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Politik des vorauseilenden Gehorsams

Warum engagiert sich die Marburger StudentInnenvertretung nicht mehr gegen den Marktfrühschoppen – eine Abhandlung über die Erfolge korporierter Politik und das fehlende Politische Mandat.

„(...) An allen Universitäten gibt es politische Hochschulgruppen, sei es als Ableger einer Partei oder als unabhängiger Zusammenschluß. Die eindeutig bestimmende Rolle spielen dabei nach wie vor linke Gruppierungen. Und die Rechte? Fehlanzeige. Kaum eine nationale Studentengruppe ist an Hochschulen aktiv geschweige denn in Gremien oder dem jeweiligen Studentenparlament vertreten. Dabei ist das Problem des fehlenden Akademiker-Nachwuchses im patriotischen Spektrum schon seit langem bekannt, mangelnde Intellektualisierung der Rechten wird allerorten beklagt, es fehlen die Eliten. Ernst zu nehmende Organisationen exisitieren praktisch nicht. Lediglich in Marburg (...)“

(Dietmar Engelhardt in Nation und Europa)

Von 1997 bis 2000 saßen die Republikaner im Marburger StudentInnenparlament (StuPa). Unter dem Label Republikanischer Hochschulverband (RHV) soll eine ernstzunehmende bundesweite Studierendenorganisation der Republikaner entstehen, nicht umsonst war die Kandidatur in Marburg mit dem damaligen REP-Bundesvorsitzenden Schlierer abgestimmt. Erklärtes Ziel ist es, in möglichst viele Selbstverwaltungsgremien an bundesdeutschen Hochschulen einzuziehen.

Der Republikanische Hochschulverband etabliert sich

Beauftragt mit dem Aufbau des RHV wurde Eike Erdel, damals Mitglied der schlagenden Marburger Verbindung Normannia-Leipzig. Gemeinsam mit Daniel-David Schäfer – damals Burschenschaft Rheinfranken – zog er 1997 ins StudentInnenparlament ein. An der Tatsache, dass die ersten RHV-Abgeordneten auch Verbindungsstudenten waren, lässt sich erkennen, wie eng Korporationen mit der »neuen Rechten« an Hochschulen verbunden sind. Leider dürfte auch die Zahl der Korporierten in Marburg ausreichen, um den Republikanern weiterhin Sitze im StuPa zu garantieren. Der Tag an dem RHV-Leute in Koalition mit dem Ring christlich demokratischer Studenten (RCDS) und anderen die gewählte Vertretung der Studierenden bilden, ist jedoch hoffentlich fern.

Allerdings reicht den RHV-Korporierten in Marburg bereits der Status als StuPa-Liste, um rechte Politik an der Hochschule auf eine breitere Basis zu stellen: Veranstaltungen mit Vortragenden aus der rechten Szene, die sonst in den Verbindungshäusern stattfanden, konnten plötzlich ins Hörsaalgebäude verlegt werden. Dabei kann sich der RHV als StuPa-Liste sogar auf die Unterstützung der Universitätsleitung verlassen, die etwa am 11.12.1997 eine RHV-Veranstaltung zum Thema Eliten unter Einsatz des Hausrechts und einer Hundertschaft der Polizei gewaltsam gegen protestierende StudentInnen durchsetzte.

Recht und Rechte Hand in Hand

Hinzu kamen heftige Attacken auf die damalige StudentInnenvertretung – den Allgemeinen StudentInnenausschuß (AStA). Auf die AStA-tragende Koalition fünf linker studentischer Listen hatten es die RHV-Korporierten um Eike Erdel besonders abgesehen, da anti-korporierte Politik und Minderheitenpolitik ausgemachte Schwerpunkte der damaligen AStA-Arbeit bildeten. Bezeichnenderweise benötigten Erdel und Freunde weder Unileitung noch Stiefelfaschisten aus dem Umland, um gegen die politischen Handlungen der andersdenkenden linken StudierendenvertreterInnen vorzugehen – die deutsche Rechtsprechung war völlig ausreichend: „(...) Landläufig ist man der Meinung, daß Studentengremien keinen Einfluß ausüben und die linke Vormachtstellung ohnehin nicht gebrochen werden könne. Nachfolgend dagegen ein eindrucksvolles Beispiel, wie man doch erfolgreiche rechte Arbeit entgegen dem dreisten Alleinvertretungsanspruch roter Seilschaften leisten kann [...] Auf Antrag des RHV hat das Verwaltungsgericht Gießen inzwischen Ordnungsgelder in Höhe von 26000 Mark verhängt wegen Äußerungen, »die keinen konkreten studien- oder hochschulpolitischen Inhalt haben«. Es handelt sich hierbei um Äußerungen gegen Studentenverbindungen und um permanente Aufrufe des AStA zu deren Bekämpfung. (...)“

(Dietmar Engelhardt in Nation und Europa)

Obwohl vor dem Recht ja alle gleich sein sollen, trifft das beim politischen Engagement von ASten und Verbindungen nicht zu. In der Geschichte der Bundesrepublik haben sich die Handlungsmöglichkeiten im direkten Vergleich geradezu umgekehrt. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Wiederaufbau der Verbindungen von den Alliierten verboten, in den »Military Organization Regulations« der Amerikaner vom 14. März 1947 heißt es: „All National Socialist organizations in universities are abolished and will not be permitted to be revived. The revival of other student organizations (especially Verbindungen, Burschenschaften, Korporationen, and their Altherrenbuende) of a nationalistic, reactionary or para-military character will not be permitted.“ Stattdessen wurden die verfaßten StudentInnenschaften eingerichtet, um den in den Korporationen üblichen hierarchischen Strukturen demokratische entgegenzusetzen. Das Verbot der Burschenschaften beispielsweise hielt sich nicht lange, bereits 1950 rekonstituierte sich die Deutsche Burschenschaft mit Adenauers Hilfe – übrigens in Marburg. Als zur Zeit StudentInnenbewegung linke Asten auf der Landkarte auftauchten, halfen die Verwaltungsgerichte, dem bis dahin bei den konservativen und korporierten ASten als unproblematisch empfundenen demokratischen Treiben ein Ende zu setzen. Seit 1994 rollt nun die zweite Klagewelle über linke ASten. Heute haben aufgrund aberwitziger juristischer Konstruktionen alle StudentInnen und damit jeder einzelne Verbindungsstudent die Mittel an der Hand, die politische Tätigkeit der ASten soweit zu begrenzen, daß ein Einbringen in gesellschaftspolitische Diskurse fast unmöglich wird.

Die Mär vom Zwangsverband

Die juristische Argumentation hierfür läuft in etwa so ab: Die Studierenden einer Hochschule sind in der verfaßten StudentInnenschaft organisiert, Austritte sind nicht möglich und alle müssen mit dem Semesterbeitrag auch Geld an die StudentInnenschaft zahlen – in Marburg derzeit 13,50 Mark pro Semester. Damit wird die StudentInnenschaft zur Zwangskörperschaft und ihre Mitglieder müssen in ihren Freiheitsgrundrechten nach Artikel 2 Grundgesetz vor den ASten und deren politischen Äußerungen beschützt werden. Bei der Hochschule insgesamt ist dies nicht der Fall, die kostet zwar dank der fortschreitenden Studiengebührendebatte auch bald Geld und bringt weitaus mehr Zwänge mit sich als unliebsame Meinungsäußerungen, darf aber trotzdem ohne Rücksicht auf ihre Mitglieder gesellschaftspolitisch aktiv werden. Um diese unterschiedliche Handhabung zu begründen, benötigen die RichterInnen nur eine Sekunde, noch dazu eine juristische. Die schieben sie zwischen Immatrikulation und Zugehörigkeit zur StudentInnenschaft und argumentieren so: Die Wahl der Hochschule ist frei und wem was nicht paßt, soll sich gar nicht erst immatrikulieren oder eben die Hochschule verlassen. Die Wahl der StudentInnenschaft ist nicht frei, denn hier werden neue StudentInnen eine logische Sekunde nach ihrer Immatrikulation zwangseingewiesen. Diese Mär vom Zwangsverband bildet die Grundlage für die gesamte Rechtsprechung zum politischen Mandat: Die StudentInnenschaft wird nicht als gesellschaftliche Gruppe gesehen, die auch etwas beizutragen hat, sondern als potentielle Grundrechtsverletzerin ihrer Mitglieder – StudentInnenschaftswahlen hin oder her.

Die Rechtslage...

Der Rahmen, in dem die StudentInnenschaften politisch tätig werden dürfen, ist in den Landesgesetzen in den Aufgaben des AStA geregelt. In der zu Beginn der Klagewelle gültigen Fassung sah das Hessische Hochschulgesetz in §63 (2) folgende Punkte vor:

1. Vertretung der Gesamtheit ihrer Mitglieder im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse,

2. Wahrnehmung der hochschulpolitischen Belange ihrer Mitglieder,

3. Wahrnehmung der wirtschaftlichen und sozialen Belange der Studenten, soweit sie nicht dem Studentenwerk oder anderen Trägern übertragen sind,

4. Pflege überregionaler und internationaler Studentenbeziehungen,

5. Förderung der politischen Bildung und des staatsbürgerlichen Verantwortungsbewußtseins der Studenten,

6. Unterstützung kultureller und musischer Interessen der Studenten,

7. Förderung des freiwilligen Studentensports, soweit nicht die Hochschule dafür zuständig ist.

In diesen Aufgaben ist immer wieder von Belangen der Mitglieder die Rede, noch dazu von der Vetretung einer Gesamtheit der Mitglieder, als ob es so etwas wie ein gemeinsames Interesse aller StudentInnen gäbe. In der Rechtsprechung wird dieses Dilemma wieder einfach gelöst: Spezifisch und unmittelbar hochschulbezogene Aktivitäten werden toleriert, alles darüber hinausgehende kann der Gesamtheit der Mitglieder nicht zugemutet werden. Eine Definition, was ausreichend hochschulbezogene Politik an der Hochschule und was zu allgemeinpolitische Politik an der Hochschule ist, liefern die RichterInnen nicht, das wollen sie im Einzelfall entscheiden. Nicht ungeschickt, denn damit erhalten sie die Möglichkeit, politische Einzeläußerungen in legal und illegal einzuteilen, ohne allzusehr mit dem Problem konfrontiert zu werden, daß eine logische und konsistente Trennung von Hochschul- und Allgemeinpolitik nicht möglich ist. Bleibt die Frage nach dem Primat der Politik, aber die Verlagerung politischer Entscheidungen an die Gerichtshöfe ist in der Bundesrepublik in den letzten Jahren ohnehin gang und gäbe geworden.

...und ihre Anwendung

Diese Chance ließ Eike Erdel sich natürlich nicht entgehen und produzierte ab 1997 gemeinsam mit Freunden eine Flut von Klagen gegen den AStA. Eine Abschaffung der verfaßten StudentInnenschaften, die sich über die Parlamente nicht durchsetzen läßt, sollte so de facto per Gerichtsbeschluß erreicht werden. Dabei konnte Erdel auch auf politische Unterstützung hoffen, immerhin haben sich viele RichterInnen längere Zeit an korporierten-verseuchten Jura-Fachbereichen aufgehalten oder sind sogar selbst in Verbindungen. Unter Männern in einem Lebensbund kann man sich schon mal einig werden, wenn es gegen linke ASten geht. Die politische Dimension der Auseinandersetzung ist nicht zu leugnen, nicht mit Blick auf die Geschichte von Verbindungen und StudentInnenschaften und erst recht nicht mit Blick auf Erdels politische Instrumentalisierung seiner rechtlichen Möglichkeiten, wenn er beispielsweise schreibt: „Da sich die gesetzlichen Bedingungen in den meisten Bundesländern ähneln, hat es jeder nationalbewußte Student selbst in der Hand, das rechtswidrige Treiben linker Studentenvertreter an seiner Universität zu beenden.“

Und es ist wirklich so einfach. Wer unliebsame Meinungsäußerungen durch den AStA verhindern oder zumindest sehr teuer machen will, benötigt zuerst eine einstweilige Anordnung. Die kann im Falle des Marburger AStA beim Verwaltungsgericht in Gießen etwa so beantragt werden:

»Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung des XYZ gegen die Körperschaft des Öffentlichen Rechts, Studentenschaft der Philipps-Universität Marburg, wegen Untersagung der Wahrnehmung eines allgemeinpolitischen Mandat: Ich beantrage hiermit die einstweilige Anordnung gemäß § 123 VwGO: »Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig für die Dauer der Mitgliedschaft des Antragstellers und bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache untersagt, politische Erklärungen, Forderungen und Stellungnahmen abzugeben, die nicht spezifisch und unmittelbar hochschulbezogen sind. Zugleich wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe von fünf Deutsche Mark bis fünfhunderttausend Deutsche Mark angedroht.«

Ausreichend begründet mit einigen Veröffentlichungen des AStA, die allgemeinpolitische Äußerungen enthalten, kann so einem Antrag stattgegeben werden. Mit einer einstweiligen Anordnung in der Tasche kann schließlich bei angeblicher Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld beantragt werden:

»Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes wegen Verstoß gegen den Beschluß vom soundsovielten des XYZ gegen die Körperschaft des Öffentlichen Rechts, Studentenschaft der Philipps-Universität Marburg, wegen der Untersagung der Wahrnehmung eines allgemeinpolitischen Mandat: Ich beantrage hiermit gem. § 167 VwGO in Verbindung mit §890 ZPO die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen die Vollstreckungsschuldnerin wegen der Veröffentlichung des Flugblattes...«

Gut begründet kostet so etwas den AStA dann einen Haufen Geld. Wenn die RichterInnen in Gießen dem Antrag jedoch nicht stattgeben, kann immer noch eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof in Kassel eingereicht werden, der für Verfahren dieser Art die höchste Instanz bildet. Eine solche Beschwerde kann natürlich auch bei einstweiligen Anordnungen oder seitens des AStA eingelegt werden.

Die Top-five

In Marburg waren es fünf Männer, die den AStA mit Klagen überhäuften, allesamt Verbindungsstudenten:

Die fünf haben gehörig voneinander abgeschrieben, Klagen mehrfach mit anderer Unterschrift eingereicht und es so von Februar 1997 bis August 1998 auf stolze 28 Klageschriften gegen den AStA gebracht, davon acht Anträge auf einstweilige Anordnungen. Sechs dieser Anträge wurde stattgegeben, in einem Fall erst im Beschwerdeverfahren beim Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel. Bei den verbleibenden 20 Ordnungsgeldanträgen gaben die RichterInnen den Klägern in sieben Fällen recht. Kostenpunkt für den AStA: 27000 Mark. Der mußte es erstmal hinnehmen und sich sogar vor Beschwerdeverfahren am VGH hüten: In vier Fällen sind die Kläger nach in Gießen verlorener Klage nach Kassel gegangen, in zwei Fällen bekamen sie und nicht die Gießener GerichtskollegInnen recht. Sollte der AStA eine Beschwerde wagen, gibt er den Kasseler Korporiertenfreunden zudem das Argument fehlender Einsicht an die Hand, und das kann teuer und irgendwann strafrechtlich verfolgt werden.

Was beklagt wurde

Viele Klagen der Reps richteten sich gegen das Engagement des AStA für unterdrückte Gruppen: Schwule, AusländerInnen und FrauenLesben. Mit 11000 Mark Ordnungsgeld hat es die AusländerInnenpolitik des AStA am schlimmsten erwischt. So durften beispielsweise die Forderungen ausländischer StudentInnen, die von der Streikvollversammlung im Wintersemester 97/98 beschlossen wurden, nicht vom AStA-AusländerInnenreferat wiederholt werden. Die Kasseler Richter sahen hier die Belange aller AusländerInnen und nicht nur die der ausländischen Studierenden berührt. Das mit 1000 Mark vergleichsweise niedrige Ordnungsgeld begründeten sie mit ihrem Unvermögen nachzuweisen, dass die einstweiligen Anordnungen durch Einkleidung in einen hochschulbezogenen Zusammenhang umgangen werden sollten. In Folgefällen wird es also teurer und was am Gießener Gericht noch als ganz normales Flugblatt mit Hochschulbezug wahrgenommen wird, kann auf dem Weg zum Verwaltungsgerichtshof bereits zur Verschleierungstat mutieren. Keine guten Aussichten für künftige AStA-Veröffentlichungen, die über den Rand der Wasserspartasten auf Uni-Klos hinausblicken. Auf diese sanitär-ökologische Errungenschaft ist das AStA-Referat für politische Ökologie reduziert worden, nachdem Klagen etwa gegen Anti-AKW-Äußerungen zu 16000 Mark an Ordnungsgeldern führten.

Bei den weiteren beklagten Themenfeldern »Streik« und »anti-korporierte Politik« konnten vor Gericht keine Zahlungen aus dem AStA- in den Staatshaushalt erwirkt werden. Allerdings verliefen nur die Klagen zu den AStA-Aktivitäten im Streik erfolglos. Gegen die anti-korporierte Politik des AStA konnten die Burschen um Erdel mit Hilfestellung eine bisher nie da gewesene einstweilige Anordnung in weiten Teilen durchsetzen.

Darf ein AStA sich mit Korporationen auseinandersetzen?

Begründet mit einem Interview, in dem Marburger AStA-VertreterInnen die „Bekämpfung der Burschenschaften“ als einen Arbeitsschwerpunkt nannten, wurde zuerst ein Ordnungsgeld beantragt. Der Kläger hielt es für nicht zulässig, daß sich Arbeit der verfaßten StudentInnenschaft auch gegen ihre eigenen Mitglieder, hier die Korporierten, richtet. Die Gießener Richter urteilten: „Die beanstandete Äußerung ist auch nicht aufgrund der konkret gewählten Formulierung, ein Schwerpunkt sei die »Bekämpfung« der studentischen Verbindungen, unzulässig. Die Vollstreckungsschuldnerin hat hierzu in ihrer Antragserwiderung vom 06.01.1998 erklärt, diese Formulierung sei dahingehend zu verstehen, daß der AStA über studentische Verbindungen informiere und sich in kritischer Weise mit ihnen auseinandersetze. (...) Konkrete Anhaltspunkte dafür, daß die Vollstreckungsschuldnerin den Begriff »Bekämpfung« in einem anderen Sinne als in dem einer »kritischen Auseinandersetzung« verwendet hat, sind vom Vollstreckungsgläubiger weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Die kritische Auseinandersetzung mit studentischen Verbindungen durch die Vollstreckungsschuldnerin unterliegt keinen rechtlichen Bedenken.“

Durch einen abgelehnten Prozeßkostenhilfeantrag erfuhren die Kläger schließlich von den Richtern des Kasseler Verwaltungsgerichtshofs, daß die Festsetzung eines Ordnungsgelds auch im Beschwerdeverfahren kaum Aussicht auf Erfolg hätte – und sie erhalten hilfreiche Hinweise: „Selbst wenn jedoch davon ausgegangen wird, daß die Antragsgegnerin durch ihr beanstandetes Verhalten die allgemeine Handlungsfreiheit des Antragstellers nachteilig verletzt hat, ändert dies nichts daran, daß die beantragte Festsetzung eines Ordnungsgeldes nur dann gerechtfertigt wäre, wenn die Antragsgegnerin gegen die ergangene einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts Gießen verstoßen hätte. Da dies nicht der Fall war, liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nicht vor.“

Der Antrag, der StudentInnenschaft per einstweiliger Anordnung jegliche Auseinandersetzung mit studentischen Verbindungen zu untersagen, lag prompt vor. Wieder einmal wurden die Gießen Richter von ihren Kasseler Kollegen überstimmt und dem Antrag zu 80 Prozent stattgegeben:. „Der Antragsgegnerin wird bis zur unanfechtbaren Entscheidung in der Hauptsache, jedoch nicht länger als der Antragsteller Mitglied der Antragsgegnerin ist, untersagt, Erklärungen und Stellungnahmen abzugeben sowie Forderungen zu erheben, die gegen studentische Verbindungen und Burschenschaften gerichtet sind, so weit sie über eine weltanschaulich und politisch neutrale Sachdarstellung hinausgehen.“

Blieb für den AStA jedes Mal aufs Neue die Frage, welche Stellungnahme zu Rechtsextremen nicht über eine weltanschaulich und politisch neutrale Sachdarstellung hinausgeht. Die Gerichte geben hier keine Antwort, wozu auch, Details können sie immer noch in eventuell folgenden Ordnungsgeldverfahren festlegen. Dem AStA blieben also nur die Möglichkeiten, vorsichtiger als nötig zu agieren, anti-korporierte Politik gänzlich sein zu lassen oder die Grenze zwischen legal und illegal doch noch zu finden und damit weitere Ordnungsgelder zu riskieren.

Ein offensives Vorgehen wurde dabei durch weiteren juristischen Druck erschwert. Der RCDS zum Beispiel warf dem AStA immer wieder Untreue vor und forderte in Flugblättern eine Regreßpflicht des Vorstands: Die drei betroffenen Vorstandsmitglieder sollten nach Meinung des CDU-Nachwuchses die Ordnungsgelder aus der eigenen Tasche bezahlen. Unterstützung fand diese Meinung in der Marburger Staatsanwaltschaft, der es Mitte 1999 gelang, eine Verurteilung der betroffenen Vorstandsmitglieder in punkto Untreue vor dem Marburger Landgericht zu erwirken. Zu einer Regreßpflicht des Vorstands kam es jedoch nicht.

Die Folgen

Offenbar beeindruckt durch viele Briefe von RCDS und RHV reihte sich auch die Uni-Rechtsabteilung ein. De facto unter Umkehrung der Beweislast sperrte sie kurzerhand die Gelder für verschiedene AStA-Referate, bis ausreichend erläutert wurde, inwieweit deren Tätigkeit durch die Aufgaben der StudentInnenschaft gedeckt ist. 27000 Mark weniger, ständige Briefwechsel mit der Rechtsaufsicht und die Gefahr, persönlich haftbar gemacht zu werden, hoben nicht gerade die Stimmung im AStA. Diesen Effekt nahmen auch die Rechten zur Kenntnis:

„Einen weiteren Effekt hat die gelungene Aktion des RHV auch noch: Die Streichung der Gelder und die Geldbuße haben interne Querelen im AStA ausgelöst. So warf der Finanzreferent, Stefan Mielchen, einigen AStA-Kollegen vor, sie seien »dogmatischer als die katholische Kirche« und hätten bewußt die Ordnungsgelder in Kauf genommen, um zu beweisen, »daß sie sich von den Republikanern nicht unterkriegen lassen«. Dies scheint ihnen jedoch nicht ganz gelungen zu sein.“

(Dietmar Engelhardt in Nation&Europa)

Vorauseilender Gehorsam

Mittlerweile dürfte die Freude über die RHV-Aktionen in der rechten Studierendenszene noch größer sein. So konnte die linke AStA-Koalition ihre Arbeit nach den StudentInnenschaftwahlen 1998 nicht mehr fortsetzen – sie wurde durch eine Koalition der »neuen Mitte« um Grüne, JungsozialistInnen und Liberale abgewählt. Die hohen Ordnungsgelder mit den dadurch ausgelösten Querelen im AStA haben dazu sicherlich ihren Beitrag geleistet. So ist die Rosa Liste, die den damaligen Finanzreferenten Stefan Mielchen stellte, als einzige studentische Liste der alten AStA-Koalition auch am neuen AStA beteiligt. Um diese neue Koalition zu ermöglichen, waren die Schwulen der Rosa Liste sogar bereit, einen AStA ohne Beteiligung der Feminstischen FrauenLesben-Liste zu bilden, mit der sie jahrelang eng zusammengearbeitet hatten.

Es scheint mit Blick auf die beteiligten Listen und den durch Rechtsprechung und rechte Studierende aufgebauten Druck nicht verwunderlich, dass der neue AStA jetzt eine Politik des vorauseilenden Gehorsams betreibt. Äußerungen mit dem Hauch von Allgemeinpolitik gehören der Vergangenheit an, ebenso wie die Klagewelle der Korporierten. Damit ist auch eine anti-korporierte AStA-Politik Schnee von gestern. Kulturreferent Alexander Katzung von der Liberalen Hochschulgruppe ist gar selbst in einer Verbindung, der AMV Fridericiana. Eike Erdel und Dietmar Engelhardt wird es freuen, dass längst nicht mehr linke Gruppierungen die bestimmende Rolle an Hochschulen spielen – zumindest in Marburg.

 

 

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