Arbeit.
Eine Geschichte des Leidens.
Die Arbeit ist ihrem Wesen nach die unfreie,
unmenschliche, ungesellschaftliche, vom Privateigentum bedingte
und das Privateigentum schaffende Tätigkeit. Die Aufhebung
des Privateigentums wird also erst zu einer Wirklichkeit,
wenn sie als Aufhebung der Arbeit gefasst wird.
(Karl Marx, Über Friedrich Lists Buch Das nationale
System der politischen Ökonomie, 1845)
Daß die Arbeit aber selbst nicht nur unter den
jetzigen Bedingungen, sondern insofern überhaupt ihr
Zweck die bloße Vergrößerung des Reichtums
ist, ich sage, daß die Arbeit selbst schädlich,
unheilvoll ist, das folgt, ohne daß der Nationalökonom
(Adam Smith) es weiß, aus seinen eigenen Entwicklungen.
(Karl Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, 1844)
1. Die Durchsetzungsgeschichte der Arbeit - Absolutismus,
Kolonialismus
Die Arbeit, so wie sie uns heute erscheint, als eine fremdbestimmte,
jenseits der eigenen Bedürfnisse und außerhalb
eigener Kontrolle liegende Tätigkeit, ist, wie auch Kapital,
Markt usw., eine Kategorie, die nur der Moderne zuzuordnen
ist. Gegenstand unserer Kritik soll also nicht sein, dass
Menschen im allgemeinen tätig sind, also Häuser
bauen, Musik machen usw., sondern die momentane gesellschaftsmächtige
Form in der dies geschieht. Denn auch wenn es heute schwer
vorstellbar ist, war es nicht immer eine Selbstverständlichkeit,
den größten Teil seines Lebens für einen fremdbestimmten
Selbstzweck zu verbrauchen, um seine Reproduktion sichern
zu können. Arbeit als etwas Natürliches, Immerwährendes
und Unaufhebbares zu bezeichnen, leugnet nicht nur die Geschichte
zahlreicher vormoderner Kulturen, in denen man der Bedürfnisse
wegen tätig war und nicht der geldvermehrenden Produktion
willen, sondern setzt auch das moderne warenproduzierende
System und alle seine verheerenden Auswirkungen ad absolutum.
Um die Arbeit als eine historisch begrenzte Größe
zu enttarnen und ihr den Charakter einer natürlichen
Gegebenheit zu entreißen, wollen wir zunächst ihre
Entstehung nachzeichnen. Denn die lange Geschichte der Moderne,
an deren Ende eine Gesellschaft steht, in der massive Umweltschäden,
Amokläufer, Terrorismus, Massenarmut usw. als etwas Alltägliches,
ja normales gelten, ist gleichzusetzen mit der Geschichte,
oder besser der Durchsetzungsgeschichte der Arbeit. Denn um
die gesamte Menschheit im Sinne der kapitalistischen Produktion
konform zu machen, bedurfte es mehrerer Jahrhunderte offener
und latenter Gewalt.
Am Anfang dieses Prozesses stand nicht etwa die angeblich
wohlfahrtssteigernde Ausweitung der Marktbeziehungen
friedlicher Kaufleute, sondern der geldhungrige, menschenverachtende
Feuerwaffen-Staat der absolutistischen Regime des 17. und
18. Jahrhunderts. Erstmals in der Geschichte wurde hier die
gesamte Gesellschaft in einen bürokratischen Würgegriff
genommen, um die Militärmaschinen, den Staatsapparat
und den übertriebenen Lebensstil der absolutistischen
Herrscher zu finanzieren. Durch die Monetarisierung und massive
Erhöhung der zu leistenden Steuern wurde die damalige
Bevölkerung erstmals dem absolutem Zwang ausgesetzt,
Geld zu verdienen. Abgaben wurden nicht mehr in Form eines
Teils der Ernte o.ä. vom Lehnsherren gefordert, sondern
mussten nun in Geldform an die Steuereintreiber des absolutistischen
Staates bezahlt werden. Vormoderne Produzenten wären
wahrscheinlich nicht im Traum darauf gekommen, blind für
einen unkontrollierbaren Markt zu produzieren. Produziert
wurde nach Bedürfnissen und auf diese abgestimmt. Mittelalterliche
Bauern beispielsweise bestellten ihre Äcker orientiert
an den eigenen Nahrungsbedürfnissen und den zusätzlichen
Abgaben an Lehnsherren, Kirche o.ä.. Mehr herzustellen,
als man benötigte, war nicht nur völlig sinnlos,
sondern galt auch als unmoralisch, daher wurde auch nur das
getauscht, was überflüssig war. Zwar verhungerten
auch damals Menschen, aber meist aufgrund von Naturumständen
und nicht weil eine auf den Markt orientierte Produktion,
wie die heutige, eine sinnvolle Verteilung nicht leisten konnte.
Anders als heute war die Produktion also nicht in erster Linie
auf den Tausch, sondern an konkreten Bedürfnissen orientiert.
Nicht aus sich selbst heraus fingen die Leute an, für
anonyme Märkte, die nicht unter ihrer Kontrolle lagen,
zu produzieren, sondern nur unter dem tödlichen Druck
der staatlichen Macht. In diesem Zusammenhang ging die damalige
Bevölkerung zur allgemeinen Geldwirtschaft über
und die abstrakte Tätigkeitsform Arbeit wurde zur gesellschaftlichen
Grundlage zu einem Prinzip ohne Rücksicht auf
konkrete Bedürfnisse. Geld musste nicht für sich
selbst verdient werden, sondern für die massiven Anforderungen
des militarisierten, frühmodernen Staates, seiner Logistik
und Bürokratie.
Doch monetäre Steuern und Abgaben wurden diesen Anforderungen
bald nicht mehr gerecht und die absolutistischen Bürokraten
und Finanzverwalter suchten neue Methoden der Geldschöpfung.
So machten sie sich daran, die Umwandlung menschlicher Arbeitskraft
in Geld direkt und unter Zwang zu organisieren. Mit massiver
Gewalt wurden nun die traditionellen Lebens- und Produktionsweisen
der Bevölkerung zerstört, um ein merkantilistisches
Wirtschaftssystem einzurichten. Die Menschen wurden mit Waffengewalt
von ihren Feldern vertrieben, um den Wollmanufakturen und
der Schafzucht Platz zu machen, da dies weitaus mehr Erträge
brachte als die Agrarwirtschaft. Zudem schaffte man zahlreiche
Rechte, wie z.B. das freie Jagen oder Fischen, aber auch das
Holzsammeln im Wald ab, so dass die Lebenserhaltung nur noch
über den Markt und somit den Verkauf von Waren (wie auch
der eigenen Arbeitskraft) realisierbar war. Vor allem in England
und Frankreich führte dies zu einer massiven Verarmung
und Verelendung der Landbevölkerung. Die völlige
Misswirtschaft der Merkantilisten, die nur auf die Anhäufung
von Geld und nicht auf Bedürfnisbefriedigung aus war,
führte zu starker Lebensmittelknappheit und Massenarmut.
Doch nicht nur unter dem Zwang, etwas essen zu müssen
oder Obdach zu haben, mussten die Menschen anfangen zu arbeiten,
vielmehr nötigte sie die Knute der absolutistischen Staatenwelt
dazu. Denn die verarmten Massen, die sich durch nichts außer
Bettelei oder Diebstahl zu helfen wussten, wurden in neue
Institutionen wie Armenhäuser, Irrenanstalten oder tatsächliche
Arbeitszuchthäuser (wie in Amsterdam) eingesperrt, um
dort unter Folter an die Arbeit gewöhnt zu werden und
ein Bewusstsein von gefügigen Arbeitstieren eingeprügelt
zu bekommen. So und nicht anders wurde die damalige Landbevölkerung
an die Arbeit, z.B. in staatlichen Manufakturen gewöhnt,
um für eine positive Handelsbilanz des Staates zu schuften.
Durch den neuen, in genau gezählte und abgerechnete Arbeitsstunden
eingeteilten Tag änderte sich auch das Familienleben
der Menschen. Es krempelte sich also das gesamte Handeln und
Denken um. Die Gesellschaft teilte sich in eine öffentliche
und eine private Sphäre, wie es sie vorher nie gegeben
hatte und wie sie bis heute existieren. In der öffentlichen
Sphäre der Arbeit wird der Tag des Arbeiters/der Arbeiterin
in genaue Zeitabschnitte aufgetrennt, in denen er/sie eine
Aufgabe in vorgegebener Zeit und bestimmten Mitteln zu erfüllen
hat. Es gibt genaue Pausenzeiten, wobei allerdings auch dann
vorgeschrieben ist, wohin man gehen darf, was zu tun und zu
lassen ist. Alles Sinnliche soll zu Hause gelassen
werden und muss in der privaten Sphäre eingelöst
werden. In dieser darf der Mensch, eigentlich aber meist nur
der Mann, sein, wie er wirklich ist und wie er
sich wohl fühlt, allerdings auch nur, um sich für
den nächsten Arbeitstag vorzubereiten und auszuruhen.
Man kann dann vor allem schlafen, essen, trödeln, Kinder
erziehen (bzw. sie auf die Arbeitswelt vorbereiten), schlechte
Laune haben usw. Die private Sphäre ist sozusagen die
andere Seite der öffentlichen ihr Schatten,
wo man sich vom Stress der Arbeit erholt und Kraft für
den erneuten Einsatz in der Arbeitswelt tankt. Früher
unterschieden Menschen nicht zwischen ihrer schaffenden Tätigkeit
und dem übrigen Leben produktive Tätigkeit
und Erholung waren eins. Bei uns hingegen gibt es trotz der
privaten Sphäre kaum Momente, in denen wir nicht an unsere
Zukunft, die nackte Existenzsicherung und an die Arbeit denken.
Nahezu alles, was wir tun ist auf dieses gesellschaftliche
Prinzip ausgerichtet. So etwas kann nur entstehen, wenn diese
Trennung der Gesellschaft in Sphären in das Denken der
Menschen regelrecht übergegangen ist. Wir empfinden dies
heute als normal. Öffentlich verhält man sich diszipliniert
und verkauft sich als jemand, der man eigentlich nicht ist.
Unter Freunden und Freundinnen muss man cool sein, in der
Schule besonders aufmerksam und interessiert, und auf Arbeit
am besten immer freundlich, fleißig und vor allem an
Stress und Konkurrenz gewöhnt. Dieses Muster, nach dem
wir uns verhalten müssen, gilt für alle Menschen,
da es sich durch die gesamte Gesellschaft zieht und macht
damit alle Menschen gleich arbeitsfixiert und -willig. Für
die Menschen des 17. und 18. Jahrhundert war die Gewöhnung
daran allerdings eine Qual. Zurück also zur Durchsetzungsgeschichte
der Arbeit.
Neben den im agrarischen Sektor Tätigen erging es auch
der handwerklichen Stadtbevölkerung kaum besser. Handwerkliche
Gesellschaften wie die Zünfte wurden abgeschafft und
Marktschranken wurden abgebaut um einen starken Geldfluss
zu erreichen, den man durch Gebühren und Zölle abzuschöpfen
gedachte. Zwar standen die Handwerker nun nicht mehr unter
Aufsicht und Kontrolle der Zünfte (die wenigstens Elemente
einer Selbstverwaltung besaßen), doch kamen sie gewissermaßen
vom Regen in die Traufe, da sie sich auf dem Markt nun der
tödlichen Konkurrenz der Manufakturen stellen mussten,
deren niedriges Preisniveau das der Handwerker um vieles unterbot.
Dies führte auch in der handwerklichen Bevölkerung
zu unglaublichem Elend und Massenarmut, wie es z.B. das sprichwörtliche
Elend der schlesischen Weber des 18. Jahrhunderts sehr gut
darstellt: Unter Vollarbeitszeit und völliger Erschöpfung
war bei der Produktion für den Markt bestenfalls ein
Leben am Existenzminimum möglich, was bereits 1785/86
zu massiven Aufständen führte, die allerdings blutig
vom preußischen Militär niedergeschlagen wurden.
Solche Zustände waren keine Randerscheinungen, sondern
die Geburt des Kapitalismus und zutreffend für weite
Teile der Bevölkerung im frühkapitalistischem Milieu.
Doch auch die organisierte Verwandlung der Untertanen in Arbeitssklaven,
deren Energie direkt zu Geld gemacht werden sollte, reichte
den menschenverachtenden Absolutisten noch lange nicht aus.
Ihr Anspruch auf Unterwerfung unter die Arbeit dehnte sich
auf andere Kontinente aus. Die gewalttätige Durchsetzung
neuer Lebens- und Produktionsweisen war nicht nur ein innereuropäisches
Phänomen, sondern wurde viel brutaler auch in anderen,
neu entdeckten Kontinenten vollzogen. In historisch
beispiellosem Ausmaß wurden die Menschen in den neuen
Welten millionenfach versklavt, ausgebeutet, verschifft
oder umgebracht, zumal sie ja von den aufkommenden europäischen
Naturwissenschaften als Untermenschen, als Wilde und Menschenfresser
definiert worden waren. Dem weißen Mann galten sie als
primitive Halbmenschen, als Wesen zwischen Tier und Mensch.
Mit der Durchsetzung der (Sklaven-) Arbeit oder anderen europäischen
Errungenschaften wurden sie dem Wortschatz der
Weißen nach zivilisiert. Zivilisation kann
dabei nichts anderes meinen, als alles Natürliche zu
verteufeln, zu verbannen und zu unterdrücken. Wie auch
heute noch beim Erziehungsprozess von Kindern beobachtbar,
mussten Triebe unterdrückt und kulturelle Normen eingeprügelt
werden. Dabei nehmen die eigenen Bedürfnisse eine untergeordnete
Rolle ein. Durch die Gleichsetzung der Ureinwohner der neuen
Welten mit der Natur war für die aufgeklärten
Europäer die Legimitation geschaffen, ganze Kulturen
auszulöschen, auszuplündern oder zu versklaven.
In einem Ausmaß, das die Sklavenhaltung der Antike um
weites überstieg, wurden Millionen von Menschen zur Arbeit
in der kolonialen Plantagen- und Rohstoffwirtschaft gezwungen.
Menschheitsverbrechen, wie das des Kolonialismus, sind keineswegs
historische Ereignisse, die vor- oder nichtmodernen
Zuständen anzurechnen sind, sondern sie sind vielmehr
auf die Durchsetzung moderner Verhältnisse
zurückzuführen. Eine so gewaltvolle Durchsetzung
moderner Normen ist heute hingegen gar nicht mehr nötig.
Denn nachdem jahrhundertelang eine starke und offene äußere
Gewalt nötig war um einer breiten Masse ein kapitalistisches
Verständnis einzuprügeln, lernt jeder Mensch im
frühesten Alter, sich jene nötige Gewalt selbst
zuzufügen. So müssen auch wir uns selbst täglich
zu unangenehmen Dingen zwingen, da wir sonst von unserem antrainierten
schlechten Gewissen heimgesucht werden, wenn wir uns
etwas gönnen und unsere Verhaltensweisen nicht
mittels Selbstdisziplin auf z.B. dem Arbeitsmarkt gewünschte
Normen trimmen.
Arbeitshaus: früher Anstalt zum Vollzug einer vom Gericht
neben der Strafe angeordneten Maßregel der Besserung
und Sicherung, mit Inkrafttreten des 1. Strafrechtsreform-Gesetz
von 1969 in Deutschland weggefallen
In der Schweiz Arbeitserziehungsanstalt, Einrichtung
für Arbeitsscheue oder (...) gestörte Straffällige
Der Gauner hatte die Arbeit zerstört, trotzdem
aber den Lohn eines Arbeiters sich weggenommen; nun soll er
arbeiten ohne Lohn, dabei aber den Segen des Erfolgs und Gewinnes
selbst in der Kerkerzelle ahnen. (...) Er soll zur sittlichen
Arbeit als einer freien persönlichen Tat erzogen werden
durch Zwangsarbeit.
Wilhelm Heinrich Riehl, Die deutsche Arbeit, 1861
2. Liberalismus, bürgerliche Revolutionen, Arbeiterbewegung
Nun setzten sich ein immer freier werdender Markt, Warenhandel
und Geldwirtschaft durch. Alte, feudale Machtverhältnisse
wurden nach den liberalen Revolutionen in England und Frankreich
nicht in Frage gestellt, sondern lediglich umgeschichtet.
Das neue aufklärerische Denken suchte zwar den Menschenverstand,
ging aber immer weiter vom individuellen Menschen weg. Menschen
waren gleich, aber nur durch den Besitz von Privateigentum,
und wenn es nur die eigene Arbeitskraft war. Wer sich dann
an die aktuelle Entwicklung des Kapitalismus anpasste, handelte
aufgeklärt und entfaltete sich selbst. Diese Freiheit,
sich selbst entfalten zu können, kann sich aber nur entwickeln,
wenn sich der Mensch von der Natur unabhängig macht,
sich von ihr befreit. Natur musste also erobert,
bearbeitet und damit auch zerstört werden,
um sie sich untertan zu machen, und sich selbst als Menschen,
als Teil der Natur, dabei zu überwinden und zu befreien.
Der Mensch sollte nicht mehr Opfer von Naturumständen
sein, sondern selbstbestimmt und unabhängig. Seitdem
basiert bürgerliche Freiheit und Zivilisation
darauf, sich selbst zu überwinden, unter Zwang zu setzen,
Triebe zu unterdrücken, sich zu disziplinieren und zu
arbeiten oder etwas zu bearbeiten. Die Vernunft des Menschen
sollte also sein, von der Natur wegzugehen, und genau dieser
Zeitgeist trieb die Industrialisierung voran. So konnte man
etwas erfinden, was die Produktion erleichterte und damit
Geld verdienen. Mit diesem Geld konnte mehr hergestellt werden
und mehr Geld erwirtschaftet werden. Der neue Zwang, im Geldhandel
und auf dem immer freier werdenden Markt standhalten zu können
und der Konkurrenz die Stirn bieten zu können, galt als
freiheitlich, aufklärerisch und liberal. Dieser Liberalismus
formulierte aber eine Welterklärung und ein umfassendes
Bild des Menschen, wie es seither für das gesamte westliche
Denken der Moderne bis zum heutigen Tage vorherrschend sein
sollte. Auch das sich durchsetzende reformierte Christentum
im Sinne Luthers trug dazu seinen Teil bei. Arbeit war und
ist die Mission des Menschen auf Erden. Arbeit macht
frei heißt, wer arbeitet wird frei sein im Leben
nach dem Tod. Die Erbsünde der Menschen, nicht auf Gottes
Wort geachtet zu haben und den Apfel vom verbotenen Baum gegessen
zu haben, verpflichtet die Menschen zu einem Leben voller
Demut und Reue. Zu arbeiten ist dabei eine Form des Gottesdienstes.
Die Magd, die den Besen schwingt, tut nichts anderes als das,
was Bischöfe und Könige tun. Alle Menschen sind
gleich, alle Menschen müssen ihre Erbsünde teilen,
d.h. auf ewig arbeiten und ihr Leben lang nur, wie es in der
Bibel heißt, im Schweiße ihres Angesichts
ihr Brot essen.
Robert Kurz schreibt in dem Schwarzbuch Kapitalismus: Nicht
nur die Gleichheit, auch der angebliche Egoismus der Geldmenschen,
wie ihn die Liberalen behaupteten, ist ein Widerspruch in
sich, weil das menschliche Wohlbefinden in fast allen Dingen
nur durch befriedigende soziale Beziehungen und in einem Raum
sozialer Geborgenheit und nicht auf dem Weltmarkt möglich
ist, und der angeblich menschliche Egoismus sich daher prinzipiell
selbst ins Bein schießt. Und in der Tat ist ja dem kapitalistischen
Menschen ein hohes Maß an Selbstzerstörung eigen.
Die Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und die Abschaffung
der direkten Herrschaft, wie die eines Fürsten, hätten
sich von selbst erledigen müssen durch das Entstehen
einer apersonalen Herrschaft (...). Das heißt,
dass sich Menschen selbst zu Handlungen zwingen, sie nicht
mehr hinterfragen und nicht mehr von anderen dazu gezwungen
werden. Alle Menschen müssen also nach bestimmten Prinzipien
handeln und doch leiden auch alle darunter.
Religionen unterstützen dabei die Gewöhnung des
Menschen an Selbstdisziplinierung und Bedürfnisverzicht.
Die aufsteigenden bürgerlichen Schichten lebten die Tugenden
der Sparsamkeit, Askese und der Arbeitsamkeit nicht nur, weil
die damaligen geistigen Strömungen es ihnen nahelegten,
sondern weil die Konkurrenz sie dazu zwang, zu investieren
und die Gewinne nicht unproduktiv zu verschwenden. Die Selbstdisziplin,
die sich das Bürgertum auferlegte, schlug um in und vollendete
sich als Fremddisziplinierung. Aus der Härte gegen sich
selbst leitete man das Recht, ja beinahe die Pflicht ab, unnachgiebig
gegen die Unproduktiven und Lasterhaften vorzugehen, egal
ob sich diese im eigenen Körper als Lüste und Begierden
darstellten oder ob damit andere, faule Menschen
gemeint waren.
Je höher der Konkurrenzdruck auf den Schultern der Menschen
lastete, desto mehr mussten sie sich diesem beugen. So verarmte
zur Zeit der Industrialisierung zu Beginn des 19. Jahrhunderts
eine Masse von Menschen. Landarbeiter fanden keine Anstellung
in der Stadt und Teile des Bürgertums konnten dem Konkurrenzdruck
nicht standhalten und wurden proletarisiert. Obwohl
diese Lohnarbeiterschaft eine zahlenmäßig sehr
große Gruppe war, hatte sie keine politische Mitsprache.
Es entstand daher eine politische Bewegung für die Arbeit:
Die Arbeiterbewegung. Arbeiter definierten sich
mit bürgerlichen Idealen wie Fleiß, Ordnung, Sparsamkeit
und Askese. Sie waren und wollten die produzierenden Massen
sein, nach dem Motto ich bin was ich schaffe.
Diese Überidentifikation mit der Herstellung von Produkten
lief und läuft heute immer noch wie religiöser Fanatismus
ab. Man fühlt sich wichtig und gebraucht, zumal die Arbeit
in der öffentlichen Sphäre weit mehr gesellschaftliche
Bedeutung hat, als das Private, Zwischenmenschliche. Gehen
wir zur Arbeit, lassen wir all diese privaten, intimen Dinge
außen vor, setzen uns Charaktermasken auf und spielen
die Rolle des Arbeiters/ der Arbeiterin. Wir müssen unsere
eigene Arbeitskraft den/der UnternehmerIn für eine bestimmte
Zeit zur Verfügung stellen und erhalten dafür Lohn.
Deswegen kommt dem Menschen ein Warenstatus zu und kann wie
jede andere Ware auch getauscht und gebraucht werden. Wir
haben den Zwang zur Arbeit schon längst verinnerlicht
und projizieren diesen auch auf alle anderen. So klingt es
in der Internationale, dem Arbeiterlied schlechthin,
in der letzten Strophe:
In Stadt und Land, ihr Arbeitsleute, / wir sind die stärkste
der Partein.
Die Müßiggänger schiebt beiseite! / Diese
Welt muß unser sein!
Unser Blut sei nicht mehr der Raben / Und der mächtgen
Geier Fraß!
Erst wenn wir sie vertrieben haben, / dann scheint die Sonn
ohn Unterlaß!
Statt also die kapitalistische Gesellschaft zu kritisieren,
in der der Mensch ein geknechtetes Wesen ist, wurden vielmehr
die gehasst, die ihren Bedürfnissen nachgingen, sie wurden
als Schmarotzer oder Parasiten beschimpft.
Verachtet wurden die mächtgen Geier,
die Geld scheffeln aus dem Blut der Arbeiter
ein derartig verkürztes gesellschaftliches Verständnis
führte in Deutschland von Pogromen gegen Juden, die als
Spekulanten und Kapitalisten verschrien waren, bis hin zum
Nationalsozialismus, der große Teile der Arbeiterschaft
in seinen Massenorganisationen vereinte und die kapitalistische
Warenproduktion bis in die letzten deutschen Dörfer durchdrückte.
Die Arbeiterbewegung erkannte nicht das Problem, dass Parteien,
höhere Klassen oder ähnliches den gleichen Zwängen
unterlagen, also machten die ArbeiterInnen die Bourgeoisie
für ihre Misere verantwortlich. Sie warfen den Kapitalisten
vor, sich den Mehrwert unrechtmäßig anzueignen,
ohne das System der Warenproduktion, an dem sie maßgeblich
beteiligt waren, selbst anzutasten. Die Kategorie des Werts
und der darauf beruhenden politischen Ökonomie wurde
nicht negativ, sondern positiv verstanden, um die Aneignung
unbezahlter Arbeit zu beseitigen und sich selbst
des vollen Werts zu bemächtigen. Arbeit erschien demzufolge
auch nicht als historische Kategorie des Kapitalismus, sondern
als ewige Menschheitsbedingung. Wert, Ware, Geld und Markt
wurden nicht als aufzuhebende gesellschaftliche Formen des
Kapitalismus begriffen, sondern als positive Gegenstände
der Moderne, die nur alternativ zu besetzen wären, und
zwar durch den Klassenkampf der Arbeiterklasse.
Der Grund für dieses verkürzte Verständnis
liegt im historischen Charakter der Arbeiterbewegung, die
noch der Aufstiegs- und Durchsetzungsgeschichte des modernen
warenproduzierenden Systems angehörte. Die Sozialrevolten
(wie z.B. die der Maschinenstürmer) des 16. bis zum frühen
19. Jahrhunderts, deren Träger sich dagegen wehrten,
zur Arbeiterklasse unter dem Diktat der Arbeit
gemacht zu werden, wurden blutig niedergeschlagen. Somit hatte
das Kapitalverhältnis ohne wirksame Gegenwehr spätestens
Mitte des 19. Jahrhunderts einen unumkehrbaren Grad im gesellschaftlichen
Denken erreicht. Erst an diesem Punkt setzte die Arbeiterbewegung
ein, die ihre Emanzipationsvorstellungen nur noch in den kapitalistischen
Kategorien denken konnte und dadurch selbst zum Antriebsmotor
des Kapitalismus und dessen Modernisierung wurde.
Koalitionsfreiheit, Verkürzung des Arbeitstags, Anhebung
des Lohnniveaus, Verbesserungen der Arbeitsbedingungen, soziale
und ökonomische Staatsintervention usw. waren wesentliche
innerkapitalistische Errungenschaften des Arbeiterbewegungs-Marxismus,
die gleichzeitig Bedingungen für die flächendeckende
Kapitalisierung der Welt durch Massenproduktion wurden und
an den Zwang gebunden blieben, immer mehr zu produzieren,
und immer mehr Kosten dafür einzusparen. Damit müssen
mehr als hundert Jahre linke Theorie und Arbeiterbewegungs-Marxismus
neu aufgerollt und kritisiert werden.
Wir wollen uns in Bezug auf die Marxsche Theorie gleichzeitig
radikal abwenden und andererseits eine konsequente Fortsetzung
bzw. Weiterentwicklung dieser einklagen. Denn bei Marx finden
sich zwei Argumentationsstränge: Zum einen der ökonomische,
modernisierungs-theoretische und die Arbeit vergötternde
Klassenstandpunkt und zum zweiten eine radikale
Wert- und Arbeitskritik als Kritik der modernen (fetischistischen,
das heißt natürlich erscheinenden) gesellschaftlichen
Verhältnisse. Heute müssen diese beiden Momente
von einander gelöst werden. Während sich Arbeiterbewegung
und bisherige Linke auf den gesellschaftlichen Interessenstandpunkt
gestellt und den anderen Marx der Wert- und Arbeitskritik
konsequent ausgeblendet haben, ist jetzt umgekehrt gerade
dieses Moment der Marxschen Theorie zu erwecken, während
das verkürzte Moment des Klassenantagonismus
verfällt.
3. Die Krise der Arbeit
In den Jahren nach dem 2. Weltkrieg schien es so, als ob
sich der Kapitalismus in großen Teilen Europas und Nordamerikas
zu einer Gesellschaft des immerwährenden wirtschaftlichen
Aufschwungs etablieren könne. Die Arbeitslosenzahlen
waren nahezu gleich null, die Reallöhne stiegen und der
Lebensstandard erhöhte sich zum großen Teil. Obwohl
dies immer nur für eine absolute Minderheit der Weltbevölkerung
zählen konnte, nämlich für die Länder
der Ersten Welt und die Bedingungen in dem Rest der Welt weitaus
miserabler aussahen, mussten Armut und Verelendung, Arbeitslosigkeit
und Hunger ebenfalls in die kapitalistischen Zentren zurückkehren.
Denn das warenproduzierende System trägt seit seiner
Entstehung einen unheilbaren Selbstwiderspruch in sich.
Zum einen lebt es davon, so viel wie möglich menschliche
Arbeitskraft in den Produktionsprozess einzubeziehen, um sie
in Form von Waren weiter zu verkaufen, wobei die Erwirtschaftung
eines hohen Profits im Vordergrund steht, d.h. es muss nach
dem Produktionsprozess mehr Geld entstanden sein, als vorher
investiert wurde. Dabei ist aber auch zu beachten, durch Lohnauszahlung
die Kaufkraft der Angestellten erhalten zu können (Schließlich
kann niemand Waren kaufen, ohne Geld zu besitzen). Andererseits
zielt das Prinzip der betriebswirtschaftlichen Konkurrenz
darauf ab, Arbeitskraft, also Produktionskosten, einzusparen
und durch z.B. Maschinen zu ersetzen.
Dieser Widerspruch war auch schon die Ursache für zahlreiche
Krisen in der Geschichte, wie dem Gründerkrach von 1873
oder auch der Weltwirtschaftskrise von 1929-33. Diese Krisen
konnten allerdings immer wieder durch einen Expansionsprozess
überwunden werden. Dieser Prozess war immer gekennzeichnet
durch eine Ausweitung der Marktbeziehungen auf neue Käuferschichten
(sowohl national auf neue Zielgruppen als auch international
in neu erschlossenen Gebieten), sowie eine ungeheure Verdichtung
und technische Verbesserung der Produktion. Das bedeutet,
wo früher eine Arbeitskraft mehrere Arbeitsschritte zu
tun hatte, steht nun eine Reihe ArbeiterInnen, die diese Arbeitsschritte
gesondert voneinander und in sehr viel kürzerer Zeit
durchführen. In diesem Prozess wird zum einen die Prozessinnovation
gesteigert, was bedeutet, dass der Produktionsprozess wahnsinnig
beschleunigt und eben verdichtet wird. Das führt dazu,
dass der Arbeitsaufwand pro Produkt erheblich sinkt. Zum anderen
werden aber durch neue Produktionsmethoden viele neue Produkte
erfunden (Produktinnovation), durch die die Waren durch den
verringerten Arbeitsaufwand in viel größerer Anzahl
hergestellt werden können.
Als ein gutes Beispiel für diesen Prozess kann das Auto
herangezogen werden: Durch die Verwendung von Fließbändern
u.ä. am Anfang des 20. Jh. konnten Autos in viel kürzerer
Zeit und mit einem Bruchteil des Arbeitsaufwandes einer Manufakturfertigung
in Fabriken hergestellt werden. Das Auto, früher ein
absolutes Luxusprodukt, konnte durch die dabei eintretende
Verbilligung in den Massenkonsum einbezogen werden. Um bei
diesem Preisniveau aber die frühere Profithöhe halten
zu können, mussten viel mehr Autos verkauft werden: Durch
den Einbezug neuer Märkte, sowohl regional als auch global,
konnte nun die ganze Welt mit Autos überschwemmt werden.
Gut dargestellt wird hierbei auch die Destruktivität
kapitalistischer Produktion: Die Umwelt wurde und wird gnadenlos
verpestet, die Landschaften asphaltiert und die Zahl der Verkehrstoten
und -verstümmelten liegt weltweit jährlich in Millionenhöhe
(im letzten Jahrhundert starben nach groben Schätzungen
allein 17 Millionen Menschen nach Unfällen direkt auf
Straße, die erst im Krankenhaus gestorbenen sind nicht
in dieser Statistik enthalten). Dies sind jedoch keine Tatsachen,
die den Produktionsprozess und die Konsumweise nachträglich
beeinflussen könnten. Schließlich zählen,
wenn man kapitalistisch produziert, weder die Auswirkungen
noch die Bedürfnisbefriedigung. Geht es doch einzig und
allein darum, den ewigen selbstzweckhaften Prozess aus Geld
mehr Geld zu machen am Leben zu erhalten.
Werden also bei einer Verbesserung der Produktionsstandards
durch die Kreierung neuer Produkte und die Einbeziehung neuer
Märkte mehr Arbeitsplätze geschaffen, als durch
die Technisierung der Produktion vernichtet wurden, kann der
Selbstwiderspruch einer auf Profit orientierten Gesellschaft
in eine Expansionsbewegung umgesetzt werden.
Mit der Verbesserung des Produktionsprozesses durch mikroelektronische
Techniken, Geräte usw., wie z.B. dem Computer stößt
allerdings diese Möglichkeit der Krisenüberwindung
an ihre äußerste historische Schranke. Zwar werden
immer noch neue Produkte kreiert und alte in größerer
Zahl hergestellt und verbilligt (vor allem im Medienbereich),
aber zum ersten Mal übersteigt das Tempo der Prozessinnovation
das der Produktinnovation. Erstmals kann also die Geschwindigkeit,
in der neue Produkte erfunden werden mit der Geschwindigkeit
des verbesserten Produktionsprozesses nicht mehr mithalten.
An dem Punkt, an dem der Mensch neben den Produktionsprozess
tritt, wird erstmals mehr Arbeit eingespart, als durch eine
Expansionsbewegung wieder eingesaugt werden kann. Die kapitalistische
Parole: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder nach
seiner Leistung., aus der man auch sofort folgern kann:
Wer nicht arbeitet soll auch nicht essen!, ist
heute schon innerhalb kapitalistischer Bedingungen veraltet,
da es selbst bei der Möglichkeit Leistung zu erbringen
nicht realisiert werden kann, jedem/r das zuzusprechen, was
er/sie leisten kann. Selbst wenn man die Fähigkeiten
besitzt, die in bestimmten Produktionszweigen benötigt
werden, ist es nicht möglich diese dort einzubringen.
Vier Millionen Arbeitslose allein in Deutschland beweisen
das. Die betriebswirtschaftliche Rationalität verlangt,
dass einerseits immer größere Massen arbeitslos
und damit von der Möglichkeit die Reproduktion ihres
Lebens zu sichern abgeschnitten werden. Denn um zu essen,
zu schlafen oder zu wohnen braucht man Geld und um Geld zu
haben muss man arbeiten. Andererseits wird die stetig schrumpfende
Anzahl der Beschäftigten einer umso größeren
Arbeits- und Leistungshetze unterworfen. Aufgrund der steigenden
Schwierigkeiten einer positiven Profitwirtschaft gehen immer
mehr Betriebe pleite während sich die letzten großen
Multiunternehmen in einer Welle ungekannten Ausmaßes
von Fusionen und unfreundlichen Übernahmen
zur letzten Schlacht der Betriebswirtschaft rüsten. Und
dies mit noch verheerenderen Folgen: Mitten im Reichtum kehren
Armut und Hunger selbst in die kapitalistischen Zentren zurück,
intakte Produktionsmittel und Anbaufelder liegen massenhaft
brach, Wohnungen und öffentliche Gebäude stehen
leer, während die Höhe der Obdachlosigkeit unaufhaltsam
steigt. Die Staatsverschuldung steigt in astronomische Höhen,
da neben den wenigen Steuereinnahmen einer zu Grunde gehenden
Wirtschaft die Anforderungen an Sozialhilfe, Arbeitslosengeld
und ABM-Maßnahmen zunehmen.
Ein Schreckenszenario, dessen Ausgänge einem schlechten
Zukunftsfilm ähneln: Die arbeitslosen Massen sehen sich
gezwungen, ihr Leben durch Diebstahl oder andere Kriminalitäten
zu sichern, da ein verschuldeter Staat nicht fähig ist,
finanzielle Stützen zu geben. Bandenwesen, organisierte
Kriminalität und Korruption nehmen Überhand und
werden gesellschaftsmächtig, während die letzten
Ruinen des Staates alle letzten Mittel in gnadenlose Repression
stecken oder sie zur Ausbeutung der verarmten oder arbeitenden
Massen nutzen. Dies ist keineswegs Fiktion. Wie sehr sind
diese Zustände doch mit der zusammengebrochenen Wirtschaft
Argentiniens oder den Militärregimes der 3. Welt zu vergleichen.
Doch eine zweite Krisenoption, die in den Grenzen kapitalistischer
Kategorien verharrt, bleibt offen: Die verarmten und auf sich
allein gestellten StaatsbürgerInnen schweißen sich
in einem Akt kollektiver Selbstliebe zu einem Volkskörper
zusammen, der vollgepackt ist mit rassistischem, antisemitischem
und anderem gefährlich irrationalem Gedankengut. Nun
geht es nur noch um das Volk, was immer das sein
mag. Eine Masse, die sich so abgrenzt und gleichgeschaltet
ist und immer vor den einzelnen Bedürfnissen zuallererst
an das Gemeinwohl denkt, kann gar nicht anders,
als erstens zu benennen, wer nicht dazu gehört und ausgegrenzt,
abgeschoben oder getötet wird. Zweitens projizieren sie
sämtliche Probleme auf andere Gruppen oder Personen,
ohne dabei die problemverursachenden Grundkategorien der Gesellschaft
wie Staat, Arbeit und Kapital zu kritisieren. Traditionell
waren diese bösen Schuldigen immer die Juden
und ein zusammengeschweißter Volkskörper kann,
bzw. muss in seiner eigenen Irrationalität nur Ideologien
wie den Antisemitismus hervorrufen.
Zustände, die erschreckend an das nationalsozialistische
Deutschland erinnern, das mit der Vernichtung von sechs Millionen
Juden aufzeigte, in welch schrecklich irrationale Weise ein
modern-bürgerliches Verhältnis in Krisenzeiten umschlagen
kann.
Aber was tun? Eine Überwindung heutiger Probleme wie
Massenarmut und -elend, sowie das absolute Muss etwas ähnliches
wie Auschwitz nie wieder geschehen zu lassen, scheint in kapitalismusimmanenten
Zuständen kaum möglich. Eine Gesellschaftskritik,
die nur an der Oberfläche kratzt und sich Kategorien
wie Preise, Reichtumsverhältnisse und anderes zum Angriff
nimmt, kann und will diese Überwindung nicht schaffen.
Massenarbeitslosigkeit, Hunger, Verelendung, Leistungshetze
und Konzernherrschaft sind strukturelle Probleme dieser Gesellschaft.
Sie sind nicht äußerliche Übel, die man innerhalb
bestehender Verhältnisse durch Reformen o.ä. überwinden
kann. Wer Warentausch, Geld, Arbeit, Kapital und Staat, also
die Pfeiler, auf denen unsere Gesellschaft steht, konsequent
zu Ende denkt, muss die Gräuel und das Elend von heute
und viele der Vergangenheit in sein Denken mit einbeziehen.
Wer diese Missstände aber abschaffen will, muss eben
an diesen Grundkategorien rütteln. Die kapitalistische
Warenproduktion muss nicht reguliert werden, sondern überwunden!
Staat und Kapital gehören nicht aufeinander abgestimmt,
sondern sie müssen aufgehoben werden. Und Arbeit muss
man nicht richtig verteilen, man muss sie nicht vermehren,
damit alle etwas davon haben und man muss sie nicht verkürzen,
verlängern oder verbessern. Arbeit ist scheiße
und gehört abgeschafft!
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