Grenzcamp 2000

3. antirassistisches Grenzcamp
der Kampagne 'Kein Mensch ist illegal'
vom 29. Juli bis 6. August 2000
in Forst / Brandenburg
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Delegation bei der ZABH
[05.08.2000]

Überwachung und Bedrohung

Es war unglaublich, welche Begeisterung die Demo bei den Flüchtlingen im Heim auslöste. Lachende Kinder am Zaun, winkende Menschen verschiedenster Nationalität an den Fenstern des Abschiebeknastes und der Wohnhäuser (na ja, wohnen...), bis zum Menschenauflauf vor dem Zaun, den die Bullen in und vor der ZABH in voller Montur (Helme, Beinschützer) mit rüdem Wegschubsen zu unterbinden versuchten. Dabei wurde offensichtlich, daß die einzelnen Bullen gerne anders auf uns und die Flüchtlinge reagiert hätten, was aber ihre Leitung nicht zuließ. Beispiel: ein Bulle will automatisch sofort die Kontaktaufnahmen zwischen Kindern von DemoteilnehmerInnen und Kindern hinter dem Zaun verhindern. Erst mühselig muß er zurückgepfiffen werden: das kommt nicht gut für uns, da verlieren wir an Terrain, mensch, Holger (o.s.ä.), biste bescheuert ? Am Rückweg murmeln manche nicht all zu leise: und das sollen die Guten sein, ja, ihr würdet schon sehen, was ihr von diesen Asylanten hättet, warum sollen wir die mit Samthandschuhen angreifen usw. Am Schluß der Demo torkeln sie aber ziemlich müde von der Sonne im losen Aufmarsch neben uns her.

Nun sollte es doch noch ein Gespräch mit Flüchtlingen geben. Zuerst hält sich die Demo auch im vorsichtigem Abstand von dem martialischem Aufgebot vor und in der ZABH. Eine Kette behelmter Bullen in aggressiver Haltung außen den Zaun entlang, viele hinter dem Tor und dann eine lange Reihe Wannen. Die ZABH hatte damit genau das Gesicht, was zu ihr paßte.

Daß einzelne Flüchtlinge den Mut hatten, ziemlich nahe zum Zaun zu kommen, ist unter diesen Umständen bemerkenswert. Es ermunterte einzelne aus der Demo, an die Bullenreihe zu gehen und Einlaß zu verlangen. Plötzlich wurde diesem Ansinnen statt gegeben, nur: ohne Tasche und mit Abtasten und Durchsuchen und nur 10 Personen und das schnell. Das bekamen natürlich nur die Nächststehenden mit, worunter sich doch englisch, französisch und türkisch/kurdisch sprechende Leute befanden, sowie jemand von der Presse, der ein Interview machen konnte. Eine so plötzliche und unvorbereitete Kontaktaufnahme unter diesem Druck konnte inhaltlich kaum mehr klären, als daß wir erzählten, von welcher Organisation wir kamen und was wir wollten. Zumal die Demoleitung zum Aufbruch drängte. Und die Bullenleitung, die uns vor die Alternative stellte, in 5 Minuten mit der Heimleiterin zu sprechen oder die Veranstaltung abzubrechen. Die erste Idee war, mit der Heimleitung einen Besuch für morgen auszumachen. Doch am Wochende gilt in der ZABH Besuchersperre! Die Heimleiterin war nur unter den Umständen bereit, eine Ausnahme zu machen, wenn nur einzelne Leute mit Namenskenntnis von Einzelnen von uns besucht würden. In einem Einzelraum und unter Beaufsichtigung von einem Beamten. Daß dies genau Knastbedingungen sind, leugnete sie vehement. Die massive Machtdemonstration seitens der Polizei, die Flüchtlinge von der Kontaktaufnahme zu uns abhalten soll, fand sie auch vollkommen gerechtfertigt - wegen des Landfriedensbruches. Welches? Nun ja, er könnte ja noch kommen. Um Kontakt mit den Flüchtlingen aufzunehmen? Ja, sie müsse die Flüchtlinge schützen. Es war nicht mit ihr zu reden.
Da keiner der Flüchtlinge den Mut hatte, sein Recht in Anspruch zu nehmen, durch das Eingangstor nach draußen zu gehen, und sie große Angst davor hatten, offen zu reden, wurde ein Termin am nächsten Tag vereinbart.

Leider kamen nur wenige Campteilnehmer zu diesem Treffen. Für die Menge der Flüchtlinge fehlte es z.T. an Übersetzern und außerdem zeigte es sich, daß wir viel zu wenig an Informationsmaterial mit hatten. Dringend benötigt wären Rechtsanwaltsadressen von Initiativen aus dem näheren Bereich gewesen.

Umgang mit Flüchtlingen in der ZABH: Willkürliche Repressalien und gezielte Desinformation.

Die Flüchtlinge hatten keinerlei Informationen über den Ablauf des Asylverfahrens und über ihre rechtliche Situation. Ihre Informationen sind Gerüchte und Halbwahrheiten. Die Dokumente, die sie unterschreiben müssen, sind auf deutsch und werden nicht übersetzt. Niemand hat sie über ihre Rechte informiert. Es gibt keine SozialarbeiterInnen, keine Caritas, keine Rechtsberatung oder sonstige Beratungsstellen. Die Flüchtlinge in der ZABH verfügen in der Regel nicht einmal über Kontakte zu RechtsanwältInnen. Sie können nicht unterscheiden, wer welche Funktion bei den dort arbeitenden Leuten hat, da sie die Sprache nicht verstehen. Der Umgangston sei sehr verächtlich.
Einige erzählten, daß viele Flüchtlinge, die gekommen sind, um einen Asylantrag zu stellen, wenn sie keine Papiere vorweisen können, sofort in die Abschiebehaft für 3 Monate genommen würden. Die Polizei greift dabei vor der ZABH gezielt Leute ab. Manchmal rufen sogar MitarbeiterInnen der ZABH bei der Polizei an, wenn Flüchtlinge bei ihnen darauf warten, ihren Asylantrag stellen zu können. Erst nach den 3 Monaten im Knast erhalten sie dann überhaupt Gelegenheit, ihr Anliegen vorzubringen. Bei der Anhörung trauen viele KurdInnen sich nicht, über ihre Fluchtgründe zu erzählen, weil auch viele TürkInnen einen Asylantrag stellen und sie Angst haben, daß sie später beim türkischen Konsulat denunziert werden. Immer wieder werden den Flüchtlingen Dokumente auf deutsch vorgelegt, die sie unterschreiben sollen und deren Inhalt sie nicht verstehen. Dies geschieht zum Beispiel nach einer ersten Ablehnung des Asylantrags. Leute werden zur Polizei gebracht, um ein Papier zu unterschreiben, mit dem sie ohne ihr Wissen ihre Abschiebung besiegeln. Daraufhin werden die betroffenen gleich in Abschiebehaft genommen. Über die Möglichkeiten, gegen die Ablehnung des Asylantrags zu klagen, werden die Betroffenen im Unklaren gelassen. Im Gespräch mit BewohnerInnen der ZABH stellte sich heraus, dass manche gar nicht wussten, dass sie bereits eine Klage eingereicht hatten und dementsprechend über die Begründungen, die für eine erfolgreiche Klage Voraussetzung sind, nicht Bescheid wussten.

Überwachung und Bedrohung

In der ZABH wird der Alltagsablauf der Flüchtlinge genau kontrolliert und registriert. Wer die ZABH verlässt und wer zurückkommt muss eine Chipkarte in einen Automaten einführen, wobei jeweils die Uhrzeit registriert wird. Das Gleiche gilt beim Einnehmen der Mahlzeiten. So wird ein genaues Bewegungsprofil der ZABH-BewohnerInnen erstellt. Ab 20 Uhr abends gibt es Ausgangssperre. Über Nacht darf niemand wegbleiben. Die Flüchtlinge würden sich aber sowieso nachts ab 20 Uhr nicht aus der ZABH trauen, weil die Straßen voller Nazis seien. Auch tagsüber verlassen die meisten die ZABH nur in Gruppen. Oft werden Flüchtlinge von den Nazis verprügelt. Die Polizei greift dagegen nicht ein, sie wird von den ZABH-BewohnerInnen selbst als rassistische Kontrollinstitution benannt. Von den meisten deutschen NachbarInnen schlägt den Flüchtlingen offene Feindseligkeit entgegen, es gehört für sie zum Alltag, beschimpft und beleidigt zu werden.
Die Flüchtlinge leben in permanenter Angst, da sie ständig fürchten müssen, ein Zimmer weiter, in den Abschiebeknast gebracht zu werden. Aufgrund der Überwachung und Bedrohung fürchten einige Repressalien, wenn es der Leitung der ZABH bekannt werden sollte, dass sie Kontakt nach aussen aufgenommen und über ihre Lage berichtet haben.

Wohnsituation

Verpflegung: Es gibt Frühstück, Mittag- und Abendessen, aber nur deutsches Essen. Oft gibt es eine Woche lang das gleiche Essen, meist Kartoffeln mit Würsten. Oder, wie ein Flüchtling meinte, Suppe aus dem zweiten Weltkrieg. Manchmal gibt es kein Frühstück. Die Flüchtlinge haben mit 80 DM monatlichem Taschengeld, rationiert auf 20 DM pro Woche, keine Möglichkeiten, selber Essen zuzubereiten. Beim Kiosk innerhalb der ZABH sind die Waren trotzdem teurer als draussen.
Kleidung: Die ZABH-BewohnerInnen bekommen als Einkleidung Hose, Pullover, Unterwäsche. Schuhe müssen sie vom eigenen Geld kaufen.
Sanitäre Verhältnisse: Niemand kümmert sich um die sanitären Verhältnisse, nur die Flure werden gewischt. Sie bekommen kein Geld für Putzmittel, auch nichts für Körperpflege außer ein Stück Seife. Einer erzählte, dass er einmal ein Stück Zahnpasta bekommen hätte, das schon 10 Jahre alt gewesen sein muss. Die Duschen sind nach Männern und Frauen getrennt, es gibt aber keinen Schlüssel zum Abschließen. Eine Dusche und 4 Toiletten müssen für 50 Männer reichen. Die Bettwäsche wird alle 10 Tage gewechselt. Es gibt viel Schmutz und Ungeziefer in der Unterkunft. Manche bekommen davon Allergien. Es gibt wohl mehrere Waschmaschinen im Keller, die sind aber alt und machen die Wäsche kaputt. Sie zögen es vor, die Wäsche per Hand zu waschen.
Zimmer: In einem Zimmer sind 8-9 Personen untergebracht. Pro 4 qm schlafen 2 Flüchtlinge im Stockbett. In der ZABH gibt es viele Frauen, auch Alleinstehende.
Medizinische Versorgung: Medizinische Betreuung gibt es nur von Krankenschwestern, nicht von ÄrztInnen. Die Flüchtlinge werden nicht untersucht, es werden ihnen nur Medikamente gegeben. Einer erzählte, er wäre wegen der Lunge hingegangen. Sie hätten ihm gesagt, er solle nicht so viel rauchen. Dann ging er erneut hin und sagte, es hätte sich aber nichts geändert. Dann schickten sie ihn ins Krankenhaus, röntgen seine Lunge. Bis heute geschah nichts weiter.

Vor diesem Hintergrund empfinden die Flüchtlinge die ZABH als eine Art offenes Gefängnis.


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