Wer an einem frühen Freitagnachmittag durch Israel fährt, der wird an etlichen vielbefahrenen Strassenkreuzungen schwarzgekleidete Frauen sehen, die ein Schild, meist in Form einer Hand, mit der Aufschrift "Schluss mit der Besetzung. tragen." Die Frauen in Schwarz, die sich kurz nach Beginn der Intifada im Januar 1988 formierten und in der ersten Zeit neben Jerusalem nur in Tel Aviv und Haifa ihren Protest gegen die Besetzung ausdrückten, sind jetzt an jedem Freitag an dreissig bis vierzig Orten und Strassenkreuzungen anzutreffen. Ein Teil der politisch heterogen zusammengesetzten Gruppen demonstriert schweigend, andere debattieren auch mit interessiertem Publikum. Nicht selten haben sich die Frauen - häufig sexistischer - Anpöbeleien zu erwehren. Die Botschaft der Frauen in Schwarz ist: Wir sind da, wir sind gegen die Besetzung, ihr könnt uns nicht übersehen.
Rami Hason, Reservist des Israelischen Militärs, hat seit Beginn der Intifada rund 150 Tage Knast - in vier Portionen - abgesessen. Rami, Mitglied von Jesch Gwol, hatte sich viermal hintereinander geweigert, seinen Reservedienst in den besetzten Gebieten abzuleisten und war folglich Viermal eingeknastet worden. - Jesch Gwol (Es gibt eine Grenze - gemeint ist die 67er-Grenze von Israel) wurde zur Zeit des israelischen Einmarsches in den Libanon 1982 gegründet. Die Mitglieder der Gruppe verweigerten ihren Einsatz im Libanon, da sie einen Angriffskrieg Israels nicht unterstützen wollten. Nach dem Libanon-Krieg weitete die Gruppe ihre Verweigerung auf den Einsatz in den besetzten Gebieten aus. Der Militärdienst innerhalb Israels sowie ihre Teilnahme an der Verteidigung wird von der Gruppe nicht in Frage gestellt. Etwa 90 (reserve-) dienstpflichtige Israelis sind seit Beginn der Intifada wegen ihrer Verweigerung ein bis mehrmals dreissig Tage eingeknastet worden. Nach Schätzungen sind es etwa noch zehnmal so viele, die ebenfalls den Einsatz in den besetzten Gebieten verweigern, denen die Militärführung aber stillschweigend einen Einsatzort im Landesinneren zuweist. (Eine gesetzlich verankerte Kriegsdienstverweigerung gibt es in Israel nicht, Totalverweigerung ist gänzlich unbekannt.)
Eine Gruppe von jüdischen Israelis, Mitglieder von Das 21. Jahr (der Besetzung), ist auf dem Weg nach Kalkilla in der Westbank. Dort ist das Haus einer palästinensischen Familie gesprengt worden, weil ein Sohn der Familie verdächtigt wird, einen Brandsatz geworfen zu haben. Israelisches Militär verwehrt ihnen den Zugang nach Kalkilla, ein Teil von ihnen kann sich an den Sperren vorbeischleichen und der Familie den beabsichtigten Solidaritätsbesuch abstatten. Diese denkbar friedliche kleine Versammlung wird jedoch alsbald vom Militär überrascht und aufgelöst. Als einer aus der Versammlung beim Abzug das "V"-Zeichen macht (jene insbesondere bei palästinensischen Kindern beliebte Geste), wird die ganze Gruppe festgenommen und fünf Tage in Untersuchungshaft gehalten. Die Teilnehmer des Solidaritätsbesuches werden nächstens u.a. wegen "Unterstützung des Aufruhrs" vor Gericht stehen. - Die Gruppe Das 27. Jahr wurde kurz vor Beginn der Intifada, im November 1987, mit der Vorlage einer Charta "Kampf gegen die Besetzung" gegründet. Der Totalität der Besetzung, heisst es in der Charta, solle die Totalität des Kampfes gegen die Besetzung entgegengestellt werden. Die Gruppe gehört zu den wenigen Krähen, die für eine (unmittelbare) Zusammenarbeit mit Palästinensern eintreten und diese auch praktizieren.
Der Ausbruch der Intifada hat die alten Gruppierungen der (jüdisch-) israelischen Protestbewegung - insbesondere den Dachverband Frieden jetzt - zu neuer Aktivität veranlasst, und es sind zahlreiche und vielfältige neue Gruppierungen entstanden - die Protestbewegung hat sich bis hinein in das parlamentarische "Friedenslager" radikalisiert. Eine grosse Anzahl von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens - Wissenschaftler, Künstler, Militärs, Schriftsteller - hat das Vorgehen des israelischen Militärs in den besetzten Gebieten in Reden, Resolutionen, Anzeigenkampagnen und Publikationen verurteilt. Die Forderung nach Verhandlungen mit der PLO wird nun nicht mehr - wie noch vor wenigen Jahren - glattweg als Landesverrat angesehen sondern sogar von hochrangigen Militärs ("im Interesse Israels") unterstützt. Gut 50% der Bevölkerung hat sich in einer neueren Umfrage für diese Verhandlungen ausgesprochen, was allerdings nicht mit einer Zustimmung zur Zwei-Staaten-Lösung gleichzusetzen ist.
Jeden Freitag um 14 Uhr treffen sich die "Frauen in Schwarz"
Diese Entwicklung ist jedoch zuletzt einer gewachsenen Einsicht der jüdisch- israelischen Bevölkerung in die Notwendigkeit eines Friedens mit den Palästinensern zu danken. Vielmehr ist es die Intifada, die den Israelis deutlich gemacht hat, dass es sich bei der Bevölkerung im besetzten Palästina - in Westbank und Gasastreifen - nicht um eine amorphe Masse von "Flüchtlingen" handelt sondern um ein Volk, das angetreten ist, für seinen unabhängigen Staat zu kämpfen. Die israelische Protestbewegung, deren Breite und Einfluss hierzulande - leider - weit überschätzt wird, hat über den zwar bedeutsamen, aber eher erst langfristig wirksamen Umstand hinaus, dass die Palästinenserinnen als Volk und die PLO als ihre Vertretung faktisch anerkannt sind, bisher kaum eine konkrete Verbesserung der Lage und der Kampfbedingungen der Palästinenserinnen erreichen können.
Allerdings steht die jüdisch- israelische Protestbewegung auch vor besonderen Problemen:
Das Engagement fast aller Protestgruppen steht ganz überwiegend im Zeichen einer Wahrung der israelischen Demokratie und der "Verständigung", die direkte Solidarisierung und Zusammenarbeit jüdisch- israelischer Protestgruppen mit Palästinenserinnen ist die Ausnahme.
Übereinstimmung besteht denn auch in den unterschiedlichen - radikaldemokratischen, liberalen und sozialistischen - Gruppierungen der Protestbewegung darin, dass viele der Israelis nicht von ihnen erreicht werden, dass sie nicht viel verändern können. Ihre eigentliche Bedeutung bestehe derzeit, heisst es, in ihrer Existenz. Die Krise der jüdisch- israelischen Gesellschaft sei weitaus tiefgreifender als während des Libanonkrieges, werde aber erst langfristig zum Ausdruck und zum etwaigen Ausbruch kommen.