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verbindungen kappen

 
 

Grundsätzlich
das Gleiche in grün

Kritik an Verbindungen macht sich oft genug nur an den offensichtlichsten Sexismen und Rassismen der Korporationen fest, wie etwa dem grundsätzlichen Ausschluß von Frauen und AusländerInnen, oder an Riten, die dermaßen überholt erscheinen, daß sie die Rückwärtsgewandtheit der Verbindungen auch bei oberflächlicher Betrachtung deutlich machen. Demzufolge scheint die Kritik im Falle der wenigen Verbindungen, die diese Riten und offensichtlichen Diskriminierungen im Laufe der Zeit entsorgt haben, nicht zu greifen. Aber sind diese Verbindungen dann wirklich »harmlos«? Eine nähere Betrachtung der Marburger Vorzeige-Softie-Verbindung, die AMV Fridericiana, könnte Aufschluß geben.

Wenn MarburgerInnen über Verbindungen reden, wird eine Verbindung häufig gesondert genannt, als die »harmlose« unter den Verbindungen. Gemeint ist dann die Akademisch-Musische Verbindung Fridericiana aus Marburg. Der Sonderstatus dieser Verbindung ergibt sich daraus, dass sie nicht nur nicht farbentragend und nichtschlagend ist, sondern – und das ist bei studentischen Verbindungen wirklich selten – sowohl Frauen als auch AusländerInnen aufnimmt. Sie tritt zudem weniger mit exzessiven Trinkgelagen oder fragwürdigen Vorträgen an die Öffentlichkeit als mehr mit der Organisation von kulturellen Veranstaltungen wie Konzerten oder Theateraufführungen. Ihre Selbstdarstellungen schließlich lesen sich zumeist wie die eines beliebigen Kulturvereines. Dennoch, eine harmlose Vereinigung kunstliebender Menschen, die mit dem restlichen Verbindungszirkus nichts am Hut hat, ist die AMV Fridericana sicher nicht.

Autoritäres Menschenbild und Seilschaften

Ganz grundlegend hat sie eines mit allen anderen Verbindungen gemein: Das Grundprinzip einer elitären Seilschaft, die eben deswegen nicht genauso funktioniert wie eine Familie oder »normale« Freundschaften, weil sie den Auftrag hat, ihre Mitglieder entsprechend eines konservativen und autoritären Menschen- und Weltbild zu erziehen.

Das autoritäre Menschenbild drückt sich auch bei den Fridericianern in den Hierarchien zwischen den einzelnen Verbindungsmitgliedern aus: Hier, wie in jeder anderen Verbindung, lernt das angehende Verbindungsmitglied zunächst als Fux, daß es gegenüber Autoritäten den Schwanz einzuziehen und Befehle zu befolgen hat. Später als »vollwertiges« Verbindungsmitglied wird die Lektion auch hier durch das Ausüben von Autorität gegenüber den neuen Füxen fortgesetzt. Das Erziehungsziel der Verbindung wird ganz klar in einem der 1914 verabschiedeten sechs Leitsätze des Dachverbandes der Fridericiana formuliert: Ziel sei der „Zusammenschluß der Mitglieder durch treue Freundschaft und ihre Erziehung zu charakterfesten deutschen Männern...“ Dieser Leitsatz ist bis heute gültig. Was bei deutschen Männern 1914 unter Charakterfestigkeit zu verstehen war, konnten die Männer, die diese Erziehung genossen, entweder direkt an der Front oder spätestens 19 Jahre danach unter Beweis stellen.

Die aus diesem Erziehungsprozess entstandenen „charakterfesten deutschen Männer“, oder eben mittlerweile auch Frauen, werden dann, dank des Seilschaftsprinzips, nach dem die Verbindungen funktionieren, weit weniger Schwierigkeiten haben, in die angenehmeren der zur Verfügung stehenden gesellschaftlichen Positionen vorzurücken, als die DurchschnittsstudentInnen. Dieses natürlich nicht nur, weil sie nun über einen karriereförderlichen Charakter verfügen, sondern auch, weil die alten Damen und Herren ihrer Verbindung ihnen schon entsprechende Schützenhilfe leisten werden.

Andere Vorteile, die der VerbindungsstudentIn auf ihrem Weg nach oben nützlich werden, wie die bei musischen Verbindungen übliche Möglichkeit der kostengünstigen oder -losen Nutzung von Musikinstrumenten und Proberäumen sowie der verbilligte Wohnraum, scheinen dagegen fast schon zu profan, um erwähnt zu werden.

Verfilzungen

Ein weiterer Riss im Bild der »harmlosen« Verbindung ergibt sich daraus, daß Verbindungsfilz nicht nur, wie oben beschrieben, in der Vertikalen sondern auch in der Horizontalen funktioniert. Das heißt: Filz besteht nicht nur innerhalb einer Verbindung, sondern auch zwischen verschiedenen Verbindungen.

Kontakte zwischen studentischen Verbindungen können unterschiedlichste Formen haben: Beliebt ist zum Beispiel der wechselseitige Besuch zum gemeinsamen Trinken. Im Falle der AMV Fridericana ist bekannt, daß es keine für die Mitglieder verbindliche Regelung darüber gibt, ob die Tür zur gemeinsamen Runde geöffnet wird. Das einzelne Mitglied entscheidet im Zweifelsfall selbst. Auch wenn es auf diese Weise vermutlich eher nicht zu Kontakten zwischen den als rechtsextrem zu bezeichnenden Verbindungen und der AMV Fridericana kommt, kann davon ausgegangen werden, daß auf diese Weise Kontakte zu Verbindungen entstehen, die einige der von der AMV Fridericana so sehr betonten liberalen Einstellungen keineswegs teilen.

Deutlich wird das Maß der Verfilzung der Korporationen untereinander auch am Beispiel des ehemaligen Marburger Unipräsidenten und Fridericaners Simon, der die Angewohnheit hatte, am Anfang jeden Semesters die Erstchargierten der Marburger Verbindungen zu sich zu bitten, um ihnen die Pläne der Universität für das kommende Semester zu erläutern. Erstaunlicherweise fühlte er dieses Verlangen wohl nie gegenüber den restlichen, nichtkorporierten Studierenden.

Last not least: Die verbindlichste und damit vielleicht wichtigste Form des Kontaktes von Verbindungen untereinander wird über den Dachverband geleistet.

Die AMV Fridericana ist, wie die meisten musischen Verbindungen, Mitglied des Sondershäuser Verbandes Akademisch-Musikalischer Verbindungen (SV).

Spätestens bei einer näheren Betrachtung dieses Dachverbandes müßte klarwerden, daß die AMV Fridericana nicht so verbindungsuntypisch ist, wie sie gerne tut.

Der Dachverband

Der SV ist ein Verband, der über sich selbst sagt, daß er ein breites Spektrum an Verbindungen umfaßt. So folgen zwar alle in ihm organisierten Verbindungen dem sogenannten »Schwarzen Prinzip«, das heißt, sie sind nichtschlagend und tragen keine Farben, andererseits akzeptieren durchaus nicht alle Frauen als Mitglieder. Die Auseinandersetzungen mit dem Gesamtaltherrenverband des SV, dem VASV, um die grundsätzliche Möglichkeit für Verbindungen des SV, Frauen aufzunehmen, dauerten immerhin bis 1993 an.

Ebenfalls 1993 hat die SV die Präambel des VASV mit den Prinzipien „Lied – Freundschaft – Vaterland“ übernommen. Irritierenderweise erwähnt der SV auf seiner Internetseite, auf der die Prinzipien „Lied“ und „Freundschaft“ ausführlich erklärt werden, seine Vaterlandsliebe mit keinem Wort. Vielleicht, weil auch den Autoren auffiel, dass sich hier ein gewisser Widerspruch zu der angeblich unpolitischen Haltung der musischen Verbindungen ergibt.

Geschichtsklitterung hier wie anderswo

Weitere Formulierungen in der auf dieser Internetseite zu lesenden Verbandsgeschichte lassen auf die wohl doch eher rechtskonservative Gesinnung der Autoren schließen: Die vom Verband 1926 verrichtete »Grenzlandarbeit«, die ideologisch in die Ecke der damaligen nationalistischen und expansionistische Bestrebungen gehört, wird hier als „Aufklärung und Bewußtseinsbildung über die Fragen der Grenzen des Reiches und ihre Folgen für die Deutschen in den Grenzgebieten, vor allem jenseits der von Versailles gezogenen Grenzlinien“ bezeichnet.

Daß dies, kurz bevor das Deutsche Reich den Versailler Vertrag zum Anlaß nahm, den Zweiten Weltkrieg vom Zaun zu brechen, eine problematische Tätigkeit gewesen sein könnte, erwähnt der Autor mit keinem Wort.

Stattdessen wird hervorgehoben, „dass der SV auch unter wachsendem politischen Druck um seine Eigenständigkeit bemüht war.“ Diese Eigenständigkeit drückte sich schon in der 1925 geänderten 2. Strophe des Verbandsliedes aus. Als Grund für die Änderung wird in der verbandseigenen Geschichtsaufarbeitung genannt, dass die neue Strophe im Gegensatz zur alten, die „im Geist des ausgehenden 19. Jahrhunderts das Kaiserreich besang (...) als zeitloser empfunden wurde.“ Interessant wird diese Aussage, liest man den Wortlaut der zeitlos erneuerten Strophe:

„Wir weihen unser ganzes Leben/dem heil’gen deutschen Vaterland/wir wollen neue Kraft ihm geben/und dienen ihm von Herz und Hand. / Wir sind zu Kampf und Sieg und Sterben/ hinein ins deutsche Volk gestellt, /wir wollen Freiheit ihm erwerben/und schirmen gegen alle Welt.“

Daß sie diese Strophe als zeitlos begreifen, läßt unangenehme Rückschlüsse auf die politische Haltung der Autoren zu. Die Tatsache, daß die 1925 geänderte Strophe jeder geschichtlich nicht völlig ignoranten Person durchaus nicht zeitlos, sondern im Gegenteil ziemlich zeitbezogen erscheinen muß, wird hier schlicht verschwiegen. Ebenso der Umstand, daß die Strophe vermutlich aus genau diesem Grund heute gar nicht mehr gesungen, sondern nur noch instrumental gespielt wird.

Generell nicht erwähnt wird in dieser Geschichtsdarstellung die Tatsache, dass sich die Differenzen zwischen Korporationen und Nazis oft genug in der Auseinandersetzung um die elitäre Haltung der Verbindungen erschöpften und ansonsten eine weitgehende inhaltliche Übereinstimmung herrschte, die die nahezu nahtlose Integration der Korporationen ins faschistische Erziehungsprogramm erst ermöglichte.

Stattdessen wird darauf hingewiesen, daß die ab 1933 praktizierte „Umformung“ in nationalsozialistische Kameradschaften von einigen im SV organisierten Verbindungen stattfand, „um in offiziell geduldetem Mantel dem äußeren Druck besser standzuhalten.“ Antifaschistische Keimzellen im kameradschaftlich-korporierten Mäntelchen. Wer’s glaubt...

Die Verfasser der Internetseiten des SV bestechen insgesamt durch ihre kollektive rechtsäugige Blindheit – zumindest was die eigene Verbandsgeschichte angeht. Möglicherweise sind sie damit vereinzelte Ausnahmen innerhalb des Verbandes und möglicherweise würde kein einziger Fridericaner diesen Blickwinkel teilen – dennoch müssen sich alle Mitglieder des SV fragen lassen, ob sie ihre vorgebliche unpolitische Haltung durch solchen, durchaus politisch relevanten, Blickwinkel angemessen repräsentiert sehen. Vielleicht haben die Mitglieder der AMV Fridericana aber auch einfach gar kein so großes Problem mit politisch rechtslastigen Äußerungen wie sie vorgeben. Sonst bräuchten sie nämlich nur ein paar Jahrzehnte zurückblicken, um auch in der eigenen Verbindung über Entsprechendes zu stolpern. So erklärte Friedrich Frohwein im Jahr 1965 von der AMV Fridericana die Auseinandersetzung mit der faschistischen Vergangenheit Deutschlands für obsolet:

„Das Schlagwort »Bewältigung der Vergangenheit« ist wie alle solche Worte plötzlich entstanden und nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Die Folge ist ein ständiges Aufwühlen der Vergangenheit durch Prozesse gegen ehemalige Nazis, so daß es manchem Einsichtigen und Gutwilligen zum Überdruß wird.“ (Friedrich Frohwein, AMV Fridericiana, in: Der Convent H. 1/1965, S. 16)

Vielleicht wurde der sich offensichtlich zu den »Einsichtigen« zählende Herr Frohwein der deutschen Vergangenheit auch deswegen so schnell überdrüssig, weil gerade die AMV Fridericiana eine Menge – eventuell ungemütlichen – Stoff bieten könnte:

Die damalige NS-Studentenbund-Kameradschaft Wolfram von Eschenburg, entstanden aus der Frideriviana im SV, der Vorgängerin der Fridericiana, wurde 1938(!) mit ausdrücklicher Billigung der NS-Führung wiedergegründet.

Was lernen wir von der Fridericiana?

Das Grundprinzip einer elitären Seilschaft wird durch eine möglicherweise liberalere Ausrichtung einzelner Verbindungen nicht aufgelöst: Auch die Mitglieder der allerliberalsten Verbindungen genießen gegenüber ihren nichtkorporierten Mitstudierenden Vergünstigungen.

Eingewandt werden könnte hier, daß man den Verbindungen schwerlich vorwerfen kann, als Seilschaften zu fungieren, wenn keine bestimmte politische Ausrichtung der Mitglieder verlangt oder gefördert wird. Demgegenüber steht, daß es sich bei näherer Betrachtung mit der vielbeschworenen Liberalität dieser Verbindungen ähnlich verhält wie mit der aller anderen Verbindungen.

Alle Verbindungen sind böse, überall

Verbindungen haben ein autoritäres Menschenbild, welches sie durch die verbindungsinternen Hierarchien innerhalb ihrer Reihen verbreiten und reproduzieren. Progressive Impulse setzen sich in Geschichtsbild und aktueller politischer Einstellung in der Regel schon aufgrund des durch ihre finanzielle Unterstützung gesicherten Einflusses der Alten Herren/Damen nicht durch.

Diese beiden Punkte ergeben sich aus den Strukturen des Verbindungswesens und gelten deswegen für die sogenannten harmlosen Verbindungen ebenso wie für alle anderen.

Ein weiterer wichtiger Punkt: Der Name »Verbindung« für dieses gesellschaftliche Phänomen ist tatsächlich sicher nicht aus einer Bierlaune entstanden, sondern beschreibt furchtbar hintersinnig und doppeldeutig nicht nur die Verbindungen der Studierenden innerhalb einer Korporation und die der Studierenden zu den alten Herren/Damen derselben Korporation, sondern auch die Verbindungen der Korporationen untereinander und wiederum die der Alten Herren/Damen unterschiedlicher Korporationen untereinander.

Diese Verbindungen können unterschiedliche Ausformungen haben. Eine recht unverbindliche davon ist, daß sich Verbindungen bei den sogenannten »Couleurbummeln« gegenseitig auf ihren Häusern besuchen und gemeinsamen Ritualen frönen. Wie lebhaft so etwas tatsächlich zwischen den jeweiligen Verbindungen geschieht, ist lokal unterschiedlich. Es kann aber davon ausgegangen werden, daß solche Kontakte überall vorhanden sind und z.B. für die Weitergabe von Informationen über Verbindungsgrenzen hinweg sorgen.

Eine andere und ungleich verbindlichere Form von Kontakt ergibt sich aus der Zugehörigkeit der Verbindungen zu Dachverbänden. Spätestens hier wird oftmals der Widerspruch zwischen dem progressiven Anspruch, den einige Verbindungen für sich formulieren und der korporierten Realität offensichtlich. Eine Verbindung, die Mitglied in einem bestimmten Dachverband ist, sollte zu dessen Grundsätzen und Äußerungen stehen können und muß sich auch daran messen lassen. Andernfalls müsste sie sich nun wirklich die Frage gefallen lassen, warum sie überhaupt Mitglied bleibt. Die Dachverbände aber stellen sich bei näherer Betrachtung eigentlich alle als konservativ orientierte Gruppierungen heraus. Die bestehenden Unterschiede werden zudem durch die Mitgliedschaft der allermeisten Dachverbände in einer der beiden Metadachverbände Convent Deutscher Akademikerverbände (CDA) und Convent Deutscher Korporiertenverbände (CDK) relativiert. Man merkt, es gibt ein wiederkehrendes Muster im Verbindungswesen: Formale Distanzierungen haben hier eher selten Auswirkungen auf den tatsächlichen Verkehr der Korporationen miteinander.

 

 

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Sexismus in den Korporationen. Ein Kommentar zu einer – tatsächlich gehaltenen – sogenannten Damenrede eines Korporierten. Solche Reden werden auf Verbindungsfesten zu "Ehren" der anwesenden Frauen gehalten.

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Ein Überblick über Vorträge dreier Marburger Burschenschaften in den letzten Jahren, die deren politische Gesinnung zeigen. Unter den Referenten finden sich Namen wie Horst Mahler und Ernst Nolte.