Grenzcamp 2000

3. antirassistisches Grenzcamp
der Kampagne 'Kein Mensch ist illegal'
vom 29. Juli bis 6. August 2000
in Forst / Brandenburg
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Frankfurter Rundschau
[02.08.2000]

Für ein paar Tage Sand im Getriebe

In Brandenburg protestieren junge Camper gegen den "rassistischen Normalzustand"

In der südbrandenburgischen Kleinstadt Forst herrscht der Ausnahmezustand. 500 vorwiegend junge Teilnehmer des "Grenzcamps 2000" aus Deutschland, Tschechien und Polen haben ihre Zelte auf einer städtischen Wiese am Ortseingang aufgeschlagen - gegen den Willen von CDU-Bürgermeister Gerhard Reinfeld, aber mit Duldung des Polizeipräsidiums Cottbus.

Fahrzeuge von Polizei und Grenzschutz kreuzen durch die engen Straßen der deutsch-polnischen Grenzstadt. Sie begleiten die Aktivisten der bundesweiten Kampagne "Kein Mensch ist illegal". Auch nachts gibt es Sichtkontakt: Auswärtige Polizeikräfte sind gegenüber vom Grenzcamp in einem Hotel untergebracht, ein Polizeihubschrauber kreist über den Zelten.

Die Transparente an der Zufahrtsstraße sind nicht zu übersehen: "Gegen den rassistischen Normalzustand - für offene Grenzen" leuchtet die Botschaft des Camps den Forstern entgegen. In einem Infozelt werden Neuankömmlinge über geplante Aktivitäten auf dem Laufenden gehalten, die für Schlagzeilen in der Regionalpresse und hitzige Diskussionen unter den 20 000 Einwohnern der Stadt sorgen. Zum Beispiel vor dem Einkaufszentrum: Um dagegen zu protestieren, dass Asylbewerber ihre Sozialhilfe nur noch in Form von Warengutscheinen erhalten, wird eine ungewöhnliche Einkaufsaktion organisiert. Ein Dutzend Bewohner des örtlichen Flüchtlingsheims erhalten für ihre Warengutscheine aus der Campkasse Bargeld, und die jungen Männer und Frauen mit bunten Haaren bezahlen ihre Einkäufe mit den Gutscheinen. Der Rollentausch sorgt für ungewohnte Erfahrungen: Alkoholische Getränke und Tabakwaren müssen zurückgelegt werden, nachdem die Asylbewerber ihren Unterstützern erklären, dass derartige "Luxusartikel" nicht mit den Gutscheinen erworben werden dürfen. Passanten reagieren unterschiedlich: "Eine gute Idee", sagt eine 30-jährige Hausfrau. Ihr Ehemann ist da anderer Meinung: "Die suchen doch nur Randale."

Fremd sind sie sich, die Forster und die Campteilnehmer, die bis zum Wochenende bleiben werden. Stundenlange Debatten darüber, ob die Bevölkerung "provoziert" oder doch eher "informiert" werden solle, werden am Ende pragmatisch gelöst. Im Bürgerzentrum soll ein Film über Fluchthilfe in den 40er Jahren gezeigt und anschließend über das "Grenzregime des BGS" diskutiert werden. Und vor der nächsten Gutscheintauschaktion wird der Leiter des Supermarktes informiert.

Doch auch Provokationen gehören dazu: Die Nachricht, dass in den nahen Neiße-Wiesen zehn "illegale Grenzgänger" vom Bundesgrenzschutz gesucht würden, sorgt kurz vor Mitternacht für Aufregung unter den Campern. Spontan schwärmen Grüppchen aus und versuchen, die BGS-Streifen zu behindern. Das Ergebnis: "Ruhestörung durch Parolenrufen im Innenstadtbereich, umgekippte Mülltonnen und kleinere Sachbeschädigungen", sagt Polizeisprecher Peter Boenki. Bei der Polizei ist man enttäuscht, dass der "bis dahin friedliche Charakter des Camps" sich gewandelt habe und kündigt härteres Durchgreifen an.

Frank John, ein Sprecher des Grenzcamps, ist trotzdem zufrieden: Die Kampagne "Kein Mensch ist illegal" müsse mit der "Schizophrenie" leben, je nach politischer Konjunktur als "Musterbeispiel für zivilgesellschaftliches Engagement" gelobt oder als "Ansammlung von Straftätern und Chaoten" diffamiert zu werden, sagt er. "Hauptsache, wir sind für kurze Zeit Sand im Getriebe der staatlichen Abschottungspolitik."


Heike Kleffner (Forst)


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