TATblatt    

Dezember 2000
Weisungen im "Marriott-Verfahren":
Justizministerium besteht auf Strafverfahren gegen RegierungskritikerInnen

Im Verfahren wegen des Marriott-Besuchs der Donnerstagsdemonstration vom 15. Juni 2000 wurde die Staatsanwaltschaft angewiesen, das Verfahren gegen ihre Rechtsansicht weiter zu führen. Mitte August 2000 hatte die Staatsanwaltschaft Wien (StA) die Anzeige gegen neun namentlich bekannte Personen zurückgelegt, weil „ein gewaltsames Eindringen von Demonstranten in die Räumlichkeiten dieses Hotels nicht vorgelegen sei. Die namentlich bekannten Personen hätten keine aktiven Widerstandshandlungen gegen einschreitende Organe der Exekutive gesetzt. Der Versuch, Beamte zu verletzen, sei nicht nachzuweisen, Anhaltspunkte für die Annahme vorsätzlicher Sachbeschädigungen seien nicht gegeben. Auch die Verwirklichung des Tatbestandes des Landfriedensbruches wurde von der Staatsanwaltschaft Wien verneint, weil die Anzeige keine Anhaltspunkte dafür bot, dass sich die Demonstranten zum Zwecke der Begehung eines Mordes, Totschlages, von Körperverletzungen oder schweren Sachbeschädigungen zusammengerottet hätten.“

Die Oberstaatsanwaltschaft Wien hat den Bericht der StA „mit Zustimmung des Bundesministeriums für Justiz (...) nicht zur Kenntnis genommen und (...) aufgetragen, den angezeigten Sachverhalt auch in Richtung einer möglichen Verwirklichung des Tatbestandes der Verhinderung oder Störung einer Versammlung gemäß § 285 Z. 3 und 4 StGB zu prüfen.

Die Weisung ist an sich absurd, nachdem die Staatsanwaltschaft in ihrem Bericht bereits festgestellt hatte, dass den Angezeigten keine individuelles Fehlverhalten vorgeworfen werden kann. Ein individuelles Fehlverhalten ist aber (anders als etwa beim Vorwurf des Landfriedensbruchs) Voraussetzung für eine Bestrafung nach § 285 StGB.

So ähnlich scheint es auch die Staatsanwaltschaft zu sehen: Bis Mitte Dezember lagen noch keine weiteren Verfahrensergebnisse vor. Da kann sich jemand mit der Realität wohl nicht ganz abfinden...

aus: TATblatt +157, S. 2
 
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