Siemens abschalten!
Dieses Jahr feiert die Siemens AG runden Geburtstag: Einer der
größten multinationalen Konzerne mit Sitz in Deutschland begeht sein
150jähriges Jubiläum. Am Schnittpunkt von Ökonomie und Politik
steht dieses Musterbeispiel eines militärisch-industriellen Komplexes und
blickt zurück auf eine Kriminalgeschichte von Aufrüstung,
Zwangsarbeit und Atomindustrie.
Während die Anti-Siemens Kampagne in Deutschland dieser Tatsache gerecht
wird und an mehreren Punkten ansetzt, konzentrieren sich v.a. ökologisch
motivierte Gruppen hierzulande auf die Beteiligung von Siemens am Ausbau der
grenznahen Atomkraftwerke in der vormaligen Tschechoslowakei. Mit einem
zweiteiligen Beitrag zur Firmengeschichte, die in Österreich vor 139
Jahren begann, wollen wir mithelfen, diese Beschränkung aufzuheben: Im
ersten Teil geht es von der Gründung über die staatsmonopolistische
Verschmelzung mit dem deutschen Kaiserreich zur ersten Machtentfaltung am
Vorabend des Weltkrieges, von der neuerlichen Expansion in der
Zwischenkriegszeit zum Bündnis mit der NSDAP und der
kriegswirtschaftlichen Umorganisation im faschistischen Staat, von der - in
diesem Rahmen nicht vollständig referierbaren! - Ausbeutung jüdischer
und ausländischer ZwangsarbeiterInnen bis zu den neuerlichen Versuchen,
die Niederlage deutscher Neuordnungspläne für Europa möglichst
unbeschadet zu überstehen. Im zweiten Teil soll uns dann mehr
Siemens-Österreich interessieren: dessen herausragende Rolle bei der
Zerschlagung der Verstaatlichten und der erneuten Auslieferung der
Elektroindustrie an das deutsche Kapital, bei der Rekolonialisierung Osteuropas
und der Reformulierung faschistischer Konzeptionen in der hauseigenen
Siemens-Stiftung (München).
EIN DEUTSCHER KONZERN I
"Brecht was nicht biegen will - denn ohne festes Kommando geht es nunmal nicht
in einem so großen und komplizierten Geschäft wie dem unsrigen."
(Werner von Siemens an seine Söhne)
Der deutsche Multi wird 1847 in Berlin als Telegraphen Bau Anstalt von Siemens
und Halske gegründet. Von Anfang an orientiert sich der Konzern an den
Bedürfnissen von Staat und Militär. Der Firmengründer und
Erfinder Werner von Siemens personalisiert geradezu die Verschmelzung
von Staat und Konzern: Der Beamte und Offizier hat einen Sitz in der
preußischen Telegraphenkommission inne, seine ersten Erfindungen haben
militärischen Charakter.
Schon ab 1851 expandiert Siemens nach England und Rußland, wo
Aufträge zum Auf-/Ausbau des Telegraphennetzes an Land gezogen werden
können. Dank der frühen Monopolstellung beim Ausbau von
Infrastrukturen setzt Siemens 1854 in Petersburg achtmal soviel um wie in
Berlin. In der "gehobene(n) nationale(n) Stimmung" (Bismarck-Anhänger
Siemens) produziert Siemens ab 1866 v. a. zur Kriegsvorbereitung:
magnetelektrische Minenzünder, automatische Schiffssteuerungen u. v. m.
lassen die Konzernkassen klingeln, der deutsch-französische Krieg 1870/71
gerät so zum geschäftlichen Megaerfolg.
1870 steht das Haus Siemens an der Wiege der Deutschen Bank, die von Georg
Siemens, dem Cousin des Firmengründers, mitbegründet und 30 Jahre
lang angeführt wird. Über seine Verflechtung mit der Deutschen Bank
kann der Konzern seine monopolistische Macht weiter ausbauen. Die Festigung der
politischen Macht von preußischen Junkern, Militärs, Adel und
Bourgeoisie mit der Reichsgründung von 1871 wird im Hause Siemens
naturgemäß gefeiert. So schwärmt Wilhelm von Siemens,
Sohn und Nachfolger des Firmengründers, über das Deutsche
Kaiserreich: "Das lebensfähige Starke darf nicht geopfert werden dem
Unlebensfähigen und Unnützen. (...) Die arische Kultur verdrängt
die schwarze und hat sich der gelben gegenüber zur Geltung zu bringen.
Germanische Entwicklung drängt die romanische zurück."
Am Vorabend des Ersten Welkrieges stellt Siemens das ökonomische
Machtzentrum des Deutschen Reiches dar: der innerste Kern des
militärisch-industriellen Komplexes, eng verflochten mit dem
Finanzkapital. Das Wirtschaftsimperium sollte mit der 1914 versuchten ersten
militärischen Ausbreitung der "arischen Kultur" über Europa
zunächst zum größten Kriegsgewinnler werden: kein
miltiärisches Gerät, vom Kochgeschirr bis zu den größten
Bombern, das nicht aus Siemens-Werken kommt...
KRIEGSZIELE UND KONTER REVOLUTION
Unter der Führung des Finanzberaters der Reichsregierung, Karl
Helfferich (Deutsche Bank), rotten sich angesichts der in Aussicht
genommenen Beute Bankiers und Unternehmer (v.a. aus der Elektro- und
Chemieindustrie) zusammen, um ihre Erwartungen vom Krieg zu formulieren und dem
Siemens-Freund, Reichskanzler Bethmann-Hollweg offiziell zu
übermitteln. Im Gegensatz zu Positionen der Schwerindustrie, die die
Annexion großer Teile Europas verlangt, will mann hier die Hegemonie des
deutschen Großkapitals über Europa mehr mittels ökonomischer
Durchdringung als territorialer Eroberung erlangen.
Doch beim versuchten Sprung zur Weltmacht fällt mit Deutschland auch
Siemens auf die Schnauze: Zahlreiche ausländische Tochterfirmen werden
enteignet, was v.a. in England und der nunmehrigen Sowjetunion
Millionenverluste bedeutet. Gleichzeitig muß der Konzern aufgrund der im
Versailler Vertrag Deutschland auferlegten Rüstungsbeschränkungen
umsatteln, bzw. diesen lukrativen Zweig ins europäische Ausland verlegen.
Dem deutschen Stammhaus ist bloß die Weiterproduktion von
Kriegsschiffelektronik unter alliierter Aufsicht und einem anderen Firmennamen
gestattet. Unter diesen widrigen Bedingungen schließt sich Siemens mit
dem ruhrindustriellen Stinnes-Konzern zusammen - ein strategisches Bündnis
zweier (zunächst ein wenig angeschlagener) Riesen, das 1924 aufgelöst
wird. Den raschen Wiederaufstieg nach 1919 verdankt der in einen Schwachstrom-
(Siemens & Halske AG) und einen Starkstromsektor (Siemens-Schuckertwerke
AG, SSW) aufgeteilte Konzern erneut der staatlichen Nachfrage: der Ausbau des
Post- und Telegraphenwesens sowie des Eisenbahnnetzes beschert wieder
Millionengewinne.
1919 übernimmt Carl Friedrich von Siemens, der jüngste Sohn
Werners, die Firmenleitung. Als Präsident des Verwaltungsrates der
Deutschen Reichsbahn sorgt er nicht nur für die vollen Auftragsbücher
seines Konzerns, er geht seinen Klassenfreunden auch mit einer 10%igen
Lohnkürzung unter den Eisenbahnern mit leuchtendem Beispiel voran.
Überhaupt hält sich Carl Friedrich von Siemens an den
großväterlichen Rat, zu brechen, "was nicht biegen will": Einerseits
erkennt der Parlamentsabgeordnete der Deutsche(n) Demokratische(n) Partei (bis
1924) die Notwendigkeit eines Arrangements mit den reformistischen
Gewerkschaften, andererseits organisiert und finanziert er mit Stinnes
u. a. Monopolisten gleichzeitig die Konterrevolution. Als am 10.
Jänner 1919 der sozialdemokratische "Bluthund" Noske den Befehl zum
Angriff auf das revolutionäre Berlin gibt, lauschen die versammelten
Großkapitalisten den Ausführungen Eduard Stadtlers über
den "Bolschewismus als Weltgefahr". Anschließend beschließen die
besorgten Herren, "patriotische" Gruppen wie das Generalsekretariat zum Studium
und zur Bekämpfung des Bolschewismus (Stadtler) und das Freikorps mit
einem Fonds von 500 Mio Mark zu finanzieren.
DOPPELT HÄLT BESSER
Die Behauptung, der Siemens-Konzern sei früh und geschlossen hinter der
NSDAP gestanden, entspricht nicht der historischen Realität. Vielmehr
entscheidet sich Carl Friedrich von Siemens und mit ihm der Großteil der
Konzernspitze zunächst für eine "weiche Krisenlösung":
Präsidialdiktatur per Notverordnung statt faschistischer Staat. Im
Gegensatz zur defizitären Schwerindustrie, welche die Nazi-Partei von
Anfang an unterstützt, stärkt die kapitalstarke und
exportabhängige Elektro- und Chemieindustrie das "Brüning-Lager". Es
sind nicht die weniger aggressiven, reaktionären oder imperialistischen
Teile des deutschen Großkapitals, die nicht mit der Autarkiepolitik der
Nazis mitwollen oder -können, sondern die ökonomisch stärkeren.
Die NS-Wirtschaftspolitik, welche die Geldmenge und das Preisniveau in
Deutschland anhebt, widerspricht den Interessen auch des Siemenskonzerns.
Daneben sorgen die antisemitischen Maßnahmen für jene schlechte
Stimmung im Ausland, die Siemens mehr und mehr vom Weltmarkt zu drängen
droht. Die angekündigten und tatsächlichen Boykotte gegen Deutschland
und nicht - wie in der Rechtfertigungsliteratur dauernd behauptet -
grundsätzliche Ablehnung, lassen führende Vertreter des Konzerns
vorsichtige Kritik an der antisemitischen Politik üben. Immerhin macht der
Auslandsumsatz 1931/32 45 (Siemens & Halske) bzw. 54% (SSW) des
Gesamtumsatzes aus.
Neben der interessengeleiteten Parteigängerschaft für die
autoritären Kabinette Brüning/Papen/Schleicher will mann aber
auch bei Siemens ganz sicher gehen und das zweite Pferd im Stall erhalten. Die
Konzernspitze stößt sich zwar am "unberechenbaren"und "plebejischen"
Charakter der NSDAP, erkennt aber deren Wirksamkeit bei der Zerschlagung der
ArbeiterInnenbewegung. So gibt Carl Friedrich von Siemens 1931 vor
US-amerikanischen Industriellen zu erkennen, was er und seinesgleichen an den
Nazis hat: "Hitler hat seine wirklichen Anhänger zu starker Disziplin
erzogen, um revolutionäre Bewegungen des Kommunismus zu verhindern." Die
Spenden für die NSDAP fließen selbstredend auch aus der
Siemens-Kassa, und mit Rudolf Bingel gehört ein führendes
Vorstandsmitglied schon früh dem Freundeskreis Himmler an.
Auch Karl Burhenne, von 1919 bis zur Pensionierung 1951 Leiter der
sozialpolitischen Abteilung, zählt zu den frühen Förderern der
NSDAP. Burhennes Kontaktmann zur NSDAP ist Emil Gansser, leitender
Angestellter des Siemenskonzerns. Dieser "aktivste und erfolgreichste
Geldsammler im In- und Ausland für die junge und noch fast unbekannte
NSDAP" (Gossweiler) nützt die weitverzweigten Auslandsbeziehungen von
Siemens: Insbesondere in der Schweiz rekrutiert der umtriebige Gansser
Millionenbeträge für die Faschistenpartei. Daneben arrangiert er im
Frühjahr 1922 Hitlers Auftritte im Berliner "Nationalklub" vor
versammelter großindustrieller und -bürgerlicher Prominenz. Burhenne
selbst macht es sich schon 1922 zur Aufgabe, der NSDAP bei der Eröffnung
einer Berliner Parteistelle unter die Arme zu greifen. Was die beiden
Siemens-Herren in ihrem Engagement antreibt, formulierte Gansser in einem
Schreiben an Burhenne: "Wie kann die Masse des deutschen Volkes von der Roten
Internationale auf den Boden des deutschen Volkstums zurückgeführt
werden, oder wie schaffen wir einen deutschen Willensblock?"
VERSCHMELZUNG MIT DEM NS-STAAT
Gegen Ende 1935 gibt auch Siemens alle wirtschaftlichen Bedenken auf und
schwenkt zum siegreichen Faschismus. Ein zweites Mal in diesem Jahrhundert
wechselt der Konzern fast vollständig auf staatlich nachgefragte
Rüstungsproduktion über. Gleichzeitig kann nun der 1930
eingeschlagene Weg der Rationalisierung und Lohnkürzungen ohne drohende
Gegenwehr der Arbeiter-Innenschaft radikal weitergegangen werden. Schwankte die
Firmenleitung bis dahin zwischen extensiven und intensiven
Krisenlösungsstrategien, so verhelfen die politischen Rahmenbedingungen ab
1933 letzteren zum Durchbruch: Die Intensivierung der Ausbeutung v.a. durch die
Verlängerung des Arbeitstages bei sinkendem Reallohn sollte dann unter den
Bedingungen der Zwangsarbeit weiter verschärft werden. Nun, angesichts des
Mangels an FacharbeiterInnen und des steigenden Angebots an versklavter
jüdischer bzw. ausländischer Hilfsarbeitskraft, wächst der
Anteil der Massenfertigung beständig an. Die durch Überausbeutung bis
zum Tod und durch Deportationen in die Vernichtungslager bedingte Fluktuation
der Zwangsarbeit-erInnen beschleunigt die Taylorisierung der
Produktionsabläufe. Diese werden in immer mehr anforderungslose
Einzelschritte zerlegt, um einen raschen Austausch der ZwangsarbeiterInnen zu
ermöglichen.
Die NS-Wirtschaftspolitik macht sich bald auch direkt bezahlt: 1936 kommen
bereits 50% der Aufträge an die SSW von der öffentlichen Hand.
Zwischen 1933 und 45 kann der Siemenskonzern seinen Umsatz mehr als
verfünffachen und seine führende Stellung in der europäischen
Elektrobranche weiter ausbauen. Mit der gigantischen Aufrüstung boomt der
Konzern enorm: bis 1944 kann das Grundkapital aus den Gewinnen verdreifacht
(Siemens &Halske) bzw. verdoppelt (SSW) werden.
Der Faschismus an der Macht und damit die Aufrüstung bringt auch in
Deutschland eine noch engere Verschmelzung von Staat und Ökonomie. Hitler
beruft unmittelbar nach seiner Machteinsetzung 17 führende Industrie- und
Parteienvertreter in einen Generalrat der deutschen Wirtschaft, darunter Carl
Friedrich von Siemens und die SSW-Aufsichtsräte Albert Vögler
vom Stinnes-Konzern und Fritz Thyssen. Zur direkten
Unterstützung der Partei wird die "Adolf-Hitler-Spende der deutschen
Wirtschaft" etabliert, an die auch Siemens etliche Millionen im Jahr
abführt.
Der SS-Mann Friedrich Lüschen, seit 1941 stellvertretender
Vorstandsvorsitz-ender von Siemens & Halske, steigt zu einem der
wichtigsten Männer im Rüstungsbereich auf: Als Leiter der
Wirtschaftsgruppe Elektroindustrie wird er zunächst "Reichsleiter" der
Reichsstelle für elektrotechnische Erzeugnisse, dann noch "Beauftragter
für die Verlagerung der Elektroindustrie" beim Rüstungsminister
Speer. Lüschen folgt 1945 seinem "Führer" in den Freitod; das
macht auch der mit der Organisation von Zwangsarbeit befaßte Direktor
Gustav Leifer, der für Siemens die Verhandlungen über den
Einsatz von KZ-Häftlingen geführt hat. Zu den frühen
"Parteigenossen" aus der Konzernspitze gehören neben Bingel u. a. der
Präsident der Reichswirtschaftskammer Albert Pietzsch, der seit
1936 für die nicht minder verbrecherische Deutsche Bank im
SSW-Aufsichtsrat sitzt, Carl Knott, der nach Kriegsende als Leiter des
Nürnberger Werkes für die zahlreichen Übergriffe auf
Zwangsarbeiter zur Rechenschaft gezogen werden wird, und ab 1938 Hans
Benkert, als Direktor der SSW auch für das Siemens-KZ
Berlin-Haselhorst verantwortlich. Mehr als 20 Siemens-Führungskräfte
dürfen sich daneben mit dem Titel "Wehrwirtschaftsführer"
schmücken.
Die US-Alliierten werden nach der Zerschlagung des Faschismus nichts zuletzt
angesichts dieser engen personellen Verbindungen von Konzern, Partei und Staat
zu folgender zusammenfassenden Einschätzung kommen: "The Siemens concern
is certainly the most nazified and more germanistic as compared to AEG, which
followed a more liberal and democratic tradition."
ZWISCHEN SKLAVENARBEIT UND VERNICHTUNG
In der faschistischen Kriegswirtschaft hebt Siemens die Zahl der ArbeiterInnen
von 187000 (1938) auf 246000 (1944), wobei zivile FremdarbeiterInnen,
jüdische und ausländische ZwangsarbeiterInnen, Kriegsgefangene und
KZ-Häftlinge mehr als 30% der Belegschaft ausmachen. In der
Rechtfertigungsliteratur taucht immer wieder die Behauptung auf, daß mit
der Dauer des Krieges dem Konzern eine steigende Anzahl von ZwangsarbeiterInnen
zugewiesen worden wäre. Und um die Produktionsvorgaben erfüllen zu
können, habe mann diese eben beschäftigen müssen.
Bei Siemens begann der Einsatz ausländischer ArbeiterInnen gegen Ende
1940. Zunächst werden diese v.a. auf "freiwilliger" Basis von
firmeneigenen Keilern in Zusammenarbeit mit den Behörden rekrutiert. Die
vorgeschriebene Abtrennung der ausländischen von den deutschen
ArbeiterInnen und die Unterbringung ersterer in eigenen Lagern (allein in
Berlin sind im Oktober 1943 11500 Menschen in Siemens-Lagern zusammengepfercht)
führt zunächst zur von der Konzernleitung dauernd beklagten
Verteuerung der Arbeit.
Auch die zeitlich begrenzten Arbeitsverhältnisse und die dadurch bedingten
Entgänge durch ständige Anlernphasen fördern bei Siemens den
Wunsch nach vollständig entrechteten und zwangsverpflichteten
ArbeiterInnen. Oberingenieur Borchardt bringt dies auf den Punkt, wenn
er 1942 von der "ungeheure(n) Zusatzbelastung des dauernden Anlernens der
Ersatzkräfte" spricht und deswegen eine verstärkte
"Abkehrbekämpf-ung" verlangt. Abschließend hofft er, "daß die
neueren Maßnahmen der Arbeitseinsatzverwaltung (generelles Abkehrverbot
ohne Zustimmung des AA (Arbeitsamt), Dienstverpflichtung verschiedener
Ausländergruppen, Bestrafung und Rückführung der
Vertragsbrüchigen) einer Entwicklung Einhalt gebietet, die den Betrieben
auf Dauer wirlich kaum mehr zugemutet werden kann." Diese dann
zwangsverpflichteten Arbeitskräfte findet mann ab dem Frühjahr 1942
v.a. im besetzten Osteuropa, im Geschäftsjahr 1942/43 sind bei Siemens
& Halske 11743, bei den SSW 16454 ZwangsarbeiterInnen eingesetzt.
Der Berliner Personaldirektor Dietrich von Witzleben, der schon 1938 in
einem Schreiben an den Berliner Polizeipräsidenten betonte, daß sich
das Haus Siemens seit jeher durch seine antijüdische Haltung ausgezeichnet
habe, ordnet 1943 per Rundschreiben einen aus überzeugten Nazis
zusammengesetzten "Hilfs-Werksschutz" an. Dieser hat laut Witzleben "für
ordnungsmäßiges Verhalten der ausländischen Arbeitsräfte
zu sorgen und Ausschreitungen jeder Art zu verhindern oder zumindest sofort im
Keime zu ersticken." Das terroristische Regiment aus Denunziation,
Überwachung und abgestufter Bestrafung wurde mit Kriegsverlauf immer
weiter verschärft. Allein 1941 werden fast 400 (v.a. Zwangs-)ArbeiterInnen
an die Gestapo ausgeliefert.
Bereits Anfang 1940 werden v.a. in Berlin auch deutsche Juden und Jüdinnen
ausgebeutet. Im Oktober 1940 müssen bereits 2200 jüdische
ZwangsarbeiterInnen für Siemens schuften - eine Zahl die im Herbst 1941
auf 3535 ansteigt. Die ständig angedrohte Entlassung und somit die
Deportation und Ermordung vor Augen, produzieren die streng von den arischen
Gefolgschaftsmitgliedern separierten Juden und Jüdinnen um ihr Leben. In
der Sprache der Ausbeuter liest sich das dann so: "Die jüdischen Arbeiter
und Arbeiterinnen gaben sich im Allgemeinen große Mühe,
zufriedenstellende Leistungen zu erzielen. Auch Kräfte, die bisher keine
Handarbeit geleistet hatten, bewährten sich bei Maschinen- oder Handarbeit
recht gut. (... ) Es sprach dabei natürlich auch mit, daß die Juden
großes Interesse daran hatten, ihre Eignung und Leistungsfähigkeit
unter Beweis zu stellen, um von den Werken nicht als ungeeignet abgewiesen zu
werden, da sie offenbar den Einsatz in unseren Betrieben als beste Gewähr
für ihren Verbleib in Berlin ansahen."
Anfang 1943 werden die jüdischen Siemens-SklavInnen in die
Vernichtungslager deportiert. Siemens wird nach 1945 versuchen, sich quasi als
ein zweiter "Schindler" darzustellen: Mann habe nichts unversucht gelassen, um
die Deportation der Juden und Jüdinnen zu verhindern. Dieser Behauptung
stehen die spätestens 1942 einsetzenden Vorbereitungen der Siemens-Manager
entgegen, eine Störung der Produktion durch die Verschleppung
jüdischer ZwangsarbeiterInnen zu vermeiden. Im Falle dieser "aus
staatspolitischen Gründen notwendigen Entfernung der betreffenden Nation"
(Oberingenieur Mohr) wollte mann eben gewappnet sein: So müssen
viele Juden ab Winter 1942 neue, v.a. polnische Zwangsarbeiter anlernen.
AUSBEUTUNG VON KZ-HäFTLINGEN
Siemens liefert und baut nicht nur die elektrischen Installationen in den KZ
und Vernichtungslagern, sondern beutet ab 1942 auch die Arbeitskraft von
KZ-Häftlingen aus. Schon 1938 nahm der Siemens-Vorständler Bingel an
einer Besichtigung des KZ Dachau teil, bei der bereits besprochen wurde,
Häftlinge in der Kriegsgüterproduktion einzusetzen.
Zum einen werden KZ-Kommandos in Siemens-Standorten eingerichtet: 1200
Häftlinge aus dem KZ Sachsenhausen arbeiten 1943 in Berlin, ein Jahr
später sind es bereits 3200. Sie sind im berüchtigten Firmen-KZ
Haselhorst untergebracht, das von Siemens 1943 errichtet wurde. Die Aufsicht
über die Häftlinge obliegt SS-Wachmannschaften, die sich zum
Großteil aus ehemaligen Siemens-Arbeitern zusammensetzen. Jeden Monat
verhungern hier weit über 100 Häftlinge oder werden zurück nach
Sachsenhausen - also in den sicheren Tod - deportiert. 1944 werden 550
ungarische Jüdinnen aus Auschwitz bei den Nürnberger SSW ausgebeutet,
500 Häftlinge bei den SSW in Neustadt-Coburg. Die von Karl Heinz
Roth für die Wiener Siemenswerke angeführte Zahl von 400
Häftlingen (1944) aus dem KZ-Mauthausen kann hingegen hier nicht
verifiziert werden. Bei jenem von Roth angeführten jüdischen
Zwangsarbeiterlager in "Niederdonau" handelt es sich um das im Juni 1944
errichtete Lager in Pischelsdorf bei Zwentendorf. Hier müssen ungarische
Juden und Jüdinnen für die SSW Schaltanlagen produzieren.
Daneben verlegt Siemens Produktionsstätten in die Nähe von KZ, bis
1945 entstehen 34 derartige Außenkommandos: 1943 müssen 1200 Frauen
aus Auschwitz im acht Kilometer entfernten Bobrek für die SSW arbeiten,
1944 folgen nochmals 1500. Der Auschwitz-Kommandant Höß sagt
1947 aus, daß jeden Monat rund ein Fünftel der Häftlinge,
welche für die zahlreichen Industriebetriebe in/beim Lager arbeiten
mußten, starb oder "wegen Arbeitsunfähigkeit zur Vernichtung von den
Betrieben an die Lager zurückgeschickt" wurde. Bei den KZ Buchenwald,
Flossenbürg und Groß-Rosen werden von Siemens insgesamt 2150
Häftlinge ausgebeutet.
Schließlich nimmt Siemens die Fertigung direkt in den Lagern auf: In
Buchenwald und Groß-Rosen produzieren 1944 700 Häftlinge für
den Konzern. Im Frauenlager Ravensbrück läßt Siemens bereits ab
1942 Güter herstellen. Seit 1944 werden dort auch rund 100 Häftlinge
aus dem nahegelegenen "Jugendschutzlager" Uckermark eingesetzt. Die
durchschnittlich 2000 bis 2300 von Siemens-Managern ausgewählten
Häftlinge müssen in 20 eigens errichteten Baracken unter der
arbeitsteiligen Aufsicht von firmeneigenen AntreiberInnen und SS-Personal
elektronische Kleingeräte herstellten. Bei gerade noch zum Überleben
ausreichender Verpflegung müssen die Frauen durchschnittlich mehr als 62
Stunden in der Woche arbeiten. Mit der permanenten Morddrohung werden die
Häftlinge zu Höchstleistungen angetrieben. In den "Monatsberichten
der Fertigungsstelle Ravensbrück" wird im trockenen Technokratendeutsch
monatlich penibelst Bilanz gezogen und angeführt, wie viele Häftlinge
durch Tod "abgeschaltet" wurden.
Während Siemens nach 1945 sich stets bemühen wird, die Zwangsarbeit
von KZ-Häftlingen als nicht erwünscht darzustellen und in ihrer
ökonomischen Bedeutung für den Konzern herunterzuspielen, stellt
Direktor Mühlbauer noch am 9. Jänner 1945 fest, "daß der
Häftlingseinsatz in der Fertigung (...) sehr befriedigend läuft." Und
von wegen "Zuweisungen": "Die benötigten Frauen", so Mühlbauer
weiter, "können, wenn Unterbringung sichergestellt und Einsatz ohne
zusätzliche Wachmannschaften möglich ist, jederzeit in
Ravensbrück über Sachsenhausen angefordert und an Ort und Stelle
ausgesucht werden."
Einer "Vernichtung durch Arbeit" kommen insbesondere die Bedingungen bei den
Untertageverlagerungen und Bunkerwerken nahe. An der Produktion von Lenkwaffen,
die 1943 in Stollen nahe Nordhausen verlegt wird, ist Siemens ebenfalls
beteiligt. Insgesamt fast 15000 Häftlinge des KZ Dora Mittelbau werden
v.a. im Berg bei der Produktion von V1 und V2-Raketen ausgebeutet. Die genaue
Anzahl der KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter, die für die
Siemens-Bauunion (SBU) schuften mußten, ist nicht bekannt. Zwischen April
1942 und dem Frühjahr 1943 werden insgesamt an die 3000 Männer aus
dem Getto Plaszow bei Krakau im Eisenbahn- und Brückenbau ausgebeutet. Ab
1942 müssen über 1000 Männer aus mindestens 13 verschiedenen
Lagern für die SBU im jugoslawischen Bor Stollen in den Berg jagen.
Im Herbst 1943 wird ein Nebenlager des KZ Mauthausen in Ebensee eröffnet:
Bis zur Befreiung am 6. Mai 1945 sterben hier 8745 Menschen, zusätzlich
werden kranke bzw. arbeitsunfähige Häftlinge bis Ende 1944 nach
Mauthausen rücküberstellt und dort ermordet. Die Häftlinge des
KZ Ebensee, wo im April 1945 18509 Menschen gefangen sind, müssen v.a.
Stollen für die beabsichtigte Rüstungsproduktion graben - diese
mörderischen Arbeiten dauern bis zum 4. Mai an. Unter den Baufirmen, die
in Ebensee Sklavenarbeit verrichten lassen, finden wir ebenfalls die SBU: Die
Siemens-Tochter (ver)nutzt hier die Arbeitskraft von fast 500 männlichen
Häftlingen.
Ab 1944 wird in Mühldorf am Inn das Projekt "Weingut I" forciert:
Zwangsarbeiter und mehr als 4500 Häftlinge bauen hier einen riesigen
Bunker, der zahlreichen deutschen Industriebetrieben - darunter natürlich
wieder Siemens - Schutz vor alliierten Bombenangriffen bieten soll. Für
die Produktion von kriegswichtigen Gütern unter Tag waren 30000
Häftlinge vorgesehen. Am 7. Dezember 1944 treffen sich die führenden
Köpfe der zur "Kriegsbetreibergemeinschaft" zusammengeschlossenen Firmen,
darunter für Siemens der bereits erwähnte Friedrich Lüschen.
Über dieses Treffen schreibt Rainer Fröbe: "Wohl nur noch in
Auschwitz sind Spitzen der deutschen Industrie so direkt mit dem Massensterben
konfrontiert worden wie bei jenem beispielslosen Ortstermin in Mühldorf".
Beim Projekt "Weingut I" ging es den beteiligten Firmen aber weniger um sichere
Rüstungsproduktionsstätten als um unterirdische Lagerhallen für
Maschinen, die vor der näherrückenden Roten Armee in Sicherheit
gebracht werden sollen.
Angesichts der drohenden Einnahme durch die sowjetische Armee zieht mann es bei
Siemens vor, die Komandoebene von Berlin nach München zu verlegen, Ende
1944 zieht der Sohn von Carl Friedrich von Siemens, Ernst von Siemens, samt
Stab dorthin. Dieser übernahm (inoffiziell) rechtzeitig die
Geschäfte, sodaß die kurzfristige Internierung von dessen Bruder
Hermann, der aufgrund seiner führenden Funktion in der Deutschen Bank von
den USA auf die Kriegsverbrecherliste gesetzt wird, nicht weiter schmerzt.
Schon 1951/52 war der (fast) von jeder Schuld freigesprochene Siemenskonzern
wieder mit 11,7 Mrd. DM zu 22,3% am BRD-Gesamtindustrieumsatz beteiligt.
Zu Beginn der 60er Jahre gelingt es der Jewish Claims Conference,
gegenüber Siemens eine einmalige Entschädingungzahlung von etwas mehr
als sieben Millionen DM durchzusetzten. Insgesamt 2203 Überlebende
erhalten jeweils höchstens 3300 DM, wobei sich die Konzernleitung beeilt,
mitzuteilen, daß dies nicht einer Anerkennung "rechtlicher oder
moralischer Verpflichtungen" gleichkomme. Daß diese lächerlichen
"Entschädigungen" kein Schuldein-geständnis von Siemens bedeuten und
daß kein Rechtsanspruch der ehemaligen ZwangsarbeiterInnen besteht, wird
1989 erneut deutlich: Die ehemalige Zwangsarbeiterin Waltraud Blaas verliert
einen Musterprozeß um finanzielle Abgeltung ihrer Arbeit und eine
Entschädigungszahlung gegen das neuerlich zum Weltkonzern aufgestiegene
Haus Siemens.
Literatur:
Delius, F. C.: Unsere Siemens-Welt. Eine Festschrift zum 125jährigen
Bestehen des Hauses. Berlin 1972
Feldenkirchen, Wilfried: Siemens 1918-1945. München 1995
Ferencz, Benjamin B.: Lohn des Grauens. Die Entschädigung jüdischer
Zwangsarbeiter - Ein offenes Kapitel deutscher Nachskriegsgeschichte.
Frankfurt/M. 1981
Fröbe, Rainer: Der Arbeitseinsatz von KZ-Häftlingen und die
Perspekktive der Industrie, 1943-1945. In: Herbert, Ulrich (Hg.): Europa und
der "Reichseinsatz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und
KZ-Häftlinge in Deutschland 1938-1945. Essen 1991
Gossweiler, Kurt: Kapital, Reichswehr und NSDAP 1919-1924. Köln 1982
Roth, Karl Heinz: Zwangsarbeit im Siemens-Konzern (198-1945). Fakten -
Kontroversen - Probleme. In: Kaienburg, Hermann (Hg.): Konzentrationslager und
deutsche Wirtschaft 1939-1945. Opladen 1996
Sachse, Carola: Zwangsarbeit jüdischer und nichtjüdischer Frauen und
Männer bei der Firma Siemens 1940 bis 1945. In: IWK 1/91
Siegel, Tilla: Die doppelte Rationalisierung des "Ausländereinsatzes" bei
Siemens. In: ebd.
Sohn-Rethel, Alfred: Industrie und Nationalsozialismus. Aufzeichnungen aus dem
"Mitteleuropäischen Wirtschaftstag". Mit einer Einleitung von Carl
Freytag. Berlin 1992
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