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Daniel
Was heißt linksradikal?
Links impliziert einen Bezug auf die sozialistische Tradition (die politische Bedeutung des Wortes hat mit der Sitzordnung im französischen Parlament im 19. Jahrhundert zu tun), ´radikal´ spricht von der Differenzierung dieser Tradition und dem Anspruch bestimmter Strömungen, die radix (Wurzel) des Übels, der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse nämlich, zu erkennen (um sie "auszureißen"?)
Linksradikale Theorie und Praxis die den Namen verdient, sollte eine fundamentale Kritik des patriarchalen Geschlechterverhaeltnisses als nicht aus dem Kapitalverhaeltnis ableitbare Herrschaftsform beinhalten. Das setzt eine Auseinandersetzung mit feministischer Theorie und Praxis voraus, eine klare Abgrenzung von liberalen und reformistischen Feminismen und den Anschluss an nicht-biologistische radikalfeministische Ansaetze und solche sozialistisch-feministische Ansaetze, die das Geschlechterverhaeltnis nicht bloss wieder in einen traditionellen sozialistischen Entwurf einzugemeinden versuchen. Linksradikalismus definiere ich als notwendigerweise antirassistisch, wobei Rassismus sowohl in seinen institutionellen wie in seinen psychischen und ideologischen Aspekten erfasst werden sollte. Es kann meiner Ansicht nach inzwischen nicht mehr als besonders radikal gelten, ´Klasse, Rasse und Geschlecht´ ´gleichberechtigt´ nebeneinander zu stellen und dann in verschiedener Weise miteinander zu addieren. Es muesste inzwischen sehr klar geworden sein, dass rassistische und sexistische Stereotype, Fantasien von Krankheit und Degeneration, Bilder vom Juden und Traeume von der Suedsee nicht unabhaengig voneinander existieren; dass z.B. Rassismus und Sexismus nur als ´mutually constitutive´ zu begreifen sind. Linksradikales Denken kann und darf keine westliche Folklore, keine eurozentrische Theorie bleiben, sondern muss sich unbedingt zusehends internationalisieren oder besser, transnationalisieren. Insofern ist der kritische Bezug auf den klassischen trikontinentalen Antiimperialismus wichtig, die Diskussionen um ´neue Internationalismen´ und die Beitraege postkolonialer TheoretikerInnen muessten aufgenommen und mit den hierzulande kursierenden antinationalen Diskursen in Bezug gesetzt werden. Es bedarf auch theoretischer wie strategisch-politischer Anstrengungen, um die naturwissenschaftlich und reformistisch verengte Thematisierung des gesellschaftlichen Naturverhaeltnisses als ´Oekologie´ (wieder?) zu oeffnen in Richtung einer Thematisierung des herrschaftlichen und ausbeuterischen Verhaeltnisses zur aeusseren Natur und wie dieses mit gesellschaftlicher Herrschaft und herrschaftlicher Strukturierung der Subjekte zusammenhaengt. Subjektivitaet war ein zentrales Motiv in den theoretischen Debatten der Neuen Linken der 60er und 70er Jahre, der Theorie und Praxis der ´zweiten Welle´ des Feminismus in den westlichen Staaten undsoweiter?: Linksradikalismus bedeutet meiner Ansicht nach auch und ganz entscheidend den Versuch, die Herrschaft im Subjekt zu destabilisieren. Es geht auf theoretischer Ebene um eine Verknuepfung von ´Makro´- und ´Mikro´-Analysen, auf praktischer Ebene um die Vermittlung von persoenlichen Veraenderungsprozessen mit ´makro´-politischer Organisierung und Aktion. Die notwendige Vermittlung von individueller Veaenderung mit kollektiver politischer Praxis ist mit einem weiteren ´Vermittlungsproblem´ linksradikaler Praxis verknuepft, naemlich der ´Vermittlung´ zwischen Weg und Ziel - also: Methoden aktueller Praxis versus utopische Werte? Eine ´reife´ linksradikale Praxis muesste sich sowohl vom naiven Utopismus vornehmlich anarchistischer Provenienz abgrenzen, der Weg und Ziel umstandslos identisch setzt, als auch vom kritischen Zynismus vor allem marxistischer Intellektueller, der utopisches Denken desavouiert und jegliche ´Mikropolitik´/lifestyle politics als blosse systemimmanente Lebensreformerei denunziert. Linksradikale Theorie auf der Hoehe der Zeit hat sich natuerlich an poststrukturalistischer Theorie abzuarbeiten, der altmarxistische Reflex ´alles Postmoderne´ als nicht ernstzunehmend oder affirmativ zu verdammen ist nur noch laecherlich. Ein Verdienst poststrukturalistischer Tendenzen ist es zum Beispiel, den Essentialismus feministischer, antirassistischer und befreiungsnationalistischer Identitaetspolitiken kritisiert und den traditionslinken Universalismus als weissen westlichen Partikularismus enttarnt zu haben. Die Konsequenz aus diesen Kritiken sollte meiner Meinung nach nicht sein, Identitaetspolitik aufzugeben, genausowenig wie jeder Versuch, programmatisch "vereinheitlichte" Buendnisse zu schaffen, was notwendigerweise eine ganz schlimme totalitaere Sache ist. Linksradikale Politik heute, behaupte ich stattdessen, sollte versuchen strategische Identitaetspolitiken zu entwerfen, die Einheiten ueber Differenzen hinweg konstruieren, ohne die Differenzen zu leugnen und ohne die Einheiten als natuerlich zu setzen; die sich der Gefahren der Essentialisierung, Naturalisierung, Homogenisierung bewusst bleiben. Daraus folgt ein pragmatischer und flexibler Umgang mit "identitaetsbestimmten Gruppen", eine unaufhoerliche Problematisierung von Homogenisierung nach innen und Abgrenzung nach aussen.
Was die Frage eines ´Universalismus in Diversitaet´ bzw.
der Buendnispolitik betrifft, finde ich die Formulierungen von
Yuval-Davis zu ´transversal politics´ und S. Stanford
Friedman zu ´locational feminism´ sehr inspirierend: Identitaetspolitik privilegierter Gruppen wirft natuerlich voellig andere Problematiken auf als die unterprivilegierter/unterdrueckter Gruppen. Identitaetspolitik Privilegierter kann nur als selbstaufhebende oder "negative" Identitaetspolitik progressive Praxis sein. Das bedeutet, dass das Ziel der Aufhebung der eigenen Identitaet nicht nur - wie in jeder nicht-reaktionaeren Identitaetspolitik - praesent sein muss, sondern ganz klar im Vordergrund stehen und den Propagandisten der Maennlichkeit, der Heimat, der Nation und sonstiger Widerwaertigkeiten kompromisslos entgegengesetzt werden sollte.
Linksradikalismus definiert sich meines Erachtens in Abgrenzung von
reformistischen Ansaetzen. Anti-reformistisch zu sein bedeutet nicht
gegen Reformen des Systems zu sein, sondern eine extrem kritische
Abwaegung subversiver und affirmativer Aspekte jedes politischen
Projekts vorzunehmen, sich dabei der Kraefteverhaeltnisse bewusst zu
sein (und das heisst meistens, sich die eigene Ohnmacht schonungslos
einzugestehen) und sich vor Augen zu halten, dass die Integration von
Protest, die Kooptation politischer und aesthetischer Opposition einer
der wichtigsten Funktionsmechanismen ´postmoderner´
patriarchaler Klassengesellschaften ist. Eine radikale Staatskritik
bedeutet nicht, nicht in Institutionen zu arbeiten, bedeutet aber
diese Arbeit immer wieder so ehrlich wie moeglich auf ihren
emanzipatorischen Gehalt hin zu befragen. |
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