Grenzcamp 2000

3. antirassistisches Grenzcamp
der Kampagne 'Kein Mensch ist illegal'
vom 29. Juli bis 6. August 2000
in Forst / Brandenburg
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web-redaktion
[04.08.2000]

Die Presse, die Macht und wir

Während bei bisherigen Grenzcamps Artikel über uns hauptsächlich in linken Medien und den lokalen Zeitungen erschienen, ein, zwei vielleicht in größeren Zeitungen der liberalen bürgerlichen Presse, sind wir dieses Jahr mit einer veränderten Situation konfrontiert. Nach dem Anschlag in Düsseldorf haben nicht nur die Grünen den Rechtsextremismus entdeckt. Rettet den Wirtschaftsstandort Deutschland vor den kahlrasierten Schlägern, lamentieren Politiker gleich welcher Couleur. Jahrelang haben sie ignoriert, dass in bestimmten Regionen der Bundesrepublik viele Menschen jeden Tag mit der Angst leben, Opfer rechter Gewalttaten zu werden.

Doch es ist nicht die Angst dieser Menschen die diejenigen bewegt, die jetzt nach Verboten und Gesetzen schreien. Ihnen geht es um die Konjunktur, die ohne Investoren aus dem Ausland nicht recht in Schwung kommt. Wenn Jugendliche in Springerstiefeln auf CNN zu sehen sind, winken Kapitalisten aller Länder ab und damit droht Ostdeutschland zum Globalisierungsverlierer zu werden.

Bisher bagatellisierten Politiker, Polizei und Presse Übergriffe zu Einzelfällen oder bestritten einen politischen Hintergrund. Leute, die anderes behaupteten, waren ihnen lästig: Es galt, sie ruhig zu stellen. Doch jetzt kommt das Grenzcamp ihnen gerade recht. Seht her, können sie im Ausland verkünden: "Bei uns in Deutschland gibt es nicht nur Ewiggestrige, bei uns funktioniert die Zivilgesellschaft reibungslos, hunderte junger Deutscher werden aktiv gegen die Neo-Nazis." So werden wir Grenzcamper plötzlich zum positiven Standortfaktor. Doch deswegen sind wir nicht hier. Wir sind an der deutsch-polnischen Grenze, weil wir das Grenzregime angreifen wollen. Wir wollen nicht nur auf die Schikanen aufmerksam machen, die sich der BGS für die hier lebenden Flüchtlinge ausdenkt und derer gedenken, die ums Leben kamen bei dem Versuch, die Grenze zu überqueren. Wir sind gegen Grenzen und Nationen im allgemeinen. Den Wirtschaftstandort Deutschland zu sichern, ist das Gegenteil dessen, was wir wollen. Denn wir wollen Deutschland als Kategorie abschaffen.

Wir finden uns also in einer paradoxen Situation wieder. Viele sind davon frustriert. In langwierigen Diskussionen haben wir versucht zu klären, wie wir damit umgehen können. Zwar unterstützen wir mit unserer Präsenz hier Interessen, die wir ablehnen. Zugleich sehen aber auch viele, dass wir - vielleicht seit Jahren wieder zum ersten Mal - den gesellschaftlichen Diskurs beeinflussen können. Unsere Inhalte konnten nicht vermittelt werden, solange die Presse uns nur als Störfaktor porträtierte. Doch jetzt fragen sie uns nach unserer Meinung und schreiben die häufig auch brav auf. Da wir auf diese Situation jedoch nicht vorbereitet waren, kamen unsere Inhalte nur dürftig rüber, kritisieren viele. Womöglich zeigt sich hier das Problem einer Linken, die jahrelang mit dem eigenen Überleben und dem Abwehren der staatlichen Repression beschäftigt war.

Diskutiert haben die CampteilnehmerInnen auch den Grad der Wichtigkeit regionaler und bundesweiter Verhältnisse. Schaden oder nutzen wir Schöhnbohm, interessierte die einen. Die anderen wollten Josef Fischer mit seiner Menschenrechtsrethorik keinen Gefallen tun. Für regionale Gruppen war entscheidend, dass wir den Leuten in Forst antirassistische Diskurse vermitteln. Wie sie damit umgehen können, direkt an der Grenze zu leben. Für sie ist es ein riesiger Fortschritt, dass AntirassistInnen von Schulen zur politischen Bildung eingeladen werden. Andere wollen ein konfrontativeres Verhältnis zur Bevölkerung und sehen Vereinnahmung als Gefahr.

Diese Widersprüche betreffen uns nicht nur hier vor Ort. Darum hoffen wir, dass auch Ihr, hinter euren Rechnern zu Hause, Diskussionsbeiträge zum Thema schickt.


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