|
||||||||
|
jungle World
Pöbeln in der Rosenstadt
Das dritte antirassistische Grenzcamp soll im »toleranten Brandenburg« stattfinden. Wenn die toleranten Brandenburger es zulassen. Forst. Kann man einer Stadt einen weniger urbanen Namen geben? Wohl kaum. Im Internet findet man das brandenburgische Forst dennoch. Zur Expo stellt der Ort sogar ein Projekt dar, aber keiner weiß so recht, welches. Wenn man die Homepage öffnet, blicken einem die beiden Oberhäupter des Städtchens in die Augen. Da ist zum einen der Bürgermeister, ein gewisser Dr. Gerhard Reinfeld von der CDU, und zum anderen Christine Weiße, ihres Zeichens Rosenkönigin - keine Ahnung, von welcher Partei. Dass sich Forst als Rosenstadt präsentiert, geht vermutlich auf eine Rosen- und Gartenbauausstellung im Jahre 1913 zurück. Sonst ist nichts Besonderes über Forst zu vermelden. Außer, dass dort im 18. und 19. Jahrhundert mal die Tuchmacher das Sagen hatten und 300 Jahre lang das Geschlecht der von Bibersteins herrschte. Naja. Das 25000-Einwohner-Nest an der polnischen Grenze wäre also nicht der Rede wert, wenn, ja wenn dort nicht vom 29. Juli bis zum 6. August das dritte antirassistische Grenzcamp lagern würde. Wie 1998 in Görlitz und 1999 in Zittau, wird auch dieses Grenzcamp mit Sicherheit für einigen Wirbel in der Region sorgen. 1500 TeilnehmerInnen erwarten die OrganisatorInnen, darunter diesmal auch zahlreiche Flüchtlinge. Die Flüchtlingsorganisation The Voice ruft erstmals zum Camp auf. Sie will das Event vor allem dazu nutzen, um gegen die Residenzpflicht zu protestieren. Diese Regelung untersagt AsylbewerberInnen, den Landkreis ihrer Unterkunft zu verlassen. Genauso wie die schriftlichen Anwesenheitsbestätigungen und die Gutscheinversorgung dient das allein der Kontrolle der Flüchtlinge. Verstöße gelten als Straftatbestand und können als Abschiebegrund gelten. Die Motivation der antirassistischen CamperInnen hat sich im Vergleich zum vergangenen Jahr nicht verändert. Das Ziel: Parteinahme für die Interessen von Flüchtlingen, Einwanderinnen und Einwanderern, »um Ermutigung, Unterstützung und Zusammenarbeit von und mit Initiativen, die dem rassistischen Straßenterror, schikanösen Ausländerbehördenalltag und der Menschenjagd an der Grenze Einhalt gebieten wollen, um eine öffentliche Kritik der Verhältnisse, die solche Zustände hervorbringen, und um - last but not least - die Störung und Verunsicherung des Grenzregimes«. Diskussion und Aktion sollen sich ergänzen und die verschiedenen Akteure rassistischer Gewalt - Staat, Gesellschaft, Nazis - aufeinander bezogen werden. Inhaltliche Schwerpunkte sollen neben der Residenzpflicht die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber in Eisenhüttenstadt und der dort neugebaute Abschiebeknast sein. Aus Anlass der Schändung des jüdischen Friedhofs in Guben werden sich die Camp-TeilnehmerInnen auch mit Antisemitismus beschäftigen. Ebenso sollen Nazistrukturen und rechtes Denken, die in der Lausitz zwischen Hoyerswerda, Spremberg, Cottbus, Guben und Forst hegemonial sind, zum Thema für Theorie und Praxis werden. Die in Berliner Antirassismus-Kreisen heftig geführte Debatte um den Begriff des »rassistischen Konsenses« und dem Verhältnis zur Bevölkerung steht ebenfalls auf der Tagesordnung. Dass in der Rosenstadt Forst ein solches Anliegen auf wenig Gegenliebe stößt, kann sich, wer den Osten kennt, denken. Gerade Brandenburg bildet sozusagen einen braunen Ring um Berlin. Und Widerstand gegen Nazis oder rechtes Gedankengut ist dort kaum zu vernehmen. Obwohl seit Jahren diverse Berliner Antifagruppen »Umlandarbeit« zu einem Schwerpunkt erkoren haben, sind die Erfolge spärlich. In Anbetracht dieser Situation hat sich in Brandenburg die Landesregierung Strategien gegen die Rechtsentwicklung ausgedacht. Neben einer schlagkräftigen Polizeisondereinheit namens Mega, die zur Verunsicherung der rechten Szene beiträgt, schmückt sich das Bundesland mit dem Titel »Tolerantes Brandenburg«. Und einige antirassistische Projekte konnten von dieser Image-Kampagne tatsächlich profitieren. Doch seit die CDU unter ihrem Vorsitzenden, dem Rechtsaußen Jörg Schönbohm, mitregiert, hat das Konzept stark gelitten. Schönbohm versucht, die Kampagne vor allem gegen imaginäre Linksradikale auszurichten. Statt über die rassistischen Hintergründe der rechten Gewalt zu reden, wird die angebliche Perspektivlosigkeit und »Demokratieverdrossenheit« der Jugendlichen beklagt. So beispielsweise in einem Papier des »Aktionsbündnisses gegen Extremismus«, das als Argumentationshilfe gegen rechte Parolen dienen soll. Darin heißt es: »Vielfach wird der Eindruck erweckt, Asylsuchende könnten jemandem in Deutschland einen Arbeitsplatz wegnehmen. Das ist nicht der Fall: Asylbewerber dürfen nicht arbeiten.« Der rassistische Bürger kann beruhigt sein, die Praxis des staatlichen Rassismus funktioniert. In Guben etwa setzte die CDU durch, im Rahmen des Expo-Konzeptes »Weltoffenes Guben« auch gegen Linke vorzugehen. Die Folge: Anfang Juli konnte eine Demo von rund 200 Flüchtlingen in Guben statt wie geplant um zwölf erst um 15 Uhr beginnen. Die AsylbewerberInnen wurden auf Brandenburgs Straßen immer wieder und zum Teil stundenlang von der Polizei angehalten und wie Schwerverbrecher kontrolliert. Auch auf linke Alternativprojekte übt die Landesregierung Druck aus. So strich man zum Beispiel der Initiative Opferperspektive wegen vermeintlicher Verbindungen zu Linksextremisten vorübergehend alle Gelder, was dazu führte, dass sich die Organisation nicht öffentlich für das Grenzcamp einsetzt. Auch der Flüchtlingsrat will sich wohl aus gleichen Beweggründen nicht solidarisieren. Während einige Jugendclubs der Region ihre Unterstützung zugesagt haben, will das Bunte Haus aus Forst nicht mit dem Camp in Verbindung gebracht werden. Die Aktion sei ein »Einfall« von außen. Unterstützung erhalten die aus der ganzen Bundesrepublik kommenden OrganisatorInnen der Kampagne kein mensch ist illegal nur von unabhängigen Antifagruppen der Umgebung, der Brandenburger Aktion Noteingang und der örtlichen PDS. Die Situation ist also durchaus mit der in Ostsachsen vergleichbar. Wie im vergangenen Jahr mobilisieren schon jetzt NPD-Nazis vor Ort gegen die Aktion des »antifaschistischen Pöbels«. Flugblätter werden verteilt, gewalttätige Angriffe angekündigt. Alles in allem also kein Wunder, dass auch diesmal die Suche nach einem Platz für das Grenzcamp ergebnislos verlief. Trotz monatelanger Verhandlungen konnte weder ein öffentliches noch ein privates Gelände gemietet werden. Wie im letzten Jahr will die Kampagne kein mensch ist illegal vor Ort einen Platz erzwingen. Die OrganisatorInnen rufen daher auf, sich schon Freitag um 17 Uhr, vor dem offiziellen Beginn des Camps, auf dem Parkplatz vor dem Schwimmbad zu versammeln.
Weitere Infos: www.nadir.org/nadir/kampagnen/camp00, |
schickt mails an:grenzcamp@nadir.org webjournal-camp00 proudly presented by |