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Vom
»Gleichgewicht des Schreckens«
Autonomer
Kampf gegen Umstrukturierung im Hamburger Schanzenviertel
Kapitel: I, II,
III, IV, V,
VI
I.
1988, während der Kampagne gegen das Musicalprojekt »Phantom
der Oper« im Hamburger Schanzenviertel, hatte in autonomen
Zusammenhängen ein Plakat mit dem Slogan »Den Widerstand
in den Vierteln organisieren« Konjunktur. Es zeigte einen
einsamen vermummten Mann, der vor verschwommen erkennbaren brennenden
Barrikaden steht. Eine der Botschaften dieses Plakats lautete: Ihr
Herrschenden müßt mit entschlossenem militanten Widerstand
rechnen, wenn Ihr glaubt, uns (Linke, Autonome...) durch Eure kapitalistische
Sanierungs- und Standortpolitik aus »unseren Vierteln«
verdrängen zu können. Dieser Drohung an die politisch
Verantwortlichen in der Stadt lag die Einschätzung zugrunde,
daß es z.B. im Schanzenviertel eine gewisse Basis für
eine Gegenmacht gäbe, die sich auch mit militanten Aktionsformen
gegen die etablierte Politik behaupten könne.
In dem Sinn war der 12.September 1988 ein denkwürdiges Datum:
Das 30-Millionen-Musical-Projekt, für das es rechtsgültige
Verträge gab, für das die Bauarbeiten bereits im vollem
Gange waren, mußte aufgrund des andauernden auch militanten
Protestes aufgegeben werden. Die erfolgreiche Verhinderung
des Phantoms im Schanzenviertel schien Beleg für die Richtigkeit
eines militanten stadtteilorientierten Politikansatzes zu sein.
So betitelte Springers Hamburger Abendblatt tags darauf seinen Kommentar
mit »Die Kapitulation« und stellte fest, der Standort
Hamburg sei für die Wirtschaft unsicherer denn je.
Auch zehn Jahre später könnte mal großzügig
betrachtet eine positive Bilanz des Kampfes gegen Umstrukturierung
im Hamburger Schanzenviertel gezogen werden: Das Phantom-Projekt
verhindert, die Luxussanierung eines seit Jahrzehnten ungenutzten
Wasserturms zu einem Hotel bis heute nicht durchgesetzt, eine Mehrzweckhalle
für Großveranstaltungen auf dem nahegelegenen Heiligengeistfeld
aufgrund zu erwartender Proteste nicht realisiert, der 1989/90 gegründete
städtische Sanierungsträger für die »behutsame
Stadterneuerung« als kompetenz- und kritikloser Bauverein
der Stadt geoutet. Zudem existiert ein veritables Dienstleistungsnetz
der Szene von Kneipen, Cafés, Buch- und Schallplattenläden
und Taxikollektiven bis zu Klamottenläden sowie einigen sozialen
Einrichtungen, die StadtteilaktivistInnen Lohn und Brot garantieren.
Dazu eine Reihe durchgesetzter Wohnprojekte und das autonome Stadtteilkulturzentrum
Rote Flora, das seit November 1989 bis heute besetzt ist und in
Selbstverwaltung ohne bezahlte Stellen arbeitet.
Jedoch dieses freundliche und harmonische Bild entspricht
natürlich so nicht den Tatsachen und es hat nur wenige Jahre
gedauert, bis sich in linken politischen Zusammenhängen herumgesprochen
hatte, daß sich die Rede von unseren Vierteln eigentlich verbietet.
Mittlerweile ist die Auffassung konsensfähig geworden, daß
allein die relative Konzentrierung von Menschen mit einer link(sradikal)en
Weltanschauung in einigen Stadtteilen Hamburgs diese nicht schon
deswegen zu lokal befreiten Gebieten der politischen Glückseligkeit
adelt. Erstaunlicherweise scheint sich genau diese Ansicht jedoch
in jüngerer Zeit bei ganz und gar nicht autonomen Zeitungen
wie dem Hamburger Abendblatt, dem Spiegel oder der Hamburger Morgenpost
etabliert zu haben. Hätten sie recht, dann hätte es im
Schanzenviertel bis vor einiger Zeit eine glückselige Ära
gegeben, einen multikulturellen Stadtteil, in dem alle toleranten,
liberalen und alternativen Idealen verpflichtet nett nebeneinander
her lebten; zwar sorgten überspannte Autonome hin und wieder
mal für Putz, aber irgendwie gehörten sie doch zum Flair
dieses anderen Stadtteils dazu...
Auslöser dieser bizarren Fürsprecherei alternativer Viertelromantik
sind schwarzafrikanische Dealer nebst sich etablierender offener
Drogenszene, die sich aufgrund der Vertreibung aus dem Innenstadtbereich
seit 1995/96 auch ins Schanzenviertel verlagert hat. Sie sollen
den alternativen und bunten Stadtteil aus der Bahn geworfen haben
und lassen nunmehr sogar (ehemalige) Linksalternative und GrünenpolitikerInnen
nach der Polizei rufen.
Was ist in der politischen Arbeit der letzten zehn Jahren schiefgegangen,
daß es nun so aussieht, als ob sich StadtteilbewohnerInnen,
Teile der linken Szene des Viertels und die rechte bürgerliche
Presse in einer Allianz mit der Polizei wiederfinden?
Dieser Beitrag wird nicht die aktuellen Konflikte über die
Frage des richtigen Umgangs mit dem Problem einer offenen Drogenszene
und den damit verknüpften Auseinandersetzungen behandeln. Er
wird allerdings die aktuellen Konflikte im Hamburger Schanzenviertel
zum Anlaß nehmen, sie als vorläufigen Endpunkt einer
falsch angelegten antikapitalistischen Strategie der autonomen Linken
im Kampf gegen staatlich verantwortete Stadtentwicklungspolitik
erkennbar zu machen.
Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des sich seit 1990 für MigrantInnen
verschärfenden gesellschaftlichen Klimas und dem forcierten
Entzug des öffentlichen Raums für Obdachlose und KonsumentInnen
illegalisierter Drogen müssen Handlungsstrategien der Vergangenheit
grundsätzlich neu entwickelt werden die noch 1988 im
Zusammenhang mit der Phantom-Verhinderung geäußerte Hoffnung,
daß z.B. die im Schanzenviertel lebenden Menschen ihre Interessen
mal selbst in die Hand nehmen, muß im Schanzenviertel des
Jahres 1998 als latente rassistische Drohung verstanden werden...
II.
Um die zentrale Bedeutung des »Standorts Hamburg« im
Wettbewerb der europäischen Dienstleistungs- und Medienmetropolen
erfassen zu können, müssen zunächst die Fragen und
Probleme der städtischen Raumentwicklung seit den siebziger
Jahren in den Blick genommen werden. Diese abstrakt anmutenden Facherörterungen
haben nämlich für die in den innenstadtnahen Bereichen
lebenden Menschen sehr konkrete Auswirkungen alle wichtigen
Großprojekte, die in den letzten zehn Jahren im innenstadtnahen
Bereich projektiert wurden, hängen unmittelbar mit solchen
ökonomischen standortpolitischen Grundsatzentscheidungen zusammen.
Die Stadtentwicklung Hamburgs folgt den gängigen Mustern wiedererstehender
Großstädte in der BRD nach dem Ende des Krieges 1945.
Von ursprünglich 552.000 Wohnungen vor 1939 waren im Mai 1945
lediglich noch 226.000 bewohnbar, Hamburg hatte durch Tod oder Flucht
800.000 seiner ursprünglich 1,8 Millionen EinwohnerInnen verloren.
Der rasche Wiederaufbau konzentrierte sich zunächst auf die
nur teilweise zerstörten Gebäude und bereits 1950 lebten
wieder 1,5 Millionen EinwohnerInnen in 390.000 Wohnungen. Der Wirtschaft
boten sich optimale Ausgangsbedingungen, denn wenn auch große
Teile der Bausubstanz in Schutt und Asche lagen, so waren doch wichtige
Teile der notwendigen Infrastruktur erhalten geblieben. Ausreichend
zur Verfügung stehende qualifizierte Arbeitskräfte, niedrige
Löhne, hohe Arbeitsintensität, günstige Abschreibungssätze
und Wiederaufbaukredite bescherten der Wirtschaft die besten Zukunftsperspektiven.
Die staatliche Stadtplanung konzentrierte sich nach der unmittelbaren
Phase des Wiederaufbaus auf den Wohnungsbau am Stadtrand zur Linderung
der Wohnungsnot. Ansonsten beschränkte sich die Planungsphilosophie
der Behörden darauf, »dem Zuge der natürlichen Entwicklung
eine lenkende Hand« zu bieten. Mit den ersten konjunkturellen
Krisen zeigte sich in der BRD die Grenze einer nach den Gesetzen
der freien Marktwirtschaft praktizierten Stadtplanung. Der Beginn
einer planvollen und standortorientierten Stadterneuerungspolitik
in Hamburg kann so auf Ende der sechziger, Angang der siebziger
Jahre datiert werden.
Zwischen 1961 und 1970 verloren die innenstadtnahen Wohngebiete
Hamburgs über 140.000 EinwohnerInnen. Gleichzeitig nahm im
Umland die EinwohnerInnenzahl um 102.000 zu. Dafür waren mehrere
Faktoren verantwortlich. In Hamburg hatten sich die Preise für
Bauland bis zu versechsfacht, maximale Profite ließen sich
in innenstadtnahen Gebieten immer weniger durch Wohnnutzung des
Altbestands als vielmehr durch Abriß und Neubau erzielen.
Der alteingesessenen Bevölkerung, die sich in der Regel die
Neubaumieten nicht leisten konnte, blieb nur der Umzug an den Stadtrand
oder das Ausweichen in günstigen Wohnraum anderer Quartiere.
Diese Entwicklung verschärfte sich durch die Nachfrage von
Betrieben nach citynahen und damit zentralen Standorten; die dortigen
Wohngebiete mußten Verwaltungsneubauten weichen, die Innenstadt
verlor ihre Wohnfunktion. Neben der Vertreibung vieler InnenstadtbewohnerInnen
zogen viele Angehörige der Mittelschicht freiwillig an den
Stadtrand.
Für die innenstadtnahen Wohngebiete hatte diese Entwicklung
weitreichende Folgen: »Investitionen in den Wohnungsbestand
blieben aus sei es, weil die Gebiete unter Umwandlungsdruck
durch die Ausweitung tertiärer Nutzung [also des Dienstleistungsbereiches]
schienen, sei es, weil an der Peripherie oder im Umland attraktivere
Standorte vorhanden waren. Kaufkraftverluste führten zu geringeren
Angebot an privatwirtschaftlich finanzierten Waren und Dienstleistungen,
Bevölkerungsverluste führten zur Umstrukturierung oder
Reduzierung öffentlich finanzierter Dienstleistungen. Sanierungen
und Modernisierungsprogramme schienen die einzig geeigneten Maßnahmen,
die innenstadtnahen Gebiete im Wert zu erhalten und private Investitionen
wieder anzuregen.«
Diese verbesserten Rahmenbedingungen wollte der Hamburger Senat
durch eine gezielte Strukturpolitik bereit stellen. Im Modell der
»Zentralen Standorte« war neben der Schaffung ausreichender
Flächen für Betriebe die Planung von in den gewachsenen
Stadtteilen angesiedelten Einkaufszentren festgeschrieben. Das sollte
die Innenstadt entlasten. Diese Entlastung hatte allerdings einen
auch heute noch aktuellen Hintergrund: Die weniger kaufkräftigen
KonsumentInnen sollten und sollen an die regionalen Einkaufszentren
gebunden werden, damit die repräsentativeren innerstädtischen
Gewerbe sich auf eine zahlungskräftigere Klientel und deren
Nachfrage nach gehobenen Konsumgütern konzentrieren können.
Diese Ideologie der geteilten Stadt erfuhr ihre Fortsetzung in der
geplanten Aufwertung innenstadtnaher Wohnlagen durch Sanierungsmaßnahmen,
deren Ziel der damalige Leiter der Abteilung »Grundsatzfragen
der Planung« in der Hamburger Baubehörde, Lindemann,
so formulierte: »Bei zwangsläufig begrenztem Wohnungsangebot
blockieren untypische Citybewohner wertvolle Wohnflächen.
Aus dieser Sicht kann eine Verlagerung bisheriger Innenstadtbewohner
durchaus politisch erwogen werden.« Neben wirtschaftlichen
Motiven spielten in diesem Szenario offensichtlich auch sozialpolitische
Ordnungsstrategien eine wichtige Rolle. In einem Papier der »Arbeitsgruppe
St. Georg«, der auch Vertreter der Baubehörde angehörten,
wurde über die in dem gleichnamigen innenstadtnahen Viertel
lebenden Menschen geschrieben: »Die Sozialstruktur entspricht
überwiegend der relativ geringen Wohnqualität dieses Gebietes.
Sie entspricht damit nicht dem hochwertigen Standort.« Auch
die stadteigene Wohnungsgesellschaft Neue Heimat hatte schon ihre
eigenen Vorstellungen für die notwendige Umgestaltung des hochwertigen
Standorts St. Georg: »In erster Linie ist dabei an die urban
anspruchsvolle Gruppe der Führungs- und Spitzenkräfte
zu denken, auf die bei der Standortwahl Rücksicht zu nehmen
ist. Sie dürfte nicht gewillt sein, in ein kulturell und zivilisatorisch
unterentwickeltes Milieu zu gehen. (...) Der eigentliche Bezugspunkt
des Faktors Attraktivität ist mithin der orts-, ja gebietsfremde
Mensch von einigem Niveau. Er soll kommen, sich wohl fühlen
und bleiben.« Etwas verklausulierter, aber in der Konsequenz
nicht weniger drastisch, erklärte der damalige Hamburger Bürgermeister
Klose im Januar 1975 in einer Regierungserklärung: »Die
Umlandwanderung auch die innerstädtische Wanderung
führt besonders in Stadtteilen mit zum Teil schon erheblichen
städtebaulichen Mängeln, z.B. Ottensen, St. Georg, St.
Pauli, Wilhelmsburg, zu unerwünschten sozialstrukturellen Umschichtungen.
Die nach Alter und Einkommen mobilen Bevölkerungsgruppen verlassen
die ihnen z. B. aufgrund eines gestörten Wohnumfeldes
nicht mehr zusagenden Wohnungen in diesen Stadtteilen. Durch
Zuzug von sozial schwächeren Gruppen entwickelt sich eine Bevölkerungsstruktur,
in der der Anteil der sozial Schwachen und der Randgruppen immer
mehr zunimmt.« Die vor diesem Hintergrund geplanten (Flächen-)Sanierungen
wurden dann aber aufgrund der sich verschlechternden Finanzsituation
der Stadt Hamburg erst verschoben und schließlich aufgegeben.
Bestand hatte jedoch das ideologische Rüstzeug, mit dem in
Hamburg das staatliche Geschäft der Stadterneuerung betrieben
wird. Die Rhetorik ist heute weniger grobschlächtig, die Umsetzung
der Stadtentwicklungspolitik etwas eleganter, in ihren Zielen aber
seit den siebziger Jahren unverändert.
Bis Anfang der achtziger Jahre kam eine planvolle Diskussion um
die zukünftige Stadterneuerungspolitik bei den verantwortlichen
Behörden in Hamburg fast vollständig zum Erliegen. Das
Programm der »Sanierung in kleinen Schritten« entfaltete
keine größere Wirkung. Erst 1982 deuteten sich mit der
durch den damaligen Bürgermeister von Dohnanyi initiierten
Diskussion um den »Standort Hamburg« neuformulierte
Ziele der Stadtentwicklungspolitik an. Hintergrund dieser Diskussion
waren die sich seit Ende der siebziger Jahre abzeichnenden weltweiten
ökonomischen Umstrukturierungsprozesse. Kennzeichen dieser
Entwicklung waren und sind das massenhafte Verschwinden von Arbeitsplätzen
im Produktionsbereich der klassischen Industrienationen und deren
Verlagerung in den Trikont. Demgegenüber entstehen neue Arbeitsplätze
in Bereichen wie der Mikroelektronik, Bio- und Gentechnologie und
in Branchen wie der Informationsverarbeitung und Unternehmungsberatung.
Diese hochqualifizierten Arbeitsplätze nehmen jedoch nur in
jenen Großstädten überdurchschnittlich zu, die Sitz
der Konzerne der neuen Wachstumsbranchen sind: Die Metropole der
Zukunft übernimmt Headquarter-Funktionen. Während Unternehmen
zunehmend weltweit operieren, konzentriert sich das Management an
einigen wenigen Orten. Daß Hamburg Teil dieses Wettbewerbs
der »Metropolen der Zukunft« sein will, hat der Senat
in den folgenden Jahren deutlich gemacht: »Die Politik schafft
die Voraussetzungen, unter denen die Wirtschaft entweder gedeiht
oder verkümmert.« 1987 gab der Hamburger Senat die sog.
Olympiastudie in Auftrag, die die Machbarkeit einer Olympiade 2004
in Hamburg untersuchen sollte. Diese Studie war zugleich ein Gutachten
zukünftiger Stadtentwicklungspolitik, denn: »Zwischen
dem, was hier zur Stärkung der Metropolenfunktion im Sinne
der wohlverstandenen Hamburger Entwicklungsinteressen als notwendig
bezeichnet wurde, und dem, was die Stadt für eine erfolgreiche
Bewerbung um die Olympischen Spiele 2004 tun muß, besteht
weitgehende Kongruenz. Denn eine attraktive Metropole ist zugleich
Gewähr für eine erfolgreiche olympische Bewerbung.«
Das Gutachten entwickelte auf 450 Seiten, welche Maßnahmen
Hamburg treffen sollte, um eine der Metropolen der Zukunft werden
zu können. Die Studie grenzt dabei ein, wem diese Attraktivitätssteigerungen
zugute kommen sollen: »Was heute dynamischen Ballungsgebieten
ihren Weg zu Industrie- und Dienstleistungsmetropolen der Zukunft
besonders erleichtert, ist ihre vergleichsweise hohe Attraktivität
für jene aufstiegsorientierten Mittelschichten, welche Träger
des zur Bewältigung nicht-routinisierbarer Funktionen unabdingbaren
Humankapitals und damit zentraler Ansatzpunkt jener Revitalisierungsstrategien
sind, nämlich die hochqualifizierten Techniker, Manager und
Verwaltungsfachleute sowie Informationsvermittler. Diese Schicht
bevorzugt die Vorzüge einiger weniger ausgewählter Großstadtregionen,
ohne jedoch die Nachteile der klassischen Industriestädte in
Form beengter Wohnumfelder und einer belasteten Umwelt in Kauf nehmen
zu wollen. Hamburg darf sich neben München, Frankfurt,
Stuttgart und Düsseldorf/Köln zu diesem engsten
Kreis zählen.« Die Stärkung entscheidender Standortmerkmale
stellt die Konkurrenzfähigkeit einer Stadt sicher. Da in einer
Stadt wie Hamburg die »harten« Standortfaktoren (Verkehrsanbindung,
Energieversorgung, Erziehungs- und Gesundheitswesen u.ä.) weitgehend
entwickelt sind, gewinnen die sogenannten »weichen«
Standortfaktoren entscheidende Bedeutung. Damit sind vor allem das
Image als weltoffene Metropole, kulturelle, soziale und städtebauliche
Attraktivität und der Freizeit- und Erholungswert der Stadt
und des Umlandes gemeint. Ein Schlüsselbereich ist der Bereich
der Kultur. Einmal als »weicher« Standortfaktor, andererseits
aber auch handfest wirtschaftlich: »Die Trumpfkarte aber ist
die Kultur in sie wird überall trotz Geldknappheit
investiert. Mit aufwendigen Kulturangeboten soll die Anziehungskraft
für hochqualifizierte Arbeitskräfte, damit für die
Ansiedlung bzw. Expansion moderner Betriebe und für auswärtige
Besucher gesteigert werden. Es ist ein Angebot weniger für
die, die bereits am Ort wohnen, als für jene, die noch kommen
sollen. (...) Die eigene Bevölkerung wird zum Statisten jener
Inszenierung, mit denen man Zuwachs herbeilocken will. Aber Kultur
ist nicht nur Standortfaktor im Kampf um alles Gehobene:
gehobene Technologie, gehobene Mittelschicht, gehobenen Städtetourismus,
sondern mehr und mehr selber unmittelbarer Beitrag zum Bruttosozialprodukt.«
III.
Ende 1987 nun bahnte sich nahezu unter Ausschluß der Öffentlichkeit
ein millionenschweres Geschäft zwischen der Stadt Hamburg und
dem Musicalproduzenten Friedrich Kurz an. Kurz beabsichtigte im
ehemaligen Flora-Theater, das zuletzt ein Kaufhaus beherbergte,
das Musical »Phantom der Oper« aufzuführen. Dazu
sollte der größte Teil des hundert Jahre alten Theaters
abgerissen werden, um einem 7stöckigen Theaterneubau für
2.000 BesucherInnen zu weichen. Lediglich die historische Vorderfront
sollte als werbeträchtiger Hinweis auf die Tradition des Gebäudes
stehenbleiben. Der damalige Kultursenator erhoffte sich »Eine
große kulturelle Chance, Hamburg zur erfolgreichsten deutschen
Stadt für modernes Musiktheater zu machen.« Genauer brachte
die Finanzsenatorin das städtische Interesse an dem Großprojekt
auf den Punkt: »Das Engagement des international erfolgreichen
Cats-Produzenten Friedrich Kurz im Schanzenviertel wird nicht nur
die Attraktivität dieses Stadtteils weiter steigern, ganz Hamburg
wird davon profitieren.« Daß der Blick des Investors
gerade auf das Schanzenviertel gefallen war, wird den Wirtschaftsstandort-Strategen
in ihr Konzept gepaßt haben. So charakterisierte die Baubehörde
1989 in einem internen Papier das Schanzenviertel samt umliegender
Quartiere (die die sog. Westliche Innere Stadt kurz WIS
bilden) folgendermaßen: »Die hervorragenden Standortqualitäten
der WIS und die noch vorhandenen Potentiale eines weiteren behutsamen
Aus- und Umbaus stellen für dieses Gebiet Chancen für
eine positive Entwicklung in der Zukunft dar; sie können andererseits
aber auch zu Problemen endogener und exogener Art führen. (...)
Wegen dieser Standortmerkmale ist anzunehmen, daß das hier
behandelte Gebiet auch zukünftig im Blickfeld von privaten
Investoren und vielfältigen Nutzungsnachfragen bleiben wird.«
Da das Schanzenviertel und die umliegenden Viertel eine nahezu geschlossenen
Altbaustruktur aufweisen, erklären sich die »vielfältigen
Nutzungsnachfragen« aus der »Attraktivität des
Städtebildes«, einer jener »weichen« Standortfaktoren,
die im Wettbewerb um die »aufstiegsorientierten Mittelschichten«
ein wichtiger Aspekt sind. Daher konnte es in den Augen der StandortstrategInnen
nur ein Glücksfall sein, daß ein privater Investor im
Schanzenviertel ein Projekt in der Wachstumsbranche der Zukunft,
der Kultur, plante. Im Januar 1988 jedenfalls schienen die Würfel
gefallen zu sein: Die Stadt Hamburg einigte sich mit Kurz und der
Stella Productions GmbH, Kurz bekam das Flora-Theater zugesprochen
und im Mai 1989 sollte pünktlich zum 800. Hafengeburtstag das
neue Musicaltheater eröffnen.
Und die BewohnerInnen des Schanzenviertels? Bis zu einer »Bürgeranhörung«
im März 1988 hörten sie von offizieller Stelle nichts,
alle Informationen mußten den Zeitungen entnommen werden.
Die linken Zusammenhänge und Initiativen des Viertels gaben
sich mit derart spärlichen Informationen nicht zufrieden. Sensibilisiert
durch die Kämpfe für die Durchsetzung der Hafenstraße
1986/87 gab es eine Basis für eine Auseinandersetzung über
die Ursachen und Folgen staatlich verantworteter Stadtentwicklungspolitik.
So wie die Hafenstraße für Formen alternativen und kollektiven
Wohnens stand, war sie auch ein Symbol für die Verhinderung
einer Abrißsanierung am Hafenrand und nachfolgender völliger
Umgestaltung des dortigen Wohnquartiers.
Unter dem Slogan »Schmeißen wir das Phantom aus dem
Viertel« organisierte sich eine linke Initiative, die das
Projekt zu verhindern versuchte: die Flora-Gruppe. Bereits im Januar
88 veröffentlichte sie ein Flugblatt, in dem sie in einer
ersten Einschätzung versuchte, den Zusammenhang des Phantom-Projekts
mit langfristigen Sanierungszielen herzustellen. In ihm wurden grundsätzliche
Positionen vertreten, die rückblickend kritisch kommentiert
werden müssen. Unter anderem erklärten die VerfasserInnen:
»Die Sanierung wird unseren Lebensraum derart umgestalten,
daß wir in unseren eigenen Vierteln zu Fremden werden, bis
wir diese mehr oder weniger freiwillig verlassen. So versuchen sie,
in unseren Alltag einzudringen, uns unserer Lebensweise zu berauben,
uns voneinander zu trennen, damit wir nicht mehr miteinander reden
können. So versuchen sie unseren Widerstand zu brechen. (...)
Doch damit nicht genug. Hamburg soll nicht nur von kritischer Meinung
befreit werden, Hamburg soll auch schön sein. Nicht nur der
neue Rathausmarkt soll so schön steril-kühl sein. Hamburg
muß repräsentieren können. Die Medienstadt Hamburg
darf glänzen, nicht nur mit einem halben Dutzend neuer Radioprogramme.
Die Kulturstadt Hamburg muß neben Operettenhaus und Flora
auch schöne Vorzeige-Stadtviertel haben, gerade in der Nähe
dieser Kulturpaläste. Das High-Tech-Zentrum Hamburg soll nicht
nur mit sterilen Produktionshallen aufwarten, sondern auch mit sterilen
Bürgersteigen.«
In diesem kurzen Ausschnitt des Flugblatts lieferte die damalige
Flora-Gruppe das zentrale Argumentationsmuster, das sich durch den
gesamten Kampf der Phantom-Verhinderung zog: Das Schanzenviertel,
das »sich« ein halbwegs intaktes soziales und politisch-widerständiges
Gefüge erhalten hätte, werde durch ein kommerzielles Großprojekt
(etwas Fremden) okkupiert und quasi besetzt. Angesicht des im Flugblatt
angeführten Bildes des Lebensraums, der Befürchtung, im
eigenen Viertel zum Fremden zu werden, eines angedeuteten kolonialen
Bedeutungszusammenhangs des Eindringens, Beraubens, des Voneinandertrennens,
werden »territorial« belegte Assoziationen geweckt.
Es wurde zwar auch eine hier zunächst noch sehr oberflächliche
Analyse der ökonomischen Hintergründe beigefügt,
die in der Formel zusammenfiel: Unser Viertel vor ökonomischer
Umstrukturierung schützen. Ein problematisches Identifikationsangebot,
denn bei Unterschlagung der ökonomischen Ursachen bleibt schnell
nur noch die Parole »Unser Viertel schützen...!«
übrig. Im günstigsten Fall nährt sie harmlose folkloristische
Vorstellungen eines befreiten oder zu befreienden »eigenen«
Viertels, im ungünstigeren Fall bildet sie die Projektionsfläche
für allerlei reaktionäre Phantasien darüber, vor
wem oder was das Viertel geschützt werden müsse.
Hier befand sich der szeneinterne Diskurs in unangenehmer Nähe
zum Herrschaftsdiskurs, der noch in den siebziger Jahren Stadtteile
als kulturell und zivilisatorisch unterentwickeltes Milieu abqualifizierte.
Die Nähe besteht zwar nicht in einer inhaltlichen Übereinstimmung,
aber in der gemeinsamen Haltung, den realen geographischen
Ort mit dem eigenen (ideologisch besetzen) Bild von ihm zu
verwechseln. Bei der Flora-Gruppe, bzw. innerhalb der im Schanzenviertel
entstehenden Zusammenhänge gegen das Phantom, führte dies
dazu, der allzu einfachen Suggestion eines »Oben gegen Unten«
ebenso zu erliegen, wie dem Glauben, daß es eine Bewegung
aller im Stadtteil lebenden Menschen gegen das Phantom-Projekt geben
könnte. Daß die Mehrzahl der im Schanzenviertel lebenden
Menschen das Phantom-Projekt vielleicht vor allem aus diffuser Sorge
ablehnte, daß irgendwelche Fremden im eigenen Vorgarten herumtrampeln,
ihnen aber alle weiteren Zusammenhänge piepegal sind, mag sich
erst aus der Position des rückblickenden Besserwissers erschließen.
Tröstlich, daß auch den politisch Verantwortlichen für
das Phantom-Projekt der Blick auf die Realität im Stadtteil
verstellt war, sie waren davon überzeugt, daß dem dahindämmernden
Schanzenviertel mit dem Musicalprojekt neues Leben eingehaucht werden
würde und nunmehr eine glänzende Zukunft in der Westlichen
Inneren Stadt anbrechen würde. Unvorstellbar, daß das
millionenschwere Projekt durch Proteste der im Stadtteil lebenden
Menschen gefährdet werden könnte. Diese grandiose Fehleinschätzung
führte zu einer Politik, die in bewährter Manier davon
ausging, daß sich mit der eiligen Schaffung von Tatsachen
der Protest irgendwann totlaufen würde mit den restlichen
autonomen Spinnern und Chaoten würde die Polizei schon fertig
werden. Es sollte aber anders kommen.
Bereits im März 88 hatte die Initiative hunderte Unterschriften
gegen das Phantom-Projekt im Viertel gesammelt. Weitere Aktionen
wie kleine Demos zum Cats-Musical, Besuche bei der Stella GmbH und
symbolische Besetzungen des Flora-Theaters machten das Projekt zum
Gesprächsthema Nr.1. Als im April 88 der größte
Teil des historischen Theaters unter Polizeischutz abgerissen wurde,
kippte die Stimmung und nicht die Initiativen mußten sich
für ihren Widerstand gegen das Phantom-Projekt rechtfertigen,
sondern der Hamburger Senat für die Art und Weise, in der er
versuchte, das Projekt im Schanzenviertel durchzusetzen. Außer
einer zweiten »Bürgeranhörung« im Mai war
von Seiten der politisch Verantwortlichen jedoch Sendepause. Demgegenüber
wuchs die Bewegung der ProjektverhinderInnen wöchentlich. Sabotageaktionen
auf der Flora-Baustelle, die regelmäßige Niederlegung
des Bauzaunes, Brandanschläge auf Bau- und Vermessungsfirmen,
Entglasungsaktionen bei an der Finanzierung beteiligten Banken und
schließlich eine Bauplatzbesetzung im Juni 88 verliehen
dem Widerstand das, was im PR-Jargon »Meinungsführerschaft«
genannt wird. Denn weder konnte die hilflos agierende Polizei den
ständigen nächtlichen Aktionen beikommen (es gab monatelang
fast keine Festnahmen), noch fruchtete der Versuch, den Widerstand
an der berühmten »Gewaltfrage« zu spalten. Im Gegenteil,
eine im Frühjahr parallel zu den Flora-Gruppe entstehende Anwohnerinitiative,
deren Aktionen sich eher im Rahmen klassischen Bürgerprotests
bewegten, erklärte: »Wir distanzieren uns keineswegs
von Gewalt. Es kommt ja darauf an, welche Art von Gewalt es gibt.
Es gibt ja auch ganz genau die Gewalt, die der Staat oder die Gewalt,
die Herr Kurz uns antun will mit seinen 2.000 Leuten.« Und
weiter: »Es ist doch so, leider so, erst wenn Steine fliegen,
fängt der Senat an, nachzudenken.« Schließlich:
»Wenn es nicht zu Randale gekommen wäre, wäre wahrscheinlich
gar nichts passiert.« Eine Erklärung der Senatspressestelle
vom Juli klingt etwas kleinlaut, »berechtigte kommunale Fragen
müssen und können beantwortet werden« und stellt
fest, die Akzeptanz für das Projekt müsse »vorbereitet«
(!) werden. Als im August 1988 der Senat trotz aller Proteste nochmals
in einem Beschluß bekräftigte, das Projekt durchziehen
zu wollen und für die Dauer der Bauarbeiten und darüber
hinaus Polizeischutz zusicherte, war das am wenigsten geeignet,
die Akzeptanz herzustellen. Es waren schließlich die Investoren,
die einsahen, daß das Projekt im Schanzenviertel nicht mehr
durchsetzbar war und die den Standort aufgaben. Es wurde ein neuer
gesucht und gefunden: Keine 800 m entfernt vom alten Flora-Theater,
aber außerhalb des Schanzenviertels, wurde das »Neue
Flora-Theater« aus dem Boden gestampft.
IV.
Im Herbst 1988 war ein 30 Millionen Projekt im Schanzenviertel verhindert
worden. Doch dieser Erfolg hat der »breiten« Bewegung
die Basis entzogen. Statt gemeinsam eine Perspektive für das
arg lädierte Flora-Restgebäude und das dahinter liegende
Gelände zu entwickeln, verlief sie sich. Übrig blieben
die Flora-Gruppe und ein Rest von AktivistInnen. Es wiederholte
sich die vielfache Erfahrung sozialer Bewegungen: Wenn ein (Groß-)Projekt
als Bedrohung für die eigenen Lebenszusammenhänge erkannt
wird, lassen sich viele mobilisieren, es entsteht ein Geflecht zunächst
labiler Kontakte zwischen verschiedensten Menschen. Eine »Wir-sitzen-im-gleichen-Boot«-Mentalität
gegen das als bedrohlich empfundene Projekt sorgt für eine
Dynamik, die bei günstiger Konstellation so scheint
es Berge versetzen kann. Oder 30 Millionen. Doch am Ende
einer Auseinandersetzung bricht die Mobilisierung zusammen
wobei es zumeist egal ist, wer sich durchgesetzt hat. Ein kontinuierliches
Engagement größerer Bevölkerungsteile über
die unmittelbare Betroffenheit hinaus ist offenbar selten möglich.
Im Schanzenviertel war eine paradoxe Situation entstanden: Einerseits
wurde durch die Senatsplanungen und die Versuche, sie durchzusetzen,
erneut deutlich, daß weniger die Interessen der im Stadtteil
lebenden Menschen, als vielmehr standortpolitische Erwägungen
die Politik in Hamburg bestimmen. Andererseits hatte der Widerstand
im Stadtteil die konkreten Auswirkungen eines Phantom-Projekts verhindert,
aber die grundsätzliche Linie der Standortpolitik in Hamburg
nicht angreifen können. Folgerichtig glaubten nicht wenige,
daß die Verhinderung des Projekts ein Scheinsieg gewesen sein
könnte, weil »ein Erfolg suggeriert wurde, der real nicht
besteht, aber einzelne Leute beruhigen könnte«.
So gesehen war man auf den Stand von Januar 1988 zurückgeworfen.
Unausgesprochen gab es allerdings die Hoffnung, mit der Erfahrung
des Phantom-Widerstands langfristig eine Mobilisierung gegen eine
Sanierungspolitik, die darauf angelegt ist, die Verwertungsbedingungen
des Kapitals zu verbessern, zu initiieren. Dieser Ansatz riskierte
allerdings, den Fehler der Neuen Linken seit den 70er Jahren zu
wiederholen, die glaubte, daß Menschen, wenn sie nur im »eigenen«
Stadtteil die Arroganz der staatlichen Vertreibungs- und Sanierungspolitik
erlebten, sich sozusagen automatisch zu potentiell revolutionären
Subjekten wandeln würden. Das eingangs beschriebene Plakat
»Den Widerstand in den Vierteln organisieren« bekam
unfreiwillig illustrativen Charakter, denn so einsam, wie der vermummte
Mann da vor den Barrikaden steht, waren wohl auch jene, die nicht
nur unser Viertel vor dem Unbill eines kommerziellen Großprojekts
schützen wollten, sondern hier einen Ansatz für eine antikapitalistische
Strategie sahen.
Aber was hieß eigentlich »antikapitalistische Strategie«?
Diese Frage wurde während der Phantom-Verhinderung vor allem
durch pragmatischen Eifer beantwortet. Die herkömmliche Auffassung,
daß sich die Praxis aus der Theorie ergebe, wurde dahingehend
modifiziert, daß die Praxis der Theorie eines »Kampfes
gegen kapitalistische Verwertungsstrategien des öffentlichen
Raumes« voranging. Soweit die theoretische Fundierung in Broschüren
und Veranstaltungen in den Jahren 1989/90 nachgeholt wurde, bestand
in den Zusammenhängen der autonomen Szene etwa folgender Konsens:
Billiger und ausreichender Wohnraum ist ein Menschenrecht; Mietpreise
dürfen nicht den profitorientierten Marktgesetzen unterliegen;
Wohnen soll in solidarischen und nachbarschaftlichen Strukturen
stattfinden können und Möglichkeiten kollektiven Zusammenlebens
jenseits der bürgerlichen Kleinfamilie und sozialer Kontrolle
bieten; Wohnen und Arbeiten sollen nicht zwangsläufig räumlich
getrennt sein; die Diskussion über Inhalt und Umsetzung stadtplanerischer
Entscheidungen soll ein offener Prozeß sein, an dem alle Betroffenen
teilnehmen können und in dem deren Bedürfnisse Maßstab
für die Entscheidungsfindung sein müssen im Idealfall
bis zum Konsens. Dieses noble Programm verdeckte jedoch Konfliktlinien,
indem es unterstellte, daß alle (BürgerInnen, Autonome,
PunkerInnen) gegen die da oben (PolitikerInnen, Kapitalisten etc.)
die gleichen Interessen verfolgten.
Im Gegensatz zu vielen alteingesessenen BewohnerInnen konnten sich
Szene-WGs allerdings Altbauwohnungsmieten leisten, die über
dem Mietenspiegel lagen und sie haben damit kräftig an der
Preisspirale mitgedreht. Sollte der erfolgreiche Abschluß
des Studiums nicht für die Finanzierung teuren Wohnraums reichen,
boten alternative Wohnprojekte immer noch die Chance langfristig
bezahlbaren Wohnens. Und wenn die Sanierung nebst Zuweisung einer
Umsetzwohnung für WGs zumeist die lange aufgeschobene Renovierung
ersetzte, brachte der gleiche Vorgang für im Stadtteil lebenden
MigrantInnen-Haushalte oft handfeste Probleme. Boten geräumige
Altbauwohnungen auch für illegalisierte MitbewohnerInnen Platz,
richtete sich die Größe der zugewiesenen Umsetzwohnung
nach der Zahl der offiziell gemeldeten Haushaltsmitglieder; es konnte
also passieren, daß Wohnungen viel zu klein waren von
derlei »Spitzfindigkeiten« war in keinem einzigen Flugblatt
etwas zu lesen, das sich um die Vertreibung von Menschen durch Sanierungsmaßnahmen
sorgte. Genau genommen haben sich also die weißen deutschen
mittelständischen Autonomen verstärkt Sorgen um das Schicksal
ihrer weißen ViertelmitbewohnerInnen gemacht. Für wen
hat autonomer Kampf gegen Umstrukturierung dann eigentlich Partei
ergriffen?
Erfassen lassen sich solche Konfliktlinien mittels des Gentrification-Ansatzes,
der einiges für eine kritische Selbstreflektion dieses autonomen
Anti-Umstrukturierungskampfes bietet. Zunächst bezeichnet Gentrification
den »Prozeß, in dessen Verlauf zuvor verwahrloste und
verfallene innerstädtische Arbeiterviertel für Wohn- und
Freizeitnutzung der Mittelklasse systematisch saniert und renoviert
werden.« Dabei sind sog. Revitalisierer oder Pioniere TrägerInnen
dieses Prozesses. Indem sie die Trennung zwischen Wohnort und Arbeitsplatz
aufheben und ihr unmittelbares Wohnumfeld zum Mittelpunkt ihrer
Lebensführung machen, können die Pioniere Stadtteilen
im Laufe der Zeit ein anderes Gepräge geben: »Ist (...)
ein Quartier erst einmal äußerlich und durch die neuen
Bewohner auch sozial aufgewertet, verändert sich
sein Stellenwert auf dem Wohnungsmarkt: Die zahlungskräftigeren
Yuppies rücken nach, durchmischen die Szene und ziehen kapitalintensive
Aufwertungsmaßnahmen nach sich, die weit über die Ansprüche
und die finanziellen Möglichkeiten der ursprünglichen
Revitalisierer hinausgehen.« Der Amerikaner Neil Smith hat
die Theorie der Gentrification in einen sehr interessanten Kontext
eingefügt, den er mit dem Begriff der »Grenzideologie«
umreißt. Demnach definiert der Prozeß der Gentrification
den städtischen Raum, der für die offizielle Stadtplanung
und Investoren attraktiv ist. Stadträume zerfallen in Gebiete
der Investition und in solche der Deinvestition. »In der Sprache
der achtziger Jahre sind Stadt-Pioniere, Stadt-Siedler und Stadt-Cowboys
die neuen Helden der städtischen Grenze. Es gibt sogar Stadt-Pfadfinder,
die die potentiell lukrativen Bezirke aufspüren, die demnächst
fällig sind. Die gentrifizierte Stadt offenbart den Optimismus,
die Romantik und die gewinnverheißenden Aussichten der Grenze«.
Smith entwickelt diesen Analyseansatz vor dem Hintergrund der Gentrificationprozesse
in New York und stellt den Begriff der Grenzideologie in einen Zusammenhang
mit dem amerikanischen Mythos der Kolonialisierung des »Wilden
Westen«.
Diese Metaphorik wirkt auch in Hamburg, allerdings unter negativen
Vorzeichen. O-Ton Springerzeitung Die Welt vom Januar 1991: »Die
gewalttätige Subkultur [hat sich] klammheimlich ausgebreitet
und kontrolliert faktisch das Schanzen- und Karolinenviertel. Dort
geschieht nichts mehr gegen den Willen der Stadtteil-Indianer.
Die WELT dokumentiert, wie begrenzt der Behördeneinfluß
geworden ist, symbolisiert an der Bebauung der alten Flora.
Nicht nur, daß sie als Sitz eines zweiten Operettenhauses
scheiterte, auch der neue Bebauungsplan läuft nicht. (...)
Es gibt ein Areal in dieser Stadt, in der Hamburg nichts mehr zu
sagen hat.« Die Grenze ist gezogen, Stadtteilindianer haben
ein ganzes Viertel in ihrer Gewalt: Little Big Horn im Schanzenviertel?
Die Wahrheit sieht ein wenig anders aus und läßt sich
in Anlehnung an Neil Smith mit dem Bild der »GrenzgängerInnen«
so fassen: Autonomer Kampf gegen Umstrukturierung ist dort, wo er
z.B. mit militanten Aktionsformen geführt wird, fraglos eine
Möglichkeit, Investoren mit ihren Projekten zu Fall zu bringen.
Wenn jedoch soziale und kulturelle Vernetzungen der Szene diesen
Raum, den der Umstrukturierungskampf möglicherweise eröffnet
hat, »besetzen«, ist das der Beginn einer an diese Strukturen
anknüpfenden Veränderung, die ursprünglich verhindert
werden sollte. Ein Dilemma, das sich auch für das Schanzenviertel
nachzeichnen läßt. Der Kampf gegen das Phantom-Projekt
hat ein Mammuttheater mit all seinen negativen Folgen wie zunehmender
Verkehr, massiver Zuzug überregional orientierten Gewerbes
und Mietsteigerungen verhindert. Langfristig hat die Wohnqualität
im Stadtteil dadurch zugenommen wer z.B. nicht neben einem
hingeklotzten Musicalpalast wohnen wollte, der will es sicherlich
in einem davon verschonten Viertel. Polemisch zugespitzt formuliert,
muß sich autonomer Kampf gegen Umstrukturierung die Frage
stellen, ob militante Aktionen nicht nur das Korrektiv einer überhitzten
Stadtplanung sind und objektiv lediglich für langsamere und
sozialverträglicher organisierte Aufwertungsprozesse sorgen.
Indiz für solch einen Mechanismus sind neue städtische
Projekt- bzw. Sanierungsträger, in deren Programmen immer von
»behutsam«, »kleinschrittig« und ähnlichem
geredet wird. Im Hamburger Schanzenviertel ist es die »Stadterneuerungsgesellschaft«
(STEG) mit ihrem Glaubenssatz, daß Akzeptanz und Konsens der
Beteiligten Grundvoraussetzung sind für die künftige Stadterneuerungspolitik.
Der Haken ist, daß bei der »behutsamen« Herstellung
von Akzeptanz nicht das, worüber Konsens hergestellt werden
soll, in Frage gestellt wird. Nicht die Inhalte der Stadterneuerungspolitik
sollen diskutiert werden, nur die Umsetzung darf besprochen werden.
V.
Ein Versuch, nicht nur die Umsetzung beschlossener Stadtentwicklungspolitik
zu bekämpfen, sondern eigene politische Projekte zu entwickeln,
ist mit dem autonomen Stadtteilkulturzentrum Rote Flora verbunden.
Nach der Verhinderung des Phantom-Projekts sollte in dem Restgebäude
ein Gegenentwurf zur kommerziellen Nutzung realisiert werden. Zunächst
saßen die potentiellen InteressentInnen allerdings vor dem
eingezäunten und brachliegenden Baugrundstück. Es ist
der Trotteligkeit der Stadt Hamburg zu verdanken, daß die
Rote Flora ihre Pforten öffnete. Ein besonders pfiffiger Oberbaudirektor
glaubte nämlich, die übrig gebliebenen AktivistInnen auf
die Leimrute des Reformismus locken zu können und bot im Sommer
1989 den etwas verdutzten Initiativen an, sie könnten doch
im Rahmen einer sechswöchigen Nutzung mal ihr Konzept öffentlich
im Gebäude vorstellen, dann gäbe es einen Wettbewerb und
vielleicht könnten die Inis ja später in ein Stadtteilzentrum
integriert werden. Für die provisorische Herrichtung der Räume
wurde sogar ein städtischer Sondertopf angezapft, die Inis
gründeten artig einen Verein und am 23.9.1989 eröffnete
das »neue« Zentrum. Jetzt hockten die InteressentInnen
also drinnen. Selbstverständlich verließ niemand nach
sechs Wochen das Gebäude, es wurde kurzerhand für besetzt
erklärt.
Was die Flora-AktivistInnen, die unverhofft in das Gebäude
gelangt waren, verband, war das Interesse, nach der Verhinderung
des Kommerzmusicals nun eine eigene Utopie lebendiger politischer
Stadtteilkultur in einem autonomen Zentrum zu organisieren. Eine
strategische »Grundsatzentscheidung« war es, weiterhin
die Umstrukturierungspolitik des Hamburger Senats zu thematisieren.
Doch trotz eines sich gründenden Anti-Umstrukturierungsplenums,
das verschiedene Gruppen vernetzen sollte, lief diese Strategie
bereits im Winter 1990 ins Leere. Eine »breit« diskutierte
Demo im Dezember verzeichnete 200 bis 300 TeilnehmerInnen und war
bereits der finale Abgesang auf eine von vielen getragene Antiumstrukturierungskampagne.
Für das Flora-Projekt bedeutete das eine Verlagerung der politischen
Arbeit war »die« Flora zunächst der Ort
»der« Bewegung mit starker Außenorientierung ihrer
politischen Kampagnen gegen Umstrukturierung und städtische
Sanierungsträger (sowie Teil der Anfang der neunziger Jahre
auch bundesweit noch funktionierenden Vernetzung autonomer Projekte),
drehten sich seit ca. 1993 viele Diskussionen und politische Initiativen
nur noch um das Projekt selbst. Das Verhältnis zur Hamburger
Stadtentwicklungspolitik ließ und läßt sich seitdem
treffend mit der Abschreckungsphilosophie des »Gleichgewichts
des Schreckens« vergleichen: Solange es im Stadtteil keine
allzu großen stadtplanerischen Zumutungen gibt, gehen von
der Flora keine besorgniserregenden Aktivitäten aus. Auf der
anderen Seite verzichtet die Stadt auf übermäßige
exekutive Tätigkeit, die die Hamburger Polizei ansonsten auszeichnet.
Gemäß der Vorgabe des Hamburger Innensenators, politisch
motivierte Gewalt zu bekämpfen, um die Frage, ob »gewählte
Parlamente oder selbsternannte Kräfte in Hamburg« das
Sagen hätten, zu klären, oblag es in den Jahren zuvor
einer zivilen Sondereinheit der zuständigen Revierwache 16,
die Grenzen militanter Stadtteilpolitik deutlich aufzuzeigen. Die
letzte große Konfrontation in diesem Zusammenhang war die
Auseinandersetzung um den Florapark im Sommer 1991, die mit einer
Räumung des Areals durch 1.500 Polizisten endete. Danach kehrte
der bereits angedeutete Burgfrieden im Stadtteil ein. Hatte sich
1991 durch die stadtteilpolitischen Aktivitäten der besetzten
Roten Flora noch der Innensenator herausgefordert gefühlt,
reichte es fünf Jahre später gerade noch für den
erschütternden Vorwurf, in der besetzten Roten Flora einen
nichtkonzessionierten Veranstaltungsort zu betreiben. Gemessen an
der ursprünglichen Utopie, mit der Roten Flora den Kampf gegen
Umstrukturierung quasi institutionalisiert fortführen zu können,
ist das Projekt in diesem Punkt gescheitert. Neben den inhaltlichen
Defiziten eines lediglich stadtteilorientierten Politikansatzes
ist es vor allem die kräfteaufreibende Eigendynamik gewesen,
die die Organisierung und Aufrechterhaltung eines selbstverwalteten
und von staatlichen Geldern unabhängigen Projekts mit sich
bringt, die dem Projekt Flora einen Teil seiner möglichen Außenwirkung
genommen hat. Gleichzeitig vermittelte (vermittelt) die Flora den
Eindruck eines geschlossenen Zusammenhangs, so daß potentielle
NeueinsteigerInnen sich lieber andere Orte suchten (suchen), wo
sie politisch arbeiten und diskutieren konnten (können). In
dem Maße, in dem sich die Flora als nichtkommerzieller Veranstaltungsort
etablierte, schwand ihre Bedeutung als Teil einer linksradikalen
Infrastruktur politisch handelnder Gruppen in Hamburg, zumal sie
immer noch von vielen als Projekt des »Kampfes gegen Umstrukturierung«
wahrgenommen wurde und damit einem antiquierten Politikkonzept anhing.
VI.
Gerade die sich seit 1995 im Schanzenviertel etablierende offene
Drogenszene hat zu einer Renaissance stadtteilpolitischer Aktivitäten
von Gruppen in und außerhalb der Flora geführt. Seitdem
sich im Herbst 1997 Konsum und Handel illegalisierter Drogen durch
die polizeiliche Vertreibungsstrategie direkt an die Rote Flora
verlagert haben, hat sich die Flora auch als Projekt genötigt
gesehen, in diese politische Auseinandersetzung einzugreifen.
Die Erfahrungen der letzen zehn Jahre hatten immer wieder die Notwendigkeit
einer Auseinandersetzung mit militanter Intervention deutlich vor
Augen geführt. Diese Form der Militanz kann und soll nicht
mit dem staatlich-polizeilichen Gewaltpotential konkurrieren. Trotzdem
muß sich linke Politik mit der Möglichkeit, das staatliche
Gewaltmonopol aktiv infrage zu stellen, befassen. Eingebettet in
verschiedene Aktionen und eine öffentliche Diskussion über
den Sinn, z.B. sozialpolitische Probleme durch Polizeieinsätze
lösen zu wollen, können militante Aktionen im positiv
polarisieren und fokussieren: Indem sie eine vermeintliche Normalität
repressiver Polizeistrategie angreifen, zwingen sie die politisch
Verantwortlichen Stellung zu beziehen und manches Mal sogar zum
Handeln.
Im Oktober 1997 sorgte beispielsweise der Brandanschlag auf eine
mobile Wache der Polizei, die zur »Bekämpfung«
der Dealerei aufgeboten wurde, für Verblüffung innerhalb
des Polizeiapparats. Bis dahin waren die Polizeistrategen davon
ausgegangen, daß die autonome Szene in der Frage der Drogenpolitik
intern zerstritten sei und sie hatten sogar eine stillschweigende
Akzeptanz der polizeilichen Repression gegen die offene Drogenszene
für möglich gehalten. Gegenwärtig hält die Möglichkeit
einer militanten Reaktion die Polizei noch von einer übermäßigen
Eskalation ihrer repressiven Vertreibungspolitik an der Roten Flora
ab. Die Hamburger Rundschau stellte am 2. April 1998 fest: »Das
Hauptproblem für die Schanze bleibt jedoch der Mangel an Orten,
an denen die Abhängigen drücken dürfen. Längst
wird das Gelände rund um die in dieser Frage toleranten Flora
wegen der Überlastung des Fixstern [ein Druckraum in unmittelbarer
Nachbarschaft] als Konsumraum benutzt; längst hat das Forum
des Stadtteilkulturzentrums erklärt, daß wir niemanden
vertreiben und es auch nicht billigen, wenn andere es tun;
längst befürchten Polizei und Innenbehörde, daß
es in dieser Frage zu Konflikten mit militanten Flora-Aktivisten
kommen könnte. Und so stellte selbst Bossong [Drogenbeauftragter
des Hamburger Senats] am Wochenende in der Welt am Sonntag widerwillig
einen zweiten Gesundheitsraum in Aussicht.« Dies zeigt, daß
autonome Militanz punktuell etwas bewegen kann. Aber diese Form
politischen Eingreifens verkommt zum bloßen Brennende-Barrikaden-im-Schanzenviertel-Ritual,
wenn sie nicht in eine strategische Debatte über Sinn, Zweck
und Bezugspunkte autonomer Politik eingebunden ist.
Die kontroversen Diskussionen über die offene Drogenszene im
Schanzenviertel haben auch in der autonomen Szene zu einem Überdenken
bisheriger stadtteilbezogener Politik geführt. Im Herbst 1997
wurde in dem an den Stadtteil grenzenden Schanzenpark eine Aktionswoche
gegen Ausgrenzung und Vertreibung von DrogenkonsumentInnen und rassistischen
Tendenzen gegen schwarzafrikanische Dealern initiiert wobei
sich der Zusammenschluß verschiedener politischer Gruppen
bewußt einer Pflege des »Unser-Viertel«-Mythos
enthalten hat. In den folgenden Monaten hat sich eine Kontroverse
darüber entwickelt, in welcher Form und mit welchen Inhalten
autonome Politik im Stadtteil eingreift. Nach Jahren wird endlich
wieder konzeptionell über Interventionsstrategien im städtischen
Raum gestritten, und diese Debatten in der autonomen Linken im Schanzenviertel
berühren das Grundverständnis linker Politikansätze.
Geht es im Stadtteil um Aufklärung, bzw. die Schaffung eines
Bewußtseins z.B. über repressive Drogenpolitik als Teil
eines gesamtgesellschaftlichen sozialpolitischen Konzepts staatlicher
Integration und Ausgrenzung gesellschaftlicher Gruppen? Oder sind
die bisweilen reaktionären und rassistischen Vorstellungen,
die angesichts der nicht mehr zu übersehenden Drogenszene von
SchanzenviertelbewohnerInnen immer offener artikuliert werden, das
Problem, das bekämpft werden muß, weil es mit solchen
Leuten eigentlich nichts mehr zu diskutieren gibt?
Die Erfahrungen aus dem »Kampf gegen Umstrukturierung«
taugen jedenfalls nicht zur Beantwortung dieser Fragen. Allenfalls
sind sie ein Lehrstück dafür, wie sich Ideologien einer
»fortschrittlichen Viertelidentität«, oder der
Glaube, gesellschaftliche Widersprüche in einem »alternativen
Milieu« besser lösen zu können, als Irrtum erwiesen
haben. Diesen Irrtum zu benennen, ist jedoch nicht gleichbedeutend
mit einer pauschalen Absage an den Anti-Umstrukturierungskampf.
Vielmehr muß es darum gehen, ihn in einen angemessenen gesellschaftlichen
Kontext zu stellen: Es können nur jene Menschen durch Luxusmodernisierung
ihre Wohnungen verlieren, die überhaupt eine haben und nicht
als Wohnungslose mit Platzverweisen durch die Stadt getrieben werden;
die Teilnahme an Diskussionen über die Zukunft eines Stadtteils
setzt voraus, im Schatten des Ausländerrechts und »aufenthaltsbeendenden
Maßnahmen« dort überhaupt eine Perspektive zu haben.
Umstrukturierung zu bekämpfen bedeutet für die Zukunft,
Stadtentwicklung von oben als einen Teilbereich des umfassenden
Versuchs zu begreifen, die Lebens- und Arbeitswelt noch stärker
in die Logik kapitalistischer Verwertung einzubinden. Die dabei
produzierten gesellschaftlichen Widersprüche und Ungleichheiten
gehen weit über das hinaus, was der autonome Kampf gegen Umstrukturierung
(zumindest in Hamburg) in der Vergangenheit erfaßt hat. Die
zunehmende Sensibilisierung für diese Zusammenhänge läßt
hoffen, daß Anti-Umstrukturierungskampf nicht zum exklusiven
Hobby privilegierter Mittelschichtsautonomer verkommt, sondern lebendiger
Teil einer linken radikalen Praxis bleibt.
»RotFlorist«, lebt im
Hamburger Schanzenviertel.
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