TATblatt


orange 94,0 - "das freie radio in wien"

schwarze flecken?!...

das aus für "nachrichten orange"

Sie wollten allabendlich eine umfassende nachrichtensendung, mehrmals täglich kurznachrichten und zu besonders aktuellen anlässen breaking news machen: die leute der inzwischen ehemaligen nachrichtengruppe von orange 94,0. Nicht zuletzt im TATblatt (+99, +100) wurde daher vor dem sommer zur zusammenarbeit mit "nachrichten orange" aufgerufen. Davon übriggeblieben ist: nichts. Auf veranlassung der herausgeberInnen des radios wurde den "nachrichten orange" kein sendeplatz zur verfügung gestellt. Wir fragten die ehemalige nachrichtengruppe und die herausgeberInnen des radios nach dem grund dafür und nach ihrer sicht der dinge.

[stellungnahme aus der ex-nachrichtengruppe]
[stellungnahme der radio-herausgeberInnen]
[kasten: strukturelles]
[allgemeiner artikel über orange 94,0]
 

Zensur? 

von einem aus der ehemaligen nachrichtengruppe 

Die "nachrichten orange" hätten ein weitestgehend offenes forum für alle halbwegs fortschrittlichen, politisch und gesellschaftlich aktiven gruppen und einzelpersonen sein sollen. 

traum 

Sie hätten zum ersten mal die möglichkeit bieten können, rasch und nicht erst nach ein oder zwei wochen auf politische ereignisse, vorgänge, entwicklungen, ... zu reagieren. Sie hätten geholfen, die tellerränder der verschiedenen linken kleingruppen-süppchen zu überwinden, und und und (siehe TATblatt +99). 

und wirklichkeit 

Im juni wurde uns dann von den herausgeberInnen des radios eröffnet, dass die von uns geplanten nachrichten nicht auf sendung gehen dürfen. Ein sich seit monaten hinziehender konflikt erreichte seinen zumindest vorläufigen höhepunkt. 

chronik 

Die nachrichtenredaktion bildete sich beim großen radioplenum am 14. jänner 1998 auf einen aufruf der radio-herausgeberInnen. Sie setzte sich aus leuten aus verschiedenen linken gruppen zusammen, aus spö, grün-alternativer jugend, homosexueller initiative wien, revolutionär kommunistischer liga, gegeninformationsoffensive aug und ohr, jugend gegen rassismus in europa, hilfe für die vergessenen, revolutionsbräuhof, rosa antifa wien,  tu-club, arge für wehrdienstverweigerung, deserteurs- und flüchtlingsberatung und dem TATblatt - eine ziemlich breite mischung von gruppen, die sonst kaum zusammenarbeiten können. Und die redaktion sollte noch vielfältiger werden. Es wurde daher in den nächsten wochen vor allem nach strukturen gesucht, welche die zusammenarbeit allen politischen differenzen und persönlichen animositäten zum trotz ermöglichen und die pluralität sichern sollten. Es entstanden ein inhaltliches konzept, das von den herausgeberInnen verlangt worden war und den kleinsten gemeinsamen nenner für die beteiligten leute darstellte, und ein strukturelles konzept, in der die bildung von voneinander unabhängigen arbeitsfähigen tagesverantwortlichen gruppen vorgesehen war. Die nachrichtensendungen wären diesem konzept zufolge sehr widersprüchlich geworden, und die hörerInnen damit zwangsweise ständig gefordert gewesen, sich selbst gedanken zu machen und sich selbst eine meinung zu bilden. Dies erschien uns als das den pluralismus-ansprüchen einzig angemessene und bei der zusammensetzung der redaktion einzig praktikable modell. 

Die langwierigen und mühseligen diskussionen, die zur konsensuellen entwicklung dieses modells nötig waren, haben leider viel zu viele dazu bewogen, nicht mehr zu den plena zu kommen. Zwar hatten insgesamt 16 leute versichert, bei sendestart zur verfügung zu stehen, an den mühseligen treffen wollten sie sich allerdings nicht beteiligen. Von unserem selbst gesetzten ziel, mindestens 21 leute zu sein, um unser konzept halbwegs umsetzen zu können, waren wir auch noch ein stück entfernt. Diesbezüglich vertrauten wir aber darauf, dass sich nach sendestart genug leute finden würden, die mit unserer arbeit unzufrieden wären und kommen würden, um es besser zu machen. 

Zu diesem zeitpunkt - im april - meldeten die herausgeberInnen des radios zum ersten mal ihre zweifel an der pluralität und breite der nachrichtenredaktion an. Angesichts der kleinen plenarrunden konnten die zweifel schwerlich zerstreut werden. 

Unter berufung auf die richtlinien des radios regten die herausgeberInnen damals an, dass die nachrichtenredaktion nicht mehr länger eine "redaktion", sondern eine "radiogruppe" sein sollte. 

Redaktionen sind in den richtlinien des radios als "offene Gruppen" definiert, deren sendungen "den Erfordernissen der inhaltlichen und formalen Meinungsvielfalt bzw. Pluralität entsprechen" müssen. Radiogruppen müssen hingegen nicht offen und binnenpluralistisch organisiert sein. 

An dieser umdefintion hatten die damals anwesenden nachrichtenleute nichts auszusetzen. Es wurde vereinbart, dass die damals geplante allabendliche nachrichtenstunde mit anderen gruppen geteilt werden solle. Und es wurde von den herausgeberInnen versichert, dass die tägliche sendung damit nicht in frage gestellt sei. 

Was wir dabei übersehen haben, ist der passus in den statuten, der nur redaktionellen sendungen tägliche sendungen erlaubt. 

Ein fauxpas, auf den wir aber in den folgenden monaten kein einziges mal aufmerksam gemacht worden waren, obwohl wir an den täglichen sendungen in neuen konzepten, in aussendungen und zahlreichen persönlichen gesprächen immer festgehalten haben. Kritisiert wurden von den herausgeberInnen immer nur kleinigkeiten, wie dass wir den sendernamen falsch geschrieben haben. Und mal warfen sie uns vor, dass wir uns zu wenig, mal dass wir uns zu sehr mit dem gesamtprojekt identifizieren. 

Die erklärung, dass wir nicht täglich senden dürfen, erfolgte erst  im juni im rahmen eines zur beseitigung von missverständnissen und konflikten vereinbarten treffens. 

formales 

Gemäß dem buchstaben der richtlinien ist das sendeverbot für die nachrichtengruppe durchaus nachvollziehbar. Wenn mit der gleichen akribie aber auch an andere tägliche sendungen herangegangen würde, die in viel geringerem maße pluralistisch zusammengesetzt sind als es die nachrichtengruppe war, würde es auf orange 94,0 sehr still werden (was wir - um da keine missverständnisse zuzulassen - keinesfalls wollen!) 

Nicht anhand der richtlinien erklärbar ist aber die offensichtlich nicht haltbar gewesene mündliche zusage vom april, der zufolge tägliche sendungen für uns sehr wohl möglich wären. Diese zusage wird von uns heute so interpretiert, dass sie nur gegeben wurde, damit wir uns mit der umdefinition in radiogruppe einverstanden erklärten. Denn dekretieren hätten die herausgeberInnen dies laut richtlinien nicht können. 

Nicht richtlinienkonform ist unseres erachtens ferner, dass die sendung von den herausgeberInnen entgegen anderslautender beschlüsse der mitarbeiterInnengemeinschaft verhindert wurde, obgleich die programmkompetenz gemäß richtlinien und gemäß dem zwischen herausgabeverein und mitarbeiterInnengemeinschaft (später) abgeschlossenen herausgabevertrag eindeutig beim mitarbeiterInnenverein liegt. 

In den richtlinien ist für solche streitfälle die anrufung einer expertInnenkommission vorgesehen, die vorschläge zur schlichtung des konflikts machen kann. Diese gab es aber einfach noch nicht und es gibt sie bis heute nicht. Im herausgabevertrag ist mittlerweile wenigstens festgelegt, dass sie bis spätestens 5. november einberufen werden muss. 

spekulationen 

Über die gründe für das vorgehen der herausgeberInnen können wir nur spekulieren. Dass sie befürchtungen gehegt hätten, dass die von uns konzipierten nachrichten subventionen und sponsoring gefährdet hätten, wird von ihnen strikt zurückgewiesen. Dass solche befürchtungen aber nicht aus der luft gegriffen wären, beweisen die alljährlichen konflikte um die vergabe der staatlichen publizistikförderung für alternative printmedien. Da sie von den herausgeberInnen aber nie geäußert wurden und auch bis heute abgestritten werden, war es auch nicht möglich, gemeinsam nach einem ausweg aus diesem möglichen problem zu suchen. 

info-forum 

Gleichzeitig mit dem abservieren unserer nachrichtengruppe begannen die herausgeberInnen mit der projektierung eines "info-forums". An dem info-forum sollen sich alle radiogruppen beteiligen, indem sie aktuelles aus ihren bereichen zuliefern. Auch wir waren dazu eingeladen, uns am info-forum zu beteiligen. So ziemlich keineR von uns konnte sich das allerdings, nach allem, was vorgefallen war, noch vorstellen. Wir befürchten, dass sich die herausgeberInnen beim info-forum größtmögliche zugriffsmöglichkeiten sichern wollen, um missliebige inhalte eliminieren zu können. Unser versuch, bei einem info-forums-treffen fragen nach der selektion von beiträgen und - damit verbunden - nach strukturen zur verhinderung von zensur anzusprechen, wurde abgeblockt. Mit unseren vorstellungen von politischer information ist das konzept des info-forums, so wie es sich derzeit darstellt, nicht vereinbar. Ein zumindest fünf minuten langer, von uns gestalteter block innerhalb des info-forums wurde abgelehnt. 

trotz allem 

Das einzige was uns zugesagt wurde, war die möglichkeit, eine wöchentliche sendung zu machen. Über den sinn einer solchen sendung gibt es bei uns unterschiedliche meinungen. Die möglichkeit des raschen und unmittelbaren reagierens auf politisch/gesellschaftliche ereignisse, die eine tägliche sendung geboten hätte, kann eine wöchentliche sendung nicht bieten. Sie wird genauso selten ausgestrahlt wie alternative printmedien erscheinen. In zeitschriften können themen dafür ausführlicher und tiefschürfender behandelt werden. Andererseits eröffnet das medium radio einige neue möglichkeiten der vermittlung von inhalten - etwa durch originaltöne, durch die möglichkeit von diskussionen und einiges mehr. 

Ein teil der ehemaligen nachrichtenredaktion macht daher nun jeden freitag "trotz allem - das politische journal" (jeden freitag von 20 bis 21 uhr). Andere haben dem radio angefressen den rücken gekehrt. Und wieder andere arbeiten an neuen konzepten ... 
 
 
Um immer wieder auftauchende missverständnisse vorzubeugen: Wir halten es für wichtig, orange 94,0 für politische und gesellschaftliche anliegen zu nutzen - wie es einige radiogruppen ja auch schon - mal mehr, mal weniger - tun. Da gibt's nicht nur "trotz allem", sondern auch das "autonome und anarchistische radio", die frauenschiene, "augustin", "werkfunk" und durchaus noch einiges mehr. Das radio eröffnet möglichkeiten, die es vorher hierzulande nicht gegeben hat. Es eröffnet neue rezipientInnenkreise, neue möglichkeiten der vermittlung von inhalten. Es bietet ein kulturrevolutionäres potential, das genutzt werden muss. Auch wenn einiges vielleicht noch erkämpft werden muss, und das - wie das beispiel nachrichtenprojekt zeigt - nicht immer unbedingt glatt geht: die möglichkeiten, die orange 94,0 bei aller kritik bietet, nicht zu nutzen, wäre eine nicht zu verantwortende selbstbeschränkung. 

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Pluralität!

Statement des Herausgabevereins von ORANGE 94.0 zum Thema Nachrichten im Freien Radio 

Der Konflikt rund um das Thema Nachrichten bewegt sich inzwischen  in seinen Ausläufern - auf einer Ebene, die persönlich beleidigend gegenüber Mitgliedern des Vorstands des Trägervereins und das Radioprojekt als solches diskreditierend vorgeht. 

Deswegen wollen wir dazu in aller Kürze Stellung nehmen. Es geht um die reichlich komplexe Frage von Nachrichten in einem Freien Radio. Nachrichten repräsentieren in ihrer Bewertung von außen immer ein Projekt als Ganzes, stellen sozusagen die Zuspitzung und Komprimierung eines Radios dar. Aber auch aus der innenpluralen Struktur eines Freien Radios, aus seiner Zusammensetzung aus verschiedensten Gruppen und einzelnen Leuten ergibt sich der logische Ansatz, daß Nachrichten die Vielfalt an Themen und Standpunkten bzw. Sichtweisen innerhalb des Projekts zusammengefaßt transportieren sollen. 

Nach einer langen Vorbereitungsphase und dazugehörigen Diskussionen hat die Gruppe, die die Nachrichten machen wollte, nicht vermittelt, daß sie diesen innenpluralen Ansatz gewährleisten würde. Die Inhalte finden sich jetzt in einer eigenen Sendung wieder, sind also sicherlich ein Teil der Inhalte eines Freien Radios. 

Daß es bis jetzt keine Nachrichtensendung gibt, heißt nicht, daß es keine Nachrichten auf Orange geben soll. Mit dem "Info-Forum" ist  sozusagen in einem zweiten Anlauf  der Versuch gestartet, ein Nachrichtenmagazin am Abend unter Einbeziehung der Beiträge von möglichst vielen Radiogruppen zusammenzustellen. 

Insgesamt sehen wir die Diskussion über Nachrichten im Freien Radio (dort, wo sie tatsächlich eine Diskussion ist) als einen Diskurs über das Radioprojekt, über Vorstellungen von Öffentlichkeit, über verschiedene Medienverständnisse. 
 
 

Daß wir als Vorstandsmitglieder des Trägervereins den Aufgabenbereich "Aufrechterhaltung der Infrastruktur" übernommen haben, kann nicht heißen, daß uns das Programm und die Inhalte des Radios nicht mehr interessieren. Um die Inhalte diskutieren zu können und auch diverse aktuelle Anläße, wie z.B. den Sendeausfall etc., schlagen wir die Einrichtung eines Diskussionsorts für diejenigen RadiomacherInnen vor, die an einer Reflexion des Projekts interessiert sind. 
 
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strukturelles

Zum besseren verständnis des artikels ein bisserl vereinsmeierei: Hinter Orange 94,0  stehen formell zwei vereine: der träger- bzw. herausgabeverein "Verein zur Förderung und Unterstützung freier lokaler nicht-kommerzieller Radioprojekte" - kurz "Freies Radio Wien" - und der redaktions- oder mitarbeiterInnenverein "MitarbeiterInnengemeinschaft für ein Freies Radio in Wien". Diese konstruktion ist erforderlich, da laut regionalradiogesetz "Hörfunkveranstalter oder ihre Mitglieder [...] öster-reichische Staatsbürger oder juristische Personen oder Personengesellschaften mit Sitz im Inland sein" müssen (8(1) RRG97). Auch wenn staatsbürgerInnen von ewr-staaten österreichischen gleichgestellt sind, ist eine solche einschränkung für die mitgliedschaft in einem freien radio nicht akzeptabel. Daher wurde die sendelizenz vom herausgabeverein beantragt, mit der programmschöpfung und der programmabwicklung jedoch die mitarbeiterInnengemeinschaft beauftragt. Die mitarbeiterInnengemeinschaft steht allen menschen, gleich welcher staatsbürgerInnenschaft, offen. Mitglied im herausgabeverein sind im wesentlichen nur dessen vorstandsmitglieder, das sind de facto im wesentlichen jene, die das radio in den letzten jahren aufgebaut haben und für die zur finanzierung der technischen und räumlichen infrastruktur aufgenommenen kredite haften. Mitglied im mitarbeiterInnenverein sind alle, die ein radioabo erwerben. Diese konstruktion stellt somit außerdem sicher, dass über das kapital des senders nur jene bestimmen können, die für die kredite haften, ohne dass sich diese damit inhaltliche einflussmöglichkeit erkaufen können. Gleichzeitig bewahrt es die radiomacherInnen vor finanziellen risiken.
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[allgemeiner artikel über orange 94,0]

 
 
 
 
 
 

 


aus: TATblatt nr. +103 (15/98) vom 8. oktober 1998
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In allen anderen fällen nachdruck nur mit genehmigung der medieninhaberin (siehe impressum)


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