Nordirland zählt zwar weniger Einwohner als Hamburg und entspricht flächenmässig nur ungefähr dem Bundesland Schleswig-Holstein; seine Ökonomie ist extrem schwach, deformiert und abhängig, und seine Arbeitslosenquote ist die höchste innerhalb der EG. Aber auf einem Gebiet produziert der nordirische Separatstaat von britischen Gnaden absolute Spitzenleistungen und rangiert weltweit unter den fahrenden Exporteuren: nämlich bei der Aufstandsbekämpfung und Anti-Guerilla-Kriegsführung.
Die nordirische Polizei, die Royal Ulster Constabulary (RUC), gilt nach übereinstimmender Auffassung vieler sogenannter Sicherheits- und Anti-Terrorismus-Experten als die fähigste counterinsurgency-Truppe der Welt.
Selbst die Polizeikräfte des in Sachen Repression und Insurrektion nicht gerade unerfahrenen südafrikanischen Apartheidstaates halten es für nützlich, die Kollegen der RUC regelmässig um Lektionen zu ersuchen. Tatsächlich kann kaum eine andere Polizeitruppe auf eine derartig lange und kontinuierliche Geschichte einer Anti-Guerilla-Kriegsführung verweisen wie die RUC, denn seit seiner Gründung 1922 wird der nordirische Staat unter Anwendung seiner Notstandsgesetzgebung regiert. Dass die RUC ihre Erfahrungen in einem vergleichsweise sehr engen Gebiet, aber in dicht beieinander liegenden ländlichen wie urbanen Kriegszonen sammelt, macht die besondere Qualität der Truppe aus.
In ihrer Geschichte und ihrem Selbstverständnis unterscheidet sich die RUC deutlich von den anderen Polizeitruppen in Europa. Die RUC, die ursprünglich zu Teilen aus einer faschistischen Privatarmee rekrutiert wurde, war von Anfang an eine paramilitärische und hochgradig politisierte Streitmacht. Sie war zugleich stets mehr eine Milizarmee denn eine Polizei, und der Schutz des Individuums und seines Eigentums spielte gegenüber dem Kampf gegen die katholische/nationalistische Insurrektion (oder was dafür gehalten wurde) lediglich eine sekundäre Rolle.
Hieran hat sich bis heute nichts geändert. RUC-Angehörige sind auch Polizisten im herkömmlichen Sinne, aber nicht nur und schon gar nicht in erster Linie. Wer der RUC beitritt, tut dies gewöhnlich nicht, um der "normalen" Kriminalität entgegenzutreten und den einzelnen Bürger - unbesehen seiner Konfession und politischen Aspirationen - gegenüber Angriffen durch andere Bürger zu schützen, sondern um" für Ulster" zu dienen. Zur RUC geht man, weil dies in der Familie Tradition hat, der Grossvater, Vater und Onkel ebenfalls bereits in der Truppe gedient haben und Ulster bzw. die katholische/nationalistische Herausforderung auf die Strasse rufen.
Man läuft nicht wie der englische Bobby durch die Gegend, sondern nennt einen Revolver und ein Maschinengewehr sein eigen, trägt eine schusssichere Weste und fährt in gepanzerten Fahrzeugen.
Seit 1970 steht der RUC das Ulster Defence Regiment (UDR) zu Seite, eine militärische Einheit von 6.400 Mann, die der britischen Armeeführung unterstellt ist. Zur einen Hälfte besteht das UDR aus Berufssoldaten, zur anderen aus Teilzeitsoldaten, die noch einem anderen Job nachgehen. RUC wie UDR waren von Anfang an bis an die Zähne bewaffnete protestantische Streitkräfte, loyal gegenüber der britischen Krone und einem nordirischen Staat, der die katholische Minderheit als Bürger zweiter Klasse behandelt. UDR und RUC setzen alles daran, die eigenen Reihen "katholikenfrei" zu halten. Heute ist das UDR aufgrund seiner nachgewiesenen engen Verquickung mit den loyalistischen Todeschwadronen der weitaus diskreditierteste Teil der nordirischen "Sicherheitskräfte", dessen Auflösung nicht nur von eingefleischten IRA-Sympathisanten, sondern auch von vielen katholischen Kirchenvertretern, Politikern der moderat-nationalistischen Social Democratic and Labour Party (SDLP) und zuweilen auch der südirischen Regierung gefordert wird. Für die britische Regierung kommt dies jedoch Oberhaupt nicht in Betracht, da ein Rückzug des UDR eine erhebliche Ausweitung der Präsenz englischer, schottischer und walisischer Soldaten erforderlich machen würde. Dies widerspräche aber ihrer Strategie der "Ulsterisierung" des Konflikts, die nicht zuletzt im Verheizen lokaler "Sicherheitskräfte" (RUC und UDR) besteht, um so den Krieg von der englischen und internationalen Öffentlichkeit möglichst weit fern zu halten. Wie bedeutend das UDR für die britische Nordirlandstrategie ist und wie wenig die britische Regierung über seine Auflösung nachdenkt, wird allein schon daraus ersichtlich, dass die Queen dem Vorschlag zugestimmt hat, dem Regiment und seinen neun Bataillonen 1991 - aus Anlass seines 20jährigen Bestehens - offiziell "die Farben zu verleihen", d.h. sie zu einem Regiment der "Royal Family" zu befördern. Das UDR befindet sich mittlerweile länger ununterbrochen im aktiven Dienst, als jedes andere britische Regiment seit den napoleonischen Kriegen.
Die RUC erhält jedoch nicht nur Unterstützung durch das UDR, sondern auch durch die britische Armee. Derzeit sind 10 Bataillone mit ca. 10.500 Soldaten zur Bekämpfung der Irish Republican Army (IRA) im irischen Nordosten stationiert. Sechs der Bataillone befinden sich für den längeren Zeitraum von zwei Jahren im Bürgerkriegsland, die restlichen vier werden nach viereinhalb Monaten ausgetauscht. Diese Einheiten sind gewöhnlich Teil der Britischen Rheinarmee in der BRD, die hier spezielle Ausbildungslager für den Krieg in Nordirland unterhält. Auch die britische Armee verfügt über eine lange counterinsurgency-Tradition (nach 1945 Einsätze in Kenia, Aden, Malaysia, Kamerun, Zypern und Oman), mit der höchstens noch die französische Armee in Europa konkurrieren kann. Deshalb halten viele Militärexperten die Soldaten der Queen für die erfahrenste und qualifizierteste counterinsurgency-Armee. Zusätzlich zu den genannten zehn Bataillonen ist in Grossbritannien noch eine sogenannte "spearhead unit" stationiert, die im Bedarfsfall d.h. in Zeiten erhöhter politischer Spannung und verschärften militärischen Drucks durch die IRA - umgehend eingeflogen werden kann. Die britische Armee konzentriert heute ihre Präsenz auf solche Gebiete, wo eine besondere Herausforderung durch die IRA besteht, die die Kräfte von RUC und UDR überfordert. Dies gilt für die Gebiete entlang der Grenze zur
Republik Irland (die von der IRA immer wieder als strategisches Hinterland benutzt werden), Derry und den Westen und Norden Belfasts. In den anderen Gebieten liegt die Hauptverantwortung für militärische Operationen eindeutig bei den nordirischen "Sicherheitskräften". Der Höhepunkt der britischen Truppenstationierung war 1972, als 19 Einheiten mit 21.000 Soldaten in Nordirland kämpften: damals setzte die britische Armee auch das einzige Mal schwere Panzer auf Nordirlands Strassen ein, um die sogenannten "no go areas" - dem Zugriff des britischen Staates entzogene und von der IRA und Bürgerkomitees kontrollierte Gebiete in Derry und Belfast zu beseitigen. Die Reduzierung der Truppen wurde allerdings von einem drastischen Ausbau der nordirischen "Sicherheitskräfte" begleitet. Im Frühjahr 1970 umfasste die RUC noch 3500 Polizisten. Mit heute 12.800 Polizisten hat sich ihr Umfang seither nahezu vervierfacht. Das UDR zählt wie bereits erwähnt 6400 Soldaten. Alles in allem befinden sich somit z.Zt. 30.000 Polizisten und Soldaten im Krieg mit der IRA. RUC und UDR sind nahezu allein für die "Terrorismusbekämpfung" abgestellt; für Verkehrsfragen existiert eine gesonderte, zivile "traffic police". Berücksichtigt man zusätzlich zu den 20.000 RUC- und UDR-Mitgliedern noch die ca. 10.000 Personen, die im Gefängniswesen tätig sind (die Zahl der politischen Gefangenen in Nordirland beträgt ca. 1900 - das sind über 75 % aller nordirischen Gefängnisinsassen) oder anderen "Sicherheitsaufgaben" nachgehen, dann bedeutet dies, dass heute jeder zehnte beschäftigte nordirische Protestant in die IRA-Bekämpfung eingebunden ist. Diese Zahlen machen deutlich, in welchem Masse die nordirische Gesellschaft (und hier vor allem ihr protestantischer Teil) mittlerweile eine Kriegsgesellschaft ist.
Neben den regulären Bataillonen ist auch noch der berüchtigte Special Air Service (SAS) mit einer unbekannten (weil geheim gehaltenen) Anzahl von Soldaten in Nordirland aktiv. Der Vorgänger der SAS wurde während des Zweiten Weltkriegs gegründet, um hinter den deutschen Linien Sabotageakte zu verüben, die Kooperation mit der französischen Resistance und deren Ausrüstung zu organisieren und Exekutionen vorzunehmen. Nach 1945 kam der SAS in den diversen britischen Kolonialkriegen zum Einsatz, wo er als Anti-Guerilla-Truppe agierte, und deshalb später häufig mit den amerikanischen "Green Berrets" in Vietnam assoziiert wurde. Das Motto des SAS lautet "Who Dares Wins" (Wer wagt gewinnt), und die Spezialeinheit pflegt ein extremes Macho-Image. In Nordirland kam der SAS erstmals 1976 offiziell zum Einsatz, im sogenannten "Banditenland" von South Armagh, wo die britische Armee zusehends Terrain an die IRA verlor. Nur wenig später konnten die Berufskiller die erste Exekution eines IRA-Mannes vermelden. Eine Reihe von Operationen der" Sicherheitskräfte" in den letzten Jahren lässt darauf schliessen, dass die SAS-Präsenz (ursprünglich war von 150 SAS-Soldaten die Rede) ausgebaut wurde und der Spezialeinheit eine zusehends bedeutendere Rolle im militärischen Konzept der britischen Regierung zukommt. Der SAS ist vor allem in West-Belfast und in den Grenzgebieten aktiv, holt aber auch immer wieder aus zu grenzüberschreitenden Operationen wie Entführungen und Bombenanschläge auf dem Territorium der Republik Irland.
Bevor wir uns der Vorgehensweise von Polizei und Armee näher widmen, sei zunächst das Umfeld, in dem sie sich zu bewegen haben, kurz beschrieben. 3840% der Bevölkerung Nordirlands sind Katholiken, die sich zudem in ihrer übergrossen Mehrheit als Nationalisten betrachten (in dem Sinne, dass eine gewisse bis vollständige Unabhängigkeit von London zugunsten einer Föderation bis staatlichen Einheit mit dem irischen Süden angestrebt wird). Zwar bekennt sich nur rund ein Drittel der Katholiken/Nationalisten mehr oder weniger offen zur IRA, aber gleichzeitig ist die moderate Mehrheit kaum bereit, mit den "Sicherheitskräften" gegen die republikanische Guerilla aktiv zu kooperieren. Die IRA selbst besteht aus ca. 500 Freiwilligen: ihr Umfang wird bewusst relativ niedrig gehalten, da ein "all out war" gegen die "Sicherheitskräfte" für unsinnig erachtet wird und ausserdem anderenfalls die Gefahr der Infiltration steigen würde. Die IRA kann auf die Unterstützung von mehreren tausend Informanten bauen. An der Spitze der Guerilla steht ein Armeerat, der für die allgemeine Strategie und Taktik verantwortlich zeichnet und über grössere militärische Operationen entscheidet. Ansonsten handeln die einzelnen IRA-Einheiten autonom. Die IRA ist in Brigaden strukturiert, die ihrerseits kleine Active Service Units (ASU) unterhalten. Die Mitglieder verschiedener ASUs kennen sich gewöhnlich nicht untereinander. Lediglich die Brigadeführung weiss um die Identität ihrer Mitglieder. Auch die IRA hat ihren "guten Ruf": Sie gilt als fähigste urbane Guerillatruppe weltweit. Sowohl die salvadorianische FMLN wie der südafrikanische ANC sollen sich bei ihr in die Strategie und Taktik des urbanen Guerillakrieges einfuhren lassen haben.
In einem durchschnittlichen Jahr wie 1987 (das letzte, über das aktuell eine differenziertere offizielle Statistik erhältlich ist) lautet die "Gewaltbilanz" des Konfliktes wie folgt: 93 Menschen wurden getötet (16 Polizisten, 3 Soldaten der britischen Armee, 8 Soldaten des UDR und 60 Zivilisten) und 1314 verletzt (246 Polizisten, 104 Soldaten, 780 Zivilisten). Es ereigneten sich 489 Schiessereien und 236 Bombenexplosionen. Weitere 148 Bomben konnten von der Armee entschärft werden. Desweiteren wurden 506 Brandstiftungen und 858 bewaffnete Überfälle registriert.
Im Zeitraum August 1969 bis Dezember 1988 wurden 850 Polizisten und Soldaten in Nordirland getötet. Die britische Armee verlor hier mehr Soldaten als in jeder anderen militärischen Auseinandersetzung nach 1945, den Falklandkrieg eingeschlossen. Die Verluste der Polizei und des UDR entsprechen für die 900.000köpfige protestantische Bevölkerung etwa denen der US-Bevölkerung im Vietnam-Krieg.
"Surveillance" - Beobachtung ist für die "Sicherheitskräfte" (aber auch für die IRA) das A und 0 und steht am Anfang jeder offensiven Operation, Surveillance zeigt sich am augenfälligsten in den zahllosen Fuss- und Fahrzeugpatrouillen, die Tag und Nacht in Nordirland unterwegs sind. Ausserdem werden täglich auch noch 3000 bis 4000 Strassensperren bzw. Kontrollpunkte errichtet, die jedoch nach spätestens 15 Minuten - wegen steigender Anschlagsgefahr - wieder aufgelöst werden. Am Ende eines Patrouillenganges oder einer Strassensperre werden die gewonnenen Erkenntnisse in den nächsten Polizei- oder Armee-Computer eingegeben und mit bereits existierenden Informationen abgeglichen. Diese Erkenntnisse betreffen vor allem die Lebensgewohnheiten der Bürger eines Viertels, ihre Bewegungen und Beziehungen untereinander und ihre Verbindungen mit anderen Stadtteilen. In der Regel sind die beteiligten Soldaten und Polizisten so gut trainiert und informiert, dass sie sofort registrieren, wenn ihnen ein Gesicht auf der Strasse begegnet, das nicht in das patrouillierte Viertel gehört. Die häufigen, aber nie zur gleichen Zeit stattfindenden Patrouillengänge sollen überdies die Bewegungsfreiheit der IRA einschränken. Die Patrouillen - ob mit Fahrzeugen oder zu Fuss - befinden sich in einem ständigen Funkkontakt untereinander wie mit ihrer Basis, der nächsten Polizei- oder Armeestation, und werden zuweilen von Armeehelikoptern unterstützt, mit denen ebenfalls ein Funkkontakt besteht. Über West-Belfast kreist fast rund um die Uhr ein Hubschrauber, von dem aus beobachtet wird und die " Bodentruppen" dirigiert werden. Die in Nordirland eingesetzten Armeehelikopter sind mit starken Infrarotkameras ausgerüstet, die wiederholt zum Aufspüren von IRA-Waffenlagern beigetragen haben. Im Grenzgebiet von South Armagh ist der Helikopter zudem das wichtigste Transportmittel der "Sicherheitskräfte", da er Schutz vor IRA-Landminen gewährt. Von ca. 20 Beobachtungstürmen auf Hügeln und Bergen können mit modernster Technologie Autobewegungen über mehrere Meilen hinweg beobachtet werden.
Seit einigen Jahren wird das Vorgehen der "Sicherheitskräfte" mehr und mehr von der sogenannten "shoot to kill" -Politik und einer Strategie nach Vorbild lateinamerikanischer Regimes bestimmt. "Shoot to kill" bedeutet die gezielte Exekution von der IRA-Mitgliedschaft Verdächtigen und erfolgt mit drei verschiedenen Absichten:
"Shoot to kill" erfolgt in zweierlei Form: Entweder wird das Opfer im unbewaffneten Zustand und ausserhalb seines "Guerilla-Dienstes" erschossen, oder aber es wird abgewartet, bis sich das IRA-Mitglied auf dem Weg zu einer militärischen Aktion befindet, von der die "Sicherheitskräfte" vorher erfahren haben. Dem Opfer wird keine Chance gegeben, sich zu ergeben, oder aber es wird bereits auf dem Boden liegend und entwaffnet noch mit Kugeln durchsiebt. Der Angriff auf IRA-Mitglieder während der Vorbereitungsphase einer militärischen Aktion bietet aus der Sicht der "Sicherheitskräfte" den Vorteil, dass gleich mehrere IRA-Mitglieder auf einen Schlag abgeknallt werden können. Diese Vorgehen provoziert in der Regel geringen öffentlichen Protest, da die IRA-Mitglieder sich "im Dienst" befinden.
Für die "shoot to kill"- Politik zeichnen die folgenden Kräfte verantwortlich: der SAS, die E4A, die Headquarters Mobile Support Unit und die loyalistischen Paramilitärs (UVF-Ulster Volunteer Forces und UDA-Ulster Defence Army, häufig in Zusammenarbeit mit dem UDR). Bei E4A und der Headquarters Mobile Support Unit handelt es sich um Sondereinheiten der RUC, die nach eigenem Bekunden in der Anwendung von extremer Feuerkraft, Geschwindigkeit und Aggression gedrillt sind. Der SAS und die RUC-Sondereinheiten operieren in der Regel in Zivil und sind mit leichten, aber äusserst feuerstarken Maschinenpistolen ausgerüstet, die sich bequem unter der Jacke verbergen lassen. Ihre getarnten Autos können täglich mehrmals umgespritzt werden. Die Mitglieder dieser Killerkommandos bleiben anonym, ausserdem erfreuen sie sich absoluter Immunität gegenüber der Justiz. Nach erfolgtem Angriff verschwinden die Kommandos umgehend, um dann den offiziellen "Sicherheitskräften" den Tatort zu überlassen. Bei den loyalistischen Paramilitärs ist insbesondere das UDA und deren Todesschwadron Ulster Freedom Fighters (UFF) zu nennen. Die loyalistischen Todesschwadrone sind für die schmutzigsten aller Operationen verantwortlich, mit denen die "Sicherheitskräfte" nicht in Verbindung gebracht werden wollen, wie Morde an katholischen Zivilisten und Sinn Fein- Politikern (Sinn Fein ist der politische und legale Arm der Republikanischen Bewegung). Während der Begriff "shoot to kill" ausschliesslich für Angriffe der "Sicherheitskräfte" auf IRA-Verdächtige verwendet wird, gibt es eine Reihe von Indizien für die Annahme, dass auch hinter einigen der Morde der loyalistischen Paramilitärs an katholischen Zivilisten die "Sicherheitskräfte" stecken. In einer Reihe von Fällen beruhten UD.4und UVF-Mordanschläge auf Informationen, die deren Todesschwadrone von den "Sicherheitskräften" erhalten hatten. Diese Informationsweitergabe kann sowohl auf einem quasi-offiziellem Wege (d.h. mit Wissen, wenn nicht gar auf Anordnung höherer RUC-Offiziere), aber auch auf dem Wege schlichter verwandtschaftlicher Beziehungen erfolgen: Der RUC-Beamte Miller informiert seinen Neffen Robinson, der seinerseits Kontakte zu einem UDA-Mann unterhält, über die Lebensgewohnheiten des Katholiken Doherty, in dessen Viertel Miller patrouilliert. Auch gab es in den vergangenen 21 Jahren immer wieder Fälle, in denen Mitglieder der "Sicherheitskräfte" (zumeist des UDR) nach Feierabend in die Rolle von UDA- und UVF-Killern schlüpften. Die UDA ist im übrigen als paramilitärische Organisation nach wie vor legal, obwohl sie für die Ermordung von mittlerweile einigen hundert katholischen Zivilisten verantwortlich ist. Ihre enge, auch personelle Verquickung mit Teilen der "Sicherheitskräfte" (insbesondere dem UDR) dürfte hierfür der Hauptgrund sein.
So wahl- und ziellos auch Morde an katholischen Zivilisten auf den ersten Blick erscheinen mögen - in der Logik der counterinsurgency-Strategen ergeben sie trotzdem einen Sinn. Anonyme Morde an Zivilisten schüren ein Klima der Verunsicherung und Angst, erst recht dann, wenn eine Verwicklung von Teilen des Staatsapparates vermutet werden muss. Die "Sicherheitskräfte" lassen morden, um der katholischen/ nationalistischen Minderheit ein Gefühl der Machtlosigkeit zu vermitteln und sie zur Unterwerfung und Kooperation zu nötigen. Der Minderheit wird so mitgeteilt, dass es Sicherheit für sie nur mit der RUC gibt, wofür wiederum Willfährigkeit die Voraussetzung ist.
Mit dem anglo-irischen Abkommen vom November 1985 hat die britische Regierung ihre Bemühungen um die Einbindung anderer Staaten in die IRA-Bekämpfung erheblich intensiviert. Hierbei geht es vor allem um die angrenzende Republik Irland, aber auch um die USA und im geringeren Masse - um Frankreich, die BRD, die Niederlande und Belgien.
Von der Republik Irland will die britische Regierung die reibungslose Auslieferung von über die Grenze geflohenen IRA-Mitgliedern und von südirischen Bürgern, die verdächtigt werden, vom Territorium der Republik aus militärische Attacken gegen den nordirischen Staat zu starten. Ausserdem geht es um die Unterbrechung des grenzüberschreitenden Waffennachschubs wie die Zerschlagung von IRA-Ausbildungslagern. Bis Mitte der 80er Jahre galt die Republik als relativ sicherer Hafen für IRA-Flüchtlinge aus dem Norden, zumal die bis dahin gültige Rechtslage die Auslieferung an die nordirische Justiz untersagte (mit Verweis auf die Nichtexistenz einer "normalen", rechtsstaatlichen Justiz in Nordirland und auf den politischen Charakter der dort verübten Gewalttaten). Eine engere Kooperation zwischen der britischen Armee und der RUC im Norden und den südirischen Truppen und der Gardai (südirische Polizei) soll nun dafür sorgen, dass auch vom Süden aus die Grenze zum Norden dicht gemacht wird und die Jagd auf vermeintliche "IRA-Terroristen" sich über die gesamte irische Insel erstreckt. Zwischen RUC und Gardai wurde ein "heisser Draht" eingerichtet und Dublin gestattete der britischen Armee, mit ihren Helikoptern bis einige Meilen tief in den Luftraum der Republik einzudringen, um IRA-Bewegungen zu verfolgen.
Obgleich die Auslieferungsbestimmungen im britischen Sinne liberalisiert wurden, Dublin der Europäischen Anti-Terror-Konvention beitrat und bereits seit 1984 Auslieferungen stattfinden, existieren nach wie vor erhebliche Probleme. Bislang wurde die Mehrzahl der britischen/nordirischen Auslieferungsgesuche von den südirischen Gerichten abschlägig beschieden, was zumindest zum Teil als ein Reflex auf die öffentliche Meinung in der Republik zu werten ist, die Auslieferungen in den Norden noch immer skeptisch bis ablehnend gegenübersteht.
Denn nach der Unterzeichnung des anglo-irischen Abkommens hatte man in der Republik erwartet, dass die britische Regierung ihre "Sicherheitspolitik" in Nordirland einer eingehenden Prüfung unterziehen und umfassend reformieren würde. Doch weder wurde die "Shoot to kill"- Politik beendet, noch das UDR aufgelöst und die sogenannten "diplock courts" - Sondergerichte, die mit nur einem Richter und ohne Geschworene tagen und eine massenhafte Aburteilung von Verdächtigen ermöglichen sollen - abgeschafft.
Im Falle der USA - mit ihrer grossen Zahl von irischen Immigranten - geht es ebenfalls um Auslieferung und Waffennachschub. Neben der Republik waren die USA seit Ausbruch der "Troubles" stets der zweite Anlaufhafen für IRA-Flüchtlinge. 1984 konnte mit Hilfe des FBls und amerikanischer Satellitenüberwachung ein Schiff mit 7 Tonnen Waffen für die IRA vor der irischen Küste abgefangen werden.
Aber auch in den EG-Ländern treffen britische Auslieferungsbegehren nicht auf ungeteilte Zustimmung:
Frankreich und Belgien lehnten Londoner Anträge bereits ab, lediglich die Niederlande lieferten zwei Häftlinge aus. Und die BRD will zwei mutmasslichen IRA-Mitgliedern demnächst selbst den Prozess machen.
Nordirland ist heute das bedeutendste counterinsurgency-Testfeld in der EG, auf dem sich die erfahrensten "Anti-Terror"- Truppen und die versierteste urbane Guerillaorganisation gegenüberstehen. Diese Konstellation und die Beschaffenheit des Kriegsschauplatzes, die potentiellen Bürgerkriegsschauplätzen der Zukunft in Westeuropa ähnlicher ist als Kleinkriegen in der Dritten Welt, begründet das Interesse auch kontinentaler "Sicherheitsexperten" an den "troubles". Was in Nordirland erprobt wird, kann irgendwann auch einmal hierzulande zur Anwendung kommen (siehe beispielsweise die Diskussion um die Einführung von Plastikgeschossen). Allein schon deshalb ist eine intensivere Beschäftigung mit den "troubles" seitens der hiesigen demokratischen und oppositionellen Bewegungen angesagt. Sie wird diejenigen eines Besseren belehren, die quasi-lateinamerikanische Zustände in "unserem", "zivilisierten" und "demokratischen" Westeuropa für gänzlich unmöglich erachten. Das Beispiel Nordirland demonstriert vielmehr, dass das herrschende Demokratieverständnis der EG-Staaten in erster Linie taktisch ist: soviel Demokratie wie möglich aber auch soviel Repression wie nötig.
Dietrich Schulze-Marmeling, 34 Jahre, Publizist.
Veröffentlichungen zum Nordirlandkonflikt u.a.: