3. Republik um den Dichterstein
Anfang Mai wurden Wels und Offenhausen in
Oberösterreich wieder einmal zu einer
bundesweiten Angelegenheit: Der Dichterstein mit
seinen 400 Namen von Schriftstellern, die noch
immer als "deutschbewußt" verehrt werden, und
Schlagworten wie "Sippenreinheit" und "Muttertum"
zog die rechtsextreme Szene Österreichs an.
Gleichzeitig riefen autonome antifaschistische
Gruppen dazu auf, dieses Nazitreffen nicht ohne
Widerstand vorübergehen zu lassen.
Die Offenhausener Begegnungstage fanden um das
Wochenende des 3. Mai statt, organisiert vom
ortsansässigen rechtsextremen VEREIN
DICHTERSTEIN OFFENHAUSEN, der sich einem
rassisch-biologistischen Weltbild und dem Kampf
gegen "Greuellügen" und "Umerziehung"
verschrieben hat. Im Gasthof Lauber tummelten sich
Gäste aus der Neonaziszene und bewährte
Anti-Antifa-Aktivisten unter dem offiziellen Schutz
der oberösterreichischen Behörden.
Dem bundesweiten Aufruf zur Gegendemonstration
in Offenhausen waren etwa 300 AntifaschistInnen aus
Wien, Linz, Salzburg, Innsbruck und Graz gefolgt.
Fast doppelt soviele nahmen am Abend noch an einer
Kundgebung in Wels gegen die braunen "Flecken" in
der Stadt, die rechtsextreme Stammtischrunde des
SPÖ-Bürgermeisters Bregartner und die
Subventionierung des ÖSTERREICHISCHEN
TURNERBUNDES (ÖTB) teil. Sie fuhren in ein von
bürgerlicher Hetze aufgeheiztes Klima und in
einen polizeilichen Ausnahmezustand hinein.
GEMEINSAM FüR EIN ANTIFAFREIES
OBERöSTERREICH
Die oberösterreichische Presse hatte
tagelang das Bild gewalttätiger
Berufsdemonstranten aus dem bösen Deutschland
herbeigeschrieben, der Welser Bürgermeister
hatte sich zum Verteidiger des Stadtzentrums vor
den "Antifa-Demonstrierern" (Bregartner
gegenüber der Presse) aufgeworfen, die
Initiative "Welser gegen Faschismus" war auf
lautstarke Distanz zur Kundgebung gegangen. Der
Terror der Exekutive, offenbar aus dem Handbuch
einer "3. Republik", war der sichtbare Ausdruck
dieser politischen Lage. Die Absperrungen, hinter
denen AntifaschistInnen am 3. Mai ohne rechtliche
Grundlage festgehalten wurden, sind unter dem
Beifall der Welser Zeitungen vorbereitet worden.
Massiver Polizeieinsatz sorgte dafür,
daß nicht nur die Rechtsextremisten von der
Nähe der AntifaschistInnen bewahrt wurden,
sondern daß auch die DemonstrantInnen von
jedem Kontakt zur Bevölkerung abgeschnitten
waren.
Als die Busse gegen Mittag Wels erreichten, um
sich dort zu sammeln, umstellten Bundesgendarmerie
und Sondereinheiten gerade mit Hunden und
Tretgittern den Parkplatz. Nach einer Zeitlang
nervenaufreibenden Wartens verließ der Konvoi
die Stadt Richtung Offenhausen, nur um einige
Kilometer vor dem Ort wieder aufgehalten zu werden.
Die beiden Busse aus Wien standen auf Anordnung der
Polizei fast eine Stunde vor einem Bauernhof: Die
Polizisten versuchten zuerst, die Leute
überhaupt nicht aussteigen zu lassen, hielten
dann einzelne grundlos davon ab, wieder
einzusteigen, und erklärten weder, warum die
Busse nicht weiterfahren durften, noch für
wielange. Die Ungewißheit wurde den meisten
schließlich zuviel und sie beschlossen, zu
Fuß nach Offenhausen zu gehen. Die Aussicht,
eine Horde potentieller Jausenmesserbesitzer wild
in der Gegend herumstreunen zu sehen, bewirkte
allerdings einen sofortigen Sinneswandel der
Exekutive: Den Bussen wurde erlaubt, ihre Fahrt
fortzusetzen.
BEIFALL FüR DIE STAATSGEWALT
Die 3. Republik war erst in Offenhausen selbst
perfekt: Auf dem Parkplatz des Fußballvereins
kesselten Polizeieinheiten DemonstrantInnen und
Busse ein. Ein Vertreter der Bezirkshauptmannschaft
Wels verkündete, daß man von geplanten
Sachbeschädigungen ausgehen müsse und die
Kundgebung von Bewaffneten begleitet werde.
Währenddessen trieben Sondereinheiten mit
rücksichtsloser Gewalt DemonstrantInnen in die
Busse zurück, die versuchten, nach
draußen zu entkommen. Ihr panikartiges "Wir
wollen raus!" blieb vergeblich. Mehr als eine
Stunde wurden die Leute in den überhitzten
Bussen unter praller Sonne eingesperrt und von
Beamten bewacht, die mit Zynismus
Kreislaufzusammenbrüche und Übelkeit
kommentierten. Draußen standen eng
zusammengedrängt, ohne Möglichkeit, an
etwas Trinkbares zu kommen, die so
gefürchteten "Autonomen" und sahen tatenlos
zu, wie sich an den Buswänden brutale
Durchsuchungen und willkürliche
Beschlagnahmungen abspielten. Grenzenlose
Bewegungsfreiheit genossen dafür die rechten
Hobbyfotografen, darunter Porno-Spezialist
Humer: Sie filmten ungehindert und aus
nächster Distanz zwischen den
AntifaschistInnen.
Als die Demonstration endlich beginnen konnten,
waren die mit Klappstuhl und Fotoapparat
angerückten Offenhausener BürgerInnen
voll auf ihre Rechnung gekommen: Sie hatten einen
Großeinsatz im Namen eines antifafreien
Offenhausens nicht nur live erleben und
beifällig begleiten können, sondern auch
selbst Hand anlegen dürfen, als es darum ging,
DemonstrantInnen das Verlassen des Polizeikessels
zu verwehren.
Die Kundgebung selbst zog mit kämpferischen
Parolen an der teils neugierigen, teils
gleichgültigen, teils offen provozierenden
Bevölkerung vorbei. Die
Abschlußbeiträge wurden vor dem Gasthaus
gehalten, in dem die Rechtsextremisten unter dem
Mäntelchen der Kultur tagten und das
interessanterweise durch eine Verordnung der
Bezirkshauptmannschaft Wels als "Gefahrenbereich"
deklariert war.
Nach einigen aggressiven, aber relativ sinnlosen
Scharmützeln mit Zaungästen endete die
Kundgebung im Polizeikessel vor den Bussen.
Offenhausen war unter sich mit seinen willkommenen
Gästen, die sich um die Parole der
"Sippenreinheit" scharren, mit seiner schweigenden
Mehrheit und seinen braven BürgerInnen, die
eine Staatsgewalt beklatschten, durch die ihre Welt
wieder in Ordnung kam.
ANTIFASCHISMUS IN WESSEN GRIFF?
In Wels ging bis zum Beginn der abendlichen
Demonstration einmal gar nichts: Die Polizei hielt
die AntifaschistInnen zwei Stunden lang hinter den
Absperrungen am Parkplatz fest, erlaubte
später einzelnen Leuten das Verlassen des
Geländes nach einer erneuten Durchsuchung,
begleitete andere bis in die Gasthäuser, in
denen sie Essen besorgten, ließ manche
wiederum überhaupt nicht weg, verweigerte die
Herausgabe persönlicher Sachen und gestattete
das Betreten des Parkplatzes nur denen, die eine
demütigende Perlustrierung in Kauf nahmen. Am
Straßenrand meinten schließlich selbst
ZuschauerInnen, die nichts für die Anliegen
der DemonstrantInnen übrig hatten, daß
das alles "irgendwie" zu weit ging.
Trotz dieser Kriminalisierung schlossen sich
immer wieder WelserInnen der Kundgebung an, die von
der Polizei völlig abgeriegelt wurde. Manchen
Leuten war es daher schlicht und einfach nicht
möglich, mitzugehen, da die Beamten sie daran
hinderten. Sogar das Verteilen von
Flugblättern wurde verboten. Trotzdem nahm die
Bevölkerung recht lebhaften Anteil an der
Demonstration: Die Informationen über die
Verstrickung des Welser Bürgermeisters in die
rechtsextreme Szene und über die
Förderung des ÖTB durch die Stadt
erreichten einen großen Teil der entlang der
Route versammelten EinwohnerInnen. Wirklich
durchbrechen konnten die DemonstrantInnen die vom
Polizeiapparat inszenierte Isolation allerdings
nicht. Die Exekutive geleitete die
AntifaschistInnen wieder dorthin, wo sie nach
Meinung der anständigen Öffentlichkeit
hingehörten: möglichst weit weg von einem
Ort, dessen Bürgermeister Stammtisch mit
Kameraden aus der Neonazi-Fraktion hält.
Zufrieden konnte zwei Tage später das
oberösterreichische "Neue Volksblatt"
berichten, die Polizei habe die DemonstrantInnen
"fest im Griff" gehabt. Die Zeitung schrieb nichts
Falsches: Um beinahe jeden Preis hatten ein paar
hundert AntifaschistInnen dafür gesorgt,
daß die Kundgebungen gewaltfrei ablief und
trotz aller kämpferischen Sprechchöre die
Bedingungen eines Demonstrationsrechts á la
3. Republik akzeptiert.
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