig für einen „anderen Standort“ des Fixsterns aus mit der Begründung, dass der jetzige höchst problematisch sei. Zum einen liege er unmittelbar in einem Wohngebiet und verursache Lärmbelästigungen bei den AnwohnerInnen. Außerdem reisten die DrogenkonsumentInnen mit der S-Bahn Sternschanze an und müssen von dort aus zum Fixstern gelangen. Drogendealer würden sich angeblich aus diesem Grund über die ganze Susannenstrasse verteilen.
Als Folge zögen vermehrt Familien mit Kindern aus dem Schanzenviertel weg. Und schließlich sei „zusätzlich problematisch die unmittelbare Nähe zur alten Flora, so dass hier eine Gemengelage entstanden ist, die aus einer möglichst geringen Belastung eine ausgesprochen hohe Belastung hat werden lassen“. Als neuer Standort stand die Lagerstrasse schnell fest und wurde von allen beteiligten Parteien als erwünscht angesehen. Mit der Entscheidung, die Messe nicht wie andernorts an den Stadtrand zu verlegen, sondern innerstädtisch zu erweitern, entbrannte die Diskussion um die Verlegung des Fixsterns in die Lagerstrasse aber erneut. Und eigentlich wusste zu diesem Zeitpunkt niemand mehr so recht, warum der Fixstern überhaupt im Schanzenviertel bleiben sollte. Es gelte, das Aufeinandertreffen von TouristInnen / MessebesucherInnen und Drogenabhängigen zu verhindern.

Der Mitte September 2002 einstimmig gefällte Beschluss der Bezirksversammlung, dem Fixstern in der Lagerstrasse ein neues Domizil anzubieten, wurde bereits 4 Wochen später von der Behörde für Umwelt und Gesundheit mit Senator Rehaag an der Spitze mit Bezug auf die Messeerweiterung, in deren Konzept die Lagerstrasse eine zentrale Rolle spielt, abgelehnt. Mitte Februar 2003 fiel dann die endgültige Entscheidung, dass die Einrichtung ersatzlos gestrichen werden soll.
So sollen zukünftig alle Drogenabhängigen im „Wüstenrothaus“ in St. Georg verschwinden und das Schanzenviertel wird endgültig zu dem, was es eigentlich schon ist: ein sauberes Szeneviertel, eine Amüsiermeile für Partyvolk, TouristInnen und MessebesucherInnen.Die Umstrukturierung des Schanzenviertels scheint nicht aufzuhalten zu sein. Nachdem der olympische Bogenschiess-Wettbewerb im Schanzenpark den AnwohnerInnen erspart bleibt, wird nun durch das Hotel im Wasserturm die öffentliche Nutzung des Parks in Frage gestellt. Die Messeerweiterung wird dem Schanzen- und Karoviertel weiter steigende Mieten und noch mehr Verkehr bescheren, schließlich müssen die 7500 neu geplanten Parkplätze ja irgendwie gefüllt werden.

Untertunnelungen, Tiefgaragen, Parkhäuser, neue Hallen – an dem Baulärm werden die AnwohnerInnen bis 2008 ihre helle Freude haben. Aber es geht nicht nur um bauliche Veränderungen, die Messeerweiterung wird den Gesamtaufwertungsprozess des Viertels massiv beschleunigen und die Angebotspalette dahingehend verändern, immer neue Bedürfnisse zu befriedigen, wie ein Vergnügungspark der ständig mit neuen Attraktionen locken muss um interessant zu bleiben. Der Baubeginn ist noch in diesem Jahr und wird bis zur Fertigstellung 330 Millionen € verschlingen. Schließlich soll „Hamburgs Messe... dauerhaft in die Champions-League europäischer Messestädte aufsteigen“ so Senator Mettwurst.

IV. Schließung des Fixstern

Dass der Fixstern aus dem Schulterblatt verschwinden soll, ist schon länger formulierter politischer Wille. Die „Vision“ des Schulterblatts als Flanier- und Konsummeile für Besserverdienende transportiert die Vorstellung, dass diese mit der lokalen Präsenz einer offenen Drogenszene nicht zu vereinbaren sei.
Und seitdem der Bürgerblock im Amt ist, ist auch die zuvor erwogene Verlagerung des Fixsterns in die Lagerstrasse kein Thema mehr. Stattdessen wird eine Integration der Kapazitäten des Fixsterns in das geplante Großprojekt „Wüstenrothaus“ in St. Georg propagiert. Der konkrete Ansatz des Fixsterns, eines niedrigschwelligen, an den Bedürfnissen der Menschen im Stadtteil orientierten Angebotes, wird abgewickelt. Mit kaum zu überbietender Dreistigkeit erklärt der zuständige Gesundheitssenator Rehaag, dass er durchaus überzeugt davon sei, das 70% der NutzerInnen hier selbst in der Schanze leben; aber die „Süchtigen“ hätten sich an den Angeboten zu orientieren und nicht umgekehrt.
Weder der angekündigte Einsatz von StraßensozialarbeiterInnen, noch die vage in Aussicht gestellte Schaffung einer ausstiegsorientierten Drogen-beratung mit Spritzentauschmöglichkeit auf der „Brammerfläche“ (Schulterblatt/ Ecke Max-Brauer-Allee) kann ein adäquater Ersatz für den Fixstern sein.
Der Senat folgt dabei nicht nur einer Aufwertungsstrategie fürs Schanzen-viertel, sondern setzt konsequent auf Desintegration. So darf nur sein, was sein soll - akzeptierende Ansätze gehören eben nicht dazu. Über kurz oder lang wird nicht nur der Fixstern „Opfer“ dieser Politik sein, sondern auch alle anderen niedrigschwelligen Einrichtungen in der Stadt.
Diese bieten UserInnen bisher die Möglichkeit anonym und ohne Angst Drogen zu konsumieren. Duschen, Kleiderkammer, medizinische Versor-gung und Essensausgabe bieten die Chance die eigenen Lebensverhältnisse zu verbessern und wenn gewollt über Alternativen nachzudenken. Damit sind diese Einrichtungen überlebensnot-wendig. Andererseits dürfen sie aber nicht zur Elendsverwaltung verkommen und dazu beitragen UserInnen aus der schönen Konsum- und Wohnwelt zu vertreiben. Denn letztendlich geht es um das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben – auch für sie.
Dieses Recht wird Drogenkon-sumentInnen abgesprochen. Sie werden zu einer verschiebbaren Masse degradiert, die, wenn sie sich schon nicht in Luft auflöst, nur noch an isolierten Orten wie dem Wüstenrothaus geduldet wird und überall anderswo „auf Trab gehalten“ werden soll.
Es ist völlig klar, dass dadurch keine Probleme gelöst werden. Vielmehr folgt diese rigorose Politik der Ausgrenzung und Vertreibung, deren permanente Polizeiroutine Selbstzweck ist, einer autoritären Ordnungsvorstellung und präsentiert sich auf Kosten der DrogenuserInnen als symbolische Handlungsfähigkeit.


V. Vertreibungspolitik


Die aktuelle Vertreibungspolitik, in der polizeiliche Repression zur zentralen Form politischen Handelns gegenüber der offenen Drogenszene wird, ist Bestandteil eines umfassenden Konzeptes, wie mit sichtbaren sozialen Problemen ungegangen wird.
Hintergrund dieser sehr konkreten und fassbaren Politik sind gesamtgesellschaftlich begründete Grundsatzentscheidungen. Zugegebenermaßen vermittelt sich dieser Zusammenhang weniger drastisch als das unmittelbare erleben massiver Polizeieinsätze, die durch ständige Präsenz ja scheinbar eine Drogenszene zum Verschwinden bringen können. Eine ansatzweise Darstellung dieser komplexen Hintergründe wollen wir hier im Folgenden versuchen.
Parteiliche und an Betroffenen orientierte Konzepte werden schon länger als sozialromantisch denunziert. Hintergrund ist die Verschiebung politischer Koordinaten. Sozialstaatlichkeit, Wohlfahrtsleistungen, Sicherung von physischer und ökonomischer Existenz wurden bis in die 80er Jahre als zentrale staatliche Aufgabe in dieser Gesellschaft definiert. Das Bild des „eng geknüpften sozialen Netzes“ galt als mustergültiger Ausdruck davon. Mit der Wiedervereinigung und der Umstrukturierung der internationalen Beziehungen unter dem Vorzeichen neoliberaler Politik und nach dem Verschwinden des realsozialistischen Ostblocks als immerhin theoretische Systemalternative, werden die gesellschaftlichen Ressourcen neu verteilt.
Standortpolitik, der Wettbewerb zwischen nationalen und regionalen Wirtschaftsräumen, wird zur primären Aufgabe staatlichen (und städtischen) Handelns gemacht, wobei das Gerede von der „weltoffenen Medienmetropole Hamburg“ das propagandistische Schlagwort für eine solche Politik auf lokaler Ebene darstellt. Um die angestrebte Wettbewerbsfähigkeit herzustellen, ist es seitens der Politik notwendig, die optimalen Verwertungsbedingungen dafür zu schaffen, um den eigenen Standort attraktiv zu machen und die Unternehmen anzulocken. Allzu starre arbeitsrechtliche Regelungen stellen dabei genauso ein Hindernis dar wie eine Sozialpolitik, die Geld kostet und keinen wirtschaftlichen Nutzen im beschriebenen Sinne hat. Die politische Alternative zu gesellschaftlicher Solidarität wird in der Eigenverantwortungen der/des Einzelnen für seine/ihre Lebensbedingungen und in der Etablierung marktwirtschaftlicher Konkurrenz in allen gesellschaftlichen Bereichen gesehen, wobei diejenigen, die dabei auf der Strecke bleiben bereits heute - und zukünftig noch verschärft - selber Schuld sein sollen.
Anders gesagt: es gibt nicht weniger Geld, sondern es gibt weniger Menschen, die an diesem gesellschaftlichen Reichtum teilhaben werden. Dies ist natürlich ein schrittweiser und zugleich schleichender Prozess. Eine „Gesundheitsreform“ beispielsweise hat nicht die Verbesserung der medizinischen Versorgung zum Ziel, sondern dient dem Abbau von Leistungen für die Mehrheit der Menschen. Zugang zu umfassender medizinischer Versorgung werden sich zukünftig nur jene leisten können, die über genug private finanzielle Mittel verfügen. Gesundheit wird so zum Luxus von Wohlhabenden.
Doch wer glaubt, sich mit „redlicher“ Arbeit finanziell absichern zu können, kann schneller an den Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Realität scheitern, als ihm/ihr lieb ist. Vor dem Hintergrund der schon angedeuteten bestehenden Ost-West-Systemkonkurrenz galt in der BRD bis 1989 immerhin offiziell das Ziel der Vollbeschäftigung. Mit Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe wurden Instrumente geschaffen, die Gesetzmäßigkeit des Kapitalismus erträglicher zu gestalten, die formelhaft lautet: Lohnarbeit ist Bestandteil der Verwertungsbedingungen des Kapitals und ist nicht Ausdruck eines Rechts auf Arbeit als ein möglicher Ausdruck selbst bestimmter Lebensgestaltung. Die aktuelle Behauptung, genügend Eigenverantwortlichkeit und Leistungswille garantierten die Aussicht auf einen festen Arbeitsplatz wird allein durch die aktuelle offizielle Arbeitslosenquote von 11% dementiert. Die offizielle Propaganda kaschiert derartige „Systemfehler“ mit einer Kampagne zu zumutbarer Arbeit, Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen und Abbau gewerkschaftlich erkämpfter Arbeitnehmerrechte, die in der BRD noch nie allzu üppig gestaltet gewesen waren. Nicht die ökonomischen Rahmenbedingungen sind ein Problem, noch nicht mal die Arbeitslosigkeit an sich, sondern Menschen ohne Arbeit haben ein persönliches Problem, fortgesetzte Arbeitslosigkeit wird als Arbeitsunwilligkeit ausgelegt, die die Kürzung der staatlichen Unterstützung nach sich zieht.
Diese beispielhaft angeführten Entwicklungen markieren zusammengefasst eine zunehmende Polarisierung der Gesellschaft in jene, die einen gesicherten Lebensstandard halten können und jenen, die zumindest vom Abstieg und Verlust eines gesicherten Einkommens bedroht sind. Der forcierte Abbau von existenzsichernden staatlichen Leistungen befördert so einen Prozess der gesellschaftlichen Desintegration. Wo es Menschen gibt, denen es potentiell schlechter geht als einem selbst, kann die Angst vor dem eigenen drohenden Abstieg noch immer in Aggression gegen diese kanalisiert werden. Vermeintliche „Arbeitsunwilligkeit“, angeblicher „Sozialmissbrauch“ oder der fehlende deutsche Pass werden zum Stigma dieses soziologischen Stellvertreterkrieges. Wundert dann noch die im günstigeren Fall gleichgültige Haltung gegenüber KonsumentInnen illegalisierter Drogen?
An diese Voraussetzungen kann dann eben auch eine Politik anknüpfen, die gesellschaftliche Konflikte zu repressiv zu lösenden Problemen umschreibt und als Bedrohungen inszeniert. Sie findet ihren Niederschlag in den Diskursen, die unter dem Schlagwort „Innere Sicherheit“ zusammengefasst werden. Dabei ist ein Populismus, wie er von einem Schill - und zunehmend auch von den etablierten „Volksparteien“ - betrieben wird und der eine symbolische Politik darstellt, da er vorgibt einfache „Lösungen“ für komplexe gesellschaftliche Auseinandersetzungen an der Hand zu haben nur die eine Seite der Medaille. Es geht auch um eine Verschiebung auf dem Feld politischen Handelns insgesamt:
Der Abbau des Sozialstaates und neoliberale Deregulierung, Flexibilisierung etc. gehen nicht mit einer „Verschlankung“ des Staates, sondern mit dem Ausbau eines Polizei- und Überwachungsstaates einher. Es entsteht nicht weniger Staat, sondern ein anderer, der die immer größer werdenden gesellschaftlichen Bereiche, für die zuvor noch die Sozialpolitik vermittelnd zuständig war, nicht sich selbst überlässt - er behält sich die strategische Kontrolle vor und baut diese u.a. durch neue Überwachungstechnologien und Gesetzesverschärfungen weiter aus. Und insofern die „Probleme“ nicht aus dem Blick verschwinden und öffentlich sichtbar bleiben, gilt es, sie repressiv wegzuregeln, unsichtbar zu machen oder zumindest so zu tun als ob.
Eine solche Sicherheitspolitik und die mit ihr verbundenen Diskurse und Maßnahmen werden so zu einem integralen Bestandteil von Politik überhaupt.
Wenn auf Hamburg bezogen eine solche Politik der angeblichen Neuen Mitte in diesem Zusammenhang die Präsentation einfacher Lösungen markiert, so muss der Umgang mit der offenen Drogenszene und Einrichtungen wie dem Fixstern als Vorgeschmack darauf gelten, wie in Zukunft mit anderen gesellschaftlichen Konflikten verfahren werden soll.


VI. UnSicherheitsdiskurse, Rassismus und das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit


Eine zentrale Rolle bei der Akzeptanzschaffung für Strategien der Ausgrenzung und Vertreibung kommt dabei den Diskursen der „Inneren Sicherheit“ zu. Diese funktionieren über den Aufbau von Bedrohungsszenarien, die an das subjektive UnSicherheitsgefühl der BürgerInnen appellieren. Diese wiederum bauen auf vorhandenen Ressentiments und zunehmend ungewissen Lebensperspektiven vieler Menschen auf. Um auf diese Unsicherheitsgefühle zurückzugreifen, bedarf es der Konstruktion von Feindbildern oder vermeintlich gefährlichen Orten, die auf bereits vorhandenen gesellschaftlichen Hierarchisierungen basieren.
Ein solches Feindbild war schnell in der rassistischen Figur des „schwarzafrikanischen Drogendealers“ gefunden, wobei der Tod von Achidi John im Dezember 2001 infolge eines Brechmitteleinsatzes den vorläufigen traurigen Höhepunkt dieser Entwicklung markierte. Die ausschließliche Anwendung dieser Maßnahme auf Menschen schwarzer Hautfarbe schreibt die rassistische Ausgrenzung in ihrer tödlichen Konsequenz weiter fort. Der kaum vorhandene Widerstand und die wohlwollenden Kommentare in den Medien lassen auf die breite Akzeptanz von Brechmitteleinsätzen in der Bevölkerung schließen und können das dahinter stehende Strafbedürfnis kaum verhüllen.

So setzt der Senat einerseits auf konsequente Vertreibungspolitik und körperliche Repression und weiß den Großteil der Bevölkerung in diesen Punkten hinter sich. Andererseits propagiert er das Prinzip der Eigenverantwortlichkeit was in letzter Konsequenz nichts anderes bedeutet als: „Selber schuld!“ Die „eigene Verantwortung“ für ihre Situation, die eigentlich eine Folge der staatlichen Verbotspolitik ist, wird auf die KonsumentInnen abgeschoben. Hilfe soll es zukünftig nur noch für Ausstiegswillige geben und nicht mehr für „jene, denen eh nicht mehr zu helfen ist.“

Der Verweis auf ihre Eigenverantwortlichkeit bedeutet jedoch nicht, dass sie nun sich selbst überlassen werden. Mit dem Hinweis auf das Wüstenrothaus als zentraler Ort, an dem sie sich aufhalten dürfen und sollen, wird die Existenz von offenen Drogenszenen an anderen Orten vollends zu einem polizeilichen Problem umgeschrieben.


VII. Die AG Drogen und andere AkteurInnen


Genau diese Argumentationslogik ist es, die auch die Marschrichtung für das Schanzenviertel nach der Schließung des Fixsterns vorgibt: Die Drogenszene hat in der Schanze nichts mehr zu suchen. Eine in diesem Sinne formulierte politische Botschaft und deren Umsetzung wird zur weiteren Verschlechterung der Lebensbedingung derer führen, die im Viertel bleiben.
Es ist aber nicht nur ein breites Schweigen und damit die stille Zustimmung zu einer solchen Vertreibungspolitik zu beobachten, sondern auch die aktive Teilnahme von ViertelbewohnerInnen, Gewerbetreibenden etc.: Eine Strategie der Stadtentwicklungspolitik ist es, AnwohnerInnen in die Diskussionen und Entscheidungsprozesse mit einzubinden, um Protestpotential von vornherein zu integrieren.
In diesen Gremien, wie z.B. der von der Steg initiierten „AG Drogen“ geht es aber nicht nur darum Umstrukturierungs- (Ausgrenzungs-) Maßnahmen schmackhaft zu machen, vielmehr werden auch ganz gezielt vermeintliche Sicherheitsrisiken aufs Korn genommen. Die STEG feiert die Arbeit dieser AG, mit Blick auf die geplante Fixsternschließung inzwischen als „zentrales Element der Maßnahmen zum Thema Drogen im Schanzenviertel“ und zeigt damit, dass sie aktiver Teil ordnungspolitischer Strategien ist.
So sollen als gefährlich stilisierte reale oder vermeintliche Rückzugsorte kriminalisierter Menschengruppen systematisch aufgelöst werden. Darüber hinaus sollen einige dieser Orte durch übersichtlichere und einladendere Gestaltungen, wie sie z.B. für den Florapark geplant sind, für diejenigen attraktiver gemacht werden, die auch weiterhin dazu gehören sollen.


VIII. Zum Schluss


Die derzeitige Drogenverbotspolitik ist bestimmt durch Vertreibung, Ausgrenzung und Rassismus. Sie lässt die konkreten Bedürfnisse der UserInnen außen vor und verweigert ihnen durch Kontrolle und Repression das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben.
Wir fordern eine Drogenpolitik, die sich an den Bedürfnissen der betroffenen Menschen orientiert, was den Erhalt und Ausbau niedrigschwelliger Konsumräume wie dem Fixstern am Achidi-John-Platz beinhaltet und zwangsläufig die Legalisierung aller Drogen bedeutet.

Fixstern bleibt!

Regierung stürzen!


Gegen autoritäre Ordnungsvorstellungen, Ausgrenzung und Vertreibung
Rote Flora, August 2003