"Das ist ja wohl die unterste Schublade. Da kann ich ja wohl froh sein, daß ihre Zeitung so eine geringe Auflage hat." Sehr viel zum Thema Antisemitismus zu sagen hat die Vertreterin der Bürgerinitiative nicht. In jedem Fall will sie sich aber für so eine Sache "nicht als Zitatenlieferantin hergeben".
Sie weiß wohl, wovon sie spricht: Einer ihrer Briefe kam schlecht an bei den EmpfängerInnen. Bei "profil" wurde die polemische Frage, ob "Unrecht durch Unrecht wieder gut gemacht werden" kann, doch prompt als Antisemitismus ausgelegt.
"Die Sache ist geklärt", meint mensch bei der BI. Nicht einmal Beth Chabad erhebe den Vorwurf des Antisemitismus gegen die BI (was auch stimmt). Dennoch fällt auf, daß Antisemitismus schnell ein Thema wird, wenn es auf das Projekt im Augarten zu sprechen kommt; nicht zuletzt seitens der GegnerInnen. "Wir haben das Recht diesen Bauplatz abzulehnen, ohne daß man uns Antisemitismus vorwirft" schreibt etwa Grünstadträtin Huemer in einer Aussendung. "Kommst Du auch mit dem Mist daher?", ärgert sich ein Grünaktivist über unsere diesbezügliche Frage.
Tatsächlich hat niemand der BI, den Grünen oder Einzelpersonen unter den GegnerInnen offenen Antisemitismus vorgeworfen. Unbestreitbar ist aber, daß nicht wenige der projektgegnerischen Argumentationsmuster an antisemitischen Stereotypen anknüpfen (von der fiktiven, schwerreichen Organisation, die sich "einen Park kauft", über den angeblich meinungswechselnden IKG-Präsidenten, den Vorwurf des Drucks auf Geschäfte, die Unterschriftenlisten aufgelegt hatten bis hin zur Gruppenkonstruktion "die"). Wo mögliche Anknüpfungspunkte sind, da wird nun einmal auch angeknüpft! Wir haben im Augarten und in Lokalen um den Augarten zwölf längere Gespräche mit insgesamt 32 Personen geführt. Sinn der Sache war es, herauszufinden, welche Informationen die einzelnen Personen über den Konflikt besaßen, welche Argumente sie sich zu eigen machten und wie sie diese Argumente verarbeiteten (das Ganze dient als Vorbereitung einer Diplomarbeit).
Alle an den Gesprächen aktiv teilnehmenden Personen (es gab selbstverständlich auch solche, die einfach nichts sagten) hatten bereits gehört, daß im Augarten etwas gebaut werden soll.
In zehn der zwölf Gespräche wußte zumindest eine Person, daß es sich bei dem Projekt um eine Schule handelt.
In neun Gesprächen war es bekannt, daß es sich um eine jüdische Schule handelt.
In sieben Gesprächen wurde die Meinung geäußert, daß man nicht allem zustimmen kann, nur weil es von einer jüdischen Gruppe initiiert werde (erstaunlicherweise waren die GesprächspartnerInnen in den beiden Gesprächen, in denen die Teilnehmerinnen von der jüdischen Schule wußten, die gerade beschriebene Ansicht jedoch nicht äußerten, mehrheitlich nicht gegen den Schulbau eingestellt).
In sechs Gesprächen wurde der Verdacht geäußert, daß hinter dem Schulprojekt große Geldmittel stünden.
Ebenso wurde in sechs Gesprächen der Verdacht geäußert, daß es sich bei der geplanten Schule um eine Nobelschule handle.
In vier Gesprächen (jeweils in Gruppen von 4, bzw. 5 TeilnehmerInnen) griffen die DiskutantInnen von sich aus die Waldheimaffäre als Thema auf (außerdem: Menschenrechtsverletzungen in Israel, Wiesenthal, "angebliche" KZ-Tote je 2x; je einmal offene Leugnung des Holocaust, Aufforderung, die JüdInnen sollten doch verschwinden, Ausländer"problematik", "Führer gehört wieder her",...)
In zwei Gesprächen wurde die ProjektgegnerInnschaft u.a. damit gerechtfertigt, daß "die Juden" da auch nicht einer Meinung seien. Als Informationsquelle wurden Zeitungsartikel (Kurier) angegeben.
Auffallend war allerdings auch, daß jene Personen, die sich am deutlichsten antisemitischer Stereotypen bedienten, angaben, die Unterschriftslisten nicht unterschrieben zu haben.
Die -- überhaupt erst oberflächliche Auswertung -- der Gespräche sagt selbstverständlich nichts aus über die inhaltliche Ausrichtung der ProjektgegnerInnen. Und angesichts der Tatsache, daß sie direkt im Augarten bzw in einem einzigen Lokal durchgeführt wurden, kann auch nicht auf eine "Stimmung" geschlossen werden.
Sie zeigt nur auf, daß Ansatzpunkte für antisemitische Stereotypen eben gerne angenommen werden, wenn sie -- wie etwa hier mit Sicherheit ungewollt -- angeboten werden. An diesem Punkt kann Kritik an den GegnerInnen ansetzen: Das geplante Schulprojekt im Augarten ist nicht die Produktionshalle irgendeines multinationalen Konzerns, der sich hier für ein paar Jahre niederlassen und die Umwelt vergiften möchte.
Gegen ein Schulprojekt einer konfessionellen Minderheit zu argumentieren, als ginge es gegen ein Atomkraftwerk, zeugt zumindest von geringer Sensibilität...
Auch fortschrittlich orientierte Menschen sind nicht automatisch davor gefeit, ungewollt in tendenziell antisemitische Argumentationsmuster zu verfallen.
--> zum Haupt-Artikel Bäume, Bäume über alles
-->für Nicht-Ortskundige: Was ist der Augarten?
--> Gespräch mit Adi Hasch, Bezirksrat der Grünen im zweiten Wiener Gemeindebezirk
--> Offener Brief an Adi Hasch (Leserbrief aus TATblatt Nr. plus 79)
aus: TATblatt Nr. plus 78 (11/97) vom 5. Juni 1997
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