Deutschland denken heißt Auschwitz denken
Über die deutsche Geschichte und ihre Aufarbeitung.
In der Zeit des Nationalsozialismus brachten es die Deutschen
fertig, nicht weniger als 6 Millionen Juden und Jüdinnen
einfach zu ermorden. Sie wurden zusammengetrieben, gefoltert,
erschossen, vergast oder man hat sie verhungern und an Krankheiten
sterben lassen. Was diese wahnhafte Menschenfeindlichkeit
und der ungebremste Vernichtungswille der Deutschen hervorbrachten,
ist mit keinem anderen Ereignis in der Geschichte vergleichbar.
Gerade deshalb sollte die Auseinandersetzung mit diesem Thema
in Deutschland immer wieder gefordert werden.
Folgender Text soll versuchen darzustellen, wie mit Geschichte
aus der Sicht einer emanzipatorischen Gesellschaftskritik
umgegangen werden sollte. Im Mittelpunkt der Kritik soll dabei
stehen, wie in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg mit
der eigenen Vergangenheit verfahren wird. Der Angriff darauf,
wie Auschwitz in der bürgerlichen Öffentlichkeit
dargestellt wird, soll sich nicht nur an Medien oder Historiker
richten, sondern explizit auch den schulischen Geschichtsunterricht
treffen. Jedoch lässt sich die Diskussion um das Ereignis
Auschwitz und den Nationalsozialismus in Deutschland schon
deshalb schwer führen, weil darüber keine klare
und einheitliche Begrifflichkeit festzustellen ist, von der
man ausgehen könnte. Es scheint ungefähr genauso
viele Auschwitz-Interpretationen wie politische Gruppen zu
geben. Von der äußersten Linken über bürgerliche
Parteien bis hin zu neonazistischen Organisationen, alle haben
ihre eigene Version. Angefangen in der Rechten, wo es sogar
so Verrückte gibt, die den Holocaust leugnen oder von
Geschichtsfälschung sprechen, findet man im bürgerlichen
Zentrum zusätzlich meist eine Reihe anderer sogenannter
Menschheitsverbrechen, wie z.B. die stalinistischen Gulags,
mit denen Auschwitz unterschiedslos in eine Reihe gestellt
wird. Sehr verwirrend erscheinen auch Teile der Linken, die
in der Vernichtung des europäischen Judentums ein rein
ökonomisches Projekt sehen, was nur dazu dienen sollte
eine Hand voll deutsche Unternehmer reicher zu machen. Sie
glauben die gesellschaftlichen Verhältnisse unter der
Kontrolle einiger weniger Reicher und ähneln somit in
argumentativer Hinsicht selbst in erschreckender Weise ihren
antisemitischen Gegnern, die ja auch stets nur die Welt vom
machtbesessenen, wuchernden Juden befreien wollten.
Was also war Auschwitz? Was geschah im dritten Reich und warum
ist es so wichtig, sich damit zu beschäftigen?
Die Singularität Auschwitz
Der Begriff Auschwitz steht für die Ermordung von über
sechs Millionen Juden in deutschen Konzentrationslagern. Wenngleich
auch in zahlreichen anderen Ländern antisemitische Strömungen
existierten, die sich ebenfalls öffentlich und aktionistisch,
wie beispielsweise durch Pogrome o.ä. äußerten,
so kann man dies doch keineswegs mit den Zuständen im
Dritten Reich vergleichen bzw. gleichsetzten. Nur im nationalsozialistischen
Deutschland konnte der Antisemitismus als Welterklärungsmodell
für die große Masse der Bevölkerung einer
einzelnen Nation konstituierend werden und so das völkische
Vernichtungsprojekt der Deutschen an den Juden überhaupt
erst ermöglichen. Denn es war keineswegs bloß eine
kleine NSDAP-Verbrecherbande, welche die deutsche Bevölkerung
für ihre Interessen ausnutzte. Hitler war kein Diktator,
der die Deutschen unterdrückte und ihnen seinen Willen
aufzwang, er war der Ausdruck des antisemitischen Wahns und
des Bedürfnisses der Deutschen nach einem reinen, zusammengeschweißten
Volkskörper. Und auch der industrielle Massenmord an
den Juden war kein Geheimnis, sondern wurde von der Bevölkerung
Deutschlands selbst durchgeführt. Niemand wollte aus
dem Kollektiv ausscheren, auffällig sein oder undeutsch,
denn man wusste was mit jenen geschah, die nicht ins Einheitsbild
des deutschen Volkes passten, mit den Juden, den Homosexuellen
und Kommunisten. Auschwitz passierte in Deutschland und eben
nicht in Frankreich, England oder den USA und ist somit als
spezifisch deutsch zu begreifen. Zweck dieses eliminatorischen
Wahns war in keinesfalls die Beseitigung einer politischen
Opposition seitens der Nazis, eine größere wirtschaftliche
Kraft durch billige ZwangsarbeiterInnen oder ein ähnlicher
machtpolitischer bzw. wirtschaftlicher Vorteil. Der Mord an
den europäischen Juden und Jüdinnen war sich selbst
Zweck genug. Man tötete Juden, um Juden zu töten.
Grund dafür war einzig und allein die irrationale antisemitische
Ideologie, welche im Judentum eine diabolische Übermacht
und eine weltweite verschwörerische Organisation sah,
die angeblich die Schaffende[n] Angehörige[n] aller
Nationen (Adolf Hitler) skrupellos ausbeute. Dieses
antisemitische Denkmuster entbehrt jeder rationalen Erklärung.
Es ist pure Ideologie, d.h. es versucht, sich die gesellschaftlichen
Verhältnisse in vereinfachter und somit falscher Form
zu erklären. Die Juden nehmen dabei die Rolle der unberechenbaren
Übermacht ein, welche verantwortlich sei für gesellschaftliche
Krisen, Kriege und ökonomische Vorgänge. Im Gegensatz
zum Rassismus, der seine Opfer als minderwertige Untermenschen
darstellt, lässt der Antisemitismus eine andere, weitaus
schrecklichere Schlussfolgerung zu: Wenn die Juden schuld
an gesellschaftlichen Missständen sind, so erlöst
man die Menschheit vom Leid, indem man die Ursache dieser
Missstände, also angeblich die Juden, beseitigt. Eine
Schlussfolgerung, die sich die Deutschen zu Herzen nahmen
und in ihrer Irrationalität des antisemitischen Projekts
der maßlosen Vernichtung ankurbelten. Ein Projekt, welches
keine wirtschaftlichen Vorteile als Rechtfertigung benötigte.
Ein Projekt, welches als einziges Ziel die Ermordung aller
Juden hatte und nichts anderes. Wenn auch ohne Zweifel jeder
wirtschaftliche Zuschuss, jede geräumte Wohnung, jedes
Paar Schuhe und selbst jeder Goldzahn bis aufs Letzte genutzt
wurde, so gibt es auch keine vernünftige Begründung
mehr für den Angriff auf die Sowjetunion. Dieser entbehrt
jeder rationalen Kriegsführung genauso wie die Tatsache,
dass gegen Kriegsende mehr Züge für die Deportation
in die Vernichtungslager zur Verfügung gestellt wurden
und dadurch die Lieferungen an die Front zurückbleiben
mussten. Die Ermordung des europäischen Judentums (und
somit auch jenes in der sog. jüdisch-bolschewistischen
Sowjetunion) als Selbstzweck hatte absolute Priorität
vor militärischen oder machtpolitischen Beweggründen.
Spricht man also von Auschwitz, so geht es um ein bis jetzt
einmaliges Ereignis. Diese Singularität ist demnach keineswegs
einzuordnen in eine Reihe anderer schrecklicher Ereignisse
der Menschheitsgeschichte. Oft genug muss beispielsweise die
Sowjetunion als genauso barbarisches Land herhalten.
Es werden Tote aufgerechnet, Arbeitslager verglichen und der
Personenkult kritisiert, bis man sich letzten Endes ein Land
halluziniert, das hinsichtlich der Grausamkeiten mit Deutschland
mithalten könne. Dieser gefährliche Trugschluss
ist nicht nur eine Verharmlosung des deutschen Nationalsozialismus
und eine komplett falsche Analyse der Prozesse im Stalinismus,
sondern er macht ebenso blind wenn es darum geht, etwas ähnliches
wie Auschwitz zu erkennen und zu verhindern.
Ohne Orientierung wird dann nämlich zu jeder Gelegenheit
und überall auf der Welt der neue Hitler ausgemacht,
sobald Krieg, Elend oder Diktaturen von sich reden machen
(wie beispielsweise 1998 im Kosovo, wo deutsche Politiker
angeblich serbische KZs ausmachten). Deutsche Konzentrationslager
wurden nicht gebaut, um Menschen dort für deutsche Zwecke
zur Arbeit zu zwingen, sondern in erster Linie, um den bürokratisch
bis ins kleinste Detail durchgeplanten und industriellen Massenmord
am europäischen Judentum zu verwirklichen. Zwar wurden
ohne Zweifel eine ungeheure Anzahl von Zwangsarbeitern und
Zwangsarbeiterinnen in der deutschen Kriegswirtschaft und
Industrie eingesetzt (wie auch ein Komplex des Vernichtungslager
Auschwitz der I.G. Farben, dem größten deutschen
Chemiekonzern, angehörte), doch war dies nicht die primäre
Bedeutung der Deportationen und Konzentrationslager. Zahlreiche
Arbeiten bestanden immer noch aus sinnlosen und maschinellen
Bewegungsabläufen, welche nur der körperlichen Auszehrung
und Demütigung dienen sollten. Die Vernichtung abertausender
von Menschen durch Entzug von Lebensmitteln und massive körperliche
Anforderungen war daher nur eine der schrecklichen
Optionen, die für das wahnsinnige deutsche Vernichtungsprojekt
genutzt wurden. Da die Juden nach antisemitischem Denkmuster
als Parasiten und gewissenlose Ausbeuter der deutschen
Arbeit angesehen wurden, sollten sie nun durch Arbeit
zu Tode gefoltert werden. Arbeit macht frei stand
über den Toren von Auschwitz und trieb, als Symbol für
die deutsche Vergötterung der Arbeit, die Erniedrigung
und Verachtung der Juden und Jüdinnen auf die Spitze.
Nur im nationalsozialistischen Deutschland erfolgte eine so
genau organisierte und verwaltete industrielle Massenvernichtung.
In keinem anderen Land, zu keiner Zeit war dies der Fall.
Die Arbeitslager der Sowjetunion dienten im tatsächlichen
Sinne des Wortes primär der Zwangsarbeit. Es soll hier
keineswegs geleugnet oder gar verschönert werden, dass
stalinistische Gulags schreckliche Orte gewesen sein mögen
und scharf verurteilt werden müssen, aber sie dienten
nicht der Vernichtung sondern vielmehr dem planwirtschaftlichen
Industrieprogramm und der repressiven Staatsmaschinerie der
sozialistischen Diktatur Stalins.
Die Opfer in der Sowjetunion resultieren aus einem grausam
durchgesetzten staatskapitalistischen Programm der nachholenden
Modernisierung. Während in Mitteleuropa ein kapitalistisches
Gesellschaftsprinzip mindestens 200 Jahre Zeit hatte, sich
zu entwickeln und somit alte, traditionelle Lebens- und Produktionsweisen
zu zerstören und die moderne Industrie und Infrastruktur
sowie ein konformes menschliches Bewusstsein hervorzubringen,
musste dies in Russland innerhalb weniger Jahrzehnte nachgeholt
werden. Bedenkt man die Opfer, die dieser gesellschaftliche
Prozess in den früher industrialisierten Ländern
Europas durch Massenarmut und staatliche Pression kostete,
so ist dies nicht weniger grausam als die Vorgänge in
der späteren Sowjetunion.
Die Konservierung von Geschichte
Modernen demokratischen Kräften galt Auschwitz stets
als etwas der bürgerlichen Gesellschaft Entgegenstehendes.
Das Dritte Reich mit all seinen Abscheulichkeiten wurde und
wird als Gegensatz zu den kapitalistischen Demokratien des
Westens und ihren Werten empfunden und stets werden jene Werte
und Grundsätze gepriesen und verteidigt gegen Gestalten
wie Slobodan Milosevic, Saddam Hussein u.ä., in welchen
man den neuen Hitler zu sehen glaubt. Doch Auschwitz stand
am Ende einer Epoche, die durch eben jene Werte gekennzeichnet
war. In der Weimarer Republik des frühen 20. Jahrhunderts
gab es erstmals eine politische Struktur in Deutschland, die
gekennzeichnet war durch demokratische Grundsätze wie
einem freien, gleichen und geheimen Wahlrecht für Männer
und Frauen, Parlamentarismus usw. Juden und Jüdinnen
waren erstmals gleichberechtigt in dieser Zeit, die zudem
auch geprägt war durch einen Aufschwung in der Wirtschaft
und einer Blütezeit der Kunst sowie des öffentlichen
Lebens und Amüsements. Und doch endete bzw. gipfelte
mit der Weltwirtschaftskrise diese in Deutschland erstmals
demokratische und bürgerliche Epoche in der Vernichtung
von 6 Millionen Juden in Konzentrationslagern und weiteren
40 Millionen Toten im Zuge des Zweiten Weltkrieges.
Auschwitz erscheint der bürgerlichen Gesellschaft nur
als ihr Widerpart, da die Reflexion über die Verhältnisse,
welche zu Auschwitz führten, ausbleibt. Wenn jene modernen
demokratischen Verhältnisse in Deutschland zu Krisenzeiten
fähig waren, etwas wie Auschwitz hervorzubringen, so
können sich bürgerliche Ordnung und deutscher Nationalsozialismus
nicht völlig wesensfremd sein. Vielmehr muss diese in
der Tradition der Aufklärung stehende westliche Demokratie
als eine Gesellschaft begriffen werden, die im Keim stets
jene barbarischen Tendenzen in sich trägt, die in Deutschland
zwischen 1933 und 1945 hervorbrachen und gesellschaftsmächtig
wurden.
Um etwas Ähnliches wie Auschwitz, also der Rückschritt
in barbarische Zustände, für immer unmöglich
zu machen, bedarf es demnach in letzter Konsequenz der Abschaffung
bürgerlicher, also kapitalistischer Verhältnisse.
Die bürgerliche Geschichtsschreibung jedoch, wird Auschwitz
nie als das begreifen können, was es war, da dies eine
Infragestellung der eigenen bürgerlichen Grundsätze
implizieren würde. Geschichtliche Ereignisse wird sie
nie kritisch aufnehmen, da sie nur eine Darstellung der Geschehnisse
so, wie sie waren ohne jegliche Wertung versucht.
Sie will Geschichte wissenschaftlich aufzeigen und somit nur
analysieren, einordnen und zuschreiben. Eine subjektive Wahrnehmung
von Geschehnissen lässt sie nicht nur nicht zu, sondern
verurteilt sie aufs Schärfste. Solch eine Verfahrensweise
leugnet jedoch, dass das Erkennen und Bewerten von Fakten
immer nur vom Subjekt ausgehen kann und dadurch stets gesellschaftlich
vorgeprägt sein muss. Durch die unbedingte Intention,
alles objektiv darzustellen, wird folglich mit Geschichte
nicht anders verfahren als beispielsweise mit der Klassifizierung
eines Lebewesens in der Biologie. Da an die Stelle der subjektiven
Wahrnehmung ein angeblich objektives System von Begriffen
tritt, wird ein kritischer Umgang mit Geschichte sowie eine
nötige Selbstreflexion unmöglich gemacht. Die blutige
Durchsetzungsgeschichte des Kapitalismus, Kriege und dergleichen
sowie das schrecklichste Ereignis in der Geschichte der Menschheit
Auschwitz wird stets nur dargestellt und auf
Wahrheit untersucht. Etwas wie der Nationalsozialismus, also
das Elend und der Schmerz von Millionen von Menschen, verursacht
durch den völkischen Wahn der Deutschen, darf jedoch
nicht nur als geschichtliches Ereignis objektiv wahrgenommen
werden, sondern schreit geradezu nach einer Kritik der Geschichte
und somit auch der bestehenden Verhältnisse.
Die Aufarbeitung der Vergangenheit
In diesem Kontext muss auch die Forderung nach einer Aufarbeitung
der Vergangenheit betrachtet werden. Theodor W. Adorno, ein
Philosoph der unter dem Eindruck des Nationalsozialismus tätig
war, schrieb dazu: Aufgearbeitet wäre die Vergangenheit
erst dann, wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt wären.
Nur weil die Ursachen fortbestehen, ward sein Bann bis heute
nicht gebrochen. Eine Geschichtsbetrachtung also, welche
die Möglichkeit, dass etwas ähnliches wie Auschwitz
erneut geschieht, für immer ausschließen will,
muss sich die Kritik und somit die Überwindung der bürgerlichen
Gesellschaft zur höchsten Priorität erklären.
Die Aufarbeitung der Geschichte aber, wie sie in Deutschland
nach dem Zweiten Weltkrieg betrieben wurde und bis heute betrieben
wird, diente stets nur der Normalisierung deutscher Verhältnisse.
Mit den Mitteln der Verwissenschaftlichung und der sogenannten
objektiven und differenzierten Betrachtungsweise, die sich
vom Geschichtsunterricht über die mediale Öffentlichkeit
bis hin zu renommierten deutschen Historikern großer
Beliebtheit erfreut, wird die kollektive Schuld der Deutschen
am Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg zugunsten des Wimmerns
über alliierte Bombardements oder über die Leiden
der deutschen Vertriebenen beiseite gewischt.
Ein Beispiel bietet das Buch der Brand von Jörg
Friedrich, welches vor nicht allzu langer Zeit erschienen,
den Bombenkrieg der Alliierten auf Deutschland angreift. Jener
Bombenkrieg, welcher doch von den Deutschen begonnen und gefeiert
wurde, solange er sich gegen die Alliierten richtete, wird
von Friedrich angeblich geschildert ohne Partei zu beziehen
und somit aus seinem geschichtlichen Kontext gerissen. Er
will nach all der Zeit davon wegkommen Ursachen
und Wirkungen zu benennen, als ob dies bereits ausreichend
getan wurde. Auf einer Buchvorstellung in Leipzig war bei
ihm die Rede von dem Leid der deutschen Bevölkerung
von den schrecklichen Bombennächten, von
Stromausfällen oder der notwendigen Verteilung
von Volksgasmasken. Kein Wort war zu hören von
deutschen Konzentrationslagern, von deutschen Massakern an
ziviler Bevölkerung und dem von den Deutschen fanatisch
geforderten Totalen Krieg, denn darum sollte
es an diesem Tag [dem Tag der Lesung] nicht gehen. Dabei
waren es doch jene Bombardierungen der Alliierten, welche
die Kapitulation Deutschlands erst erreicht haben und somit
Bedingung waren für die heutigen demokratischen Zustände
und die Befreiung Europas. Sie waren notwendig und gerechtfertigt
und sie wurden beispielsweise von vielen Juden und Jüdinnen,
welche zu jener Zeit noch versteckt in Deutschland lebten
nicht umsonst als ein Segen empfunden. Dieser Einwand wurde
jedoch auf der Veranstaltung als undifferenziert
und als zu einseitig betrachtet verworfen und
Jörg Friedrich ging sogar so weit, die Störer/innen
als SA-Pöbel zu beschimpfen.
Auch das Lokalblatt Leipziger Volkszeitung (LVZ)
trägt seinen Teil zu deutscher Geschichtsbewältigung
bei. Eine kritische Thematisierung der nationalsozialistischen
Vergangenheit scheint der Redaktion dieser Zeitung ein Tabu
zu sein, welche sie nicht zu bearbeiten hat. Zwar berichten
diverse Artikel über die Zeit zwischen 1933 und 1945,
doch nie ist die Rede von den Schrecken, die die deutsche
Volksgemeinschaft der halben Menschheit zugemutet hat. Beispielhaft
dafür, steht ein Bericht über die Wende im Zweiten
Weltkrieg die Schlacht um Stalingrad, in der die deutschen
Armeen erstmals vernichtend zurückgeschlagen werden konnten
und in der somit das Ende des deutschen Nationalsozialismus
seinen Anfang nahm. Die LVZ zum Thema Stalingrad Anfang des
Jahres lässt dazu einen ehemaligen Wehrmachtssoldaten
sprechen: Wehrmachts-Kanonier Heinz Wehner schildert
nach 60 Jahren Grauen der Schlacht. Keine einzige Zeile
wird dem Gedanken gewidmet, welcher die Deutschen überhaupt
erst nach Stalingrad trieb. Ein Gedanke, den Generalfeldmarschall
Reichenau bereits 1941 formulierte: Der Soldat ist im
Ostraum nicht nur Kämpfer nach den Regeln der Kriegskunst,
sondern auch Träger einer unerbittlichen völkischen
Idee. Vielmehr schreibt die unkritische LVZ weiter:
Als Deutschland 1941 die Sowjetunion überfiel,
war Kanonier Wehner vom ersten Tag an dabei. Und sogar
von der schlagkräftigen 6. Armee ist die
Rede. Kein einziges Mal wird in diesem Bericht das Wort Nazi
oder Konzentrationslager erwähnt und keine der deutschen
Gräueltaten im zweiten Weltkrieg finden auch nur eine
Erwähnung. An einer kritischen Aufarbeitung der Vergangenheit
ist die LVZ nicht interessiert und sie ist sogar unfähig,
die eigene Vergangenheit mit ihren Schrecken überhaupt
erst wahrzunehmen. Sie entlarvt sich in einem historischen
Bericht über den Zoo zur Zeit des Nationalsozialismus.
Mit einer Dreistigkeit und Ignoranz ohnegleichen gegenüber
den Leiden, welche nicht nur Juden und Jüdinnen durch
Deutsche erfuhren, wird geschrieben: Wer von der Zeit
des Nationalsozialismus redete, sprach von der Katastrophe:
den Bomben-Nächten und der Zerstörung des Zoos.
1 [sic!]
Ebenso reiht sich das Buch Im Krebsgang von Günther
Grass, welches das Leiden der deutschen Flüchtlinge aus
den Ostgebieten auf dem Schiff Wilhelm Gustloff schildert,
in die spezifisch deutsche Vergangenheitsbewältigung
ein. Es soll erklärtermaßen an die Opfer
der Deutschen erinnern. Deutsche Täter sind allerdings
keine Opfer. Und auch die Überarbeitung der Ausstellung
Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis
1944 bestätigt diese Form der Aufarbeitung, da
die Ausstellung zum Großteil aus Bildmaterial bestand,
was die normalen Deutschen bei der Durchführung
des Massenmordes an den Juden zeigte. Gerade deswegen wurden
diese Bilder wohl als unwissenschaftliches Quellenmaterial,
als undifferenziert und provokant
verworfen. Anstelle der konsequenten Formulierung einer Kritik
deutscher Verbrechen, wird immer wieder nur eine einseitige
Geschichtsbetrachtung angeprangert. Die sogenannte Aufarbeitung
der Geschichte hat in Deutschland ein klares Ziel. Sie soll
Deutschland wieder zu einer souveränen Nation werden
und das Selbstbewusstsein der Deutschen wieder erstarken lassen.
Doch dieser Selbstfindung der Deutschen steht die kollektive
Schuld am Holocaust im Weg, weswegen das Eingeständnis
dieser zugunsten der Darstellung des Leidens der Deutschen
weichen muss. Dies geht sogar so weit, dass allgemein bestätigt
wird, die Deutschen hätten aus Auschwitz gelernt und
würden nun verantwortungsbewusst handeln, indem sie die
eigenen Verbrechen beispielsweise im Kosovo zu sehen glauben
und dies als Begründung sehen, wieder Krieg führen
zu dürfen. Sogar vor der Bezichtigung, der jüdische
Staat Israel würde Nazi-Methoden gegenüber den Palästinensern
verwenden, wird in Deutschland heute nicht mehr zurückgeschreckt.
Unsere Forderung nach einer Aufarbeitung der Vergangenheit
beinhaltet das Eingeständnis der kollektiven Schuld der
Deutschen am Holocaust. Sie fordert die Überwindung der
bürgerlichen Gesellschaft im Allgemeinen und somit die
Abschaffung Deutschlands als deren konkret deutsche Spielart
um etwas ähnliches wie Auschwitz für immer unmöglich
zu machen.
Nie wieder Auschwitz!
1 LVZ vom 5.6.2003
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