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UNVERTRÄGLICH GLÜCKLICH
Widerstand und Perspektiven der Roten Flora
Diskussionspapier und Einladung zur Vollversammlung
Mittwoch 13.01.2010 um 19 Uhr in der Flora
In den letzten Monaten zeichnet sich in immer stärkerem Maße ein
möglicherweise bevorstehender Angriff auf die Rote Flora ab. Dies
kommt für uns nicht überraschend, sondern ist u.a. eingebunden in die
fortgeschrittene Umstrukturierung und Gentrifizierung des
Schanzenviertels. Wir haben weder Angst noch Panik vor einer
Bedrohung der Roten Flora. Wir sehen darin vielmehr die Möglichkeit
für eine Neubestimmung stadtpolitischer Kämpfe im Floraumfeld und die
Chance für die Entwicklung einer breiten Protestbewegung. Um dies zu
befördern, haben wir das folgende Diskussionspapier für eine
Vollversammlung am 13.01. geschrieben. Wir sind eine von vielen
Gruppen aus den Zusammenhängen der Flora und wollen uns
schwerpunktmäßig mit den politischen Rahmenbedingungen einer Kampagne
für deren Erhalt befassen.
Phäntomenale Zustände
Die Ursprünge der Roten Flora liegen in der Verhinderung des
Musicalprojektes „Phantom der Oper“ im Schanzenviertel. Nach dem
weitgehenden Abriss des ursprünglichen Flora-Theaters wurde die
zerstörte Bauruine 1989 als Stadtteilkulturzentrum besetzt.
Anschließende Vertragsverhandlungen wurden Anfang der Neunziger Jahre
von Seiten der Stadt ohne Ergebnis abgebrochen. Im Jahr 1995
zerstörte ein Großbrand das Dachgeschoss und den gesamten ersten
Stock. Mit großem Aufwand wurden diese massiven Schäden anschließend
behoben. Als die Stadt 2001 erneute Verhandlungen anbot, wurden diese
nach einer mehrmonatigen Diskussion rund um das Projekt abgelehnt.
Einerseits wurde festgestellt, dass es ohne das Engagement der
Nutzer_innen die Substanz des Hauses längst nicht mehr gäbe,
andererseits sah man die gewachsene kulturelle und politische Praxis
durch vertragliche Regelungen und Gängelungen bedroht.
»Theres not enough room to swing a cat«
Roberto Benini in »Down by law« beim Betreten einer Gefängniszelle
Dabei ging es vor allem auch um ein politisches Symbol der
Verweigerung in Zeiten, in denen repressive Mitwirkungspflichten und
die städtische Vertreibungspolitik eskalierten. Wer hier lebt, hat
sich auch an die Regeln zu halten, lautet bis heute die Devise. Die
sollen irgendwo in der Mitte der Gesellschaft verborgen sein. Einem
Ort an dem sich niemand wirklich befindet, der lediglich eine
totalitäre Verdichtung des Lebens und der Menschen auf einen Punkt
bedeutet. Es kann allerdings sehr einfach und befreiend sein, „Nein“
zu sagen und seine Energien statt in überflüssige Verhandlungen, in
konstruktive Dinge wie die Organisierung von Protest, Veranstaltungen
oder Konzerte zu lenken. Da eine Räumung dem Senat zu dieser Zeit als
politisch nicht durchsetzbar schien, wurde nach der Ablehnung von
Vertragsverhandlungen, um sich aus der Affaire zu ziehen, das Gebäude
aus städtischem Besitz an einen privaten Investor verkauft. Investor
Kretschmer wurden gleichzeitig bis März 2011 zahlreiche Auflagen
erteilt, das Gebäude keiner anderen Nutzung als der eines
Stdatteilzentrums zuzuführen und mögliche Gewinne eines Verkaufs der
Stadt zurück zu erstatten. Trat dieser anfangs mit der üblichen
gönnerhaften Haltung eines Kunst- und Kulturmäzens in Erscheinung,
änderte sich dieses Auftreten, je näher die magische Linie von 2011
rückte. Inzwischen formuliert er ganz offen seine Absicht, auf den
Betrieb des Hauses Einfluss nehmen zu wollen, bringt sich und seine
Vorstellungen zur Flora in der Presse ins Gespräch und versucht, die
Praxis des Zentrums als gescheitert darzustellen. Aber Kretschmer hat
in Wirklichkeit weder etwas zur Roten Flora noch sonst etwas zur
politischen Diskussion beizutragen.
Er ist lediglich ein vom Senat eingesetzter Märchenprinz als
virtueller Besitzer eines Luftschlosses: Einer Flora, die nicht mehr
kollektiv besetzt und autonomer Veranstaltungsort, sondern
befriedetes Eigentum sein soll. Ebensogut könnte man die Elbe und das
schlechte Wetter an einen privaten Investor verkaufen. Das Haus ist
seit vielen Jahren ein Ort der Kommunikation und wird von mehreren
hundert Menschen als Zentrum genutzt. Der Investor ist weder
Regenmacher noch Besitzer der Roten Flora. Er kennt das Projekt
lediglich aus der Zeitung und hat dort seit 10 Jahren „Hausverbot“.
Zu keinem Zeitpunkt wurde irgendeine Form von Gespräch geführt.
Jedenfalls wenn man seinen kurze Zeit nach dem Kauf abgebrannten PKW
nicht als nonverbale Kommunikation zählt.
Für einen gesellschaftlichen Begriff der Stadt und der Verhältnisse!
Die Flora vertrat von Anfang an die Position, dass sich mit dem
Verkauf des Hauses nichts am Status Quo geändert hat. Das Gebäude
blieb besetzt und der Konflikt wurde nach wie vor als einer um das
Verständnis von Gesellschaft und Stadt betrachtet. Privatisierungen
und der Rückgriff auf privatwirtschaftliche Standortinteressen gelten
als stadtentwicklungspolitische Allzweckwaffe, um sich
gesellschaftlicher Verantwortung und Begriffen von Teilhabe und
Kollektivität zu entziehen. Der Ursprung des Konfliktes um die Rote
Flora ist kein isoliertes Ereignis, sondern die Folge einer von
vielen erfahrenen strukturellen Gewalt, mit der die Städte
durchökonomisiert, zu anschlussfähigen Produktions- und Konsumräumen
für Marktinteressen werden. Die Vertreibung von Drogenkonsument_innen
und ärmeren Bevölkerungsschichten geht damit ebenso einher wie die
Kontrolle und Überwachung des öffentlichen Raumes.
Die Flora ist entstanden im politischen Widerspruch zu
Standortinteressen. Sie ist in ungewollter Form selbst zu einem
kreativen Standortfaktor geworden und wurde im Laufe der Zeit von
dieser Entwicklung wieder überholt und zum Störfaktor. Sie gehört
heute zur Marke, dem gefühlten Flair des Stadtteils und wird von
Investoren und Stadtplaner_innen gleichzeitig als „Fremdkörper“
beschrieben. Dieses ambivalente Verhältnis, eine Mischung aus
Tourismusmagnet, heimlicher Affaire der Handelskammer und Hassobjekt
bürgerlicher Gesellschaftsvorstellungen zu sein, prägt die Rolle der
Flora. Es wurde vom Projekt dabei nicht auf eine selbstintegrative
Karte oder das Wohl des Standortes gesetzt.
Im Rahmen der Drogenverbotspolitik und polizeilichen Vertreibungen
wurde bewusst eine Haltung entgegen ökonomischer Interessen oder
Forderungen etablierter Anwohner_innen eingenommen. Wurde Ende der
Neunziger das Projekt von vielen Anwohner_innen aufgrund dieser
Haltung eher kritisch gesehen, so hat sich dieses Bild nach der
Einverleibung des Stadtteils durch den Bezirk Altona und einer sich
weiterdrehenden Gentrifizierung schlagartig geändert. Die Flora wird
derzeit vor allem als positiver Bezugsfaktor für Kämpfe von
Anwohner_innen gegen Mietsteigerung, Vertreibung oder die
Verschlechterung der Lebensverhältnisse durch die städtische Politik
empfunden. Wir sehen das Projekt daher weder isoliert noch als
ungebrochenen Teil des Stadtteils. Wir sind uns jedoch einer breiten
Solidarität im Falle einer Räumung sicher und fühlen uns gerade
aufgrund unserer ebenso ambivalenten und untaktisch ehrlichen wie
notwendigen Positionierungen gut aufgestellt.
Das Schanzenviertel ist für uns kein homogener Ort eindeutiger
Interessen, die Flora deshalb auch kein Ausdruck der
gesellschaftlichen Schnittmenge im Stadtteil oder gar der
Mehrheitsinteressen im Bezirk. Dies ist auch gar nicht unser
Anspruch! Das Themenfeld der Stadt ist größer, als die Schanze und
die daran anknüpfenden Fragen stellen sich globaler, als sie im
lokalen aufzulösen wären. Für uns bedeutet Stadtteilpolitik eine
parteiliche Bezugnahme und Intervention für gesellschaftliche
Gruppen, die im öffentlichen Diskurs abgehängt werden und gegen die
Bedingungen vor Ort, die dies begünstigen! Einen
„Viertelpatriotismus“ als kleingesägte Form eines
Standortnationalismus lehnen wir dabei als Teil einer Figur ab, die
lediglich neue ideologische Munition für Vertreibung und Ausgrenzung
liefert. Für uns gilt es stattdessen, die Widersprüche um uns herum
über limitierende Begriffe hinaus in Szene zu setzen und zu
thematisieren. Sich zu vernetzen und punktuelle Auseinandersetzungen
um den öffentlichen Raum möglich zu machen. Nicht die vermeintliche
Unveränderbarkeit der Verhältnisse zum Ausgangspunkt unseres
Blickwinkels werden zu lassen, sondern unser Bedürfnis nach radikaler
Veränderung. Eine Perspektive für eine grundsätzliche Infragestellung
des Systems gesellschaftlicher Werte und Normen.
Pick up your fights!
Die Verweigerung eines Standortwettbewerbs, die Ablehnung der
Reduzierung der Stadt als Verhältnis kapitalistischer Konkurrenz zu
anderen Metropolen und Regionen ist für uns ein zentraler Ansatz für
eine Kampagne, an die auch andere Projekte von St. Pauli Süd über
Berlin nach Kopenhagen und Barcelona mit eigenständigen Inhalten
anknüpfen können. Eine Fokussierung auf den Investor entpolitisiert
den Konflikt zur privatwirtschaftlichen Auseinandersetzung.
Stattdessen gilt es, die Thematik Stadt, Stadtteil, Vertreibung und
die Frage, wie leben wir hier, ins Zentrum zu rücken. Scheißegal, ob
Kretschmer formaler Besitzer der Flora ist, wir sehen uns in einem
politischen Konflikt mit dem Senat und stellen die Frage nach dem
Gesellschaftsbegriff. Stadt bedeutet für uns Plätze für Menschen auf
der Straße, Orte der Heimlichkeit und des Versteckspiels. Hafenstädte
waren schon immer Orte der Durchreise, Menschen die ankommen, auf dem
Weg sind, untertauchen und wieder auftauchen. Wir wollen keine
überwachte und regulierte Topographie der Stadt, in der dies alles
nicht mehr möglich ist.
Wie entsteht Bewegung?!
Die Rote Flora steht für mehr als die Mauern und Steine oder die
Gruppen aus dem Haus. Mit der VV wollen wir daher allen, die sich als
Umfeld verstehen oder sich positiv auf das Projekt beziehen, die
Möglichkeit schaffen, sich zu einem frühen Zeitpunkt an der
politischen Auseinandersetzung um das Gebäude zu beteiligen und
einzubringen.
Die Flora ist von ihrem Selbstverständnis ein autonomes und
linksradikales Zentrum, versteht sich aber auch als
spektrumübergreifendes Projekt, das von und durch die politischen
Bewegungen um sie herum gefüllt wird. Der Kampf um die Flora kann
deshalb nicht isoliert auf diese oder als symbolischer Konflikt um
das Gebäude als Institution geführt werden. Stattdessen ist es
notwendig, die Bedrohung als politische Chance zu verstehen, die
Diskurse um Stadt und Gesellschaft zuzuspitzen. Es geht uns nicht
darum, das Gebäude als „Mahnmal“ autonomer Politik und Geschichte zu
erhalten oder als reines Veranstaltungszentrum, sondern als
lebendigen Motor von kultureller Verunsicherung, Protest, Kritik und
unterschiedlichen Widerstandsformen.
Wenn wir die Flora im Hinblick auf 2011 verteidigen wollen, dann
müssen wir jetzt damit beginnen! Nicht erst wenn die Polizei vor der
Tür steht, ist der Moment gekommen, das Projekt mit seinem gesamten
physischen Gewicht in die Wagschale der Konfrontation um den
städtischen Raum zu werfen. Internationale Vernetzung, die
Erfahrungen von besetzten Projekten in anderen Ländern und Städten
ist dabei ebenso wichtig wie aktuelle Bewegungsmomente vor Ort. Wir
wollen uns nicht auf die Ausgangspunkte der eigenen vier Wände und
Befindlichkeiten, der Situation im Stadtteil, der Stadt oder BRD
beschränken, sondern einen gesellschaftlichen Blick und
Anknüpfungspunkte über diese Grenzen hinaus entwickeln. Die
Entwicklung von Kritik an einer neoliberalen und autoritären
Formierung in Europa bietet politische Zielsetzungen für
grenzüberschreitende Widerstandsperspektiven.
Dies alles ist kein widerspruchsfreier Raum. Das Gängeviertel steht
für eine andere inhaltliche Praxis als die Mobilisierung gegen das
Bernhard-Nocht-Quartier, die Rote Flora tickt anders als das
Gartenkunstnetz zwei Straßen weiter. Alles andere würde auch kaum
unseren unterschiedlichen Ausgangspunkten oder auch den abweichenden
Identitäten um das Projekt selbst entsprechen. Die Flora und ihr
Umfeld sind kein „wir“, sondern eher eine Vielzahl unterschiedlicher
Identitäten. Dennoch überschneiden sich politische Vorstellungen,
treffen wir uns auf Demos und sind gemeinsam von den sich wechselnden
Konzepten der wachsenden, kreativen oder einer sonst wie gemanagten
Stadt betroffen.
Ein solidarischer Umgang stellt nicht die eigene Situation in den
Vordergrund, sondern das Verhältnis, das Begehren und den Wunsch nach
Aneignung. Es ist nicht entscheidend, ob ein Projekt oder Zentrum
Verträge hat, Miete bezahlt oder städtische Gelder erhält, sondern
wie es sich positioniert. Es gibt Überschneidungen vom Kampf um die
Flora, zu Obdachlosen oder Drogenkonsumentinnen, die Räume brauchen,
zu den Migrant_innen, die illegalisiert hier leben und Jugendlichen,
die überall stören, wo sie nicht konsumieren. Solche Bezüge reichen
über die Stadt hinaus zu anderen Orten und über Grenzen hinweg.
Wer in Köln, Erfurt, Berlin, Kopenhagen, Barcelona oder Rio de
Janeiro um ein Haus kämpft, wird vermutlich eine andere
Ausgangssituation haben. Aber die Kritik an einer Verwertbarkeit des
öffentlichen Raumes, der Kampf um Anwesenheit und Sichtbarkeit in der
Gesellschaft, die Legitimität hier zu sein, auch ohne die Norm zu
erfüllen, teilen wir als Kern unserer Unruhe.
Wie entwickelt sich Widerstand?
Die Geschichte der Flora ist geprägt von praktischen Interventionen
und auch ein Kampf um deren Erhalt wird solche Formen annehmen. Die
militante Verteidigung wird z.B. ein wesentlicher Aspekt unmittelbar
vor und nach einer Räumung sein. Dies wird, wie auch andere Formen
der Solidarität, kein Selbstläufer sein, sondern muss sich jenseits
von Verbalradikalität entwickeln. Die Erfahrungen dafür lassen sich
aus der Praxis aktueller Kämpfe von anderen Projekten oder
Politikfeldern ziehen. Allen muss klar sein: Die Räumung der Roten
Flora kann nicht militant verhindert werden, sondern lediglich
politisch! Wir werden eine „militärische“ Auseinandersetzung immer
verlieren. Unser Kampf bleibt ein symbolischer, ist der Versuch den
Preis hochzutreiben und Widersprüche angreifbar und damit greifbar zu
machen.
Wer über die Organisierung von Aktionen, Demos oder
Straßenschlachtszenarien die politische Bestimmung außer Acht lässt,
entwaffnet sich als Bewegung selbst. Kritik ist die Grundlage jeder
Praxis. Inhalte und eine Vorstellung von Gesellschaft müssen
Gradmesser über Sinn und Unsinn von z.B. militanten Aktionen sein.
Energie gilt es in Bezug auf die Flora derzeit deshalb nicht in
unbestimmten Aktionismus zu stecken, sondern in Kommunikation,
überregionale und lokale Vernetzung, Diskussion und Step-by-Step
praktische Intervention in bestehende Kämpfe.
Militanz bedeutet nicht den Stein der Weisen zu entdecken, sondern
sich selbst mit dem Gewicht des Diskurses und der eigenen
Unsicherheit in die Auseinandersetzung zu werfen. Militanz ist
clever, erfindet sich neu und ist besser nicht dort anzutreffen, wo
man sie erwartet. Sie trägt nicht nur schwarze Kapuzenjacken, sondern
auch mal Anzug und Krawatte, um an verbotene Orte zu kommen oder
einfach nur umsonst zu essen beim Buffet im Luxushotel. Militanz
spiegelt sich in Parolen, Farben und Plakaten von den Wänden, bricht
Türen auf und besetzt Häuser. Scherben, so heißt es, bringen Glück
und nach jenem war schließlich auch schon Herr Rossi auf der Suche.
Wer Militanz stattdessen zum Feuerschein reduziert und als solchen
fetischisiert, statt Brennpunkte politischer Intervention zu setzen,
richtet sich in der heimeligen Lagerfeuerromantik einer
Identitätspolitik ein, die das Gegenteil von Bewegung meint. Wer
Militanz zur heiligen Kuh erklärt und meterweit vor sich herträgt,
hat weder die Hände frei zum Werfen noch den Blick frei auf die
Verhältnisse.
Eckpunkte einer Kampagne?!
Uns interessiert, wo wir Bedingungen und Verknüpfungen für die
Möglichkeit politischer Interventionen herstellen können. Der Kampf
gegen Sexismus, Antisemitismus, Rassismus oder Nationalismus, das
selbstkritische Bewußtsein von diesen Macht- und
Herrschaftsstrukturen durchwoben zu sein und dieses Verhältnis zum
Gegenstand und Ausgangspunkt zu machen, ist für uns ein untrennbarer
Bestandteil einer Kampange für den Erhalt der Flora. Das, wofür wir
Postionen ergreifen und die Verhältnisse im Alltag, denen wir uns
verweigern wollen, stehen für uns im Zentrum dessen, was wir mit der
Flora verteidigen wollen. Wir kämpfen nicht für Nischen und
Freiräume, sondern wir kämpfen gegen gesellschaftliche Normen, die
uns in solche zwingen. Nischen, dunkle Ecken und Freiräume sind
wichtige Rückzugsorte und Ausgangspunkte, aber wenn wir sie zum
Gegenstand selbst erklären, erliegen wir denselben Fehlern wie die
Alternativbewegung der siebziger Jahre. Es gibt kein richtiges Leben
im falschen! Wir halten im Zusammenhang mit der Flora einen
politischen Fokus auf einen Freiraumbegriff als zu dünn für eine
Kampagne, die uns über den Tag hinaus bringen soll. Strukturell sind
unsere Selbstorganisierungsmodelle nicht automatisch im Widerspruch
zum herrschenden Alltag, sondern bieten ironischerweise Andockflächen
für neoliberale Argumentationen. Kultur ohne staatliche Förderung,
unbezahlte soziale Aktivitäten als Dienst an der Gesellschaft,
Selbstversorgung und Mitwirkungspflicht, alles Dinge, die von
Ökonomen eingefordert werden. Da heißt es aufpassen, nicht ungewollt
zum Vorbild einer deregulierten Vorstellung von Gesellschaft gemacht
zu werden.
Besetzte Häuser und autonome Zentren sind wichtige Erprobungsfelder
kollektiver Alltagsorganisierung und widerständischer Vernetzung.
Aber frei sind wir deshalb noch lange nicht und innerhalb von vier
Wänden werden wir dies auch nicht werden. Wir bewegen uns tagtäglich
in Widersprüchen und alles, was wir an Gegenentwürfen in Freiräumen
entwickeln, ist verwoben mit dem Bestehenden und wird aufgesogen, wie
ein Schwamm das Abwaschwasser vom Spülbeckenrand in den Abguss
befördert. Wir fordern, wenn schon, die ganze Stadt als Freiraum. Wir
haben keine Lust, morgens zur Arbeit gezwungen zu werden, um abends
als Kund_innen für die Freizeitindustrie bereit zu sein. Zweimal
Kurzurlaub im Jahr und ansonsten bei jedem Schritt und Tritt
überwacht für den behaglichen Stillstand der Verhältnisse.
Wir machen keinen Beliebtheitswettbewerb und schielen auch nicht
funktionalisierend auf irgendwelche Massen. Wir sind gleichzeitig
aber in notwendiger Weise offen für andere Sichtweisen und
Vorstellungen. Wer um und mit für die Flora kämpft, muss unsere
Blickwinkel nicht unbedingt teilen. Wir sehen in einer Kampange
jenseits unserer Positionen in der Roten Flora vielmehr ein Forum für
andere eigenständig formulierte politische Ziele und weitere
Projekte, die sich auf eigene Weise manifestieren können. Ein
Konfliktraum für temporäre Bewegungsmomente, der über ein primäres
Ziel oder vereinnahmbare Eindeutigkeiten hinausgeht und das Ganze zum
Thema macht.
Solidarität statt Repression!
Wir halten es für wichtig, Repression in Kampagnen von vorne herein
solidarisch mitzudenken. Die letzten Jahre waren geprägt von
zunehmender Überwachung, polizeilicher Aufrüstung und der Zuspitzung
autoritärer Sicherheitskonzepte. Wurden soziale Bewegungen mit dem
Arsenal der Terrorismusbekämpfung kriminalisiert. Werden nun
Sachschäden bei politischen Aktionen gezielt dramatisiert und als
Gefährdung von Menschenleben hochgespielt. Was hat man davon zu
halten, wenn Steinwürfe derzeit als legitimer Grund für scharfe
Schüsse der Polizei herhalten sollen, wenn theatralische
Ermittlungskonstrukte aufgebaut werden und in den Medien gar die
Gefahr der Renaissance eines bewaffneten Kampfes heraufbeschwört
wird? Wir erleben zur Zeit nicht nur aufblühende Proteste gegen
Bildungsabbau oder die städtische Politik, sondern als Gegenbewegung
auch eine Sehnsucht nach autoritären Werten und Normen, die
Gesellschaft nicht mehr als Ausgangspunkt, sondern als Gefahrenquelle
denkt. Die präventiv polizeiliche Ausnahmezustände und
Kontrollinstrumente dagegen setzt, die Protest als eine Grundlage
emanzipatorischer Weiterentwicklung delegitimieren will und
stattdessen einen respektvollen Untertanengeist einfordert.
Es ist für uns auch eine Form der Kritik gesellschaftlicher
Gewaltformen, wenn das Hauskollektiv des Ungdomshuset sich gegen eine
Räumung mit Barrikaden verteidigt, andere militärisches Gerät für
Auslandseinsätze unbrauchbar machen oder wieder andere durch
Glasbruch auf Gentrifizierung und Vertreibung aufmerksam machen. Wir
finden wichtig, dass sich politische Bewegungen dabei nicht durch
bleierne Konstrukte oder Totschlagargumente der inneren Sicherheit
spalten lassen. Wir sind solidarisch mit Betroffenen von Repression
und allen, die sich vermummen, um der Welt ein Gesicht zu geben.
Wir lassen es drauf ankommen!
Die Räumung der Roten Flora wäre ein existentieller Angriff auf
autonome Strukturen in Hamburg und darüber hinaus. Der Versuch,
unsere Strukturen zu zerschlagen und die 20jährige
Widerstandsgeschichte des Projektes abzuwickeln. Wir werden weder
warten, bis sie vor der Tür stehen, um auf die Barrikaden zu gehen,
noch friedlich unserem Schicksal entgegensehen. Es gibt genügend
Möglichkeiten und Gründe, sich in unterschiedlichen Konfliktfeldern
einzubringen und linke Kritik und Praxis weiterzuentwickeln. Wir
wollen weder integriert noch an die Kette gelegt werden und dieses
Bedürfnis ist legitim: Wir sind das »UFO im Stadtteil«. Das schwarze
Loch im öffentlichen Raum. Die Stadt wird uns nicht los, weil wir ein
Teil dessen sind, was das Leben selbst ist.
Auf der Vollversammlung wollen wir nicht über austauschbare
Investor_innen jammern oder über juristische Kniffs sprechen. Wir
wollen stattdessen einen Auftakt für eine Kampagne setzen, die sich
auf aktuelle Kämpfe gegen kapitalistische Standortpolitik bezieht und
die Flora zum Ausgangspunkt und Teil von Bewegung macht. Wir möchten
dazu konkrete Vorstellungen entwickeln, wie eine Kampagne aussehen
könnte und wo inhaltliche Eckpunkte und notwendige politische Grenzen
der Zusammenarbeit liegen. Dazu werden wir erst ein grobes Bild einer
möglichen Entwicklung bis 2011 zeichnen, um dann anhand einiger
Thesen in die inhaltliche Diskussion einzusteigen.
Autonome Gruppe für Flora-Aktivismus [Dezember 2009]
Kontakt: AGFA
c/o Rote Flora, Achidi-John-Platz 1, 20357 Hamburg
agfa@nadir.org
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