(nach AIB, Nr. 41)
Da immer mehr Linke in den letzten Monaten von den neuen sogenannten Schnellverfahren betroffen waren und absehbar ist, daß die Zahl der Schnellverfahren in der nächsten Zeit noch zunehmen wird; hat sich das AIB mit dem Berliner Ermittlungsausschuß und einigen Rechtsanwältlnnen zusammengesetzt, um Möglichkeiten aufzuzeigen, wie man/ frau sich vor dem Schnellgericht verhalten kann. Wenn Ihr das alles zu kompliziert findet, um Euch die einzelnen Schritte zu merken: Schneidet den Artikel einfach aus, kopiert ihn und nehmt ihn auf Demos, Aktionen etc. mit, diskutiert ihn gemeinsam mit Eurer Gruppe.
Schnell, einfach, billig und gut! So oder ähnlich werben derzeit Justiz und Staatsanwaltschaften quer durch alle Bundesländer fur das sogenannte "beschleunigte Verfahren", das im Folgenden als "Schnellverfahren" bezeichnet wird. Jahrelang hatten die Schnellverfahren eigentlich ein Schattendasein geführt. 1994 wurde dann mit dem sog. "Verbrechensbekämpfungsgesetz" den Staatsanwaltschaften und Amtsgerichten wesentlich weitgreifendere Möglichkeiten eingeraumt bei einfachen Tatvorwürfen wie "Verstoß gegen das Versammlungsgesetz", "Widerstand", "Landfriedensbruch" und "Sachbeschädigung" Schnellverfahren durchzuführen. In Berlin, aber auch in den neuen Bundesländern wie Brandenburg, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt wird seit Mitte diesen Jahres verstärkt versucht, nach Demonstrationen, Haus- und Baumbesetzungen und kleineren Aktionen, Festgenommene durch das Schnellverfahren abzuurteilen. Betroffen sind -wie bei den Baumbesetzungen in Suhl, den Häuserräumungen in Potsdam, bei der verbotenen Antifademo in Saalfeld etc.- vor allem Punks, Autonome und Antifas. Daß die Schnellverfahren vereinzelt auch gegen Nazis angewendet worden sind, sollte für uns wirklich kein Grund sein, sich über die Existenz dieser merkwürdigen Form der Rechtsprechung zu freuen oder sich nicht damit auseinanderzusetzen.
Erklärtes Ziel der "Schnellgerichtsverfahren" ist die schnelle Abschreckung von "TäterInnen", da Kriminologen und Justiz davon ausgehen, daß Strafen nur dann "erzieherisch wirksam" und "abschreckend" seien wenn die Strafe unmittelbar der Tat folgt. Darüber hinaus wird die Möglichkeit, mit Anwältlnnen gegen eventuelle Strafverfahren nach Demos etc. vorzugehen (und dabei oft eine Einstellung der Verfahren zu erreichen) erheblich eingeschränkt. De facto werden durch die Schnellverfahren massenhaft Leute kriminalisiert und ihnen wird oft jegliche Möglichkeit genommen, sich dagegen zu wehren. Schnellverfahren sind ein wichtiger Baustein im Projekt "Innere Sicherheit". Angesichts der massenhaften Anwendung der Schnellverfahren sollten sich Gruppen und Leute, die Demos, Aktionen etc. planen, noch verschärfter schon vor einer Aktion Gedanken über die zeitweilige Einrichtung eines Ermittlungsausschusses, die Bekanntgabe der Telefonnummer und eine gute Zusammenarbeit mit Rechtsanwältinnen machen. Darüber hinaus können auch Infoveranstaltungen zu Schnellgerichtsverfahren sowie zu den Grundsätzen wie man/ frau sich nach einer Festnahme verhält, keinesfalls schaden. Am besten ist es, Ihr hinterlaßt unterschriebene Vollmachten und habt die Telefonnummer des Ermittlungsausschusses bzw. einer Anwältin/ eines Anwalts dabei, bevor Ihr zur nächsten Demo aufbrecht.
Daß der Grundsatz bei einer Festnahme, "Anna und Artur halten das Maul", nach wie vor gilt, sollte eigentlich jeder und jedem klar sein, doch es gibt eben immer wieder Situationen, in denen auch erfahrene Aktivistlnnen überrumpelt sind und Mühe haben, sich an Verhaltensstandards zu erinnern. Eine dieser Situationen ergibt sich, wenn man/ frau sich völlig unvorbereitet vor dem Schnellgericht wiederfindet.
Die Staatsanwaltschaft beantragt bei den zustandigen Richtern am Amtsgericht die Durchführung des "beschleunigten Verfahrens", das im Q 419 II der Strafprozeßordnung geregelt wird. Wenn der Richter zustimmt, droht den Betroffenen die schnelle Aburteilung. Im beschleunigten Verfahren dürfen nur Straftaten behandelt werden, die höchstens eine Haftstrafe bis zu sechs Monaten nach sich ziehen können. Ist die angedrohte Strafe für eine angeblich begangene Straftat hoher, darf das Schnellgerichtsverfahren nicht angewandt werden. Auch bei Personen, die noch nicht 21 Jahre alt sind, darf das Schnellverfahren wegen der besonderen Bestimmungen des Jugendstrafrechts nicht angewandt werden (daran müssen einige übereifrige Staatsanwälte manchmal erinnert werden).
Also, was tun, wenn man/ frau älter als 21 ist und nach einer Festnahme plötzlich damit konfrontiert ist, da8 er oder sie vor ein Schnellgericht kommt?
Prinzipiell gilt: Auf jeden Fall darauf bestehen, daß Ihr das Euch zustehende Telefonat nach draußen bekommt! Entweder Ihr ruft beim Ermittlungsausschu8 an oder bei einem Anwalt/ einer Anwältin oder zur Not bei einem/ einer Freundln. Dabei müßt Ihr darauf achten, Euren Vor- und Nachnamen zu nennen, was Euch vorgeworfen wird, warum das Schnellgerichtsverfahren stattfinden soll und ob noch andere Personen betroffen sind (die eventuell keine Möglichkeit haben, selber zu telefonieren). Eure Chancen, dem Schnellgerichtsverfahren zu entkommen, steigen erheblich, wenn ein Anwalt/ eine Anwältin von draußen versucht, dagegen vorzugehen. In den meisten Fällen, in denen Betroffene eine Anwältin/ einen Anwalt hatten, konnten Schnellgerichtsverfahren bisher abgewandt werden. Sobald Ihr davon erfahrt, daß Ihr vor ein Schnellgericht kommen sollt, solltet Ihr außerdem schriftlich klarstellen, daß Ihr den Tatvorwurf bestreitet und daß der Sachverhalt nicht den gesetzlichen Voraussetzungen entspricht, die für ein beschleunigtes Verfahren gelten. Ihr müßt dann einen schriftlichen Antrag mit folgendem Wortlaut schreiben:
"Das beschleunigte Verfahren ist jedenfalls nur zulässig, wenn dem Beschuldigten ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung gegeben wird (Artikel 6 Absatz 3b Menschenrechtskonvention). Es kommt nicht in Betracht, wenn dies den Beschuldigten in seiner Verteidigung beeinträchtigen würde. Durch das beschleunigte Verfahren werde ich in meiner Verteidigung beeinträchtigt und lehne es deshalb ab".
Zusätzlich zu dem schriftlichen Antrag sollte dann noch einmal schriftlich nach einer Anwältin/ einem Anwalt verlangt werden, die/ der am besten mit Namen, Telefonnummer und Anschrift angegeben werden sollte. Wenn das nichts hilft und euch die Polizei nach wie vor einen Anruf verweigert, habt Ihr spätestens, wenn Ihr vor der Staatsanwaltschaft oder dem Richter steht, die Möglichkeit, nach draußen zu telefonieren. Darauf solltet Ihr unbedingt bestehen!
Die nachfolgenden Tips sind für den zugegeben schlechten Fall gedacht, daß Ihr keinen Anwalt/ keine Anwältin habt oder erreichen konntet und Euch alleine vor dem Schnellgericht wiederfindet. Denn jetzt kommt Ihr in die Situation, daß Ihr natürlich an dern Grundsatz "Keine Aussagen" festhalten wollt, aber andererseits Anträge stellen müßt, um das Verfahren doch noch abzuwenden. Das Recht, Anträge zu stellen, hat jede/r Angeklagte! Wenn Ihr vor dem Schnellrichter steht, müßt Ihr als allererstes darauf bestehen, daß alles was ihr sagt protokolliert wird, damit euer Anwalt danach darauf zurückgreifen kann. Dann solltet ihr zunächst nocheinmal eure grunsätzliche Ablehnung gegen eine Verhandlung im "beschleunigten Verfahren" sowie den Wunsch nach einem Verteidiger entweder mündlich oder schriftlich zu Protokoll geben. Es ist sehr schwierig dem Gericht, von Anfang an klarzumachen, daß man alle Möglichkeiten der Verteidigung ausschöpfen will, um genau den Effekt zu vermeiden, den sich Staatsanwalt und Gericht vom beschleunigten Verfahren erhoffen, nämlich Zeit-, Kosten-, und Aufwandsersparnis. Der Phantasie bei der Stellung von schriftlichen Anträgen sind dann keine Grenzen mehr gesetzt. Zur Verteidigung sind alle denkbaren Anträge erlaubt! Erst eimal könnt ihr beantragen und zu Protokoll bringen lassen: "Ich beantrage die Unterbrechung des Verfahrens bis zu 10 Tagen um die Möglichkeit zur Einschaltung eine Rechtsanwaltes meines Vertrauens zu haben."
Dann könnt ihr einen Befangenheitsantrag gegen den Richter stellen. Der stützt sich darauf, daß man schon aufgrund der Äußerung, die das Gericht einem gegenüber gemacht hat, davon ausgehen muß, daß das Gericht nicht mehr neutral und unvoreingenommen über den Tavorwurf verhandeln wird, sondern voreingenommen ist. Der Antrag sieht dann so aus: "In der Strafsache ./. (Name, Aktenzeichen), lehne ich den/ die Richterin (Name) wegen Besorgnis der Befangenheit ab." Begründung: Hier sollte dann eine kurze Schilderung der Äußerungen kommen, aufgrund derer man/ frau annimmt, daß das Gericht voreingenommen ist. Glaubhaftmachung: Dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters (Name) und der Staatsanwaltschaft. Ein Befangenheitsantrag kann immer wieder im Laufe der Verhandlung neu gestellt werden, vor allem, wenn sich entsprechend einseitige Außerungen des Richters während der Verhandlung wiederholen.
Sollten diese Anträge abgelehnt werden, könnt Ihr einen Antrag auf Unterbrechung der Hauptverhandlung stellen: "Ich beantrage die Unterbrechung des Verfahrens bis zu 10 Tage, um die Gelegenheit zur Benennung von Zeugen, deren Nachnamen mir zum jetzigen Zeitpunkt nicht bekannt sind, zu haben, verbunden mit dern Antrag, die Entscheidung im beschleunigten Verfahren nach § 419 II StPo abzulehnen. Die von mir zu benennenden Zeugen werden die Aussagen der Belastungszeugen (das sind meistens Polizeibeamte) widerlegen und meine Unschuld bezeugen können."
Und jetzt noch ein paar Beispiele wie solche Beweisanträge aussehen sollten und was sie beinhalten können:
Es könnte Bildmaterial in Form von Fotos Videos oder Fernsehaufnahmen geben, das zu eurer Entlastung dienen könnte. Von euch zu benenende Zeugen könnten aussagen, daß ihr entweder gar nicht am sog. Tatort gewesen seid oder ohne ersichtliche Gründe von Polizeibeamten -ob in Zivil oder Uniform- zu Boden gerissen wurdet und wegeschleppt worden seid. Der Antrag lautet dann: "In der Strafsache /.(Name/Aktenzeichen) beantrage ich die Ladung und Vernehmung des Zeugen (Name/ Anschrift, und/ oder die Hinzuziehung des Bildmaterials des Fersehsenders xy".
Begründung: Der Zeuge war bei dem Vorfall am xy Tag zugegen und wird bestätigen, daß der Sachverhalt sich nicht so abgespielt hat, wie in der Anklageschrift angegeben wird (z.B. daß ich den Polizeibeamten geschlagen habe, daß ich keinen Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet habe usw.)
Im "beschleunigten Verfahren" ist es nach §420 der STPO möglich, daß die Vernehmung von Zeugen (z.B. Polizisten) verlesen werden kann. Das heißt, daß die Polizeizeugen nicht persönlich vor Gericht aussagen müssen, sondern einfach ihre Aussagen vorgelesen werden. Das darf nur mit Zustimmung des/ der Angeklagten geschehen. Die Zustimmung dazu müßt Ihr natürlich verweigern. Denn, wenn die Polizeibeamten z.B. aus einem anderen Bundesland als Zeugen geladen werden müssen und so schnell nicht greifbar sind, steht die Staatsanwaltschaft unter Umständen auf einmal ohne Zeugen da das ist dann ein eindeutiger Pluspunkt fur Euch. Wenn alle Stricke reißen, eine Verhandlung trotzdem durchgeführt wird und ein Urteil gefällt wurde, hat man/ frau immer noch eine Woche Zeit, um Berufung einzulegen und in aller Ruhe eine Verhandlung vor dem Berufungsgericht dann aber wirklich mit einer Anwältin/ einem Anwalt vorzubereiten.