Welche Kriterien muß ein
Asylbewerber erfüllen, damit ihm Kirchenasyl
gewährt wird?
Kirchenasyl hat folgende Voraussetzungen,erstens müssen
alle rechtsstaatlichen formalen Schritte, die überhaupt
möglich sind, gelaufen sein. Solange es noch irgendeinen
staatlichen Verfahrensweg gibt, solange besteht noch Hoffnung
und solange gibt es kein Kirchenasyl. Erst wenn das Verfahren
gelaufen ist, kann der Fall also überhaupt eintreten.
Und er kann auch erst dann eintreten, wenn man beim
Prüfen dieses Falles zu der Einschätzung kommt,
daß anzunehmen ist, daß dem Asylbewerber, der
abgeschoben werden soll, Gefahr an Leib und Leben droht, eine
Foltersituation zu befürchten ist oder eine nach unserem
Rechtsempfinden unverhältnismäßige Bestrafung
zu erwarten ist. Auf diese drei Fälle grenzt es sich
ein.
Können wirtschaftliche Gründe eine Rolle
spielen?
Nein, es geht um ein politisches Asyl im strengen Sinn. Es
geht nicht um einen Fall von Sozialhilfe - eindeutig
nicht.
Wie stehen sie zur Parole:
„Bleiberecht für alle!“ ?
Die halte ich für naiv. Beim Kirchenasyl geht es nicht
um die Parole: „Bleiberecht für alle!“. Es
geht um den Schutz von Leuten, die unmittelbar gefährdet
sind, an Leib und Leben. Es geht um Situationen, in denen die
Menschenrechte komplett und ganz und gar auf dem Spiel
stehen.
Am 25.Mai wurde die katholische St.Vicelin - Kirche bei
einem Brandanschlag vollständig zerstört. Ihr Name
neben fünf Hakenkreuzen auf die Kirchenmauer
gesprüht. Welches Ziel verfolgten die Brandstifter Ihrer
Meinung nach mit dem Anschlag?
Ich nehme nach wie vor an, daß die Brandstiftung durch
einen Zeitungsartikel ausgelöst worden ist, in dem auch
mein Name genannt war. Ich habe das Kirchenasyl
öffentlich für den Kirchenvorstand vertreten, da
ich im Moment Vorsitzender dieses Gremiums bin. Was die
Brandstifter bezweckt haben, das weiß ich
natürlich auch nicht, weil ich nicht mit ihnen geredet
habe. Ich nehme schon an, daß eine Menge an der
Überschrift der „Lübecker Nachrichten“
dran ist: „Aus Frust!“. Es kommt darauf an, den
Frust zu verstehen. Da sind Leute frustriert und haben etwas
getan, was sie sicher so nicht überblickt haben.
Haben politische Motive Ihres Erachtens einen Rolle
gespielt?
Ich kann und will das natürlich nicht
ausschließen. Aber ich bin ja auch im Zustand der
Vermutung. Die Polizei, hoffe ich, weiß das, und es
wird dann hoffentlich auch öffentlich werden, warum sie
es getan haben und ob Politik eine Rolle gespielt hat.
Wie gehen sie mit der Kritik aus konservativen Kreisen,
insbesondere mit der des Lübecker CDU -
Kreisvorsitzenden und schleswig - holsteinischen
Landtagsabgeordneten Thorsten Geißler um, der im Bezug
auf das Kirchenasyl von Rechtsbruch spricht?
Die Diskussion darüber hat angefangen. An unserer
Entscheidung haben wir keinen Anlaß, etwas zu
ändern. Da hat es auch keine Unsicherheit gegeben. Das
Gespräch mit denen, die dagegen sind, hat angefangen. Es
ist auch schon die Frage gestellt worden, ob nicht zum
Beispiel die Äußerung von Herrn Geißler und
Frau Pohl-Laukamp, daß wir nichts wüßten,
daß es falsch sei und daß die Kirche kein
rechtsfreier Raum sei, nicht auf diesen oder jenen in seiner
Gegnerschaft bestätigend gewirkt hat. Aber darüber
ist zu diskutieren.
Wie sieht die Diskussion innerhalb der Kirche nach dem
Brandanschlag zu den Themen Kirchenasyl und Neofaschismus
aus?
Es gibt einen sehr starken Zusammenhalt der Kirche in der
Unterstützung unserer Entscheidung. Ich habe noch nie
den Rücken so freigehabt, zur Kirche hin, wie bei dieser
Aktion. Die ökumenische Verbindung hat noch einen Schub
bekommen. Dadurch, daß wir was entschieden haben und
die anderen eine sehr böse Folge davon getragen haben,
ist so eine Art Verbundenheit hergestellt worden. Diese ist
schon irgendwie neu und wir erleben sie auch sehr
bewußt, das kann man eigentlich für beide Seiten
sagen. Wir haben jetzt die Aufgabe, auf das zu reagieren, was
da ausgelöst worden ist. Da sind wir in der
Verantwortung und hoffen, daß wir mit vielen
zusammenarbeiten können, die das genauso erleben wie
wir.
Was fordern Sie von Stadt, Staat und Gesellschaft?
Ich wünsche mir schon und das kann ich auch für den
ganzen Kirchenvorstand sagen, daß es so etwas wie einen
Kurswechsel gibt in Sachen Umgang mit Fremdem und Fremden.
Ich erwarte nicht, daß das in drei Tagen geschieht. Das
ist ein komplizierter Prozeß, der sich über eine
ganze Zeit hinstrecken wird. Einzelne Elemente dieses
Kurswechsels sind ja auch bekannt, das sind Forderungen, die
schon lange auf dem Tisch liegen, z.B. die Änderung des
Staatsbürgergesetzes. Außerdem brauchen wir ein
Einwanderungsgesetz. Das ist die einzig vernünftige Form
mit denen umzugehen, die aus wirtschaftlichen Gründen
kommen - was ja nicht übel zu nehmen ist, wie ich finde.
Nur darüber kann geregelt werden, wieviel geht und
wieviel nicht geht.
Am Montag nach dem Brandanschlag organisierte die Gruppe
„Basta - Linke Jugend“ eine Demonstration, an der
ca.350 SchülerInnen teilnahmen. Sie trug das Motto:
„Kein Vergeben, kein Vergessen“ - Den Rechten
Terror bekämpfen!“. Wie stehen Sie zu dem
Motto?
Mir ist die Aktion erst kurz vorher bekannt geworden. Als ich
dann rüberging, kam ich schon zu spät. Ich
hätte die SchülerInnen gern alle in die Kirche
eingeladen, um mit ihnen dann über das Motto zu reden.
Ich halte das Motto nicht für der Weisheit letzter
Schluß. Man kann sehr wohl vergeben und man muß
sehr wohl vergeben können, was aber nicht heißt,
daß man sich aus der Verantwortung stiehlt oder andere
aus der Verantwortung entläßt.
Welche Probleme, glauben Sie, kommen noch auf die Gemeinde
in Bezug auf das Kirchenasyl zu? Brauchen Sie noch Hilfe und
Unterstützung?
Ja! Wir brauchen auf jeden Fall noch eine Menge Hilfe und
Unterstützung. Wir werden sie brauchen. Im Moment haben
wir alles, aber das wird nicht immer so bleiben. Wir werden
ganz bestimmt noch - auch öffentlich - um Hilfe bitten
bzw. auf die ganzen Hilfsangebote zurückkommen, welche
wir bekommen haben. Wir brauchen immer Zeit von einzelnen
Menschen zur Betreuung der Familie und Geld, um sie zu
versorgen, daß liegt ja komplett bei uns. Das
Entscheidende ist nicht, was in den ersten vier Wochen
passiert, sondern was nach einem Jahr, nach anderthalb Jahren
oder wenn es schlimm kommt nach zwei Jahren passiert - das
ist der eigentliche Punkt. Ein Kirchenasyl dauert im
Regelfall ja sehr lange.
SBW
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