LOTTA DURA

 

Nr. 9/97

 Geschichte

Siemens Teil I
(LD 8/97)

Erklärung der Lagergemeinschaft Ravensbrück

 

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Siemens abschalten II

Wie der Konzern wieder deutsch wurde

Im zweiten Teil unserer Kriminalgeschichte des Siemens-Konzerns wollen wir uns mit dessen Engagement in Österreich beschäftigen. Dabei interessiert v.a. die Rolle des deutschen Multis bei der Zerschlagung der Verstaatlichten und dessen Verschmelzung mit der politisch herrschenden Klasse. Im dritten und letzten Teil soll dann das Engagement von Siemens in Osteuropa im Mittelpunkt stehen. Auch die Aktivitäten des Konzerns im organisierten Rechtsextremismus werden uns dann beschäftigen.

MIT SIEMENS "HEIM INS REICH"

Die Geschichte des Siemens-Konzerns in Österreich beginnt - nach einem fehlgeschlagenen Versuch zwischen 1858 und 1864 - mit der Eröffnung einer Filiale 1879 und der Aufnahme der Produktion von elektronischen Geräten 1883. Die ersten Aufträge betreffen den Aufbau des öffentlichen Schienenverkehrs und die Errichtung von E-Werken in Wien. Wie im deutschen Kaiserreich ist der Konzern auch in der k&k-Monarchie von Anfang an von staatlichen und kommunalen Aufträgen abhängig. Er boomt mit der Elektrifizierung des öffentlichen Lebens und dem Aufbau des Telefonwesens. Zur Jahrhundertwende erfolgt auch in Österreich-Ungarn die Trennung in Bereiche für Stark- und Schwachstrom. 1904 wird in Wien eine Filiale der Siemens-Schuckert-Werke (Starkstromtechnik) eröffnet. Im selben Jahr zählt Siemens & Halske (S&H) 1086 und Siemens-Schuckert (SSW) 2851 Beschäftigte. Für die k.u.k. Marine werden Kriegsschiffe elektrifiziert, eine mit dem Berliner Stammhaus vergleichbare Rüstungsproduktion wird jedoch nicht aufgenommen.

Die Bedeutung des Zerfalls des Habsburger Völkerkerkers für das Haus kommentiert ein Firmen-Apologet wiefolgt: "Der unglückliche Ausgang des Ersten Weltkrieges und der Zerfall der alten Donaumonarchie bewirkten einen argen Rückgang der Geschäfte der Siemens-Betriebe. Die Fabriken befanden sich zum größten Teil in Wien und waren für den Bedarf von 50 Mill. Einwohnern der Monarchie ausgerüstet, während das kleine Restösterreich nur 7 Mill. zählte."

Aber bereits 1922 hat sich der Beschäftigungsstand wieder auf 2035 (S&H) bzw. 5892 (SSW) erhöht. In der Ersten Republik profitiert Siemens v.a. vom Ausbau des Kraftwerkswesens und des öffentlichen Verkehrs. Die österreichischen SSW eröffnen darüber hinaus Tochtergesellschaften in Prag, Jugoslawien, Rumänien, Ungarn und Bulgarien. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise baut auch Siemens massiv Beschäftigte ab: von 11 700 (1929) auf 4500 (1934).

Am Vorabend des "Anschlusses" ist S&H zu 100% und SSW zu 60% in deutscher Hand. Die gesamte Elektroindustrie Österreichs weist Anfang 1938 einen deutschen Eigentumsanteil von 19% auf, 1945 belief sich dieser auf 72%. 1939 wird als formal selbständiges Unternehmen das Kabelwerk in der Wiener Siemensstraße als Wiener Kabel- und Metallwerke AG (WKM) eingetragen. Die übrigen Siemens-Anteile gehen 1938 direkt an das Berliner Stammhaus, die handels-/aktienrechtliche Eigenständigkeit von Siemens in Österreich ist somit erloschen. Mit dem Verweis auf den deutschen Besitz während der NS-Zeit wehrt Siemens-Österreich bis heute alle Ansprüche von ehemaligen ZwangsarbeiterInnen ab.

NOTLöSUNG VERSTAATLICHUNG

1946 befinden sich diese vormals deutschen Eigentumstitel an Siemens auf der Liste der 70 zu verstaatlichenden Betriebe. Während S&H in der britischen Zone liegt und Österreich zur Verwaltung übergeben wird, befindet sich SSW in der sowjetischen Zone und wird im April 1946 in die USIA-Verwaltung eingegliedert. Am 16. September 1946 wird der nunmher verstaatlichte Betrieb S&H als Ges.m.b.H. eingetragen. Im selben Jahr werden darüber hinaus die ebenfalls staatlichen SSW gegründet, um den Anspruch der Republik auf die in der sowjetischen Zone liegenden Produktionsstätten zu verdeutlichen. Den beiden verstaatlichten Siemens-Töchtern wird 1946 in den "Innsbrucker Verträgen" die Generalvertretung für die Produkte des deutschen Stammhauses übertragen, wodurch die Anbindung an den wiedererstarkenden Multi prolongiert wird. In der Folge wird diese Abhängigkeit durch weitere Lizenz- und Vertriebsverträge zementiert. So dürfen die staatlichen Siemens-Betriebe ihre Produkte nur mit Erlaubnis der BRD-Zentrale auf westlichen Märkten vertreiben und müssen weitgehend auf eigenständige Forschung und Entwicklung verzichten.

1955 werden die zuvor in der sowjetischen Zone gelegenen Fabriken mit den restlichen Produktionsstätten von SSW zusammengelegt, erst ab jetzt ist eigentlich von einem verstaatlichten Siemens-Starkstrombereich zu sprechen. Zwei Jahre später wird die öffentliche Verwaltung der Siemens-Betriebe aufgehoben und für die beiden verstaatlichten Gesellschaften werden Vorstände eingesetzt. Während die Republik die verstaatlichten Elektro-Konzerne Elin-AG und AEG Union fusioniert, bleibt Siemens jedoch als weitaus größter Konzern selbständig. Unter dem Druck des deutschen Stammhauses verabsäumt es die Republik, eine schlagkräftige, unabhängige Elektro-Industrie aufzubauen.

Reprivatisierung

Mit dem Staatsvertrag beginnen auch die Versuche der ehemaligen Eigentümer, ihre Besitztitel in Österreich zurückzuerlangen. Da diese zunächst erfolglos bleiben, setzen die deutschen Siemens-Vertreter die verstaatlichten Töchter unmittelbar unter Druck. So müssen diese auf Verlangen des Münchener Stammhauses umbenannt werden: SSW in Wiener Starkstromwerke (1958), S&H in Wiener Schwachstromwerke (1965).

Bei der Reprivatisierung des Siemens-Komplexes sollte der 1939 formal ausgegliederten WKM eine bedeutende Rolle zukommen. Die WKM wird nach Abschluß des Staatsvertrages als Fünfte Kolonne für den Ausbau der westdeutschen Siemens-Position in Österreich benutzt. Ohne mit den Bestimmungen des Staatsvertrages, die eine neuerliche Übermacht des deutschen Kapitals in Österreich hintan halten sollten, in Konflikt zu geraten, kann Siemens über seine Luxemburger Tochter Emcolux 1958 60% an der WKM übernehmen. Darüber hinaus werden der WKM die Forschungs- und Entwicklungsergebnisse des deutschen Stammhauses zur Verfügung gestellt - ein enormer Wettbewerbsvorteil gegenüber der verstaatlichten Elektroindustrie.

Die sogenannte "Siemens-Lösung" erfährt nach den 1963 öffentlich gewordenen und gescheiterten Reprivatisierungsverhandlungen 1967 einen entscheidenden Impuls: Anfang Juli gründet die mehrheitlich im deutschen Eigentum befindliche WKM die Siemens Ges.m.b.H., die zentrale Geschäftsbereiche der Wiener Starkstromwerke übernimmt. Die im staatlichen Besitz verbliebenen Bereiche werden mit der Elin-Union AG fusioniert, welche wiederum zu 25% an der WKM beteiligt und in Kooperationsverträgen im Starkstrombereich an Siemens/BRD gekettet wird.

1969 tragen schließlich die WKM (49%) und die staatlichen Wiener Schwachstromwerke (48%) die Nachrichtentechnischen Werke AG (NTW) als Neugründung ein. 90% der Unternehmensaktivitäten der Schwachstromwerke gehen an die NTW über, die verbleibenden Reste werden nach der Gründung der Siemens Österreich AG 1971 an die Elin-Union AG angeschlossen.

SIEMENS AG ÖSTERREICH

Am 1. Juli 1971 wird die Siemens AG Österreich als ein Zusammenschluß von NTW, Siemens Ges.m.b.H. und weiteren Siemens-Töchtern gegründet. 43,6% der Anteile gehen an die Republik (via Österreichische Industrieholding AG (ÖIAG)), 56,4% an das BRD-Stammhaus (via Siemens Beteiligungen AG, Zürich). Dies ist das Ergebnis jahrzehntelanger Anstrengungen, einen deutschen Konzern unter Umgehung des Staatsvertrages wieder in Österreich zu etablieren. Gleichzeitig festigen aktualisierte Produktionsabstimmungsverträge zwischen Siemens und Elin die Unterordnung der verstaatlichten Elektroindustrie unter Siemens weiter.

Nach der Gründung der Siemens AG Österreich setzt die Konzernleitung ihre Interessen auch innerhalb der ÖIAG durch. Dies wird zum einen ermöglicht durch die Umorientierung der Verstaatlichtenpolitik der SPÖ auf das westeuropäische, insbesondere deutsche Monopolkapital, zum anderen durch die personellen Verflechtungen zwischen Siemens-Konzern bzw. Deutsche Bank und ÖIAG-Führungsetage. Während bspw. Siemens im Verbund mit der Republik ein Hochtechnologiezentrum in Villach eröffnet, wird der Rückstand von Elin bei Forschung und Entwicklung durch staatliche Untätigkeit fortgeschrieben. Mitte der 80er Jahre "verbietet" die ÖIAG darüber hinaus der Elin-Union AG den Kauf des Elektro-Großunternehmens Felten & Guillaume, wodurch der staatliche Betrieb seinen Marktanteil in den Bereichen Kabel und Elektromotoren schlagartig erweitern hätte können und so zum ernsthaften Konkurrenten von Siemens geworden wäre.

Auch im Zuge der Privatisierung von Teilen der Elin-Union AG setzen sich die Siemens-Interessen durch: Während die SPÖ ab 1986 zunächst den Verkauf an den deutschen Konkurrenten AEG forciert, macht sich Siemens für eine "österreichische Lösung" stark. Diese hat sich - wenig überraschend - durchgesetzt und bedeutete die stückweise Veräußerung von Elin (17,6% etwa an Siemens).

Heute ist Siemens-Österreich, das mehr als 11000 Menschen beschäftigt und rund 3,4% zum weltweiten Umsatzes des Siemens-Konzerns beiträgt, zu 74% im Besitz der Siemens Beteiligungen AG Zürich; die restlichen 26% hält weiterhin die staatliche ÖIAG, welche heute Austrian Industries heißt.

STAAT UND MONOPOL

Mehr als ein Viertel des Umsatzes werden jeweils in den Geschäftsbereichen 1 (Kommunikationswesen) und 2 (Anlagen-/Verkehrstechnik, Energieerzeugung/-übertragung/-verteilung, Bau-/Anlagenplanung) erwirtschaftet. Der Anteil der Bereiche 3 (Programm- und Systementwicklung) und 4 (Medizinische Technik, Bauelemente, Antriebs-/Schalttechnik) am Umsatz beläuft sich jeweils auf ca. 20% und in den Bereichen Elektrogeräten und Audio-/Videosysteme je auf ca. 5%. Aus dieser Geschäftsstruktur geht bereits die Bedeutung des öffentlichen Konsums für die Siemens AG Österreich hervor. Entsprechend ihrer Interessenlage verfügt die Konzernleitung über eine enge Anbindung an staatliche Instanzen. Dort wird Lobbying in Reinkultur betrieben: So kann Siemens einerseits die kapitalintensive Forschungs- und Entwicklung teilweise zunächst (über Drittmittelfinazierung der Technischen Universität bzw. den Technologiepark Villach) an den Staat delegieren und dann über deren Resultate verfügen. Andererseits hat der Konzern im institutionellen Zentrum des Staates Zugriff auf die Rosinen im vormaligen Verstaatlichten-Kuchen. So hat Siemens bspw. im Bereich Verkehrstechnik mit der im Dezember 1993 erfolgten Ausweitung der Beteiligung an der Simmering-Graz-Pauker Verkehrstechnik Ges.m.b.H. (SGP) von 26 auf 74% weitere Positionen gewonnen und damit den Ausbau des öffentlichen Schienenverkehrs praktisch monopolisiert. Das aus der quasi Monopolstellung der SGP herrührende Preisdiktat veranlaßte den damaligen Verkehrsminister Rudolf Streicher zur resignierenden Bemerkung "Die Gewinne der SGP kann ich in den Bilanzen der ÖBB als Verluste wiederfinden."

Die staatsmonopolistische Verschmelzung erfuhr unter dem neuen Kanzler Klima einen qualitativen Sprung: Dieser berief ausgerechnet den Siemens-Generaldirektor Albert Hochleitner in eine "Projektgruppe Technologie", welche die Bundesregierung beraten soll. Mensch braucht nicht viel Phantasie, um zu erahnen, wohin diese Gruppe unter der Ägide von Siemens-Österreich bis 1999 insgesamt drei Milliarden Schilling aus dem öffentlichen Haushalt schaufeln wird.


Literatur:

Atzenhofer Rosmarie: Wie das Deutsche Eigentum wieder "deutsch" wurde. In: Scherb, M./Morawetz, I. (Hg.): In deutscher Hand? Österreich und sein großer Nachbar. Wien 1990

Hofbauer, Hannes: Westwärts. Österreichs Wirtschaft im Wiederaufbau. Wien 1992

Karazman-Morawetz, Inge: Wirtschaftsmacht und politischer Einfluß. In: Dachs, Herbert et al. (Hg.): Handbuch des politischen Systems Österreichs. Wien 19922

Meth-Cohn, Delia: Der Abbau der Verstaatlichungsidee in der SPÖ und der Labour Party: Eine vergleichende Analyse. In: ÖZP 3/1988

Morawetz, Inge: Personelle Verflechtungen der Verstaatlichten Industrie mit der Privatindustrie. Zur Geschichte einer personalpolitischen Konstante. In: Scherb, M./Morawetz, I. (Hg.): Stahl und Eisen bricht... Industrie und staatliche Politik in Österreich. Wien 1986

dies.: Privatisierungspolitik in Österreich: Entstaatlichung als Umstrukturierung des Verhältnisses von staatlichem und privatem Wirtschaftseigentum. In: ÖZP 4/1988

dies.: Schwellenland Österreich? Aktuelle Veränderungen der österreichischen Eigentumsstrukturen im Sog der Internationalisierungsstrategien der Bundesrepublik Deutschland. In: Scherb, M./Morawetz, I. (Hg.): In deutscher Hand? Österreich und sein großer Nachbar. Wien 1990

Scherb, Margit: SPÖ und Verstaatlichte Industrie oder: Die Angst vor dem Fliegen. In: Scherb, M./Morawetz, I. (Hg.): Stahl und Eisen bricht... Industrie und staatliche Politik in Österreich. Wien 1986

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