39 Flüchtlinge sind in der Nacht zum 18.Januar 1996
knapp den Flammen entkommen. Sie haben in den folgenden
Monaten noch an ihren Verletzungen zu leiden gehabt, waren
quälenden und beschuldigenden Verhören ausgesetzt,
wurden in den Medien und durch die Staatsanwälte als
unfähig hingestellt, miteinander auskommen zu
können. Nur ihre Rolle als ZeugInnen hat sie (Victor
Attoey ausgenommen, der bereits im Mai 96 abgeschoben wurde)
vor der Deportation in Hunger, Folter und Elend
bewahrt.
Dabei war es eine der ersten
Forderungen gleich nach dem Brandanschlag, daß diesen
Menschen ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland
gewährt werden muß. Die Flüchtlinge aus der
Hafenstraße warten noch immer auf die Einlösung
dieser Forderung.
Nur drei Erwachsene und ein Kind haben bisher eine
Aufenthaltsbefugnis, weitere sechzehn Erwachsene und acht
Kinder sind lediglich geduldet. Vier Erwachsene und ein Kind
haben ihr Asylverfahren noch laufen, eine Frau mit ihren drei
Kindern ist als asylberechtigt anerkannt. „Eine
Gruppenlösung wird es nicht geben“, ließ
Innenminister Manfred Kanther im Juni 97 verkünden, eine
„Lex Lübeck“ sehe der Rechtsstaat nicht vor.
Bereits zuvor hatte Kanther Stellung bezogen: Wenn den
Brandopfern eine Sonderstellung eingeräumt würde,
könne ja jeder kommen und sein Haus anzünden, um in
Deutschland zu bleiben - Rassismus und zynische
Menschenverachtung als Aushängeschild der
Bundesregierung. Der Lübecker Bürgermeister Michael
Bouteiller ist der Überzeugung, daß er rechtlich
keine Möglichkeit hat, das Bleiberecht zu gewähren,
stattdessen sei der schleswig-holsteinische Innenminister
Wienholtz gefragt.
Kanther zynisch- Wienholtz feige
Der hat sich nicht nur als politischer Feigling erwiesen, als
er flugs die Verantwortung an den Bundesabschiebeminister
weiterreichte. Auch auf einer Veranstaltung in Lübeck
(noch 1996), auf der er direkt mit
Flüchtlingsschicksalen konfrontiert war, zeigte er eine
Bürokratenmentalität, die ihn gerade einmal als
einen kleinen Sachbearbeiter einer Behörde empfahl.
Verwaltung statt Politik war seine Devise, die logische
Konsequenz für ihn war jegliche Vermeidung von
Konfrontation mit der CDU-Opposition im Land und deren
reaktionären Kameraden in Bonn. Eine Resolution im
schleswig-holsteinischen Landtag, die sich für das
Bleiberecht aussprach, änderte daran gar nichts: sie
enthielt keine Verpflichtung der Abgeordneten und
MinisterInnen zum eigenen Handeln, sondern bat lediglich
Kanther um eine humane Geste. Damit demonstrierte die
Landes-SPD sowohl erneut ihre naive Haltung gegenüber
der Bundesregierung, als auch ein Politikverständnis,
daß das Schicksal von 39 Menschen für sie kein
Anlaß ist, auch nur einen Hauch von Widerstand zu
erwägen. Im Juni 97 hat die Bundestagsfraktion von
Bündnis 90/ Die Grünen gleichfalls die Forderung
unterstützt, ebenfalls mit Verweis auf Kanthers
Verantwortung. So positiv die Stellungnahme der Fraktion auch
sein mag, sie zementiert das Vorgehen von Wienholtz, den
eigenen Handlungsspielraum zu ignorieren und das Schicksal
von fast vierzig Menschen in die Hände des
Bundesinnenministers zu legen. Der Bock ist der Gärtner
- wollen Grüne und SPD demnächst die Atomindustrie
mit dem nuklearen Ausstieg beauftragen?
Initiative des Runden Tisches
Auch unabhängige Kampagnen haben bisher keinen
eindeutigen Erfolg zu verzeichnen: Die Initiative des Runden
Tisches der Stadt Lübeck für das Bleiberecht war
ermutigend: mit viel Aufwand (und Geld) wurden alle
Lübecker Haushalte per Postwurfsendung um die
Unterstützung der Kampagne aufgefordert. Zwar sind
bisher zwischen drei- und viertausend Unterschriften
zusammengekommen, im Verhältnis zum Aufwand ist das aber
eher mager. Ein Aktionstag des Runden Tisches -mit
Infoständen und einer Kundgebung in der Lübecker
Fußgängerzone- war zwar gelungen (erstaunlich
viele Gruppen und Parteien beteiligten sich, es kamen
ansehnlich viele Unterschriften zusammen), eine Wende konnte
trotzdem nicht erreicht werden. Die Reaktionen in der
Bevölkerung waren sehr gemischt, bei sehr vielen
Menschen hat der konstruierte Verdacht gegen Safwan Eid eine
negative Haltung zur Frage des Bleiberechts hinterlassen. Nun
steht das Bleiberecht für die Überlebenden
unabhängig von der Brandursache und den Tätern,
aber die Ermittlungen und den Prozeß vollkommen von der
Kampagne trennen zu wollen, hat sich als falsch erwiesen.
Besonders Kirchen und SPD begrenzen die Frage allein auf die
humanitäre Seite, die drohende Abschiebung und der
Umgang mit Flüchtlingen hat aber einen eindeutigen
politischen Charakter. Und dazu gehören nun einmal auch
die Ermittlungen und die Täter-Opfer-Verdrehung. Es
besteht kein Anlaß zu einer defensiven
Herangehensweise, die selbstverständlich aufkommende
Aspekte, wie eben die Frage nach den Tätern,
ausklammert. Und Kirchen und SPD ist sehr zu empfehlen, sich
dem Widerstand gegen die Willkürjustiz
anzuschließen. Zur Zeit besteht aber die große
Gefahr, daß jede Initiative für das Bleiberecht in
einer Sackgasse landet. Wenn keiner das Bleiberecht
verfügen will, alle auf Kanther verweisen, es bei
Forderungen belassen, wie soll es dann weitergehen?
Wie weiter?
Zur Urteilsverkündung wird die Frage des Bleiberechts
noch einmal in die Öffentlichkeit kommen, handelt dann
keinE PolitikerIn droht das öffentliche Vergessen zum
Freibrief für die Abschiebebehörden zu werden: nach
und nach können die Schicksale individuell
“abgewickelt” werden - die Bürokratie
beendet dann, was die Faschisten angefangen haben:
Flüchtlinge raus... An konkreten Vorstellungen wird beim
Runden Tisch überlegt, eine Anzeige mit der Forderung
und den bisherigen UnterstützerInnen in einer
großen Tageszeitung wie der Frankfurter Rundschau zu
schalten. Benefizkonzerte würden nicht nur der
Finanzierung der Kampagne dienen, sondern gleichfalls helfen,
Menschen auf die Dringlichkeit humanitären Handelns in
dieser Frage aufmerksam zu machen. Die Landesregierung wird
wohl zudem den Betroffenen direkt gegenüberstehen: ein
Besuch der Flüchtlinge in Kiel ist angedacht, vielleicht
werden dabei die gesammelten Unterschriften dem Innenminister
übergeben. Die Möglichkeiten zur Schaffung
öffentlichen Drucks sind damit aber auch beinahe
ausgereizt. Fatal wäre es jetzt, von antirassistischer
Seite aus zu versuchen, das Bleiberecht anhand der
Einzelfälle durchzusetzen. Auch wenn die Situation der
Kinder oder die erlittenen Verletzungen samt notwendiger
medizinischer Weiterversorgung, Argumente in Fülle
ergäben, das Risiko gerade für die jungen ledigen
Männer, keinen Schutz in den wenigen verbliebenen
Nischen der Asylgesetzgebung zu finden, ist zu groß.
Das Bleiberecht muß für die gesamte Gruppe der
Brandüberlebenden gelten, eine Ausnahme ist schon
zuviel! Zumal die Stärke der Überlebenden durch ihr
Verhalten als Gruppe, als solidarischer Zusammenhang -trotz
aller Spaltungsversuche, trotz der verschiedenen
Verdachtskonstruktionen- entstanden ist.
Politischen Preis hochsetzen
Nach wie vor ist die Entscheidung über die
Möglichkeit von Abschiebungen der Opfer offen: gegen das
Bleiberecht sprechen sowohl Kanther, als auch die
Untätigkeit der schleswig-holsteinischen SPD samt
Landesregierung. Dafür spricht vor allem der
Einsatzwille vieler Menschen in Lübeck und anderswo,
weit über die antirassistische Bewegung hinaus. Die
Gruppen vor Ort haben versichert, Abschiebungen seien nur mit
Hilfe eines massiven Polizeieinsatzes durchzusetzen. Kommt es
zu einem solchen Einsatz, werden Kanther und seine
Spießgesellen die Abschiebungen mit polizeistaatlichen
Mitteln durchsetzen können. Es liegt dann an uns allen,
wenigstens den politischen Preis so hoch wie möglich
festzusetzen.
HPW
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