Am 30. Juni hat die Große Strafkammer des Landgerichts
Lübeck Safwan Eid vom Vorwurf der Brandstiftung im
Flüchtlingsheim Hafenstraße im Januar 96
freigesprochen. Damit sind die rassistischen Ermittlungen,
die Täter-Opfer-Umkehrung, der Staatsanwälte
Böckenhauer, Schultz und Bieler zumindest juristisch
gescheitert.
Doch ob Safwans Freispruch auch dazu führt, daß
die Vertuschung des folgenschwersten rassistischen
Brandanschlages in der Geschichte der BRD aufgedeckt wird, ob
die tatsächlichen Brandstifter zur Rechenschaft gezogen
werden, ob die Machenschaften der ermittelnden
Staatsanwälte und leitenden Polizeibeamten Konsequenzen
nach sich ziehen, ist fraglich.
Aus der Geschichte des Brandanschlages, der Ermittlungen und
des Prozesses resultiert ein dreister juristischer und
journalistischer Umgang mit der gesellschaftlichen
Realität: nicht nur Politik und Justiz, auch breite
Teile der Medien haben bewußt an der
Täter-Opfer-Umkehr und der Spurenverwischung zu den
Faschisten mitgestrickt. Ein Blick zurück: in der Nacht
zum 18. Januar 1996, irgendwann zwischen 3.00 und 3.40 Uhr
bricht im Flüchtlingsheim in der Lübecker
Hafenstraße 52 Feuer aus. Obwohl die Feuerwehr nur
wenige Minuten nach dem ersten Notruf am Brandhaus eintrifft,
kommt für 10 Menschen jede Hilfe zu spät. Monique
Bunga mit ihrer Tochter Nsusanna, Rabia El Omari, Sylvio
Amoussou, Francoise Makodila mit ihren Kindern Legrand,
Christelle, Christine, Miya und Jean-Daniel Kosi sterben in
den Flammen. Kurz nach Beginn der Löscharbeiten werden
drei junge Männer aus Grevesmühlen von der Polizei
kontrolliert: Maik Wotenow (er gibt den Beamten einen
falschen Namen an), René Burmeister und Heiko
Patynowski. Sie waren der Polizei wegen ihres
Skinhead-Outfits aufgefallen. Am nächsten Tag werden sie
zusammen mit ihrem Kumpel Dirk Techentin (der die drei auf
ihrer Tour nach Lübeck begleitete, später aber
allein mit einem gestohlenen Golf GTI unterwegs war) erst als
Zeugen vernommen, dann als Tatverdächtige festgenommen.
Bei den Vernehmungen widersprechen sie sich (z.B. was Zeiten
und Orte ihres Aufenthaltes in Lübeck angeht), bei einer
Untersuchung stellt eine Gerichtsmedizinerin frische, d.h.
höchstens 24 Stunden alte Sengspuren „wie sie
typisch für Brandstifter sind” in den Gesichtern
von Burmeister, Patynowski und Techentin fest. Am 19. Januar
wurden alle vier jedoch wieder freigelassen - eine
Polizeistreife hatte gemeldet, daß sie den beigen
Wartburg mit drei Insassen um 3.19 Uhr an der Tankstelle
Paddelügger Weg in Lübeck-Moisling gesehen habe,
ein entsprechender Kassenbon, der u.a. den Kauf von 1,5 Liter
Zweitaktergemisch auswies, wurde ebenfalls vorgewiesen. Am
gleichen Tag meldete sich der Rettungsassistent Matthias
Hamann bei der Polizei (es gibt allerdings darüber
keinen Aktenvermerk) und meldete, sein Freund Jens Leonhardt
habe eine wichtige Beobachtung gemacht. Als Leonhardt
daraufhin vernommen wurde, gab er an, mit Safwan im
Verletztensammelbus ein Gespräch geführt zu haben.
Safwan habe ihm erzählt, „wir warn’s”,
und weiter, es habe Streit mit einem Familienvater gegeben,
deswegen habe man dem Benzin an die Haustür gekippt und
angezündet, das Benzin sei dann brennend die Treppe
heruntergelaufen, dann habe die ganze Treppe gebrannt. Safwan
wurde noch am gleichen Tag von der Polizei abgeholt, einen
Tag später, am 20. Januar erging Haftbefehl gegen ihn.
Dieser Haftbefehl hatte es in sich: behauptete Staatsanwalt
Dr. Böckenhauer doch glatt, es habe Streit zwischen
Safwan Eid und dem Familienvater Gustave Sossou gegeben, aus
Rache hätten Safwan und unbekannte Mittäter
deswegen Benzin an Gustaves Tür gegossen und
angezündet.
Erlogene Haftgründe
Einen Tag zuvor war das Gegenteil von Böckenhauers
Behauptungen bereits Akteninhalt: aus der Vernehmung von
Gustave Sossou war nicht zu entnehmen, daß er Streit
mit Safwan gehabt habe, Familienvater war er auch nicht. Und
die Polizei hatte noch keine gründlichen Untersuchungen
am Tatort vornehmen können, so daß der behauptete
Brandausbruchsort an Gustaves Tür, wie alles andere
auch, bloße Erfindungen des Staatsanwaltes waren. Wie
er begann, sollte Böckenhauer mit seinen Ermittlungen
weitermachen: um den Verdacht gegen Safwan, vielmehr gegen
die HausbewohnerInnen insgesamt zu schüren, waren dem
Ankläger alle Mittel recht. Auf der Pressekonferenz der
Staatsanwaltschaft zu Safwans Verhaftung machte sich
Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Schultz der Falschaussage
schuldig: den Medien-vertreterInnen gegenüber behauptete
Schultz, Safwan habe den Brandausbruchsort “...der uns
zu diesem Zeitpunkt (...) nicht bekannt war, genau
bezeichnet”. Tatsächlich hat Safwan die gesamte
Zeit über den Beamten seine Unschuld beteuert. Mit der
„genauen Bezeichnung” durch Safwan meinte Schultz
die Aussage Leonhardts... Offensichtlich waren sich
Staatsanwaltschaft und Polizei über die Rolle der Medien
damals noch nicht im klaren, wollten durch ihre falschen
Angaben die Vorverurteilung Safwans sicherstellen und allen
kritischen Nachfragen vorbeugen. Warum soll ein
vernünftiger junger Mann das Haus anzünden, in dem
er selber, seine Familie und Freunde leben, warum soll er
deren Tod riskieren? - eine so offensichtliche Lücke in
den Behauptungen der Behörden, die aber bisher kaum eine
Rolle spielte Erst später muß den Ermittlern
klargeworden sein, daß sie gut durchdachte, logische,
überzeugende Konstruktionen überhaupt nicht
nötig hatten. Die Medien funktionierten auch so,
sprachen mit den vier Grevesmühlenern gleich die gesamte
Republik frei und von der Welt bis zur taz klang es mal offen
höhnisch, mal intellektuell verbrämt: „man
müsse Abschied nehmen vom Bild des guten
Ausländers”, die
„Betroffenheitsbürger” sollten Abstand davon
nehmen, sofort an einen rassistischen Anschlag zu denken,
wenn ein Flüchtlingsheim oder MigrantInnenhaus brennt.
Entsprechendes Flehen von Seiten der etablierten Politik war
schon Stunden nach Bekanntwerden des Feuers zu hören:
Heide Simonis bedauerte die Lübeckerinnen und
Lübecker „fast genauso”, wie die
Flüchtlinge aus dem Heim. Der Ruf der Hansestadt ist
„fast” genauso wichtig, wie das Leben und die
Gesundheit von nicht-deutschen Menschen!? Auch der
Präses der Lübecker Industrie- und Handelskammer
machte sich Sorgen, „daß Lübeck nicht mehr
mit Holstentor und Marzipan in Verbindung gebracht wird,
sondern mit Brandanschlägen”. Rassismus schadet
manchmal... dem Image des Landes! Wie passend kam da die
Aussage des Sanitäters Leonhardt. Ärgerlich,
daß die Flüchtlinge aus dem Heim sich an die
Öffentlichkeit wandten: Gustave Sossou widerlegte das
Märchen Böcken-hauers, daß sich der Anschlag
gegen ihn gerichtet habe, im Fernsehen. Ein erster Widerstand
gegen die Ermittlungen - und die Ermittler verhängten
flugs eine Nachrichtensperre! Auch jetzt protestierten die
Medien nicht, äußerten gar Verständnis,
daß der öffentliche Druck die Ermittlungen
natürlich belasten muß.
Motiv - und kein Alibi
Inzwischen war bewiesen worden, daß das Skinheadoutfit
der Grevesmühlener kein Zufall war: Heiko Patynowski
„kritsierte” Brandanschläge: sie würden
deutsches Gut versauen...! René Burmeister sagte, er
sei „neutral gegenüber Juden, Negern,
Ausländern und Wessis” und hört die
Böhsen Onkelz, Dirk Techentin war mit seiner Gruppe
„in Rostock dabei”, rechts war er aber „nur
bis Ende 1993”. Maik Wotenow will pünktlich kurz
vor dem Brandanschlag seine rechte Gesinnung aufgegeben
haben, trägt aber eine Jacke mit Deutschland- und Sieg
Heil-Aufschrift, hat eine Reichskriegsflagge im Zimmer und
schändete schon jüdische Friedhöfe. Das
mögliche Motiv lag (und liegt!) offen auf der Hand:
faschistische Ideologie, rassistischer Haß. Und ihr
Alibi? Daß mindestens drei von den vier am Tatort
waren, wird nicht nur durch die Polizeikontrolle belegt: es
gibt Aussagen, daß sie eine Frau mit Kind aus dem Haus
springen gesehen haben (dabei kann es sich nur um Monica
Bunga mit ihrer Tochter gehandelt haben, die war aber schon
tot, bevor die ersten Einsatzkräfte von BGS und Polizei
am Haus eintrafen), außerdem wollen sie einen
brennenden Menschen gesehen haben, als sie zum Feuer gegangen
seien. Bei dieser Person kann es sich nur um Sylvio Amoussou
gehandelt haben, dessen Tod im Feuer des Vorbaus immer noch
Rätsel aufgibt. Diese Fakten sprechen dafür,
daß die Behauptung der Staatsanwälte, erst nach
dem Eintreffen der BGS-Beamten seien die Grevesmühlener
in der Hafenstraße angelangt, definitiv falsch ist. Das
andere Bein des Alibis ist ebenso brüchig: selbst wenn
es sich bei dem Wartburg an der Tankstelle um den von Wotenow
und Co. gehandelt haben sollte (vieles spricht für
mindestens zwei Grevesmühlener Wartburg, die in der
Tatnacht unterwegs waren - Burmeister hatte auch einen
zweiten zur Verfügung), gäbe es nur ein Alibi
für den Zeitraum um 3.19 Uhr herum. Wann aber das Feuer
tatsächlich gelegt wurde, ist bisher absolut unbekannt.
Den Weg von Moisling bis zum Brandhaus kann aber in weniger
als zehn Minuten bewältigt werden. Die
„Erklärungen”, die Techentin, Wotenow und
Burmeister für die Sengspuren in ihren Gesichtern
abgaben waren dann eher erheiternd: mit dem Feuerzeug in den
Benzinkanister geleuchtet, am Ofen verbrannt, versucht,
mittels Haarspray einen Hund anzuzünden. Dies fanden
dann auch die Lübecker Staatsanwälte nicht
besonders öffentlichkeitswirksam - und fabrizierten eine
Erklärung, die sich aus den Vernehmungen überhaupt
nicht ergab: vielleicht resultierten die Sengspuren ja vom
In-Brand-Setzen gestohlener Autos, spekulierten sie. Die
Strategie von Böckenhauer und Komplizen, auf Krampf die
vier Nazis zu entlasten und jede noch so abenteuerliche
Beschuldigung gegen Safwan zusammen zu klauben, hatte Folgen.
Safwan blieb fast sechs Monate in Untersuchungshaft. Als
Komplize Böckenhauers fungierte u.a. der Amtsrichter
Pohlenz, der selber den Sanitäter Leonhardt vernahm, und
dennoch verlautbaren ließ, daß Safwan den 1.
Stock als Brandausbruchsort bezeichnet habe - in den
Ermittlungsakten findet sich in keiner Vernehmung, nicht von
Leonhardt, nicht von Safwan, jemals ein solcher Satz.
Daß die Untersuchungshaft, die gesamten Ermittlungen
gegen Safwan einen Akt vollständiger Willkür
darstellten, interessierte nur wenige: aus den ansonsten treu
den Behörden ergebenen Medien ragten anfangs nur das
Fernsehmagazin Monitor und die Junge Welt heraus. Das blieb
bis zu Safwans Entlassung so. Zwischen seiner Entlassung und
der Hauptverhandlung, tat mit einmal der Großteil der
manchmal liberalen Presse so, als hätten sie schon immer
gewußt, daß Safwan unschuldig ist.
Reaktion der Linken
Es bedurfte der langen Hauptverhandlung nicht, um Safwans
Unschuld und den rassistischen Charakter der Ermittlungen zu
erkennen. Aus der antifaschistischen/antirassistischen
Bewegung gab es prompte und unterschiedliche Reaktionen auf
Safwans Verhaftung. Einige brauchten keine Fakten, sie
stritten gleich ab, daß ein Flüchtling für
den Brand verantwortlich sein könnte. Andere zeigten
sich sehr durch die staatsanwaltschaftlichen Behauptungen
sehr verunsichert. Noch Wochen, nachdem die Dreistigkeit der
behördlichen Lügen nachgewiesen war, mußte
teilweise auch auf Veranstaltungen der antifaschistischen
Szene quasi den „eigenen Leuten” Safwans Unschuld
nachgewiesen werden. Das Lübecker Bündnis gegen
Rassismus, das noch am 18. Januar selber die politischen
Konsequenzen (Dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen,
Bleiberecht, Asylpraxis, Umgang mit faschistischen
Organisationen, Rassismus von Staat und etablierten Parteien)
angemahnt hatte, fand sich unter starken Druck gesetzt. Dem
Zwang, schnell öffentlich zu reagieren, stand eine
Situation gegenüber, die geprägt von
Gerüchten, Spekulationen und sehr unterschiedlichen
Interpretationen war. Eine Frage war, ob auch an den
Tatverdacht gegen einen Flüchtling parteilich
herangegangen werden muß. Das Bündnis wollte nicht
per se ausschließen, das jemand unter den Bedingungen,
die die Asylpraxis Flüchtlingen aufzwingt, zu
Kurzschlußreaktionen getrieben werden kann. In den
ersten Tagen nach Safwans Verhaftung hat sich das
Bündnis folgerichtig darauf beschränkt, die
Darstellungen der Flüchtlinge und die Zweifel an den
staatsanwaltlichen Ermittlungen zu publizieren. Parallel dazu
stand es für uns außer Frage, daß die
dezentrale Unterbringung und das Bleiberecht für die
Überlebenden unabhängig von Brandursache und
Täter steht. Denn der staatliche Rassismus ist auf jeden
Fall einer der Hauptfaktoren für die Brandkatastrophe.
Die Situation machte es auch erforderlich, daß eine
eigenständige Recherche begonnen wurde, deren
Durchführung wir zuerst für unmöglich
erachteten. Durch Zusammenarbeit mit anderen
antirassistischen Gruppen und auch JournalistInnen ergab sie
jedoch wichtige Erkenntnisse.
Anti-Konstruktiv
Noch bevor wir uns vollends von Safwans Unschuld
überzeugt hatten, forderten wir schon seine Freilassung
und prangerten die einseitigen Ermittlungen an. Der
Tatverdacht gegen die Grevesmühlener war zu jedem
Zeitpunkt stärker, als jemals gegen den jungen
Libanesen. Wir haben später als andere Gruppen die
Einstellung der Ermittlungen gegen ihn gefordert - hatten
aber dann eindeutige Fakten als Grundlage. An der Politik des
Bündnis haben sich vor allem „antinationale”
Gruppen gerieben. Café Morgenland leistete sich
wütende Polemiken, die das Bündnis sogar in die
Nähe faschistischer Parteien rückte (die
Bezeichnung „Lübecker Bündnis für Volk
und Heimat”). Anlaß war eine geplante
Demonstration in Grevesmühlen, zu der das Bündnis
bewußt nicht aufrief - und dies öffentlich. Mit
dem fanatischen Anspruch auf den alleinigen Besitz der
Wahrheit und einer sektiererischen Suche nach der politischen
Isolation kommentierten diese Gruppen die Ereignisse nach dem
Brandanschlag. Doch der Eifer hielt noch nicht einmal bis zum
Beginn des Prozesses gegen Safwan (im September 96) an. Die
Beeinflussung der Verhandlung schmeckte wohl zu sehr nach
Akzeptanz der bürgerlichen Justiz, und nach Druck auf
eine Gesellschaft, deren Veränderung sie längst
aufgegeben haben.
IUK nimmt Arbeit auf
Auch die Gründung der Internationalen Unabhängigen
Kommission (IUK) aus namhaften europäischen
Persönlichkeiten (darunter z.B. Beate Klarsfeld) lief an
der antifaschistischen Bewegung fast vorbei. Um die
Etablierung der IUK hatte sich besonders Gabriele Heinecke
bemüht, noch bevor sie Safwans Verteidigerin wurde und
den Lübecker Anwalt Hans-Jürgen Wolter
ablöste, der allzu zahm mit den Konstruktionen gegen
seinen Mandanten umgegangen und zur notwendigen
Öffentlichkeitsarbeit gegen die Willkür der
Staatsanwälte nicht der Lage war. Später wurde der
IUK vorgeworfen, sie sei von Gabriele Heinecke
instrumentalisiert worden. Der zeitliche Ablauf ihrer
Gründung und Frau Heineckes Rolle dabei wurde
bewußt übersehen - der Nichtbeachtung seiner
Rechte als Beschuldigter mußte folgerichtig die
Diffamierung seiner AnwältInnen folgen. Eine Strategie,
die bis zum staatsanwaltschaftlichen Plädoyer
beibehalten wurde. Die IUK traf sich zweimal in Lübeck,
zum Prozeß schickte sie zudem BeobachterInnen. Nach der
gründlichen Sichtung der Akten folgten mehrere
Zwischenberichte und Empfehlungen (siehe Infokasten). Die
Empfehlungen entsprachen im wesentlichen den Forderungen von
antirassistischen Gruppen, allerdings waren sie wesentlich
zahmer, moderater ausgedrückt. Die enge Zusammenarbeit
mit der antifaschistischen Bewegung suchte die IUK bisher
nicht. Und über längere Phasen hinweg ließ
sie auch wenig bis nichts von sich hören, wobei wir
allerdings auch die finanziellen (Reisekosten, Unterkunft)
und organisatorischen (Übersetzungen in vier Sprachen)
Hindernisse berücksichtigen müssen. Die von uns
gewünschten Funktionen der IUK - ein verstärkter
Druck durch internationale Beobachtung, die
größere Öffentlichkeit durch das Urteil
seriöser Persönlichkeiten und dadurch ein
tatsächliches Wahrnehmen des bedeutsamen Lübecker
Justizskandales - konnten nicht bewirkt werden.
Nicht nur einseitig, sondern rassistisch
Während sich die IUK konstituierte, und ein
Großteil der Medien Safwan schon so gut wie verurteilt
hatte, verlor die Lübecker Staatsanwaltschaft jegliche
Souveränität und ging auf den verbliebenen
Widerstand los. In Hamburg ließ man 1 (in Worten ein!)
Flugblatt der Antinationalen beschlagnahmen, beim
Lübecker Bündnis gegen Rassismus wurden dann gleich
etliche Plakate und Flugblätter, besonders aber zwei
Computer beschlagnahmt. Anlaß war ein Plakat, auf dem
StA Böckenhauer vor das Brandhaus montiert war, Grund
war der Vorwurf, rassistisch ermittelt zu haben. Nun ist es
nichts neues, daß der Staat vorgibt, er sähe auf
dem rechten Auge nicht, auch eine entsprechende Justiz
(mensch denke nur an das Mannheimer Skandalurteil
„gegen” NPD-Deckert) kann kaum mehr
überraschen. Doch in diesem Buch haben Schultz,
Böckenhauer, Bieler und die Beamten der Sonderkommission
ein neues Kapitel geschrieben. Zusammen mit der
öffentlichen Reaktion darauf, erreicht dieses
Justizstück eine neue Qualität. Eine Auswahl aus
der Liste der Maßnahmen und „Pannen”:
- Mit dem Lauschangriff auf Safwans Zelle während
der Untersuchungshaft wurde gegen das Grundgesetz
verstoßen - dies bestätigte sogar die
Große Strafkammer
- Die Spanplatte aus dem 1.OG, auf der laut LKA das Feuer
angeblich ausgebrochen sein soll -der Tatort also- wird auf
dem Müll entsorgt, und natürlich will kein/e
BeamtIn verantwortlich sein
- Flüchtlinge (auch Minderjährige) wurden ohne
DolmetscherIn und Rechtsbelehrung vernommen, dabei auch von
Polizeibeamten mit Abschiebung bedroht, „wenn sie
nicht die Wahrheit sagen”
- die Aussagen der Flüchtlinge zum Verhältnis
zwischen den BewohnerInnen werden pauschal als
unglaubwürdig abgetan - glaubwürdig soll sein,
was die Staatsanwaltschaft sich ausdenkt: tödliche
Konflikte im Haus
- Victor Attoey wird trotz seiner Verletzungen und seines
Zeugenstatus nach Nigeria abgeschoben
- Wichtige Brandspuren im Vorbau (z.B. Durchbrennungen
des Fußbodens) werden „übersehen”,
die Fundorte von Asservaten nicht festgehalten, Leichen vor
der Dokumentation ihrer Lage abtransportiert, die Spuren am
Leichenfundort von Sylvio (im Vorbau) weggeräumt
- Der PKW Wartburg der Grevesmühlener wurde nicht
kriminal-technisch untersucht, die von der
Gerichtsmedizinerin Dr. Gerling asservierten und dann der
Kripo übergebenen versengten Haare der Nazis
verschwinden
- ZeugInnenaussagen, daß Patynowski und Wotenow
quasi den Brandanschlag gestanden haben, wurde nicht weiter
nachgegangen, Wotenow und Burmeister können sogar
einem Prozeß wegen Autodiebstahls fernbleiben, ohne
daß dies unmittelbar Haftbefehle nach sich zieht
- Die staatsanwaltschaftlichen Thesen zum Brandverlauf
kommen nicht ohne eine eigenwillige Physik aus: Benzin
muß die Fähigkeit haben, bergauf zu
fließen, und Feuer soll nach unten brennen
- Kronzeuge Leonhardt ist glaubwürdig, obwohl sich
in seinen Aussagen diverse Widersprüche finden, sein
„bester Freund” Hamann wehrsportähnliche
Paintballspiele betreibt und sich bei der Durchsuchung
seines Spindes (’89 wegen Diebstahls) Nazi-Propaganda
fandt.
Das rassistische Vorgehen der Staatsanwälte zieht sich
durch ihre gesamten Ermittlungen hindurch und bis in den
Prozeß hinein: sie wollen unbedingt einen Hausbewohner
als Brandstifter, zerren jede Absurdität herbei,
verdrehen, erfinden, konstruieren. Den Grevesmühlener
Nazis gegenüber gebärden sich die
Staatsanwälte als Strafverteidiger, wollen selbst deren
faschistische Gesinnung wegleugnen, unterlassen alles, was
einen Beweis oder nur mehr Indizien hervorbringen kann. Dabei
haben die Ermittler längst die Grenzen der
Legalität überschritten, und müßten
wegen Verdacht der Strafvereitelung und
Beweisunterdrückung selbst zum Gegenstand von
Ermittlungen werden. Der Umgang mit den unliebsamen
HausbewohnerInnen ist entsprechend: auf der verzweifelten
Suche nach einem Motiv wird im Intimleben herumgestochert,
der Aufenthaltsstatus als Druckmittel benutzt. Die
Lebensrealität von Flüchtlingen wird ausgeblendet,
„jede Andersartigkeit zum Verdacht”
(Nebenklagevertreterin Ursula Ehrhardt). Nützt auch das
nichts, malen die Staatsanwälte ein Bild, daß die
Flüchtlinge als zu dumm darstellt, um sich gegen die
politische „Instrumentalisierung” ihrer
Anwältinnen zu wehren. Am 4. Juni plädierte die
Staatsanwaltschaft auf Freispruch - nachdem sie in der
Plädoyersbegründung zuvor die gesamte
Beweisaufnahme verdrehte und Safwan weiterhin beschuldigte,
eine widerliche Verleumdung des Libanesen als prozessuales
Abschiedsgeschenk von Böckenhauer. Das Plädoyer
demonstrierte, um was es den Staatsanwälten seit dem 20.
Januar ging. Nicht um das Urteil, sondern um die
öffentliche Verarbeitung von Ermittlungen und
Prozeß, die die Täter-Opfer-Umkehr mit sich
brachten. Parallelen zur mittelalterlichen Inquisition sind
unübersehbar. Und wie auch dabei, wollten schaulustiges
(Medien-)Volk und Ankläger, daß Safwan
gefälligst seine Unschuld beweise. Das Prinzip
bürgerlich-demokraticher Justiz, ihm die Schuld
nachweisen zu müssen, wurde bereitwillig auf dem Altar
der deutschen Reinwaschung geopfert.
Das Urteil
Am 30. Juni kam dann der erwartete Freispruch. Auch dem
Antrag der Verteidigung, Safwan Eid eine
Haftentschädigung zu gewähren, da er nicht für
die Anklage verantwortlich sei, wurde entsprochen. Die
Begründung des Urteils war mit Spannung erwartet worden,
nachdem Richter Rolf Wilcken bereits im April erklärte,
daß er selbst unter dem Grundsatz „Im Zweifel
gegen den Angeklagten“ „nichts belastendes
sehe“. Doch den Mut, juristisch mit der Anklage
abzurechnen, brachte das Gericht nicht auf: in einer
scheinbaren Objektivität verteilte das Gericht Kritik an
alle Beteiligten. Zwar gingen die schärfsten Worte an
die Adresse der Staatsanwaltschaft, allerdings nicht in dem
Maße, wie sie es verdient hätte. Die Formulierung,
„die Ermittlungen haben das Maß erforderlicher
Gründlichkeit nicht immer erreicht“ war wohl die
harmloseste Erklärung, die das Gericht zum Verschwinden
von Beweismitteln überhaupt finden konnte. Deutlicher
bezog sich die Kammer auf die Abhörprotokolle und die
öffentlichen Spekulationen Böckenhauers zu einer
möglichen Revision: als „ungewöhnlich“
wurde die Medienpolitik des Staatsanwaltes bezeichnet, und:
die Abhörprotokolle waren definitiv unzulässig, und
belastendes gegen Safwan hätten sie zudem sowieso nicht
hergegeben. Auch das Plädoyer der Ankläger erhielt
Schelte, als Wilcken meinte, das es nicht angehe, nur einige
Zeuginnen und Zeugen zu werten, andere aber, wie auch den Tod
Sylvio Amoussous und den Brand im Vorbau vollkommen zu
negieren.
Politisierung
Scharfe Kritik äußerte die Kammer an der
"Politisierung des Verfahrens", die schon angesichts der
Opfer überflüssig und unpassend gewesen sei.
Wilcken ging dabei auch auf „Gruppen, die ohne die
Beweisaufnahme abzuwarten, den Freispruch des Angeklagten
durchsetzen wollten, Gruppen, die ihren selbstgewählten
Namen nicht verdienen.“ Diese Sätze mußten
den Staatsanwälten gut gefallen. Die Kammer ignoriert,
daß in einem Land, in dem es täglich zu
rassistischer Gewalt kommt, ein brennendes
Flüchtlingsheim bereits einen politischen Charakter hat.
Und erst recht war die Täter-Opfer-Umkehr ein
politischer Akt - gerade wegen der Opfer war die politische
Arbeit notwendig. Das Verhalten der Kammer selbst
demonstriert, wie unzureichend eine rein juristische
Ab-arbeitung des Brandanschlages ist. Im Übrigen sieht
das Gericht zwei primäre Brandherde, sowohl an der vom
LKA bezeichneten Stelle im 1.OG, als auch im Vorbau. Es nimmt
eine Schwelbrandphase im 1.OG, sieht aber eine zeitliche
Einordnung auch der Brandlegung für ungeklärt an.
Den Zeugen Leonhardt erklärt auch das Gericht für
glaubwürdig, sieht keine Verstrickungen in rechtsextreme
Aktivitäten, erkennt aber wenigstens, daß seine
Aussagen absolut nicht zum angenommenen Brandgeschehen
passen. Daß die ehemaligen Bewohn-erInnen sich von
Wilcken sagen lassen mußten, sie hätten ihre
Aussagen „nachträglich zumindest
gefärbt“, daß Safwans Verhalten nach der
Rettung vom Dach als „auffällig“ bezeichnet
wurde, hinterläßt einen schlechten Nachgeschmack.
Safwan wirkliche Gerechtigkeit angedeihen zu lassen war die
deutsche Justiz bislang nicht fähig. Eine Verfolgung der
wirklichen Tatverdächtigen ist nicht abzusehen, auf den
„Komplex Grevesmühlen“ ging Richter Wilcken
nicht ein einziges Mal ein. Wenigstens fiel die Bemerkung,
daß ein Freispruch aus Mangel an Beweisen ein normales
Vorgehen ist, später ergänzte RAin Klawitter,
daß bereits 1968 die Unterteilung von Freisprüchen
abgeschafft wurde. Freispruch heißt unschuldig - das
mag juristisch so sein, für die Öffentlichkeit ist
es anders: entsprechend sah die Presse am Tag danach aus, ja,
man konnte Safwan die Tat nicht nachweisen, aber... Für
viele JournalistInnen wird der Brandanschlag
Hafenstraße kein Thema mehr sein. So sind alle
entscheidenden Fragen auch nach dem Freispruch
ungeklärt: bleiben die Tatverdächtigen aus
Grevesmühlen weiterhin unbehelligt? Ist die Vertuschung
des rassistischen Brandanschlages für Böckenhauers
politische und behördliche Vorgesetzte wichtiger, als
die Malereine vom demokratischen Rechtsstaat? Oder ist
vielmehr die Ignoranz der eigenen Gesetze zunehmend
erwünscht? Die antifaschistische Bewegung wird
jedenfalls dadurch erneut gezwungen, ihr Hauptaugenmerk auf
die Verteidigung bürgerlich-demokratischer
Grundsätze zu richten und hat nur beiläufig die
Möglichkeit, mit eigenen, linken Positionen vorzutreten.
Denn nur den Staat als rassistisch anzuprangern, reicht
nicht, seine Entwicklung hin zur Willkür muß auch
gestoppt werden. Den bisherigen politischen Erfolg der
Staatsanwälte zu kippen, die tatsächlichen
Täter und ihre juristischen Komplizen zur Verantwortung
zu ziehen ist eine anspruchsvolle, aber notwendige
Aufgabe.
HPW
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