Von 1970 bis 1972 untersuchten vier Chirurgen des Belfaster Royal Victoria Hospitals 90 Patienten, die nach Gummigeschossverletzungen im Krankenhaus behandelt wurden. 80 Prozent der zwischen sieben und 67 Jahre alten Patienten, darunter ein Drittel Frauen, hatte Kopfverletzungen. Die Mediziner kamen zu dem Ergebnis: "Es ist offensichtlich, dass Augen, Gesichts- und Schädelknochen und Gehirn ganz besonders leicht durch ein Geschoss dieser Grösse, dieses Gewichts und dieser Geschwindigkeit zu verletzen und zu schädigen sind. (...) Kopfverletzungen sind besonders ernst zu nehmen, da Gehirnschädigungen tödlich sein können und ein sehr hoher Prozentsatz von Verletzungen an und im Auge zur Erblindung fuhrt." (16)
Im Sommer 1972 übergaben die Belfaster Mediziner ihren Bericht der britischen Armee, die ihn bis 1973 unter Verschluss hielt. Erst als die Sunday Times einen ihr zugespielten Teil abdruckte, wurde einer Veröffentlichung zugestimmt.
Anhand der von ihnen untersuchten Verletzungen wiesen die Chirurgen nach, dass " Gummigeschosse in der jetzigen Form nicht als völlig sicher bezeichnet werden " können. ..Dies ist hauptsächlich bedingt durch ihre Ungenauigkeit bei der empfohlenen Entfernung von 30 oder mehr Metern. Bei Treffern der unteren Extremitäten gab es keine ernsthafteren Verletzungen und nur eine bei Treffern des Abdomens (Bauch, Anm.). Treffer an Brust und Kopf erzeugen häufiger schwere Verletzungen. Es ist jedoch nicht nur unmöglich, Treffer an verwundbaren Stellen des Individuums auszuschliessen, das Geschoss kann sein Ziel auch völlig verfehlen und eine ganz andere Person treffen. Es wäre daher wünschenswert, das jetzige Geschoss durch ein solches zu ersetzen, dessen Genauigkeit erhöht und dessen Verletzungspotential gleichzeitig verringert wurde. Mit Interesse haben wir gehört, dass ein solches Geschoss kürzlich entwickelt wurde. Es handelt sich um ein Geschoss aus solidem Plastikmaterial und soll wesentlich genauer sein."
Diese abschliessende Bemerkung traf sich damals mit der Absicht der britischen Armee und RUC, ein Geschoss an die Hand zu bekommen, "mit dem Ziel grösserer Treffgenauigkeit und Effektivität ohne entscheidend grössere Verletzungen hervorzurufen", wie es der Nordirland-Minister der Londoner Regierung, James Prior, zehn Jahre später offenherzig formulierte. (17)
Die Todesfälle und vielfältigen Verletzungen durch die von ihnen selbst empfohlenen Plastikgeschosse veranlassten 1981 die Spezialisten des Royal Victoria Hospitals, erneut eine Studie anzufertigen. Neben den Ärzten der weltbekannten Notfallabteilung des RVH sind auch Vertreter der Fachrichtungen Neuro-, Brust- und plastischer Chirurgie beteiligt, sowie Zahnärzte. Insgesamt 100 Patienten haben die Autoren des bislang noch unveröffentlichten Berichtes zwischen April und August untersucht (drei der 100 Getroffenen gehören zu den im Sommer 1981 tödlich Verletzten).
Einzelergebnisse wurden vorab bekannt: Obwohl gegenüber der im Umfang vergleichbaren Gummigeschossstudie die Zahl der Kopf- und Gesichtsverletzungen abgenommen hat, ist eine deutliche Zunahme von Schädelbrüchen von drei auf acht zu verzeichnen. Diese Zahl verdeutlicht die weitaus höhere Wucht, mit der Plastikgeschosse auftreffen. In 17 Fällen (gegenüber zwei bei Gummigeschossen) wurden Patienten von der Spitze des Geschosses getroffen - eine Zahl, die einer der an der Studie beteiligten Ärzte, Lawrence Rocke, als Zeichen dafür deutet, dass Plastikgeschosse wesentlich gefährlicher seien als ihre Vorgänger aus Hartgummi und dringend einer Abänderung bedürfen. (18)
Die Fachzeitschrift Hospital Doctor zitiert eine vorläufige Zusammenfassung des Chefarztes der RVH-Notfallabteilung, William Rutherford: "... Die grösste Gefährdung durch Plastikgeschosse tritt dann auf, wenn sie das Gesicht oder den Kopf treffen - in diesen Fällen sind die Verletzungen fast immer sehr schwer. Solange sie den Körper unterhalb des Halses treffen, ist die Wahrscheinlichkeit einer schweren Verletzung dagegen relativ gering. Es hat Fälle von Lungen- und Milzrissen und gelegentlich auch Knochenbrüche an Armen und Beinen gegeben. Dies war aber ausgesprochen selten. Gesichtsknochen wie Nasenbein, Backenknochen oder Kiefer wurden dagegen leicht gebrochen und häufig endeten Plastikgeschossverletzungen mit Blindheit, wenn sie die Augen treffen, und zu einem Einriss des Augapfels führten." (19)
Wie auch immer die Schlussfolgerungen und Empfehlungen der Belfaster Ärztegruppe sein werden, an einem Ergebnis wird niemand vorbeikommen: Plastikgeschosse sind Waffen, die in ihrer Gefährlichkeit der von "scharfer" Munition nur um ein Geringes nachstehen. Gerade die Hirnverletzungen führen zu schweren Zerstörungen des Gewebes, deren Grad u.U. grösser ist als bei Kopfverletzungen durch Kugeln.
Kräftigster Beweis für die grössere Gefährlichkeit von Plastikgeschossen gegenüber ihren Vorgängern aus Hartgummi ist obendrein auch das Verhältnis zwischen der Menge der abgefeuerten Geschosse und den aufgetretenen Todesfällen: Bis Ende 1981 gab es auf ca. 4.000 abgefeuerte Plastikgeschosse ein Todesopfer, während das Verhältnis bei Gummigeschossen 1:18.000 war.