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Warum Gesellschaftskritik?


Unsere Gesellschaft ist ein grausames Schlachtfeld: Jeden Tag werden wir in den Medien mit dieser schrecklichen Tatsache konfrontiert. Vergewaltigungen stehen auf der Tagesordnung, Terroristen treiben ihr Unheil in aller Welt, Selbstmordattentate in Israel machen ein Leben dort fast unmöglich. Hinzu kommen die vielen Kriege, welche in den letzten Jahren zahlreiche Menschenleben gefordert haben. Grausamkeit in Permanenz. Doch damit nicht genug: Der Mensch muss diese körperliche, sowie seelische und zudem noch die in der Gesellschaft strukturell1 vorherrschende Gewalt ertragen. Beispielhaft dafür ist, dass sich jedeR heutzutage auf ein Leben einstellen muss, welches durch Konkurrenzdruck und Leistungszwang gekennzeichnet ist, der sich vor allem im alltäglichen Schul- und Arbeitsleben äußert. Dies ist auch an der Rücksichtslosigkeit der Marktwirtschaft zu erkennen, die so ausgerichtet ist, dass tausende Hungertote täglich in Kauf genommen und ökologische Ressourcen hemmungslos ausgebeutet werden. Diese Gewalt, welche in unserer Gesellschaft vorherrscht, legt Zeugnis von einer zutiefst inhumanen und damit verrückten Welt ab. Um einen Einblick in die bestehenden Verhältnisse zu erhalten, die diese Formen von Gewalt erzeugen, ist es notwendig, sich mit den Grundlagen der kapitalistischen Gesellschaft auseinanderzusetzen, d.h. zu begreifen, was die Gesellschaftlichkeit von Menschen heute auszeichnet. Daher wird im Fortgang des Artikels etwas zu den Merkmalen der Gesellschaft allgemein gesagt und dann in der Darstellung konkret die heutige charakterisiert.

Menschliche Daseinsformen

Seit der Mensch auf der Erde existiert, steht er notwendigerweise in einem Austauschprozess mit der Natur. Das heißt, er ist Naturwesen und muss deshalb bspw. Nahrung zu sich zu nehmen. Doch unterscheidet sich der Mensch in einem besonderen Maße vom Tier, da er sich im Laufe seiner Geschichte weiterentwickelt hat, so z.B. durch Jagd mit anderen Menschen (soziales Wesen). Und durch Erfindungen, wie z.B. der Konservierung von Fleisch, konnte er sesshaft werden und sich somit anderen Dingen zuwenden. So gelang es ihm auch Werkzeuge, Kleidung und andere nützliche Dinge herzustellen, um seine Lebensbedingungen zu verbessern. Auch ist es dem Menschen eigen, auf einer sehr hohen sprachlichen Ebene zu kommunizieren und vernunftbegabt zu sein. Er besitzt also Reflexionsvermögen, ein Bewusstsein, dass es ihm ermöglicht, seine Handlungen zu kontrollieren, sich gesellschaftlichen Normen anzupassen, darüber nachzudenken und nicht nur unbewusst seinen Instinkten nachzugehen. Technischer Fortschritt und intelligente wissenschaftliche Planung sind nur aufgrund dieser von ihm erworbenen Fähigkeiten möglich.
Ein Kennzeichen der Gesellschaft ist auch die Masse an Lebensmitteln, die tagtäglich hergestellt wird: Die gesamte Erdbevölkerung könnte zweimal versorgt werden, und das durch einen sehr geringen Aufwand an menschlichem Mitwirken. Die ausgeprägte Infrastruktur lässt die Möglichkeit der schnellen Versorgung aller Menschen, wenn sie überall etabliert würde, zu. Maschinen und andere zeitsparende Entwicklungen haben also mehr Raum für die Entwicklung des Menschen gelassen. Doch durch noch nicht geklärte Ursachen ist es dem größten Teil der Menschheit nicht möglich, an diesen Errungenschaften teilzuhaben: Der Ausgangspunkt war also der Austauschprozess des Menschen mit der Natur. Eine gesellschaftliche Form in der dies stattfindet, wird es wahrscheinlich immer geben. Um zu begreifen, warum heute ein so großes Leid vorherrscht, obwohl die Möglichkeiten des menschlichen Lebens weitaus besser sind, muss die heutige Gesellschaftsformation daher genauer analysiert und kritisch beleuchtet werden. Radikale Kritik bringt die Forderung nach deren Abschaffung unweigerlich mit sich.

Ein Versuch der Kritik

In der jetzigen Gesellschaft steht nicht die Befriedigung der sinnlich-menschlichen Bedürfnisse im Mittelpunkt der Produktion, sondern die auf den Prozess der Geldvermehrung ausgerichtete kapitalistische Produktionsweise, welche den Austauschprozess des Menschen mit der Natur durch Lohnarbeit vermittelt. Sie beherrscht den Menschen, obwohl sie nur durch ihn bestehen kann. Es ist dabei notwendig, die ökonomischen Strukturen der Gesellschaft zu begreifen.

Wird heute ein Mensch geboren, so findet er Verhältnisse vor, die ihm ohne seinen Einfluss gegenübertreten, d.h. er ist nicht in der Lage, sich den gesellschaftlichen Einflüssen zu entziehen. Er wird von Geburt an von seiner Umwelt geprägt. Schon im frühen Kindesalter wird ihm von den Eltern anerzogen, dass es Unrecht sei, sich einfach Dinge (z.B. Spielzeug) aus einem Laden mitzunehmen ohne diese zu bezahlen. Die Eltern bezahlen mit Geld, soweit eine Kaufkraft vorhanden ist, den angegebenen Preis und erhalten somit diesen begehrten Gegenstand. Es wird deutlich, dass es der/m VerkäuferIn also nicht um die Tatsache geht, dass das Kind glücklich ist, sondern einzig und allein um den Absatz der Ware Spielzeug. Die weitere Tatsache, dass es den Eltern nur möglich war, etwas zu erhalten, wenn sie Geld geben, lässt die Annahme zu, dass wir in einer Tauschgesellschaft leben, die sich über Warentausch konstituiert und damit Geld als allgemeines Zahlungsmittel anerkannt wird. Kaum etwas ist noch ohne Geld zu haben. Der Austauschprozess zwischen Mensch und Natur ist damit indirekt vermittelt, erfolgt also über den Umweg eines anonymen Marktes. Ein/eine UnternehmerIn produziert bspw. nicht Brot um Menschen satt zu machen, sondern es steht primär der Verkauf des Brotes im Vordergrund. Wer im Endeffekt die Ware kauft, ist völlig gleichgültig, denn nur der Absatz zählt. Der/die UnternehmerIn seinerseits/ihrerseits hat keine andere Wahl, als einen Produktionsprozess am Leben zu erhalten, bei dem das Geld, welches anfangs investiert wurde, einen Profit abwirft2. Dafür stehen ihr/ihm Produktivkräfte zur Verfügung, welche die Waren herstellen. Die Produktivkräfte sind zum einen Menschen, deren Ware Arbeitskraft vernutzt wird, und zum anderen durch den Menschen angetriebene Maschinen sowie Grund und Boden. Der Profit steht der/dem UnternehmerIn aber nicht frei zur Verfügung, sondern muss wieder für einen neuen gesteigerten Produktionsprozess bereitstehen3. Wird der Profit nicht erwirtschaftet oder nicht für den erneuten Produktionsprozess genutzt, geht das Unternehmen unweigerlich zu Grunde, d.h. die Konkurrenz der anderen Firmen drängt es vom Markt4. Firmen unterliegen dem Prinzip der betriebswirtschaftlichen Rationalisierung: sie müssen im Konkurrenzkampf mit anderen Firmen bestehen und setzen, um den Absatz der Waren zu erhöhen, bessere Produktivkräfte (Maschinen) ein, welche eine höhere Effizienz als langsame, ungenau arbeitende Menschen haben, und erhöhen damit die Quantität/Qualität der Produkte. Der Profit ist damit keine freischwebende Ungerechtigkeit, durch die sich nur wenige Menschen ein schöneres Leben ermöglichen, sondern eine unbedingte Voraussetzung für den gesteigerten Produktionsvorgang.
Die Produktion von Dingen in der heutigen Gesellschaft findet als Warenproduktion statt5. Diese auf den Profit orientierte Produktionsweise hat nichts anderes zum Ziel als die Vermehrung des Geldes um seiner selbst Willen und steht im Mittelpunkt unserer heutigen kapitalistischen Gesellschaft. Dieser Prozess vollzieht sich ohne, dass Menschen ihn bewusst wahrnehmen. Die lange Durchsetzungsgeschichte des Kapitalismus hat die Menschen so verkümmern lassen, dass sie gar nicht mehr ihre Stellung in der Gesellschaft reflektieren können: Sie sind nur Mittel zum Selbstzweck der Geldvermehrung, bei dem menschliche Bedürfnisse nichts verloren haben. Das eben beschriebene Beispiel zeigt den Menschen, wie er die Organisation dieses Produktionsprozesses bewerkstelligt. Doch gibt es Menschen, denen es nicht möglich ist, ein Unternehmen zu gründen, da ihnen die nötigen finanziellen Mittel fehlen. Haben die Menschen das Bedürfnis nach Essen, müssen sie Kaufkraft schaffen, d.h. Geld verdienen, um es sich leisten zu können6. Es ist also keine Frage, ob man will oder nicht: Menschen müssen heute Geld verdienen. Wir müssen uns dazu zwingen und auch alle anderen müssen dies tun. Es ist also eine Frage ums Verrecken7. Doch dem Mitspielen sind auch Schranken gesetzt: Nur wenn man seine eigene Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt angemessen feilgeboten hat, ist es auch möglich einen Job zu bekommen. Der Konkurrenzkampf um einen Arbeitsplatz geht immer für denjenigen/diejenige „besser“ aus, welcheR einen besseren Schulabschluss hat. Damit ist ein Beispiel erklärt, wie wir alle strukturelle Gewalt mitreproduzieren, der individuelle Verzicht auf Gewalt also nicht möglich ist. Gute Eltern legen ihren Kindern daher auch immer nahe, sich teuer zu verkaufen, d.h. sie müssen versuchen. eine bestmögliche Ausbildung zu erhalten, um im Prozess der Geldvermehrung eine größere Rolle einzunehmen. Schule ist daher keine menschenfreundliche Einrichtung, sondern zielt nur darauf ab, willige hochqualifizierte Arbeitskräfte heranzuziehen8. Denn rein ökonomisch gesehen, werden einzig und allein die Arbeitskräfte in einem Unternehmen eingestellt, welche am besten qualifiziert sind. Damit lässt sich auch eine entscheidende Ursache für Armut in der Welt hervorheben: Menschen, die nicht die Chance haben, sich auf dem Arbeitsmarkt der reicheren Länder anzubieten, fallen im Prozess der Geldvermehrung hinten runter. Dabei geht es nicht um den Menschen, sondern nur um seine unqualifizierte Stellung als Arbeitskraft in der warenproduzierenden Tauschgesellschaft. Die heutige Ökonomie lässt Menschen, obwohl sie Bedürfnisse haben, sterben. Sie haben eben kein Geld, sind also nicht fähig Waren zu kaufen und zu konsumieren. Das ist knallharte Realität. Weil wir alle Zahnrädchen in dieser Maschinerie sind, ist es unbedingt notwendig, die eigene Rolle in dieser Gesellschaft zu reflektieren und zu kritisieren. Diese Kritik muss die Forderung nach der Abschaffung dieser Drecksverhältnisse mitsichbringen. Der eben beschriebene Produktionsprozess erfordert also eine Organisation bzw. eine aktive Teilnahme an diesem. Der Mensch ist sozusagen nur Mittel für den selbstzweckhaften Prozess der Geldvermehrung und erfährt damit eine Gleichheit: Er/Sie ist WarenbesitzerIn und muss, um der eigenen Existenz Willen, diesen Prozess mit am Leben halten. Der Austausch von erworbenem Geld und der zu kaufenden Ware hat in diesem Moment rein gar nichts mit Zwischenmenschlichkeit zu tun. Die Menschen, die in einer solchen Gesellschaft leben, versuchen sich irgendwelche „schlimmen Ereignisse“, z.B. Arbeitslosigkeit, durch falsche Erklärungsmodelle begreiflich zu machen. Dabei werden die eben beschriebenen Gesellschaftsmechanismen ausgeblendet. Werden z.B. aufgrund von betriebswirtschaftlichen Rationalisierungsmaßnahmen Arbeitskräfte entlassen und durch Maschinen ersetzt, machen die Entlassenen meist die Firma bzw. deren schlechtes Management für ihren sozialen Abstieg verantwortlich. Angeprangert wird ihre egoistische Bereicherungsgier und die unwürdige Behandlung von Menschen. Die LohnarbeiterInnen machen im Management die Wurzel allen Übels aus, wobei der/die UnternehmerIn aufgrund des Konkurrenzzwanges gar nicht anders kann. Diese verkürzte Gesellschaftskritik versucht nun den Kapitalismus schön zu machen, indem die Forderung nach der Beseitigung der schlechten Seite des Kapitalismus, Profitgier also, gestellt wird. Dass dies nicht möglich ist, lässt sich auch aus dem Begriff für die heutige Gesellschaftsformation erklären: Wir leben heute im Kapitalismus, welcher nur durch die Einheit von Arbeit und Profitmaximierung funktionieren kann. Um solchen oder ähnlich verkürzten Kapitalismuskritiken vorzubeugen, müssen die oben beschriebenen Strukturen erfasst, kritisiert und abgeschafft werden.

Mit diesem Artikel sollte aufgezeigt werden, dass unsere bestehende Gesellschaft eine unmenschliche ist und aufgrund ihrer Funktionsweise den Menschen bloß als Mittel zur selbstzweckhaften Geldvermehrung benötigt. Darum ist es für uns als Gruppe notwendig, eine umfassende Gesellschaftskritik zu betreiben, um diese Verhältnisse aufzuheben und so eine befreite Gesellschaft, die die Bedürfnisse der in ihr lebenden Menschen in den Vordergrund stellt und mit den natürlichen Ressourcen verantwortungsvoll umgeht, möglich zu machen.


1Strukturell heißt in diesem Zusammenhang, dass die Menschen, welche in einer solchen Gesellschaft aufwachsen nicht losgelöst von ihr betrachtet werden können, also z.B. die heutige Erziehung immer schon eine Vorbereitung auf das spätere (Lohnarbeits)Leben darstellt und keine einzelne Person dies beeinflussen kann.
2 Es ist für ein Unternehmen also unerlässlich, mehr als das Geld, das für die Produktion und für die Vermarktung der Waren ursprünglich eingesetzt wurde, durch Produktion und Verkauf wieder zu erwirtschaften. Das Geld hat sich durch den initiierten Produktionszyklus vermehrt, das Mehr ist der Profit, die ökonomische Grundlage, auf der sich die heutige Gesellschaft aufbaut.
3 Dass der/die UnternehmerIn vom erwirtschafteten Profit auch Lebenshaltungskosten zahlen muss, ist Voraussetzung dafür.
4 Um den Marktpreis in der Welt stabil zu halten, werden z.B. überflüssige Butterberge im Meer versenkt oder Weizensilos verbrannt. Die Bedürfnisse der hungernden Menschen haben dabei überhaupt keine Bedeutung.
5 Die Gegenstände, die sich in den Regalen der Läden befinden, sind unter doppelten Gesichtspunkt zu betrachten: Sie sind einerseits konkrete Dinge, die irgendeine Art von Bedürfnis befriedigen, sind also nützlich, und andererseits besitzen sie einen Wert, der im Verkauf eine Rolle spielt. Die warenproduzierende Gesellschaft kann damit gar nicht die Bedürfnisse der in ihr lebenden Menschen im Auge haben, sondern muss immer die verbesserten Absatzmöglichkeiten der Waren in den Vordergrund stellen.
6 An dieser Stelle soll darauf verwiesen werden, dass sich dieser Artikel mit dem Funktionieren der kapitalistischen Gesellschaft beschäftigt, also glückliche Zufälle wie z.B. Lottogewinne bei der Darstellung außen vor bleiben müssen. Sie haben eben kaum eine gesellschaftliche Relevanz.
7 Spielen wir mit im Gesellschaftszusammenhang, unterwerfen wir uns dem Zwang und damit der strukturellen Gewalt, tun wir es nicht, steht uns vielleicht ein noch unmenschlicheres Leben in der „Gosse“ bevor.
8 Siehe „Hurra, hurra die Schule brennt!“