Vierter Teil der EinSatz!-Serie zur Inneren Sicherheit

DNA-Dateien als vorletzter Schritt auf dem Weg zur totalen Überwachung

Seit mehr als zehn Jahren wird die DNA-Analyse, der sog. genetische Fingerabdruck, in der Praxis von Polizei und Justiz angewandt. Bei dieser Gen-Analyse werden Körperzellen des Menschen (z.B. Blut, mittlerweile aber vor allem Speichel) molekulargenetisch untersucht. Dabei reichen schon geringste Mengen für eine DNA-Analyse, etwa getrocknete Blutspritzer oder Speichelreste an Zigarettenstummeln. Die DNA enthält die gespeicherten Erbinformationen. Mit Hilfe verschiedener Untersuchungsmethoden läßt sich ein DNA-Profil erstellen, das für jeden Menschen so inidividualcharakteristisch ist wie sein Fingerabdruck. Allerdings besteht die DNA zu 90% aus einem sog. nicht-kodierten Teil, dessen Informationen im Dunkeln liegen. Sie werden als unbedenklich angesehen und sollen für die DNA-Analyse herangezogen werden. Der übrige, kodierte Teil enthält hingegen sämtliche Erbinformationen des einzelnen Menschen, also auch seine körperlichen Besonderheiten, darunter auch Hinweise auf eventuelle Erbkrankheiten u.ä. In jüngster Zeit ist zwar die politische Bedeutung des genetischen Fingerabdrucks deutlich geworden, öffentliche Kritik ist aber weder an der bisherigen Praxis noch an ihrer drohenden Weiterentwicklung geübt worden. Trotz "freiwilliger" Reihenuntersuchungen wie jüngst in Cloppenburg, wo 18.000 junge Männer zur DNA-Analyse aufgefordert wurden, trotz offensichtlich politisch motivierter Handhabung wie in Göttingen, wo wegen einer zerbrochenen Fensterscheibe AntifaschistInnen zur DNA-Analyse gezwungen werden sollten, und trotz der Ankündigung, für bestimmte Tätergruppen DNA-Datenbanken anlegen zu wollen. In der EinSatz!-Serie zur Inneren Sicherheit soll es daher diesmal um dieses neue Mittel der Identitätsfestellung gehen, das in wenigen Jahren wohl zum Standard der Repressionsorgane gehören wird.

Mitte März 1997 wurde eine gesetzliche Neuregelung gestaltet, die eigens Umgangs- und Verfahrensweise der DNA-Analyse regelt.

Demnach muß die Durchführung einer DNA-Analyse zwar grundsätzlich richterlich angeordnet werden, eine besondere "Einsatzschwelle" wurde jedoch nicht definiert. Es reicht aus, daß eine Durchführung als "erforderlich" betrachtet wird, egal ob vor, während oder nach den Ermittlungen und unabhängig vom Tatverdacht! Es muß also keine besondere Tat vorliegen und auch kein "dringender Tatverdacht". Nur bei Ordnungswidrigkeiten darf keine DNA-Analyse durchgeführt werden. Selbst ein Verstoß gegen die geforderten Bedingungen für eine Beweiserhebung führt nicht automatisch zum Verbot ihrer Verwendung als Beweis. Dies regelt eine "Einzelfallprüfung", die die schwere der zu ermittelnden Tat und das Individualinteresse des Betroffenen miteinander abwägt. Damit hat der anordnende Richter nicht die Möglichkeit, eine von der Staatsanwaltschaft geforderte DNA-Analyse als unbegründet abzulehnen. Ebenfalls abgelehnt wurde der Vorschlag, eine DNA-Analyse nicht ohne Kenntnis des Betroffenen vorzunehmen. Es gibt lediglich eine Benachrichtigungspflicht über vorgenommene Untersuchungen. Auch die Zwangsentnahme von DNA-fähigem Material nur in solchen Fällen zuzulassen, wo bereits Vergleichsmaterial eines Verdächtigen vorliegt, wurde nicht mit aufgenommen.

Festgelegt wurde, daß die genetischen Untersuchungen nur zur Festellung verwandt werden dürfen, ob das untersuchte Material einem bestimmten Beschuldigten zuzuordnen ist. Demnach dürfte das Material nicht einmal zur Feststellung des Geschlechts untersucht werden, ganz zu schweigen von der Erstellung etwa eines genetischen oder eines herkömmlichen Phantombildes. Das Material darf auch nur zur Auflösung des zugrunde liegenden Verfahrens oder anderer anhängiger Verfahren verwandt werden. Nicht klar wird daraus allerdings, ob es sich bei "anhängigen Verfahren" generell um offene Verfahren handelt oder speziell um solche, die gegen den/die BeschuldigteN „anhängig" sind. Nach Abschluß des Verfahrens muß das Material unverzüglich wieder vernichtet werden, jedoch erst dann, wenn eine Wiederaufnahme auszuschliessen ist. Eventuell reicht auch die bloße Möglichkeit eines Antrages auf Wiederaufnahme aus, um das Material weiterhin legal aufbewahren zu können. [genetischer Fingerabdruck] Die Ergebnisse der Untersuchung brauchen ohnehin nicht vernichtet zu werden, sie dürfen zudem auch in anderen Verfahren verwendet werden, auch in Zivilprozessen.

Die DNA-Untersuchung selbst darf von Sachverständigen der ermittelnden Behörde durchgeführt werden, wenn diese von der ermittelnden Dienststelle getrennt sind, eine neutrale Sachverständige, wie von der SPD gefordert, ist nicht erforderlich. BKA und LKA dürfen also "intern" sowohl ermitteln, als auch untersuchen, solange sie dies nur "sachlich" getrennt tun. Die persönlichen Daten des Betroffenen dürfen bei der Untersuchung nicht bekannt gegeben werden, lediglich das Geburtsjahr. Spätestens in der Gerichtsverhandlung läßt sich natürlich das untersuchte Material wieder einer bestimmten Person zuordnen, Trennung und Anonymität von Person und Genmaterial werden dann ohnehin praktisch unmöglich.

Bei den "freiwilligen" Reihenuntersuchungen wie jüngst in Norddeutschland im "Mordfall Christine" gilt eine Person, die sich weigert, automatisch als verdächtig. Bei Hinweisen auf einen Tatverdacht kann eine Entnahme zwangsweise durchgeführt werden, die sog. Verhältnismäßigkeit gilt in einem solchen Fall in der Regel als gegeben.

Die Frage der sog. Gen-Datenbanken ist bislang nicht eindeutig geklärt, sie sind weder ausdrücklich erlaubt noch für unzulässig erklärt worden. Tatsächlich bauen aber die LKA`s seit Jahren ohne gesetzliche Grundlage solche Dateien auf. Ihre endgültige Durchsetzung wird sich kaum mehr aufhalten lassen. In den USA, den Niederlanden und Großbritannien sind solche Datenbanken schon eingerichtet worden, insbesondere Großbritannien wird dabei als mögliches Vorbild betrachtet. So wird in naher Zukunft wohl eine bundesweite Gen-Datei die bereits bestehenden Datensammlungen ergänzen:

Bei aller juristischer Spitzfindigkeit muß jedoch insgesamt klar sein, daß der genetische Fingerabdruck gegenüber dem herkömmlichen eine völlig neue Qualität darstellt. Anhand der Fingerlinien können keinerlei geistige und körperliche Eigenschaften bestimmt werden. Der genetische Fingerabdruck greift dagegen in die intimste körperliche Sphäre überhaupt ein. Mit einem solchen genetischen Fingerabdruck hat man praktisch schon das gesamte Individuum, man muß nur noch das lebendige Gegenstück finden. Ebenfalls ins Gegenteil verkehrt hat sich der polizeiliche und juristische Umgang mit dem genetischen Fingerabdruck: Plötzlich muß die Schuld nicht mehr individuell nachgewiesen werden, sondern der/die Einzelne muß umgekehrt den Nachweis seiner Unschuld antreten. In den "freiwilligen" Reihenuntersuchungen reicht die zufällige Zugehörigkeit zu einer Gruppe, um zum Verdächtigen zu werden, wenn man nicht "vorsorglich" seine DNA zu Verfügung stellt. Wie diese Reihenuntersuchungen werden auch die Gen-Dateien, wenn nötig mit Unterstützung einer hysterischen Öffentlichkeit eingeführt werden, die einzige Frage scheint ohnehin nur noch, wer alles in solche Dateien kommen soll. Bleiben es die "Sexgangster", oder kommen auch andere schwere Straftaten dazu? Und wie steht es mit "politisch-motivierten Straftaten"? Ist für eine Personengruppe erst einmal eine Datenbank errichtet, läßt sich kaum ein Grund anführen, warum nicht eine andere Gruppe hinzugefügt werden sollte. Und warum nicht gleich den Ausweis mit dem individuellen Gen-Code versehen, oder warum keine vorsorgliche Registrierung bei der Geburt oder auf freiwilliger Basis? Warum nicht auch persönlichkeitsbezogene Eigenschaften untersuchen, wenn es der Überführung dient? Von hier ist die Biologisierung des Sozialen, wonach die Gene überhaupt ursächlich für bestimmte Eigenschaften seien (Schwulen-, Sucht-, Kriminalitäts- oder Intelligenz-Gen), nur konsequent weitergedacht.

Ist ein Repressionslevel erst erreicht, läßt sich von ihm aus bekanntlich auch der nächst höhere durchsetzen. Eine einmal durchgesetzte Verschärfung wird dagegen nicht mehr zurückgenommen. Der Sicherheitswahn läßt sich daher nur als solcher kritisieren, ohne Zugeständnisse an "Sicherheitsbedürfnisse" und ohne rechtsstaatliche Illusionen. Der Sicherheitsapparat existiert nur, indem er expandiert und sich verschärft; wie anders soll auch ein Apparat funktionieren, dessen alleinige Aufgabe es ist, die Folgen gesellschaftlicher Probleme zu bekämpfen. Widerstand gegen Überwachung und Repression kann daher nur kriminell sein aus der Sicht des Sicherheitsapparates selbst.

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