In der Nacht zu Sonntag den 25. Mai
wurde ein faschistischer Brandanschlag auf die katholische
St. Vicelin-Kirche in Lübeck verübt. Die im
Stadtteil St. Jürgen gelegene Kirche wurde durch das
Feuer fast vollständig zerstört. Die Täter
hinterließen auf der Kirchenmauer fünf
Hakenkreuze in weißer Farbe, dazu den Namen
“Harig”. Drei weitere, sehr ähnliche
Anschläge, folgten dann im Juni.
Hintergrund: die evangelische St.-Marien-Gemeinde und der
ihr vorstehende Pastor Harig gewähren seit dem 9. Mai
einer algerischen Familie Kirchenasyl.
Konservative und Neofaschisten - Hand in Hand!
Dieser Umstand hatte bereits kurz nach Bekanntwerden zu
heftigen Reaktionen auf konservativer und neofaschistischer
Seite geführt. Gehetzt werden durfte in den
Lübecker Nachrichten (LN), einem Springer-Blatt mit
Monopolstellung. Hierbei tat sich besonders der
Kreisvorsitzende der Lübecker CDU und
schleswig-holsteinische Landtagsabgeordnete Thorsten
Geißler hervor. Er nannte den Schritt
„völlig unverständlich”, und
außerdem: „Kirchen sind keine rechtsfreien
Räume. In einem Rechtsstaat entscheiden über die
Gewährung von Asyl nicht Kirchenvorstände,
sondern legitimierte Behörden und unabhängige
Gerichte”, so Geißler. Auch der Lübecker
Kreisverband des Evangelischen Arbeitskreises der CDU
drückte sein Bedauern über die Entscheidung der
St.Marien-Gemeinde aus. Daß über Kirchenasyl
immer erst dann nachgedacht wird, wenn die rechtlichen
Möglichkeiten ausgeschöpft sind, leuchtet den
Konservativen scheinbar nicht ein. Aufgegriffen wurde die
CDU-Hetze auch vom Stockelsdorfer Neofaschisten Jörn
Lemke. In einem betont harmlos formulierten Leserbrief, den
die LN am Pfingst-wochenende an exponierter Stelle (Rubrik
Leser-Meinung) abdruckten, stimmte er der CDU voll und ganz
zu. Eben jener Jörn Lemke sollte nur eine Woche
später, am Sonnabend den 24. Mai, also am Tag vor dem
Brandanschlag auf die St. Vicelin-Kirche, als Träger
des Leittransparentes des Nazi-Aufmarsches in Bad Segeberg
auftreten (siehe auch Artikel „Back on the
streets”).
Schon wieder St. Jürgen!
Der erneute faschistische Anschlag in Lübeck ereignete
sich im Stadtteil St. Jürgen. In eben diesem Stadtteil
hat es innerhalb des letzten Jahres eine ganze Reihe
faschistisch motivierter Anschläge gegeben (siehe
Kasten „Kette faschistischer Gewalt“).
Daß es dort einen Bodensatz von rechtsorientierten
bis faschistischen Jugendlichen gibt, demonstrierten auch
die Ereignisse auf der Mahnwache am Tag nach dem
Brandanschlag. Dort provozierten ca. ein Dutzend
Jugendliche aus dem Stadtteil. Als sie schließlich
auch noch eine Reichskriegsflagge ausbreiteten, schritten
einige entschlossene AntifaschistInnen ein und nahmen ihnen
die Flagge ab. Nun sah sich auch die Polizei genötigt
einzugreifen. Es blieb allerdings bei der
Personalienfeststellung und einer kurzen Durchsuchung des
Rucksacks eines jungen Neofaschisten.
Faschistische Provokationen...
Auch die organisierte militante neofaschistische Szene
meldete sich zu Wort: in einem Flugblatt, das in der Woche
nach dem Brandanschlag in der Nähe der abgebrannten
Kirche in einigen Briefkästen landete, werden Linke
und AntifaschistInnen für den Brand verantwortlich
gemacht. Presserechtlich verantwortlich für dieses
Pamphlet zeichnet der ehemalige Vorsitzende der inzwischen
verbotenen neonazistischen Nationalen Liste Thomas
„Steiner” Wulff aus Hamburg. Herausgegeben
wurde das Flugblatt von einem sog. „Aktionskomitee
für HARIGe Angelegenheiten”. Dahinter steckt das
„Nationale und Soziale Aktionsbündnis
Norddeutschland”, ein Zusammenschluß militanter
Neofaschisten, wie Bund für Gesamtdeutschland (BGD),
Junge Nationaldemokraten (JN), Freie Nationalisten etc.
(siehe ebenfalls Artikel „Back on the
streets”). Am 27. Mai meldeten die Lübecker
Neofaschisten Jürgen Gerg und Ulrich Schwetasch zwei
Demonstrationen für den 31. Mai an. NPD-Mitglied Gerg
kündigte unter dem Motto „Arbeitsplätze
zuerst für Deutsche” verschiedene Redner der JN
an. Schwetasch gab sich als Vertreter eines VBündnis
Rechts für Lübeck” zu erkennen. Hinter dem
Bündnis stehen nach seinen Angaben Mitglieder der
Republikaner, der NPD, Teile der DVU und „nicht
gebundene Rechte”. Das Motto dieser Nazi-Demo sollte
lauten „Kirchenasyl - Wider Gesetz und Recht!”.
Ein Motto also, daß der CDU-Hetze gegen das
Kirchenasyl mehr als ähnlich ist. Der Anmelder
Schwetasch ist seit Anfang der 80er Jahre aktiver
Nationalsozialist und war in dieser Zeit am Aufbau von
NPD/JN-Strukturen im Kreis Segeberg führend beteiligt.
Später war er in der DVU aktiv, aus der er jedoch nach
Streitigkeiten mit Parteichef Gerhard Frey ausgeschlossen
wurde. Nachdem er sich versuchsweise bei Linken in
Lübeck angebiedert hatte, tritt der zur Zeit trockene
Alkoholiker Schwetasch wieder ganz offen als Neonazi auf.
So nahm er unter anderem an einem Nazi-Aufmarsch am 1. Mai
im niedersächsischen Hannoversch-Münden teil.
... und die Republikaner
Auch die Republikaner wollten am 31. Mai an die
Öffentlichkeit. Zum Thema „Widerstand gegen den
Euro-Wahnsinn” sollte eine Saalveranstaltung im
philipinischen Restaurant Marquez in Lübeck-Moisling
stattfinden. Als Redner war der ehemalige
baden-württembergische Landtagsabgeordnete der
Republikaner Dr. Richard Eckert vorgesehen. Diese
faschistischen Provokationen konnten nicht unbeantwortet
bleiben!
Nazi-Aktivitäten verhindert!
So kündigte das Lübecker Bündnis gegen
Rassismus sofort Gegenaktionen für den 31. Mai an.
Daraufhin wurden beide geplanten Nazi-Aufmärsche vom
Ordnungsamt verboten. Das Verwaltungsgericht
bestätigte das Verbot. Die Veranstaltung der
Republikaner wurde wegen zu erwartender Ruhestörung
mit dem Verweis auf das Gaststättengesetz verboten. So
fand die Republikanerveranstaltung konspirativ organisiert
im internen Kreis in einem Restaurant im Lübecker
Stadtteil Kücknitz statt. Allerdings sprach nicht, wie
angekündigt, Dr. Eckert -im war abgesagt worden-
sondern nur der neue REP-Kreisvorsitzende Torsten Mey. Die
antifaschistische Demonstration “Gegen
Biedermänner und Brandstifter” hingegen konnte
wie geplant am 31. Mai stattfinden. Ca. 800 Menschen
verhinderten so ein offenes Auftreten von Faschisten in
Lübeck - nur eine Woche nach dem Brandanschlag auf die
Vicelin-Kirche.
Aufgeklärt?
Inzwischen scheint der Brandanschlag aufgeklärt zu
sein: Mitte Juni wurde gegen den 19jährigen Christian
Prudlo Haftbefehl erlassen. Er soll nach eigenen Angaben
einen Schuppen an der Kirche aufgebrochen und mit einer
Signalpistole auf darin stehende Gasflaschen geschossen
haben. Dabei ging der Schuppen in Flammen auf. Das Feuer
griff von dort auf das Kirchendach über. Der
15jährige Bruder des Brandstifters, Daniel Prudlo,
soll zusammen mit dem 17jährigen Dennis Tretow die
Kirchenwände beschmiert haben. Alle
Tatverdächtigen kommen aus St. Jürgen und sind
der dortigen rechten Jugendszene zuzuordnen. Mittlerweile
hat Christian Prudlo sein Aussageverhalten geändert,
wahrscheinlich riet ihm seine Anwältin dazu, weitere
Aussagen zu verweigern.
Unaufgeklärt!
Mit dem Anschlag auf St. Vicelin war die neofaschistische
Kampagne gegen das Kirchenasyl jedoch nicht beendet: am
Mittwoch, den 25. Juni wurden an die evangelische
Jakobikirche und an die Haustür zum Büro und
Archiv des Schriftstellers Günter Grass je zwei
Hakenkreuze und der Schriftzug „Harig“
gesprüht. Günter Grass hatte sich in einem
Pressegespräch Mitte Juni hinter Pastor Harig und die
Marien-gemeinde gestellt. Am 29. Juni brannte es dann im
Gemeindehaus der evangelischen St. Augustinus-Gemeinde.
Auch dort wieder in weißer Farbe gesprühte
Hakenkreuze und die Drohung „Harig, wir kriegen
dich“. Vergleicht man die Schriftzüge, steht
fest, daß zumindest die letzten beiden Anschläge
von den gleichen Tätern begangen wurden. Bei dem
Brandanschlag auf St. Augustinus entstand Sachschaden von
mehreren zehntausend DM, obwohl das Feuer von einem
Passanten relativ schnell bemerkt worden war und die
Feuerwehr nur wenige Minuten später am Brandort
eintraf. Ein 33jähriger Mann wurde zwar am Tag nach
dem Anschlag festgenommen, hatte sich aber lediglich
verdächtig gemacht, weil er sich der Festnahme
entziehen wollte. Er wurde wieder auf freien Fuß
gesetzt. Die Verlautbarungen von Polizei und
Staatsanwaltschaft (StA Dr. Böckenhauer...) waren
bezeichnend: es sei nicht sicher, ob es einen politischen
Hintergrund bei dem St.-Augustinus-Anschlag gebe. Die
Konsequenz aus dem Brandanschlag für die
antifaschistische Arbeit muß sein, der Hetze von
konservativer und neofaschistischer Seite, vor allem gegen
Flüchtlinge, noch schärfer entgegenzutreten und
sowohl die Biedermänner, als auch die Brandstifter aus
ihrer (teilweisen) Anonymität heraus an die
Öffentlichkeit zu zerren.
Flüchtlinge schützen! Kein Fußbreit den
Faschisten!
SBW