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Vier Etagen hoch Kultur
Erklärung der Roten Flora zu Kommerzkultur im Schanzenviertel
I. Was der Schanze scheinbar bis heute gefehlt hat liegt laut Presse auf der Hand: Kultur.
Diese öde Brachlandschaft zwischen Altona, St. Pauli und Eimsbüttel, in der sich nicht mal die Kaffeesatzleserei aus den Restbestälnden des überteuerten Macciato wirklich als kulturelle Glanzleistung verkaufen lässt, bekommt jetzt das, was schon so lange vermisst wurde. Jetzt wird endlich alles ganz anders, jetzt erhält auch die Schanze schnuckelige Tanztees für Senioren, Schneider-Kurse, Familienbrunches mit Live-Musik und, nicht zu vergessen, auch das langvermisste autogene Training.
Wir sollten selbstverständlich auch nicht verschweigen, dass uns das kommende "Kultur-Haus 73" im Schulterblatt 73 zudem angesagte Jazz-Sessions, lesungen, Comedy, Vorträge (über was auch immer), Theater, Koinzerte und - jetzt haltet euch fest, tätä - ...Fußball auf Videoleinwänden verspricht. Endlich Kultur!
Zumindest waren sich Hamburger Morgenpost und das Springer'sche Abendblatt in ihren Ausgaben vom 22. und 23.02.2006 darin einig, dass sich mit einem neuen Bar- und Gastronomieprojekt der Pferdestall Kultur GmbH im derzeit leerstehenden Gebäude Schulterblatt 73 neben der Roten Flora der Traum eines "vorzeigbaren" Stadtteilkulturprojekts im Schanzenviertel endlich realisiere. Während das Abendblatt unter der Überschrift "Eine Chance für die Schanze" (wir erinnern uns, dass dieser Slogan schon im Rahmen der Drogendiskussion hoch im Kurs stand) über ein vorgebliches Kulturprojekt fabuliert, das sich der Aufgabe verschrieben habe, das Viertel kulturell zu beleben, ist die Mopo schon einen Schritt weiter und sieht den Geschäftsführer Falk Hocquél mit seinem Projekt bereits auf der Siegerstraße.
Tatsächlich dürfte mit dem Projekt der Pferdestell Kultur GmbH der Umbau des Schanzenviertels zur Partymeile und zum lukrativen Standort kommzerieller Bar- und Vergnügungslocations einen großen Schritt vorangekommen sein. Nachdem mit dem Piazza-Projekt 2001 der Startschuss gegeben wurde, werden pünktlich zur WM ("Fußball auf Videoleinwänden"...) laut Abendblatt nun endgültig die Zeiten vorbei sein, "in denen rund um das Schulterblatt vor allem protestiert und nicht konzumiert wurde". Besser lässt sich vermutlich die Stoßrichtung der neuen Projektidee nicht auf den Punkt bringen.
Es entspricht dem Niveau der Stadtentwicklungspolitik unter der Verantwortung der STEG seit 1989, wenn die Eröffnung eines kommerziellen Gastronomiebetriebes unter dem Etikett "Kulturhaus" ein Beitrag zur Stadtteilkultur darstellen soll. Es entspricht aber auch dem deprimierenden Stand des öffentlichen Bewusstseins in diesem Stadtteil, wenn von keiner Seite Kritik am offensichtlichen Etikettenschwindel des Pferdestall Kultur GmbH - Projektes formuliert wird.
II. STEG steht Parte aus guter Tradition
Man kann der STEG in diesem Zusammenhang nicht vorwerfen, dass sie ihrer politischen Linie nicht treu geblieben wäre. Die angebliche "behutsame Stadterneuerung", die die STEG als offizieller Sanierungsträger der Stadt Hamburg seit ihrer Gründung 1989 umsetzen will, hat sich im wesentlichen als geräuschloser Umbau des Scchanzenviertels vom alternativen Szenestadtteil Ende der 80er Jahre hin zum In-Quartier mit Modeboutiquen, Bars, hochpreisigen Altbauwohnungen und mittlerweile auch trendigen Eigentumswohnungen erwiesen. Die in diesem Kontext formal propagierte Betroffenenbeteiligung hat sich in "Runden Tischen" und Beteiligungsverfahren erschöpft, die im wesentlichen andernorts längst verabschiedete (standort-)politische Entscheidungen abnicken durfte. Die STEG hat es dabei konsequent verstanden, sich aus allen städtebaulichen Konflikten der letzten Jahre herauszuhalten, in dem sie sich auf eine unpolitische Moderation von Konflikten beschränkt hat ( zuletzt Fixsternschließung und Wasserturmumbau ). Wichtigstes Ziel der STEG war es dabei vor allem tunlichst nicht in Widerspruch zu Senats- und Bezirkspolitik bzw. irgendwelchen Investoreninteressen zu gelangen.
III. Studentische Start-Up - vom Campus in die Schanze !?
Es darf nicht verwundern, wenn laut Abendblatt Julia Dettmer von der STEG als Fürsprecherin der Pferdestall Kultur GmbH auftritt. Das Gebaren der GmbH ist mehr als merkwürdig. Eigentlich sollte die Pferdestall Kultur GmbH, die aus einem gemeinnützigen Verein an der Uni hervorgegangen ist, den Universitätscampus mit studentischer Kultur in enger Kooperation mit dem Asta-Kulturreferat beleben. Daher betrieb sie u.a. die Ponybar neben dem Abatonkino. Allein aus diesem Grund ist ihrerseits die Universitätsmarketing GmbH Gesellschafterin der Pferdestall Kultur GmbH. Mittlerweile hat sich die Pferdestall Kultur GmbH die Bewirtschaftung des Audimax mit seinen "Hipevents" als eigenes Monopol unter den Nagel gerissen und setzt sich damit in direkte Konkurrenz zu den kleineren, selbstorganisierten studentischen Cafes an der Uni. Das hochangepriesene Kulturangebot der Ponybar erschöpft sich heute in gemeinsam Tatort und Bundesliga schauen, 3-Fragezeichen hören und hippen DJ's.
Schon mit der Eröffnung der Galerie "14 Dioptrien" und der Beteiligung an der Astra-Stube im Januar diesen Jahres durch die Pferdestall Kultur GmbH hat diese den Uni-Campus verlassen. Wenn jetzt unter der Regie des Geschäftsführers Falk Hocquél in Nachbarschaft der Flora die GmbH ein weiteres kommerzielles Projekt realisiert, darf man fragen, aus welchen studentischen Mitteln sich hier eigentlich wer privat bereichert.
Die PR-Strategie zur Durchsetzung der Pläne, zu deren kritiklose Vollstrecker sich neben Abendblatt und Mopo mittlerweile auch die TAZ und Szene Hamburg gemacht haben, funktioniert nach einem relativ durchschaubaren Muster.
Einfalls- und wahllos werden Angebote für Kinder, Familien und RentnerInnen als Profil behauptet, als ob irgend jemand ernsthaft glauben würde, dass es im Schulterblatt 73 außer ein paar anfänglichen Alibiveranstaltungen regelmäßig Seniorentanztees, Familienbrunches oder stadtteilorientierte Angebote für Kinder und Jugendliche geben wird. Statt dessen glauben wir ohne weiteres an bis zu 10 Veranstaltungen pro Woche, diese werden sich jedoch vielmehr an ein kommerzielles Ausgehpublikum wenden.
Die Konstellation erinnert an ehemalige Versprechungen im Rahmen des "Schlachthof"-Projektes Mitte der 90er Jahre an der Feldstraße. Auch damals tönte es von Seiten der STEG, dort entstehe ein Stadtteilkulturzentrum fürs Karoviertel: Am Ende ist es eine schlecht laufende Konzertabspielstätte geworden, nachdem die STEG systematisch alle stadtteilorientierten Initiativen abgewimmelt hatte.
Wenn in der öffentlichen Meinung Kultur jetzt also auch nur noch unter rein kommerziellen Interessen ihren Platz hat und auch in der Vermittlung von Kultur die Ökonomisierung mehr und mehr Einzug hält, dann wird einer zunehmenden Verblödung Tür und Tor geöffnet. Dann wird endlich nicht mehr protestiert, sondern nur noch stumpf konsumiert. Herzlichen Glückwunsch.
IV. Der Niedergang nichtkommerzieller Stadtteilkultur
Fraglos ist die aktuelle Entwicklung im Schanzenviertel lediglich die konsequente Fortsetzung der Ökonomosierung aller gesellschaftlichen Bereiche. Geradezu modellhaft treffen einerseits der ökonomisierte Stadtteil Schanze, andererseits eine nach gesellschaftlicher Verwertung ausgerichtetes universitäres Studierendenmilieu und dazu ein von Junkies, Dealern und Obdachlosen fast vollständig gesäuberter Erlebnisraum ("In-Quartier" Schanzeenviertel) hier aufeinander.
Im sozialen und kulturellen Bereich werden Leistungen, bzw. Angebote mehr und mehr an die Prinzipien kapitalisitischer Verwertung geknüpft: Nur wer die nötigen finanziellen Mittel aufbringen kann, erhält darauf Zugriff.
Forderung nach gleichem Recht der Teilhabe am öffentlichen Leben, Vorstellungen von Chancengleichheit und Gleichberechtigung in der Gesellschaft gelten für die, die es sich leisten können. Damit einhergehend ist die Ersetzung fachkompetenter staatlich garantierter Angebote durch rigide Mittelkürzungen (Mädchentreff, Dolle Deerns, Aizan, Dauspielplatz, Palette) und dem Verweis auf dann politisch gewollte "ehrenamtliche" Sozial- und Kulturarbeit.
Mit einem "Kulturprojekt" wie im Schulterblatt 73 geplant, beginnt dann der Einstieg in den Ausstieg aus einer gemeinwesenorientierten Stadtteilkultur. Wenn das sogenannte "Kulturhaus 73" jedenfalls weiterhin unwidersprochen als Beitrag zur "Stadtteilkultur" angesehen wird, dann ist das der Niedergang eines Begriffs, der noch hinter das zurück fällt, was selbst in den Augen der Hamburger Kulturbehörde zu den Mindeststandards von Stadtteilkultur gehört.
V. Eine Zukunft wird Gegenwart
Parallel zur Diskussion um die "innere Sicherheit" und die Drogenszene rückte das Schanzenviertel auch durch verstärkt vorangetriebene Umstrukturierungs- und Aufwertungspläne ins Blickfeld des öffentlichen Interesses. Mit fortschreitender Etablierung der neuen Medien im Stadtteil und im Hinblick auf die Messeerweiterung wird im internationalen Standortwettbewerb auf ein attraktives Ausgehangebot für gehobene Einkommensklassen gesetzt, weiche Standortfaktoren gewinnen zunehmend an Bedeutung. Das Schulterblatt is um eine schicke Piazza (die übrigens zu einem Drittel privatisiert ist und unter dem Hausrecht der jeweiligen Kneipenbesitzer steht) bereichert. Der Fixstern ist geschlossen worden, da in einer Vergnügungsmeile für eine Drogenhilfeeinrichtung nun mal kein Platz ist (was die STEG vormals ebenfalls anders proklamierte: Verlegung des Fixsterns in die Lagerstraße).
Keine Einkaufsstraße, kein Eventraum ohne Kamerias und Sicherheitsdienste. Soziale und rassistische Zugehörigkeitskriterien bestimmmen immer umfassender auch die Zugänglichkeit im wörtlichen Sinne und die Bewegungsspielräume der Einzelnen. Die Debatte um die Kameraüberwachung auf der Reeperbahn zeigt, wohin die Reise auch im Schanzenviertel gehen wird.
Hier wird wiederum eine Folge des Aufwertungsprozesses deutlich. Die Bemühungen das Schanzenviertel adrett aufzupolieren, beruhen schon jetzt auf massiver Ausgrenzung. Wer nicht mehr ins Bild eines attraktiven Vergnügungs- und Konsumviertels Schanze passt, muss weg. Vor allem Obdachlose, DrogenkonsumentInnen und -händlerInnen, sowie Menschen mit schwarzer Hautfarbe, die pauschal zu kriminellen Dealern erklärt wurden, sind ja bis auf einen folkloristischen Restbestand erfolgreich entsorgt worden: durch Schikanen, rassistische Polizeikontrollen, Festnahmken, Verfolgungsjagden und Platzverweise ion den letzten Jahren.
Langfristig werden aber auch alle, die sich die proportional steigenden Mieten - eine Folge des gar nicht mehr so schleichenden Aufwertungsprozesses - nicht mehr leisten können, aus dem Schanzenviertel und anderen innenstadtnahen Bereichen verdrängt. Auch jene, deren Mietverhältnisse auslaufen und die ihre Wohnung zum Kauf angeboten bekommen, jedoch über zu wenig Kapital verfügen, werden diese Quartiere verlassen müssen. Und selbst zum Teil die, die die Umstrukturierungsmaßnahmen zur Aufwertung des Viertels noch bejubelt haben, stehen heute vor dem Problem aufgrund der steigenden Mieten ihre Koffer packen zu müssen. Diejenigen die zu wenig Geld auf der Tasche haben und nicht mithalten können, sind an diesem Ort auch nicht mehr erwünscht.
Macht ja nichts, denn in der Schanze wird ja nun endlich nicht mehr protestiert sondern konsumiert.
Plenum der Roten Flora, Mai 2006
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