tatblatt.net __

weitere Texte in TATblatt Nr. +198 zum Irak-Krieg:
>>was, warum und wieso? no blood .... for what?
>>Österreich - Irak: Saddam, mein Freund.
>>Kurzmeldungen: Irak - Deutschland - Belgien.

     
     
   

Vom Krieg der Friedensbefürworter:
Mein Täubchen Chirac.

     
   

TATblatt.

     
Böser Bush, gutes Europa. Geschickt hat sich der französische Staatspräsident Jacques Chirac als unerbittlicher Verfechter des Friedens inszeniert. In seinem Kielwasser schwimmen Deutschland, Belgien und neuerdings auch Luxemburg als Kriegsgegner mit.  

Bedauern, Entsetzen, Bestürzung und sorgenvolle Kummermienen waren die Reaktionen der Regierungen Belgiens, Deutschlands und Frankreichs angesichts des Kriegsbeginns gegen den Irak. Mit Ausnahme der Hasstiraden britischer und US-Medien wurde international unkritisiert die Position der französischen Regierung propagiert, dass die Sorge um den Frieden treibende Kraft der Position von Präsident Chirac sei.

La France.

Die KriegsgegnerInnenschaft ist in Frankreich breit. Alleine am 22.3. fanden in 25 Städten Demonstrationen statt, wobei hunderttausende als TeilnehmerInnenzahl stark untertrieben ist. Bei einer Demonstration in Bordeaux wurde gar die dortige Kopie der Freiheitsstatue, die Frankreich ja anno dazumal den USA geschenkt hatte, mit Benzin und Lack übergossen, was der frühere Premierminister und jetzige Bürgermeister Juppé von der SP verurteilte.
Allerdings werden die Antikriegsaktionen durch den außenpolitischen Konflikt zwischen Frankreich und den USA bzw. Großbritannien überschattet. Es sind gewichtige Argumente, die Zweifel über die moralische Integrität von Chirac aufkommen lassen.
Zunächst sind französische versus US-amerikanische Interessen keine Neuigkeit. Schließlich trat Frankreich in den 60er Jahren aus der NATO aus und baute eine eigene Atomstreitmacht auf. Dieser „eigenständige“ Weg der französischen Außen- und Militärpolitik ist parteiübergreifender Konsens, einschließlich der KP, die stets auch für ein gegen die Sowjetunion gerichtetes eigenes Atomwaffenprogramm eintrat. Der damalige Präsident de Gaulle verurteilte nach mehreren Kolonialkriegen Frankreichs in Indochina 1966 die US-Intervention in Vietnam, ebenso wie die Stationierung von US-Truppen in Haiti und den nachfolgenden Putsch im Nachbarland, der Dominikanischen Republik. Erst 1981 trat Frankreich wieder in die NATO ein, und Chirac machte als erster Präsident nach de Gaulle 1996 wieder den Vorschlag, französische Truppen in die militärische Befehlsstruktur der NATO einzugliedern.
Diese Konstante einer nationalen Politik ist regierungsübergreifend. Die Atomtests wurden von Chirac vehement vertreten, wie von Mitterand. Ebenso die exzellenten Verbindungen der französischen Geschäftswelt zum Irak, die nun vor allem von Großbritannien als Propagandawaffe eingesetzt werden. Das britische Industrieministerium veröffentlichte ein Dossier über die Irakgeschäfte Frankreichs. Demnach exportierte Frankreich in den sechs Monaten vor Kriegsbeginn Waren für 212 Mio. US$, verglichen mit 27,8 Mio. $ aus Großbritannien. Insgesamt sollen bis zum Beginn des UN-Embargos 1991 alleine Waffenverkäufe in Höhe von 25 Mrd. US$ über die Bühne gegangen sein, darunter Mirage-Kampfjets. Außerdem lieferte Frankreich zwei nie fertiggestellte Atomreaktoren, wobei der erste 1981 von israelischen Kampfflugzeugen bombardiert und zerstört wurde.
Aber auch während des Embargos war Frankreich wichtiger Handelspartner des Irak, mit steigender Tendenz und vor allem durch die Ölgesellschaft TotalFinaElf.
Allerdings ist die französische Position nicht nur dadurch zu erklären. „Mehr denn je hat Präsident Bush gezeigt daß er von messianischem Fundamentalismus blind ist“, ließ der frühere Kulturminister der Regierung Mitterand von sich hören. Jack Lang ist derzeit Vorsitzender des Außenpolitischen Ausschusses der Nationalversammlung (Parlament), einer in Frankreich wie in den USA wichtige Position. Lang brachte beinahe im Alleingang das Freihandelsabkommen MAI gegen die USA zu Fall, indem er die französische Filmindustrie gegen eine Liberalisierung beschützte und Frankreich schon damals die alleinige Wortführerschaft für Europa in Verhandlungen mit den USA übernahm.
Innenpolitisch hat Chirac, der durch die Zertrümmerung der Front National bei den letzten Präsidentschaftswahlen einsame Rekordwerte an Zustimmung erreichte, noch weiter dazugewonnen. Nach übereinstimmenden Umfragen unterstützen 85% der FranzösInnen seine Politik, interessanterweise aber sogar 94% der kommunistischen WählerInnen.

Realpolitik.

1990 rief der vom Sturz bedrohte Präsident Ruandas beim damaligen Präsidenten Mitterand an. Er ersuchte um Militärhilfe, die Frankreich auch gewährte. Die Folge war ein vierjähriger Bürgerkrieg, der mit Massenabschlachtungen endete. Seitdem sind Hutus und Tutsis weltweit bekannt.
Doch schon vorher zeigte die „Grande Nation“ ihr Können. Als 1960 Patrice Lumumba im belgischen Kongo die Unabhängigkeit ausrief, wurde er international gefeiert. Nicht so von Frankreich, Belgien und den USA. 1965 beschlossen diese drei Mächte, dass Lumumba stürzen mußte. Fallschirmjäger aus Belgien und Fremdenlegionäre aus Frankreich unterstützten eine Militärrevolte, die Diktator Mobutu an die Macht brachte. Als Mobutu nach 30 Jahren Diktatur gestürzt wurde, standen französische und belgische Legionäre wieder im Land, das im Chaos und Bürgerkrieg zerfiel.
Zu praktisch jedem Zeitpunkt seit der Unabhängigkeit der afrikanischen Länder stehen französische Fremdenlegionäre oder andere Truppeneinheiten in mehreren Ländern Afrikas. Derzeit etwa in der Elfenbeinküste, wo vor wenigen Wochen aufgebrachte DemonstrantInnen die französische Botschaft zu stürmen versuchten und von französischen Wasserwerfern und französischen Soldaten zurückgeschlagen wurden. Bürger der Elfenbeinküste sind in französischen Lagern in der Elfenbeinküste interniert.
Ein besonders lehrreiches Bespiel über Frieden liefert der endlose Krieg im Libanon. Als in den 80er Jahren Selbstmordkommandos die US-Truppen zum Rückzug zwangen, brachten die USA, Großbritannien und Frankreich Kriegsschiffe vor der Küste in Stellung. Diese schossen dann vereint „als Vergeltung“ Raketen in die Wohngebiete Beiruts.

Der Kuchen.

Es gibt viele Theorien, weshalb im Irak Krieg geführt wird. Tatsache ist, daß die UN-Embargopolitik europäische gegenüber US-Firmen benachteiligte. Schon vor dem ersten Golfkrieg hatte das US Army Corp of Engineers freihändig US-Firmen mit dem Wiederaufbau beauftragt. Damals hatten Firmenvertreter teilweise noch vor den Truppen die zukünftigen Baustellen erreicht. Doch im Irak selbst hatten die US-Firmen auf lange Sicht das Nachsehen.
Mit jeder Lockerung der Sanktionen konnte vor allem Frankreich sein Handelsvolumen ausbauen, französische Firmen stellten das größte Kontingent auf der Handelsmesse in Bagdad und demnächst hätte TotalFinaElf neue Ölförderverträge unterschrieben.
Internationale Agenturen und Konzerne haben für den Irak schon längst ein Megabusiness durchgerechnet. Reparatur von Kriegsschäden ist zum Supergeschäft geworden. Der Libanon erhielt innerhalb von zehn Jahren noch vergleichsweise mickrige 4 Mrd. US$, Bosnien in fünf Jahren schon 5,4 Mrd. US$. In Afghanistan mit seiner kaum vorhandenen Infrastruktur wurden schon 15 Mrd. US$ gesteckt. Jetzt ist die Bonanza in Sicht: 100 Mrd. US$. Den Anfang macht die US-Entwicklungshilfeorganisation USAID, die schon jetzt 900 Mio. US$ vergibt.
Aber auch europäische Konzerne kommen nicht zu kurz. Der „Wiederaufbau“ des Kosovo brachte ein Füllhorn von 2,3 Mrd. US$, die von der Europäischen Kommission spendiert wurden.
Für den Irak sind die großen Anwärter schon ausgemacht. Etwa der US-Konzern Bechtel, Costain und Balfour Beatty aus Großbritannien, und Spie aus Frankreich. Dazu werden auf jeden Fall die Warenkontrollfirma SGS mit Konzernzentrale Schweiz kommen. British Crown Agents aus Großbritannien hat schon einen Auftrag in der Tasche.
Frankreich hat zunächst einmal bescheidene 11 Mio. US$ als erste Rate reklamiert, nämlich für den erneuten Aufbau des Abwasser- und des Telefonsystems, das französische Firmen schon nach dem ersten Golfkrieg wieder aufgebaut hatten. Währenddessen rittern bereits 80 britische Firmen um Aufträge, die sich auch bitter darüber beklagen, daß im Kosovo vor allem französische und deutsche Firmen trotz größeren Kriegseinsatzes Großbritanniens zum Zug kamen.
Entscheidend für die Beziehungen werden jedoch die Ölkonzessionen sein. Im jüngsten Korruptionsprozess hat der ehemalige Präsident von Elf, nunmehr TotalFinaElf, Le Floch-Prigent gestanden, daß Elf während der Präsidentschaft Mitterands alle Parteien geschmiert hatte. Laut Le Floch bestand Mitterand sogar persönlich darauf, daß nicht nur die SP, sondern auch Chiracs Partei Schmiergelder erhalte. Außerdem schmierte Elf zwischen 1989 und 1993 auch Staatspräsidenten von 19 afrikanischen Ländern. Bei Elf gab es einen Referenten für die Bestechung linker, einen für die Bestechung rechter Parteien. Chirac lehnt jede Stellungnahme zu dem Prozeß ab.
Während auf französischer Seite die unumgänglichen Bedingungen für eine erneute Freundschaft zwischen Frankreich und den USA/Großbritannien klar sind, ist die US-Regierung auf einem anderen Dampfer. Das Pentagon hat eine Liste erstellt, die alle Firmen umfaßt, die mit dem Iran als weiterem Schurkenstaat Geschäfte machen und deshalb auf keinen Fall im Irak zum Zug kommen sollen. Ganz oben steht: TotalFinaElf.

Noch etwas Unterhaltung gefällig.

Bis zur Verteilung wird sich Chirac, gescholten von Blair und Bush, noch etwas für französische zivilisatorische Werte ins Zeug legen und seinen Friedenswillen unter Beweis stellen. Erst letzte Woche schlug der algerische Staatspräsident Bouteflika anläßlich eines Staatsbesuches von Chirac in Algier diesen für den Friedensnobelpreis vor. Ähnliches wird wohl in nächster Zeit häufiger passieren.
Dieser Tage gab die Regierung ein Statement ab, daß Frankreich auch weiterhin die Frankophonie hochhalten und dementsprechend das Budget aufstocken wird. „Ziele der Frankophonie sind die Sicherung der Bedeutung der französischen Sprache, die Bewahrung der kulturellen Vielfalt und die Verwurzelung der Demokratie und der Menschenrechte im französischsprachigen Raum.“, so die Erklärung. Wer schon mal im schönen Badeort Calvi in Korsika war, wird zwar anhand der dortigen Fremdenlegionärskaserne und der über die Insel im Tiefflug donnernden Mirage-Jets ahnen, daß das nicht alles ist. Doch jetzt ist Frieden im Herzen des großen Präsidenten.
Das wird ihm vorläufig auch gedankt. DemonstrantInnen in Wien jubeln dem Botschaftspersonal zu, das begeistert zurückwinkt. Die Botschaft in London kann britischen Medien mit lästigen Fragen Waschkörbe von Fanpost für Chirac vorzeigen.

Tam Dalyell, ein Labour-Abgeordneter im britischen Unterhaus und offensichtlich nicht von der Blair-Fraktion, fand für die Verteilungsverhandlungen um die Aufträge im Irak seine eigenen Worte: „vomit making“, zu Deutsch zum Kotzen.

Literatur:

Ryszard Kapuscinski: Afrikanisches Fieber, Piper Verlag
Der polnische Journalist hat seine Erfahrungen aus 40 Jahren in Afrika zusammengefasst, wobei er auch an französischer Politik nicht vorbeikam.

Jean Ziegler: Das Gold von Maniema, Knaus Verlag
Darin hat der Schweizer Abgeordnete seine Erlebnisse im Kongo der 60er Jahre niedergeschrieben, als Frankreich und Belgien zu einer neuen demokratiepolitischen Mission ein bisschen Krieg exportierten.

 

     
    Friedliches Frankreich?
Französische Position zur Beteiligung der Nato an der Vorbereitung eines militärischen Einsatzes.

Zusammen mit Deutschland und Belgien hat Frankreich eine Beteiligung der NATO an der Vorbereitung eines militärischen Einsatzes gegen Irak zum jetzigen Zeitpunkt abgelehnt.

Das Außenministerium (12.2.2003) begründet die französische Position wie folgt:

"...Das Engagement Frankreichs in der Allianz in Zweifel zu ziehen, bezeugt im Übrigen Nichtwissen oder Boshaftigkeit: Nach den Vereinigten Staaten hat Frankreich die meisten Flugzeuge für den Krieg in Kosovo 1999 zur Verfügung gestellt; es stellt heute vor den Vereinigten Staaten die meisten Streitkräfte für Einsätze der NATO zur Verfügung..."

+++++

Staatspräsident Jacques Chirac gab am 20. März folgende Erklärung an die französische Bevölkerung zum Beginn der Militäroperationen im Irak ab:

"Die Militäreinsätze in Irak haben begonnen. Frankreich bedauert dieses Vorgehen...
Frankreich aber, das seinen Prinzipien treu ist - Vorrang des Rechts, Gleichberechtigung, Dialog der Völker und Achtung des anderen - wird weiterhin darauf hinarbeiten, dass die Krisen, die die Welt bedrohen oder zu Blutvergießen führen, gerechte und dauerhafte Lösungen in kollektivem Handeln finden. Das heißt im Rahmen der Vereinten Nationen, die der einzige rechtmäßige Rahmen sind, um Frieden herzustellen, im Irak und anderorts...
Europa muss sich der Notwendigkeit bewusst werden, der Welt seine eigene Sicht der Probleme darzulegen und diese mit einer glaubhaften gemeinsamen Verteidigung zu unterstützen...

Service de Presse, 20.03.2003

+++++

20. März - Tag der Frankophonie: Die französischen Zielsetzungen

Frankreich verfolgt bei der Frankophonie drei große Ziele: die Sicherung der Bedeutung der französischen Sprache, die Bewahrung der kulturellen Vielfalt sowie die Verwurzelung der Demokratie und der Menschenrechte im französischsprachigen Raum.

Frankreich nimmt voll und ganz am Wirken der Frankophonie für den Frieden, die Demokratie und die Menschenrechte teil. Es unterstützt die Einbindung der Frankophonie in den Versöhnungs- und Krisenlösungsprozess in Afrika, dessen hervorstechendste Beispiele Côte d'Ivoire und die Komoren sind. Darüber hinaus findet die Stärkung des Rechtsstaates über die Vernetzung der Rechtspfleger, die Weiterbildung der Staatsanwälte und die Hilfe beim Abhalten freier, zuverlässiger und transparenter Wahlen statt. Die Bemühungen zielen auch darauf ab, eine demokratische Kultur innerhalb des französischsprachigen Raums zu verbreiten.

2. Diese Prioritäten spiegeln sich im Plan zur Aufstockung des Haushalts um 20 Mio.€ pro Jahr ab 2002 wieder, der von Staatspräsident Chirac beim Gipfeltreffen in Beirut (18. - 20. Oktober) angekündigt wurde...

Service de Presse 19.03.2003

     
aus TATblatt Nr. +198 April 2003.    

 

>>TATblatt-Homepage  

©TATblatt, 2003
Alle Rechte vorbehalten

Nachdruck, auch auszugsweise, nur in linken alternativen Medien ohne weiteres gestattet (Quellenangabe und Belegexemplar erbeten)!

In allen anderen Fällen Nachdruck nur mit Genehmigung der Medieninhaberin (siehe Impressum).