Der Verein ARGE DATEN beschäftigt sich seit 1983 mit Fragen des Informationsrechts, des Datenschutzes, der Telekommunikation und des Einsatzes neuer Techniken. Im Folgenden dokumentieren wir eine Stellungnahme der ARGE DATEN zur Volkszählung 2001 vom 20. April, den wir von deren Website >>>www.argedaten.at entnommen haben.
siehe auch >>TATblatt-Volkszählungs-Seite mit weiteren Beiträgen und Links
Spektakel Volkszählung startet
Milliardenteures Ritual zur Bürgerbelästigung - Massive Eingriffe in die Privatsphäre zu befürchten - Strafdrohung der Volkszählung ist totes Recht - Veraltetes Menschenbild - Datenschutzrechtlich bedenkliche "Parallelaktion" des Innenministeriums - Daten zum Zeitpunkt der Veröffentlichung veraltet und für seriöse Planung unbrauchbar
ARGE DATEN, etwas gekürzt
Milliardenteures Ritual zur Bürgerbelästigung
Mit Ende April beginnt die sogenannte heiße Phase der Volkszählung 2001. Zehntausende Zählorgane werden ausschwärmen und Millionen Drucksorten verteilen. Diese sind mit Stichtag 15.5.2001 von den Haushaltsvorständen, Wohnungs-, Haus- und Arbeitsstättenbesitzern auszufüllen und bis Ende Mai zu retournieren. Der volkswirtschaftliche Schaden dieser Aktion liegt bei rund 6 Mrd. Schilling. Zu den offiziell ausgewiesenen weit über 500 Mio. ATS der Statistik Austria kommt noch derselbe Betrag durch die Gemeinden hinzu. Dr. Hans G. Zeger (Obmann von ARGE DATEN): "Den Hauptanteil der Belastung müssen jedoch Millionen Familien sowie Wohnungs- und Hausbesitzer und Unternehmer tragen. Bei einer eher konservativ kalkulierten Dauer von durchschnittlich drei Stunden für Übernahme, Studium, Ausfüllen und Abgabe der Formulare und einem an einfachen Bürotätigkeiten orientierten Stundensatz ergeben sich weitere Kosten von knapp 5.000 Millionen ATS."
Massive Eingriffe in die Privatsphäre zu befürchten
Wie die vergangenen Volkszählungen zeigten, stellt besonders die Datenerhebung durch die Zählorgane einen massiven Eingriff in die Privatsphäre dar. Bei der letzten Zählung kam es in ganz Österreich laufend zu Aktivitäten der Zählorgane, die an der Grenze der Nötigung anzusiedeln sind.
Die Highlights des Mißbrauchs der Amtspositionen waren:
Dr. Hans G. Zeger: "Offenbar haben sich viele Zählorgane geistig noch immer nicht von den Blockwartmethoden der NS-Zeit verabschiedet. Verschärft wird die Situation durch die beinharte Kopfjagd der Gemeinden. Diese instruieren die Zählorgane, besonders viele Personen zu zählen, nicht gemeldete Personen aufzuspüren und vergeben Vollständigkeitsprämien. Die ARGE DATEN befürchtet eine Wiederholung der Vorkommnisse der letzten Zählungen."
Rechtslage zur Zählung ist klar geregelt
Welche Strafdrohungen bestehen bei der Volkszählung?
Das Volkszählungsgesetz kennt nur die allgemeinen Verwaltungsverfahrensstrafbestimmungen:
mit einer Obergrenze von 30.000,- ATS bei der Geldstrafe oder einer Ersatz-Freiheitsstrafe
bis zu sechs Monaten. Untergrenzen oder Mindestrafen existieren nicht. Diese
aus formalrechtlichen Gründen im Volkszählungsgesetz (§9) enthaltene
Bestimmung, wurde bei der letzten Volkszählung nicht angewandt. Experten
sprechen von Bedingungen, die nie oder praktisch nie angewandt werden, von "totem
Recht". Dies obwohl viele hunderttausend Fragebögen unvollständig
ausgefüllt wurden. Allein die Auskunftung über das Religionsbekenntnis
wurde laut Statistik Austria 1991 270.965 Mal verweigert. Sanktionslos. Die
Strafdrohung richtet sich gegen alle Personen, die die Fragen nicht, unvollständig
oder fehlerhaft beantworten. Voraussetzung für eine Strafwürdigkeit
ist jedoch, daß vorsätzlich ("wissentlich") gehandelt wird.
Dr. Hans G. Zeger: "Wir gehen davon aus, daß die Bürger mündig
genug sind, zu entscheiden, wie und in welcher Form sie bestimmte Fragen beantworten
wollen. Die Bürger können auch abschätzen, welche Risken das
Nichtbeantworten von einzelnen Fragen nach sich zieht. "Tatsächlich
ist den Gemeinden die Beantwortung weiterer Teile der Fragebögen auf gut
Wienerisch "wurscht". Das eigentliche Interesse der Gemeinden konzentriert
sich auf die bloße Erhebung der Personenzahl. Diese Personenzahl ist für
die Zahlungen aus dem sogenannten Finanzausgleich des Bundes von Bedeutung.
Mit der Abgabe eines Personenblattes je Familienmitglied und der Beantwortung
der Fragen 1 und 2 (Geburtsjahr und Geschlecht) sind die Anforderungen der Gemeinden
erfüllt. Tatsächlich wissen die Gemeinden tagesaktuell über ihre
Bürger (Zahl und Altersstruktur) bescheid. Die Gemeinden benutzen die Volkszählung
nur zur Bestätigung ihrer eigenen Daten.
Zwischen den Gemeinden ist eine regelrechte Jagd um diese Personenblätter
entbrannt. Bei der letzten Volkszählung wurden weit über hunderttausend
Reklamationsverfahren über die Feststellung der Zuordnung des Personenblattes
zu einer Gemeinde geführt. Fest steht, daß eine mehrfache Abgabe
eines Personenblattes bei verschiedenen Gemeinden, nicht überprüft
werden kann und auch zu keinerlei Reklamations- oder Verwaltungsverfahren führen
kann. Konsequenterweise wird dann eine Person bei jeder dieser Gemeinden, bei
der sie den Wohnsitz, den Arbeitsplatz oder die Ausbildungsstätte hat,
gezählt.
Dr. Hans G. Zeger: "Würde die Bundesregierung nicht den Gemeinden
mißtrauen, könnte man sich das Volkszählungsritual ersparen.
Es wäre ausreichend, wenn die Gemeinden in Jahresabständen die Bürgerzahl
und die Verteilungen nach Geschlecht und Alter an die Statistik Austria übermittelten.
Die Finanzausgleichsverteilung könnte in wesentlich kürzeren Abständen
aktualisiert werden. Die Unterstellung, die Gemeinden würden ihre Bürgerzahlen
manipulieren bzw. nicht korrekt verwalten, beschert uns den volkswirtschaftlichen
Schaden von 6 Mrd. ATS."
Fragen nicht mehr zeitgemäß
Viele Fragen werden als aufdringlich angesehen und sind auch in Hinblick auf
die EU-Richtlinie datenschutzrechtlich bedenklich. Neben der Erhebung des "Religionsbekenntisses
(8)" und des "Geburtslandes (4)", beides sind Daten, die laut
EU-Richtlinie in die Kategorie sensibler Daten fallen und die nur unter ganz
eingeschränkten Bedingungen überhaupt erhoben werden dürfen,
finden sich noch eine Reihe weiterer skuriler bzw. problematischer Fragen. "Stellung
im Haushalt (7)" mit der Vorgabe "Haushaltsvorstand", noch immer
gilt bei der Statistik Austria das altväterliche Bild des "Familienoberhaupts"
"Genaue Berufsbezeichnung (13)": In einer Zeit rasch wechselnder und
immer individuellerer Berufsbilder sind die vorgeschlagenen Beispiele "VIDEOGERÄTEMONTIERIN"
oder "STRASSENWÄRTER" nicht gerade hilfreich. Dieses Feld wird
keine auswertbaren Daten liefern. Die "Umgangssprache (6)" ist ebenfalls
als problematisch einzustufen, da Sprachminderheiten wieder einmal einem Bekenntnissdruck
gegenüber der Gemeinde ausgesetzt werden. Als generell problematisch wurden
bei der letzten Volkszählung alle Fragen zur Wohnung eingestuft. Gerade
die Wohnung wird von allen Menschen als letztes privates Rückzugsgebiet
angesehen. Fragen zu diesem wesentlichen Teil der Privatsphäre werden als
besonders zudringlich angesehen. Bei der letzten Volkszählung reagierten
die Menschen mit besonders lückenhaften und falschen Angaben.
O-Ton aus der Statistik Austria nach der letzten Volkszählung: "Würden
wir die Wohnflächen der verschiedenen Stockwerke der erhobenen Häuser
vergleichen, würden wir Gebäude bekommen, die es nicht geben kann."
Wohnhäuser mit 500 m2 im ersten Stock, 1500 m2 im zweiten Stock und 900
m2 im dritten Stock sind dann der Regelfall. In Wien brachte die letzte Zählung
714 neu erbaute Substandard-Gemeindewohnungen, deren Errichtung nach der Bauordnung
verboten ist und die durch die Gemeinde Wien auch sicher nicht errichtet wurde.
Dr. Hans G. Zeger: "Es ist uns aus rechtlichen Gründen nicht möglich,
bestimmte Empfehlungen zum Ausfüllen einzelner Fragen zu geben, doch gehen
wir davon aus, dass die Bürger bei jenen Fragen, die ihre Privat- und Intimsphäre
betreffen, eine selbständige Entscheidung treffen werden."
Datenschutzrechtliche bedenkliche "Parallelaktion" des Innenministeriums
Neben der eigentlichen Volkszählung findet zusätzlich eine Verwaltungserhebung
des Innenministeriums statt. Die Zählorgane agieren gleichzeitig als Organe
des Innenministeriums und machen personenbezogene Erhebungen zum Meldegesetz.
Ziel ist es, ein zentrales Melderegister zu schaffen, in dem jeder Bürger
mit einem eindeutigen Personenkennzeichen registriert ist.
Dr. Hans G. Zeger: "Diese Parallelaktion kann als eigentlicher Sündenfall
der Volkszählung angesehen werden. Seit der NS-Erhebung 1933 ("Generalinventur
Deutschlands") kam es im deutschsprachigen Raum zu keiner Verknüpfung
statistischer und personenbezogener Erhebungen."
Mit dem zentralen Melderegister sollen die Behörden verpflichtet werden,
bei jeder Eingabe eines Bürgers, bei jedem Antrag oder bei jedem sonstigen
Verfahren, die Meldedaten zentral im Innenministerium zu überprüfen.
Das Innenministerium ist verpflichtet derartige Anfragen zu protokollieren und
zumindest drei Jahre aufzuheben.
Dr. Hans G. Zeger: "Die Kombination zentrales Melderegister, eindeutiges
Personenkennzeichen, Abfragepflicht durch die Behörden und Protokollierungspflicht
durch das Innenministerium, produziert einen äußerst brisanten und
datenschutzrechtlich bedenklichen Informationsbestand. Erstmals ist das Innenministerium
in der Lage laufend aktualisiert einen vollständigen Überblick über
die Behördenkontakte eines Bürgers zu erhalten. In der Regel genügt
es zu wissen, welche Behörde kontaktiert wurde, ob Gewerbeamt, Sozialamt,
Schulbehörde oder Verkehrsamt, um erkennen zu können, aus welchen
Gründen jemand diese Behörden in Anspruch nimmt. Auf Grund der Amtshilfe
besteht das Recht durch das Innenministerium gezielt die kompletten Behördenakten
anzufordern. Mit diesem System wird, verspätet, der Traum der Überwachungsbehörden
des ehemaligen Ostblocks realisiert."
Volkszählung produziert veraltete Daten
Die Datenauswertung gelang nach der Volkszählung 1991 nur mit mehrjähriger Verspätung. Schon die Abgabe der Formulare scheiterte zum geplanten Termin. Dr. Hans G. Zeger: "Uns ist kein wirtschaftlich agierendes Unternehmen bekannt, das die Ergebnisse der Volkszählung für irgendwelche planerischen oder strategischen Entscheidungen benutzt. Die Daten sind durchwegs veraltet oder zu ungenau, meist trifft beides zu. Kommerzielle Unternehmen verlassen sich eher auf kurzfristig angesetzte Stichprobenerhebungen durch professionelle Marketing- und Meinungsforschungsinstitute. Wenn diese seriös agieren, können wesentlich aktuellere und statistisch genauere Daten, ohne unerwünschte Eingriffe in die Privatsphäre, ermittelt werden."
Resümee
Die Volkszählung produziert mit Milliardenaufwand die Illusion einer exakten
Datenerhebung. Das Ergebnis ist jedoch, bedingt durch methodische Erhebungsmängel
und verspätete Auswertung, ein unnutzbarer Datenfriedhof. Dr. Hans G. Zeger:
"Das Ritual Volkszählung hat längst eine Eigendynamik entwickelt,
die sich mit rationalen Verwaltungsargumenten nicht rechtfertigen läßt.
Statt effektiver Einsparungen der Verwaltung wird ein volkswirtschaftliches
Vermögen von 6 Mrd. ATS vernichtet. Die Volkszählung entpuppt sich
als nicht mehr zeitgemäßes Machtritual eines Staates mit autoritären
Tendenzen. Nebenbei wird auch die Fähigkeit des Staates geprobt, bei Bedarf
flächendeckend den Zugriff zur Privatsphäre der Bürger zu organisieren."
Die grundsätzlichen Informationen und Bedenken zur letzten Volkszählung
(1991) bleiben auch für die
aktuelle Volkszählung gültig.
aus TATblatt Nr. +164 vom 26. April 2001
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