Erhebliche Unterschiede kennzeichnen historisch und z.T. auch bis heute das Grundverständnis von politischen Freiheitsrechten und ihrer tatsächlichen auch fundamentaloppositionellen Nutzung im Spannungsverhältnis zur Staatssicherheit in den verschiedenen EG- und Europaratsstaaten. Dementsprechend gross sind historisch auch Unterschiede im Verständnis und Konzept politischer Strafverfolgung und polizeilichen Vorgehens gegen nichtintegrierte politische Opposition. Doch die Annäherungstendenzen nach antiliberalem, repressive Muster sind beträchtlich. Sie werden vorrangig über die polizeiliche Koordination vorangetrieben. Zentrales Propaganda-Argument ist dabei europaweit die angebliche Gefahr des "internationalen Terrorismus". Die BRD spielt auch hier die Rolle einer treibenden Kraft.
Im Juni 1793 beschloss der französische Konvent in Paris die zweite Verfassung von Frankreich, die bis heute verfassungsgeschichtlich als das "Vorbild einer radikal-republikanischen Verfassung" (1) gilt. In den Artikeln 33 bis 35 heisst es:
"Art.33. Der Widerstand gegen Unterdrückung ist die Folge der
übrigen Menschenrechte.
Art. 34. Unterdrückung der Gesamtheit der Gesellschaft ist
es, wenn auch nur eines ihrer Glieder unterdrückt wird; Unterdrückung
jedes einzelnen Gliedes ist es, wenn die Gesamtheit der Gesellschaft unterdrückt
wird.
Art. 35. Wenn die Regierung die Rechte des Volkes verletzt, ist
für das Volk und jeden Teil des Volkes der Aufstand das heiligste
seiner Rechte und die unerlässlichste seiner Pflichten." (2)
Fast zur gleichen Zeit, 1798, erliess die preussische Regierung ein Edikt, in dem Zusammenschlüsse gegen die Staatsmacht - seinerzeit vor allem von Seiten bürgerlich-revolutionärer Studentenbünde - unter Strafe gestellt wurden. Von einer verfassungsrechtlichen Garantie des freien Zusammenschlusses der Bürger gegen die Ausübung der bestehenden Staatsmacht war in Deutschland auch in der Folgezeit nie ernsthaft die Rede - geschweige denn von einem Aufstandsrecht des Volkes. Von den Karlsbader Beschlüssen von 1819 zur "Demagogenverfolgung", über Verbindungsverbote für Handwerksgesellen während des ganzen 19. Jahrhunderts bis hin zu den Bismarckschen Sozialistengesetzen - in deren historischer Folge dann letztlich auch KZs im "Dritten Reich" und Kommunistenverfolgung zu Beginn der BRD - zieht sich vielmehr durch die deutsche Geschichte die Linie der Bekämpfung und Kriminalisierung eigenständiger Volksbewegungen und Zusammenschlüsse. Erst 1833 räumte ein deutscher Einzelstaat - nämlich Baden - Vereins- und Versammlungsfreiheit gesetzlich ein aber auch nur unter dem Vorbehalt der "öffentlichen Sicherheit und Ordnung" und des "allgemeinen Wohls" (3). Erst 1848 beschloss die Frankfurter Nationalversammlung eine weitergehende Versammlungsfreiheit (4). In Art. VIII § 161 der Paulskirchenverfassung von 1849, an deren Art. 123 die Weimarer Verfassung anknüpfte, wurden für Versammlungen "friedlich und ohne Waffen" Erlaubnispflichten ausgeschlossen aber für Versammlungen unter freiem Himmel Beschränkungsmöglichkeiten vorgesehen. Das war das Höchste an souveräner Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit des Volkes, was in der deutschen Verfassungsgeschichte auftauchte. Fasste die französische Verfassung von 1793 - im Einklang mit der anglo-amerikanischen Verfassungstradition - Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit als aktive Teilnahme am politischen Prozess bis hin zum Aufstandsrecht auf, als staatsgestaltendes Bürgerrecht, so gestand das deutsche Staatsverständnis diesen Rechten nie mehr zu, als dass sie Teil der individuellen Entfaltung ähnlich wie die Meinungsfreiheit seien und staatsabwehrenden Charakter hätten. Natürlich gab es das für die deutsche Entwicklung kennzeichnende restriktive Verständnis von Vereinigungs- und Versammlungsrechten auch in anderen europäischen Staaten, auch in Frankreich. Doch im Unterschied zu Deutschland stand es dort in ständigem Spannungsverhältnis und Kampf zu der liberalen und republikanischen Auffassung; und das ist in einem bestimmten Umfang bis heute so geblieben.
Eine öffentliche - parlamentarische und ausserparlamentarische - Debatte um Grundrechtsgarantien, politisches Strafrecht und polizeiliche Befugnisse in Bezug auf politische Opposition, insbesondere Fundamentalopposition, im Vergleich verschiedener westeuropäischer Staaten und in ihrem Verhältnis zueinander hat bis heute nicht stattgefunden. Die Herrschaftsapparate in den verschiedenen EG-Staaten und insbesondere die Sicherheitsapparate waren und sind an einer solchen Debatte und der Entwicklung von Zusammenarbeit und Vereinheitlichung auf dieser Grundlage nicht interessiert birgt sie doch das Risiko, dass bürgerlich-revolutionäre Traditionen und in einigen Staaten noch vorhandene Restbestände radikaldemokratischer Regelungen Anknüpfungspunkte für auf die heutige gesellschaftliche Situation bezogene demokratische Neukonzeptionen sein könnten. Ganz im Gegenteil dazu hat sich seit dem 2. Weltkrieg, zunächst (und bis heute in vieler Hinsicht immer noch) weitgehend heimlich, dann immer mehr in flächendeckende Propaganda umgesetzt, ein ganz anderer, auf repressive Vereinheitlichung hinwirkender Prozess vollzogen:
Seit den Partisanenkämpfen im 2. Weltkrieg, die entscheidend zum Sturz des italienischen und deutschen Faschismus beitrugen und noch heute etwa in Italien und Frankreich im öffentlichen Bewusstsein eine wichtige Rolle spielen, und seit der anschliessenden Entfaltung von antikolonialen Befreiungsbewegungen im Trikont hat sich in allen kapitalistischen Staaten, speziell in den NATO-Staaten, vornehmlich in den Militär- und Polizeizentralen, aber auch in den Konzern- und Wissenschaftszentren, eine fieberhafte Suche nach Strategien gegen systemverändernde Bewegungen entwickelt. Die Arbeit daran ist immer mehr verwissenschaftlicht und auf dieser Grundlage nicht nur in praktische polizeiliche, militärische, wirtschaftliche, politische Operationen umgesetzt worden - wie wir sie inzwischen eindrucksvoll am Vorgehen etwa der USA bezüglich Nicaragua, Chile etc. vorgeführt bekommen -, sondern vor allem auch in langfristige Strategien. Ihr Ziel ist die Schaffung umfassender präventiver Sicherheitsstrukturen, die systemverändernde Massenbewegungen von vornherein mit flexiblen Mitteln von Integration und Repression ersticken sollen.
Zumindest seit den 60er Jahren sind solche Strategien auch zur Bekämpfung innerer Unruhen in den westeuropäischen Staaten von NAT'0- und Polizeistäben ausgearbeitet worden und manifestieren sich in bemerkenswerten Angleichungen des offiziellen Propaganda-Jargons, der polizeilichen und militärischen Spezialeinheiten und Sonderübungen und der zentralen polizeilichen Apparate. Die in der gesamten BRD-Polizeiführung und in den NATO-Stäben seit Jahren gängige Charakterisierung der heutigen Situation in den EG-Staaten als "erste Stufe eines neuen Krieges", so der Bremer LKA-Direktor Dr. Schäfer (5), ist Ausdruck dieser Entwicklung. TREVI als wohl entscheidende Struktur für die Planung der polizeilichen Zusammenarbeit gegen den "inneren Feind" europaweit (s. Diederichs, S. xy) ist nicht nur Ausdruck der hohen Intensität, sondern auch der praktischen Extralegalität der Sicherheitszusammenarbeit. Sie verdeutlicht auch, wie sehr die gesamten Sicherheitskonzeptionen auf politischen Systemerhalt zugeschnitten und gegen Systemopposition (sei sie auch nur potentiell) gerichtet sind. Das Kürzel TREVI: "Terrorism, Radicalism, Extremism, Violance international" - ist kein Zufall.
Auf diesem Hintergrund wird verständlich, welche Rolle die sich seit Beginn der 70er Jahre in allen EG- Staaten ausbreitenden staatlichen und durch die bürgerlichen Medien getragenen Aktivitäten gegen "Terrorismus" bzw. inzwischen "internationalen Terrorismus" spielen. Zweifellos sind sie auch Reaktion auf verschiedene militante politische Aktionen in mehreren EG-Staaten, allerdings nur vordergründig. Schon am 28.10.1977 hat der damals amtierende Bundesjustizminister H. J. Vogel - heute SPD- Vorsitzender - bei der 1. Lesung des im Schnellverfahren durchgebrachten "Antiterrorismusgesetzes" sich zum eigentlichen Problem der Staatsmacht mit den unter die Kategorie des "Terrorismus" gebrachten Vorgängen geäussert: "Nicht dass Menschen getötet werden - so furchtbar das auch ist - ist das Spezifikum der Terrors. Sein Spezifikum ist der frontale Angriff gegen unseren Staat, gegen die Wertordnung unserer Gesellschaft und gegen den Grundkonsens der geistigen und politischen Kräfte, auf denen unsere staatliche und gesellschaftliche Ordnung ruht." (6)
Nach diesem - durchaus nicht Vogel-spezifischen - Verständnis ist "Terrorismus" die äusserste in Aktionen ausgedrückte und auf entsprechende gesellschaftliche Wirkung bedachte Negation der bestehenden Ordnung - und das ist die entscheidende Gefahr daran. Es gilt eben darum, eine massive staatliche Gegenstrategie zu entfalten, die der Bevölkerung als Bedrohung ihrer eigenen Interessen vermittelt und als ein enormes gesamtgesellschaftliches Bedrohungspotential darstellt, was tatsächlich Bedrohung der herrschenden Werteordnung ist. Zugleich gilt es, mit äusserster Repression gegen die zu "Terroristen" erklärten Akteure vorzugehen, um auszuschalten und abzuschrecken. Propaganda gegen "Terrorismus" und "Terrorismus"- Bekämpfung werden nach und nach in der politischen Auseinandersetzung in verschiedenen EG-Staaten zu den entscheidenden Instrumenten staatlicher Gegenoperationen gegen prinzipielle Systemopposition und zu Einschüchterungs- und Reintegrationsinstrumenten für andere, zumindest kritische Bevölkerungsteile.
Distanzierung von "Gewalt und Terror" - bei gleichzeitig uferloser Ausdehnung dieser Kategorien - sind mittlerweile durchgängig in der BRD zu entscheidenden Prüfsteinen dafür geworden, ob mit bestimmten Personen oder Gruppen Oberhaupt noch gesprochen wird. Dies alles geschieht, während sich die ständigen Anwender der "Terrorismuskategorie" über deren Nebulösität durchaus im Klaren sind. Man darf sogar annehmen, dass sie diese Unklarheit ganz bewusst einsetzen - sie ist wichtig für die Übertragbarkeit auf immer neue Vorgänge, Verschleierung des Wesentlichen, auch und nicht zuletzt zur Gewährleistung der Bedrohungswirkung, der Angst vor dem Unheimlichen, aus dem Hinterhalt sich immer mehr Ausbreitenden. So reicht denn die offizielle Definitionspalette von der Erkenntnis, "dass ein und dieselbe Personengruppe als Terroristen und als Freiheitskämpfer eingruppiert werden können es kommt ganz auf den Standpunkt an ..." (7), bis hin zum unverhohlenen Bekenntnis: "Terrorismus ist Kommunismus". (8)
Das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27.01.1977 - bereits seit Anfang der 70er Jahre massgeblich von der BRD lanciert und inzwischen von den meisten Europaratsstaaten ratifiziert (9) - als einziges völkerrechtliches Vertragswerk zu diesem Thema in Europa veranschaulicht, wie sehr die Konzeption der Undefiniertheit und Ausdehnbarkeit des "Terrorismus"- Begriffs auf eine grosse Zahl zugespitzter politischer Konflikte inzwischen europaweit Schule gemacht hat.
In seinem Art. 1 wird per juristischem Definitionstrick ein Katalog von Straftaten (ähnlich wie in §129a StGB), die "typischerweise unter Berufung auf eine politische Motivation begangen werden", wie es in der Begründung der Bundesregierung heisst (10), als "für die Zwecke der Auslieferung zwischen Vertragsstaaten" nicht politische oder politisch motivierte Straftaten deklariert - um so das klassische liberale Auslieferungsverbot bei politischen Taten zu beseitigen (11). Eine Definition des Terrorismus- Begriffs enthält das Übereinkommen nicht. Stattdessen wird in Art. 2 den Vertragsstaaten die Möglichkeit eingeräumt, die Fiktion einer unpolitischen (weil "terroristischen") Tat auszudehnen auf "nicht unter Art. 1 fallende schwere Gewalttaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die Freiheit einer Person" und sogar noch "für eine gegen Sachen gerichtete schwere Straftat, wenn sie eine Gemeingefahr für Personen herbeiführt". Man kann sich leicht die Ausdehnung dieser "Terrorismus"-Kategorie auf etwa Landfriedensbruch (§125 StGB) oder gefährliche Eingriffe in den Strassenverkehr (§315b StGB), Störung öffentlicher Betriebe (§316b StGB), Straftaten, die etwa im Zusammenhang mit Streiks verwirklicht werden könnten vorstellen. Das Übereinkommen ist ein fataler Ausdruck davon, wie weit die Aufgabe liberaler Grundsätze in der Behandlung politischer Gegner nicht nur in der BRD unter Berufung auf die angebliche "terroristische Gefahr" schon gediehen ist. Der französische Rechtsprofessor Gerard Soulier hat zutreffend dazu bemerkt: "Dieses Übereinkommen internationalisiert die Doktrin der Inneren Sicherheit. Es ist ein Reflex des Europa, das sich abzeichnet und schon existiert. Eine Internationale der Repression organisiert sich im Europäischen Rahmen. Und dieses Projekt des Übereinkommens ist nichts als das erste seiner juridischen Instrumente." (12)
Trotzdem besteht bei den Sicherheitsstrategen erstaunliche Übereinstimmung, dass weitgehend deckungsgleiche innerstaatliche gesetzliche Regelungen im Straf- und Strafprozessrecht nur schwer und langwierig zu erreichen sind. So sinnierte der ehemalige BKA-Präsident Boge in einem Interview in der Hessischen Polizeirundschau vom Februar 1989: "Je tiefer man in die Problematik einsteigt, desto mehr stellt man fest, wie unterschiedlich selbst in Westeuropa die Rechtsvorschriften, Auffassungen und Interessenlagen sind ... Eines ist ganz klar: Europa wird nicht vereinheitlicht, kein Land wird grundsätzlich Rechtspositionen aufgeben, das nationale Recht besteht zu 99% fort. Es werden lediglich - bildlich gesprochen - die Scharniere geölt und die gröbsten Bruchstellen gekittet".
Auf den ersten Blick ist diese Skepsis - soweit sie nicht Zweckpessimismus ist - erstaunlich. Denn nicht nur haben sich Propaganda und immer dramatischere Lagebilder vom "internationalen Terrorismus" in den grössten EG-Staaten beträchtlich angenähert. Auch die gesetzlichen Regelungen in den wichtigen EG-Ländern, die unter Berufung auf "Terrorismus" seit den 70er Jahren erlassen wurden, weisen Übereinstimmungen in wesentlichen Merkmalen auf. Kennzeichnend ist jeweils:
In der Tat ist die Vereinheitlichung, und zwar leider im antiliberalen und repressiven Sinn, wohl auf kaum einem strafrechtlichen Gebiet so gross, wie in Sachen "TE". Doch bei näherer Untersuchung fallen ganz erhebliche Unterschiede auf - und zwar weniger im formalrechtlichen Sinn der einzelnen Vorschriften, sondern vor allem im Verhältnis zur gesamten politischen Realität und Rechtskultur der verschiedenen Staaten.
Einerseits: Der politische Rückhalt militant und guerillamässig operierender Organisationen in einer Massenbewegung, und zwar auch und gerade in der Arbeiterbewegung, war und ist in den anderen mit Sondergesetzen operierenden Staaten sicherlich erheblich, ja durchweg qualitativ grösser als in der BRD. Das gilt jedenfalls für die frühere Rolle der Brigate Rosse in Italien, die sich nicht nur beträchtlich auf eine ausserordentlich grosse und vielfach militante Studenten- und Schülerbewegung seit Ende der 60er Jahre, sondern auch auf eine zunehmend radikal und militant operierende autonome Arbeiterbewegung vor allem in der Grossindustrie Norditaliens beziehen konnte (13). Das gilt ganz besonders für die IRA in Nordirland und die ETA im Baskenland: Sinn Fein, mit der IRA verbundene politische Partei, bekommt in Nordirland jede vierte bis dritte katholisch-republikanische Stimme, und Herri Batasuna, die Partei, politischer Flügel der ETA, erhielt z.B. 1986 bei den Wahlen zur gesetzgebenden Versammlung des spanischen Baskenlandes (Euzkadi) 230.000 Stimmen und wurde viertstärkste Partei in Euzkadi (14). Und selbst in Frankreich stammt er grösste Teil der dort als "terroristisch" bezeichneten Gefangenen (nach Sicherheitsminister Pandraud Ende 1987 153, davon nur 4 von Action Directe) aus in stärkerem Umfang in Massenbewegungen verankerten, zumeist antikolonialen Bewegungen, etwa der "Alliance Revolutionaire de Caraibes" oder der korsischen FLNC (15). In Nordirland und in Euzkadi kann tatsächlich von einer politischen Notstandssituation für die herrschende Staatsmacht Grossbritanniens bzw. Spaniens gesprochen werden - was in der BRD ernstlich nie der Fall war.
Andererseits: In Spanien und Grossbritannien sind die TE-Sondergesetze bis heute Gegenstand heftiger grundsätzlicher Kontroversen bis hinein in die staatstragenden Parteien.
So konnten in Grossbritannien seit dem ersten "Prevention of Terrorism (temporary provisions) Act" von 1976 bis zum neuesten (dritten) "temporary provisions act" von 1989 trotz jahrelangem politischen Thatcherismus immer nur zeitlich befristete und mit der nordirischen "Notstands"- Situation gerechtfertigte Sondergesetze durch das Parlament gebracht und in der Praxis nur auf den IRA- Bereich angewandt werden - wobei allerdings 1987 und 1989 nach den sozialen Unruhen von Toxteth und Brixton verabschiedete neue Gesetzespakete deutlich auf Ausdehnung hinweisen (16).
In Frankreich ist kennzeichnend für das ständige Tauziehen zwischen linksoppositionellen und auf bürgerlich-liberale Traditionen pochenden Kräften einerseits und reaktionären und modern- sicherheitsstaatlich orientierten Kräften andererseits der grundlegende Kurswechsel in wesentlichen Punkten innerhalb weniger Jahre: So unter der PS/ PCF-Regierung 1981 die Abschaffung des seit 1963 bestehenden Sondergerichts für Staatssicherheitsdelikte "cour de sureté de l'Etat"; 1983 teilweise Aufhebung des Gesetzes "securité et liberté" und insbesondere des Art.266 code penal (Bildung krimineller Vereinigungen bzgl. bestimmter Vergehenstatbestände)-, dann 1986 Wiedereinführung des Art.266 c.p. und durch Gesetz vom 09.09.1986 unter dem Vorwand der "Bekämpfung terroristischer Gewalttaten" Sondervorschriften gegen bestimmte "kriminelle Vereinigungen", Sonderzuständigkeiten bei der Staatsanwaltschaft von Paris und Einführung einer Art Kronzeugenregelung (17).
In Spanien verlaufen Verschärfungen und Verfestigungen der Sonderregelungen gegen "Terrorismus" (zuletzt durch Organgesetz Nr. 3/88 vom 25.05.1988 "gegen Terrorismus und Rebellion" Verankerung spezieller "TE"- Straftatbestände als Art. 173, 174 im codigo penal) und Ausbau der Sondergerichtsbarkeit "audiencia nacional " in Madrid gegen ETA- und GRAPO- Gefangene gegenläufig zu Liberalisierungstendenzen im allgemeinen Strafrecht, etwa der Einführung eines allgemeinen Habeas-Corpus-Verfahrens nach anglo-amerikaischem Vorbild durch Organgesetz Nr. 6/84 und Regelungen zur Einschränkung von Willkür und Folter der Guardia Civil (18).
Keiner dieser Staaten hat es bisher geschafft, ein mit der BRD vergleichbares "Niveau" an Perfidie und Perfektion gesetzlicher (um den Schlüsseltatbestand §129a StGB gruppierter) Regelungen und tatsächlicher hochentwickelter polizeilicher (insbesondere BKA-TE- Abteilung), staatsanwaltschaftlicher (BKA- Sonderapparat), justizieller (OLG-Sondersenate) und haft/ strafvollzuglicher (HS-Trakte/ Isolationshaft) Strukturen flächendeckend - und dazu noch von allen staatstragenden Parteien (bis auf Randfragen) gestützt zu entwickeln. Und mehr noch: Bislang scheint sich in den anderen Staaten die Anwendung der speziellen "Terrorismus"-Bestimmungen nicht wesentlich über den Rahmen der militant operierenden, durchweg tatsächlich aufgrund ihres beträchtlichen Masseneinflusses systemgefährlichen Organisationen hinauszubewegen. Dagegen zielen nicht nur die Gesetzesänderungen in der BRD (zuletzt das seit 1.1.1987 in Kraft getretene sog. Terrorismus-Gesetz mit erheblicher Ausweitung der §129a StGB-Katalogtaten) (19), sondern auch die Praxis von BKA, Bundesanwaltschaft und OLG-Sondersenaten seit den 70er Jahren auf eine schrittweise Ausweitung des §129a StGB-Systems auf immer mehr soziale Bewegungen antimilitaristische, feministische, ökologische usw. - und weit über den Bereich unmittelbar gewaltsamer politischer Aktionsweisen hinaus auf immer mehr Verhaltensweisen blosser Meinungsbekundung, wie die zahlreichen Verfahren vor den Sondersenaten wegen blosser Unterstützung der Forderung nach Zusammenlegung der politischen Gefangenen belegen. (20)
Anknüpfend an die preussisch-polizeistaatlichen Traditionen, gestützt auf ihre wirtschaftliche und politische Vormachtstellung in Europa hat es die BRD zur Vorreiterrolle und treibenden Kraft in Sachen präventiver Repression gegen jegliche systemgefährdende Bewegungen gebracht - und das unter ständiger Beschwörung revolutionären und "terroristischer" Gefahren, die nun gerade hierzulande am allerwenigsten real sind.
Doch der nächste Schritt ist schon getan: Mit den aktuellen §129a StGB-Verfahren gegen der PKK zugerechnete Kurdinnen und Kurden ist erstmals eine antikoloniale Ausländerorganisation zum Gegenstand eines "Terrorismus"-Strafverfahrens gemacht worden, dabei sind erstmals auch angebliche Morde in einem Guerillacamp im Libanon Gegenstand eines solchen Verfahrens. Und BKA und Bundesanwaltschaft haben offenbar Ermittlungen gegen andere ausländische antikoloniale Organisationen bereits aufgenommen-, der §129a soll zu diesem Zweck nun auch formell auf Auslandsvereinigungen erweitert werden. Die BRD geht daran, sich nicht nur als Europa- sondern als Weltpolizist zu etablieren.
Michael Schubert, Anwalt in Freiburg, Strafverteidiger, u.a. in zahlreichen politischen Verfahren.
Der vorstehende Text ist die thesenhafte Kurzfassung eines Aufsatzes, der vollständig erscheint in dem Buch "Staatssicherheit - Die Bekämpfung des politischen Feindes im Innern", Hrsg. Helmut Janssen, Michael Schubert, AJZ-Verlag, Bielefeld, erscheint im Herbst 1990.
Veröffentlichungen u.a.: