Sind studentische
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Die vorliegende Abhandlung leistet einen Beitrag zu der Diskussion, ob
studentische Verbindungen für ihre Mitglieder und die Gesellschaft harmlos
sind. Gegenstand der Betrachtung ist die korporierte Erziehung, deren Art durch
die Aufnahmevoraussetzungen, die eine Korporation an einen Interessenten stellt,
zum Teil vorgegeben ist. Dazu werden zunächst die Voraussetzungen und deren
Folgen für die Erziehung kurz erläutert, anschließend werden dann sieben
verschiedene Arten der korporierten Erziehung eingehender betrachtet, um in der
Abschlußbetrachtung die im Titel gestellte Frage beantworten zu können.
„Die studentischen Korporationen verstanden sich als ein akademischer, elitärer Lebensbund, in dem man durch Erziehung hineinwuchs unter der Voraussetzung, dass der Zögling sich den korporativen Verhaltensregeln unterwarf und annahm; als »honorig« und damit der Zugehörigkeit zum Lebensbund würdig galt nur derjenige, der dem Wertesystem der Korporationen entsprach und infolgedessen kooptiert werden konnte.“ (1)
Dieses Zitat von Klönne eröffnet zu Beginn den Blick auf ein wesentliches Merkmal studentischer Verbindungen: Das Lebensbundprinzip. Das Mitglied einer Korporation gehört ihr im Regelfall bis zu seinem Tode an. Klönne erwähnt weiterhin zwei wichtige Voraussetzungen, die ein Interessent erfüllen muß, wenn er Mitglied werden will: Er unterstreicht einerseits den Aspekt der Unterwerfung des Neuen unter das Reglement der Korporation und andererseits weist er auf ein korporationsspezifisches Wertesystem hin, mit dem sich der Neue indentifizieren muß. Beide Voraussetzungen sollen erreicht werden durch Erziehung. Gelingt die Erziehung des Neuen, kann er dem Lebensbund beitreten. Um die Charakterisierung der korporierten Erziehung genauer eingrenzen zu können, soll ein weiterer wichtiger Punkt einbezogen werden: Bei den meisten Korporationen handelt es sich nicht nur um Lebensbünde, sondern auch um reine Männerbünde. Das gilt für die meisten Korporationen, allerdings gibt es auch einige gemischtgeschlechtliche Verbindungen und wenige reine Frauenverbindungen. Es kann also davon ausgegangen werden, dass sowohl der Erziehung als auch dem korporierten Wertesystem eine männlich geprägte Vorstellungswelt zugrunde liegt:
„Unser Burschenbrauchtum ist immer auf eine männliche Gruppe abgestimmt. Die menschliche Weltordnung ist auf das Männliche ausgerichtet.“ (2)
In studentischen Verbindungen (auch in den gemischten Korporationen und den Frauenverbindungen) wird demnach ideologisch zwischen zwei geschlechtsdifferenzierten Lebenswelten unterschieden, wobei die männliche von Begriffen wie »Dienen«, »Opfern« und der »Pflicht« in Bezug zu einem höheren Ideal charakterisiert ist, die weibliche als das Andere im Sinne einer Negation der männlich-zentralen Wertvorstellungen konstruiert wird. Demokratie, Gleichheit, Toleranz und Kompromiß sind somit zum Beispiel Begriffe aus der »weiblichen« Lebenswelt (3). Das hat in der Betrachtung einer Korporation als Männerbund mit Lebensbundprinzip weitreichende Folgen, denn die Protektion, die studentischen Verbindungen gern und zurecht vorgeworfen wird, kann so als eine gegenseitige männliche Verpflichtung zur Förderung und Erhaltung der männlichen Weltordnung angesehen werden. Nicht zu unrecht: So sah Manfred Kanther (Corps Guestphalia et Suevoborussia Marburg) die Zielsetzung seines Corps darin, „auch weiterhin national gesinnte Menschen in alle führenden Berufe unserer Gesellschaft zu entsenden“ (4).
Das Zitat verdeutlicht, dass eine Korporation ihren Mitgliedern nicht nur zu einem Job verhelfen möchte; dieselben sollten zusätzlich auch „national gesinnt“ sein. Das trifft zwar nicht für jede Korporation zu, aber allen gemein ist der Anspruch, dass die Mitglieder zumindest autoritär-hierachisch denken. Nicht zuletzt aus der Historie der studentischen Verbindungen heraus kann festgestellt werden, dass fast die gesamten Traditionen des Verbindungswesens funktional zur Aufrechterhaltung autoritären und obrigkeitsstaatlichen Denkens dienten und dienen. Das korporative Wertesystem und das für die Mitglieder angestrebte Persönlichkeitsideal entspringt einem männerbündischen und männerbezogenen System, das autoritäres Denken mit einer politisch-männlichen Identität verbindet und mit der Verpflichtung zum Lebensbund protektionistische Züge hervorbringt und fördert, um auch weiterhin „national gesinnte“ Männer zur Aufrechterhaltung einer hierarchisch-patriarchal organisierten Gesellschaft zu entsenden.
Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es einer bestimmten Erziehung, denn nicht jeder Student ist „national gesinnt“ oder fühlt sich als Teil der Elite, wenn er als Erstsemester sein Studium aufnimmt. Es stellt sich daher die Frage: Wie gelingt es einer Korporation einen Studenten so zu beeinflussen bzw. zu manipulieren, dass er sich in die korporierte Vorstellungswelt einpaßt?
Einer Korporation, die sich selbst als eine eigene elitäre Lebensform begreift (5), dementsprechend eine Exklusivität für sich beansprucht, stehen unterschiedliche Mittel zur Formung des neuen Mitglieds zur Verfügung. Zentraler Punkt der Erziehung ist das studentische Brauchtum. Es setzt sich aus einer Vielzahl von Verhaltensregeln (Comment) zusammen. Dabei regeln
Begriffe wie Charakter, Benimm, Haltung, Einstehen für etwas Höheres (z. B. für die Verbindung, die Ehre oder das Vaterland), Sich-unterordnen-können etwa durch „unbedingten Gehorsam“ (6), etc. spielen eine zentrale Rolle und zeigen, dass eine Verbindung ein umfangreiches Regel- und Sanktionswerk besitzt, um einerseits die Mitglieder den korporierten Regeln zu unterwerfen und um andererseits dabei eine gewisse Kontrolle ausüben zu können. Dem neuen Mitglied ist und soll der volle Umfang und die Härte der Erziehungsmöglichkeiten zunächst nicht ersichtlich sein, da er sonst eher abgeschreckt wäre:
Dieser Formungsprozeß vollzieht sich in der Regel weitgehend unmerklich für das einzelne Mitglied (...). (7)
Nachdem der Neue meist gezielt angeworben und eingeladen worden ist, z. B. zu einer Vortragsveranstaltung, über ein Zimmerangebot, zum Abendessen, auf einer Fete, etc. (8) wird er nach und nach integriert und in das Regelwerk langsam mit einbezogen/eingepaßt. Die Erziehung hat begonnen.
Zur Vielzahl der Verhaltensregeln, die der Erziehung des neuen Korporierten dienen, sollen sieben Arten eingehender erläutert werden:
1. Die Formung erfolgt unter anderem mittels des hierarchischen Organisationsaufbaus, an dessen unterster Stufe der »Fux« (der Neuaufgenommene) steht (9). Dieser steigt nach einer Probezeit zum »Burschen« auf, um schließlich mit Abschluß seines Studiums in die Riege der »Alten Herren« aufgenommen zu werden. Dabei nehmen mit Dauer der Zugehörigkeit zur Korporation die Pflichten ab und die Rechte zu. Ein Fux hat demnach fast nur Pflichten und wenig Rechte (er darf alle »Bundesbrüder« duzen, trägt das zweifarbige Band), oft wird er zu niederen Arbeiten abgestellt (Bier heranholen, Kneipe vorbereiten, Gartenarbeiten verrichten, etc.). Zusätzlich bekommt der »Fux« Unterrichtsstunden vom für die Neuen zuständigen »Fuxmajor«. Der »Fux« hält dies meistens die geforderten zwei Semester mit der Perspektive aus, nach seiner Burschung gleichfalls nach unten treten zu können. Zur Kontrolle seitens der Verbindung hat sich der »Fux« einen sogenannten »Leibburschen« auszusuchen, der ihn überwacht und seine Interessen auf den Conventen (Mitgliederversammlung) vertritt. Nach der Burschung (ähnlich einem Initiationsritual, er verläßt den »Fuxenstall« und wird in den »Burschensalon« aufgenommen) kann das Mitglied voll integriert werden. Er bekommt nun das meist dreifarbige Band (Beitritt zum Lebensbund) und kann oder muß sich nun im Vorstand seiner Verbindung engagieren, bis er als Inaktiver (meist nach weiteren zwei Semestern) erste Pflichten abgeben kann. So muß der Inaktive z.B. nicht mehr alle Veranstaltungen besuchen. Als »Alter Herr« genießt er volle Rechte. Als solcher ist er an der Führung der Verbindung beteiligt, sponsert den Verbindungsbetrieb und fördert seine Bundesbrüder „materiell“ (10).
2. Die zeitliche Beanspruchung des »Fuxen« ist ein weiterer wichtiger Punkt in der Erziehung. Es ist in der korporativen Formung von Bedeutung, dass die freie Zeit des Neuen auf ein mögliches Minimum reduziert wird. Das erschwert dem Neuen das Hinterfragen seines Tuns, erschwert den Aufbau eines außerkorporativen Freundeskreis und läßt ihn zunehmend an die innerkorporativen Tätigkeiten glauben. Der »Fux« ist verpflichtet, an allen Veranstaltungen der Korporation teilzunehmen. Dazu zählen sämtliche Convente, Kneipen (rituelle, feierliche Trinkveranstaltung), Besuche anderer Verbindungen (sogenannter »Coleurbummel«), Vortragsveranstaltungen, Arbeitsnachmittage, gesellschaftliche Veranstaltungen wie das Stiftungsfest oder gemeinsame Ausfahrten (»Faßpartie« oder Besuch eines Alten Herren). In vielen Verbindungen ist auch der Mittagstisch verpflichtend. Hinzu kommen noch regelmäßige Unterrichtsstunden, in denen er das Reglement der Korporation erlernt (»Fuxenstunden«) und gegebenenfalls die »Paukstunden« (Erlernen des studentischen Fechtens). Mit der »Burschung« läßt der zeitliche Druck ein wenig nach. Die zeitliche Beanspruchung als aktiver »Bursche« ist dennoch erheblich. Er repräsentiert nun seinen Bund nach außen, organisiert das Semester oder ist vielleicht im Vorstand seiner Verbindung tätig. Unterliegt der »Fux« der Erziehung durch Pflichterfüllung, so wird der aktive »Bursche« durch die (erzwungene) Wahrnehmung seiner Rechte weitergeformt. Erst als Inaktiver kann er eine deutliche Erleichterung verspüren. Als »Alter Herr« sind die meisten Verpflichtungen aufgehoben. Inaktive und »Alte Herren« stehen den Aktiven der Verbindung beratend und unterstützend zur Seite und kontrollieren auf diese Weise den Fortgang der Verbindung.
3. Die Kneipe, die rituelle Art des Feierns der Korporierten, ist ein bedeutendes Erziehungsmittel, mit dem den Beteiligten spielerisch die Einhaltung der im »Biercomment« festgelegten Regeln beigebracht wird. Wer sich nicht an die Regeln hält, wird abgestraft. Meistens muss derjenige eine gewisse Menge Bier trinken, er kann bei schweren Vergehen sogar von der »Kneiptafel« verwiesen bzw. aus der Runde der Teilnehmenden ausgeschlossen werden. Der erziehende und kontrollierende Aspekt wird seitens der Korporationen nicht abgestritten:
„Trotz eines gewissen einzuhaltenden Zeremoniells darf nicht vergessen werden, dass – wie der CC (Kürzel für den Convent bei den Corps, Anmerkung d. V.) – auch die Kneipe ein Prüfstand ist, auf dem der junge Corpsstudent zeigen soll, mit welcher Sicherheit er sich in dem ihm vorgegebenen Rahmen frei und ungezwungen bewegen kann. Beherrscht er ihn einmal, wird es ihm später im gesellschaftlichen und beruflichen Leben gut zustatten kommen.“ (11)
Der Korporierte soll seine Grenzen kennenlernen. Insbesondere durch verschiedene Trinkrituale wird er gezwungen, den Comment einzuhalten bzw. zu verteidigen, will er nicht betrunken zu Boden gehen und damit seine sogenannte »Bierehre« verlieren. Im Zwang zur Befolgung der Regeln liegt der »Wert« der Erziehung:
„Dazu gehört auch, und gewiß nicht an letzter Stelle, die Erfahrung und die Kraft der Selbsteinschätzung, wann die eigene Grenze erreicht ist. Auch im vorgerücktem Stadium (vor allem des Alkoholkonsums, Anmerkung d. V.) die guten Sitten und Bräuche zu beherrschen, läßt sich wohl kaum besser als auf der Kneipe im überschaubaren Kreise der Corpsbrüder erlernen.“ (12)
Die Kneipe kann als »Kasernenhof« zur Formung des Korporierten und zur Erlernung von Verhaltensweisen gesehen werden, die angeblich persönliche Vorteile für das spätere Berufsleben bringen sollen.
4. Als Bestandteil der „Erziehung zur Persönlichkeit“ (13) des Korporierten ist auch der Convent, die verbindungsstudentische Mitgliederversammlung, zu nennen. Der Convent will mehr als ein parlamentarisches Gremium sein und wird aus der englischen »Rechtssprache« abgeleitet (14). Die korporierte Versammlung empfindet sich dem öffentlichen Parlamentarismus als überlegen (15). Im Mittelpunkt der Versammlung stehen die Interessen der bundesbrüderlichen Gemeinschaft. Ähnlich wie auf der Kneipe, bei der es die (Bier-)Ehre zu bewahren und zu verteidigen gilt, ist es Ziel des Conventes, die Beteiligten zum Wohle von etwas Höherem (die Sache, oder die Gemeinschaft, etc.) mit ihren inneren Hemmungen zu konfrontieren und zu erziehen:
„Der erzieherische Wert des Conventes in sprachlicher und psychologischer Schulung wird immer unterschätzt. Erst muß ich einmal im Kreis der Freunde, der Bundesbrüder die inneren Hemmungen überwinden lernen, sonst werde ich – im Berufe stehend und in das öffentliche Leben gestellt – unter meinen Hemmungen eine Niete bleiben und das Feld dem hemmungslosen Demagogen überlassen.“ (16)
Zurücknehmen der eigenen Persönlichkeit zum Wohle der Gemeinschaft ist das erklärte Ziel der Conventserziehung, wodurch, sozusagen als positiver Nebeneffekt, auch berufliche Vorteile entstehen sollen. Auch hier ist ein Sich-Unterordnen gefordert und auch hier muß der Korporierte seinen »inneren Schweinehund« überwinden, das bedeutet, Zwang gegen sich selbst ausüben.
5. Jede Verbindung verfügt über einen Biercomment, in dem die gebräuchlichen Trinksitten zusammengefaßt sind. In ihm ist z. B. nachzulesen, wer wem wann wieviel und unter welchen Voraussetzungen zuprosten darf. Eine Trinksitte, viel mehr ein Trinkritual, das es in allen Verbindungen gibt, soll näher erläutert werden: Der Bierjunge. Es handelt sich dabei um ein Bierduell, auch Biermensur genannt. Der Bierjunge diente früher zur Beseitigung kleinerer Streitigkeiten zwischen zwei Korporierten, heute wird er oft aus Vergnügen (Korporierte sagen aus »Trunksucht«) durchgeführt. Die zwei Beteiligten stehen sich bei der Ausführung gegenüber an einem Tisch und Trinken nach festgesetzten Kommandos des sogenannten »Unparteiischen« mindestens ein volles Glas Bier (0,3 oder auch 0,5 Liter). Die Kommandos lauten: „Vom Tisch des Hauses auf den Boden (die Zwei folgen mit ihren Biergläsern den Befehlen), vom Boden an den Hoden, vom Hoden an den Nabel, vom Nabel an den Schnabel, senkrecht setzt an und – sauft’s!“ Derjenige, der dann ohne zu »bluten« (kleckern) als erster sein Glas geleert hat, hat das Duell gewonnen und wird zum »Biersieger« erklärt. Bei vielen Verbindungen ist es üblich, dass ein Bierjunge vervielfacht werden kann und die zu trinkende Menge pro Person bis zu 1,5 Litern Bier erreichen kann. Da solche Mengen schwer verdaulich sind, verfügen viele Korporationshäuser über einen »Bierpapst«, dabei handelt es sich um ein fest installiertes Kotzbecken mit Haltegriffen.
Derartige Trinkrituale dienen der impliziten Ausübung eines Zwanges gegenüber sich selbst (niemand trinkt gerne ein Glas Bier ex – erst recht nicht 1,5 Liter). Zum Erhalt der eigenen »Bierehre« wird auch hier das Erlernen des Rechts des Stärkeren gefördert. Wer viel und schnell trinken kann, gilt etwas.
6. Die deutlichste Form der Erziehung und der Ausübung eines Zwanges gegen sich selbst ist die Mensur. Sie ist nur bei schlagenden Bünden (Corps, Landsmannschaften, Turnerschaften des Coburger Conventes, Burschenschaften) üblich. Die Mensur mit scharfen Waffen stellt eine besonders krasse Erziehungsmethode dar, die eigentlich an Härte nicht zu überbieten ist. Ziel ist die völlige Überwindung der eigenen Person, indem der »Paukant« gezwungen wird, einerseits vorsätzlich seinem Gegenüber eventuell Verletzungen beizufügen und andererseits selbst verletzt zu werden. Der eigene Wille des »Paukanten« wird gebrochen, das Recht des Stärkeren (bzw. in der Mensur das Recht des Schnelleren) wird erlernt. Kompensiert wird das »Gebrochensein« und die eventuelle Niederlage in der Mensur mit der korporierten Zuerkennung der persönlichen Ehre („er hat seinen Mann gestanden“) und der Anerkennung der Leistung durch die korporierte Gemeinschaft. Auch hier steht die Ehre im Vordergrund. Mensuren werden immer im Auftrage von etwas Höherem gefochten (Ehre, Verbindung, Vaterland, etc.) und dienen unter anderem auch der Exklusivität nach außen. Ein etwas längeres Zitat soll weitere Erziehungsziele verdeutlichen:
„Die Mensur ist ein Mittel der Erziehung oder – wenn diese Bezeichnung etwa als zu schulmeisterisch empfunden wird – der Persönlichkeitsentwicklung dadurch, dass sie anleitet zu Mut, Selbstüberwindung, Selbstbeherrschung und Standhalten. Wer auf scharfe Waffen antritt, muß – soldatisch ausgedrückt – den inneren Schweinehund überwinden, nämlich die (...) Angst. Nicht »kniesen« oder reagieren verlangt Selbstbeherrschung. »Blutige« und ihr Flicken tapfer zu ertragen, lehrt Standhalten (...). Die Mensur ist nach Innen ein Bindemittel, ein Integrationsmittel, also ein Mittel zur Verstärkung der Bindung an den Bund und die Brüder. Wer wiederholt auf die Farben seines Corps gefochten, sich dabei bewährt und meist auch kleinere Blutopfer gebracht hat, fühlt sich diesem ritterlichen Männerbunde unvergleichlich enger verbunden, als sich in aller Regel ein Mitglied irgendeines anderen Vereins diesem verbunden fühlt. (...) Die Mensur ist nach außen ein Abschreckungsmittel, nämlich gegenüber solchen, die es nicht fertigbringen, den »inneren Schweinehund« zu überwinden, und die wir deshalb in unseren Reihen nicht haben wollen.“ (17)
Die Mensur besitzt sowohl eine politische als auch eine soziale Funktion. Sie ist Ausdruck ständischer Privilegien und eines militärisch-kriegerischen Konfliktverhaltens, das „mit einem auf friedlichen Interessenausgleich und vernünftige Kommunikationsbereitschaft bedachten bürgerlichen Tugendkanon nur schwer zu vereinbaren [ist].“ (18) In der Geschichte konnte die Mensur sich leicht mit der Idee der »starken Nation« verbinden und ist auch heute noch als ein Erziehungsmittel zu antidemokratischem Denken anzusehen, das die geforderte Kompromißfähigkeit in einer modernen Gesellschaft zurückdrängt.
7. Ein weiterer Bestandteil der korporierten Erziehung ist die Exklusivität. Eine Verbindung nimmt nicht jeden Interessenten auf, und umgekehrt gibt es einige Sanktionsmittel, die einen Austritt aus der Verbindung erschweren. Zunächst ist die Exklusivität an äußerlichen Zeichen und Symbolen zu erkennen. Farbentragen – Farbe bekennen, so steht es im CV-Handbuch 1990, Seite 162. Das Band, die Mütze, der auffällige Umgang und der eigene Sprachgebrauch weisen den Korporierten nach außen als solchen aus, worauf auch seitens der Korporationen Wert gelegt wird:
»Noblesse« erscheint als wesentliches Prinzip corpsstudentischen Benehmens. Hierzu gehören neben diversen Gruß-, Kleidungs- und anderen Sitten Großzügigkeit, »Ritterlichkeit« – was immer das heißen mag – und eine vornehme Distanz zu nicht gleichartigen und damit „weniger würdigen Personen.“ (19)
Der Korporierte möchte etwas anderes, etwas besseres sein. Mit dem Anspruch, der seitens der Korporation an die Mitglieder herangetragen wird, ist die Einhaltung des Reglements verbunden. Die in Aussicht gestellte Noblesse gibt es nur bei Einhaltung des korporativen Verhaltens. Der Korporierte muß sich also von seiner nichtkorporierten Umwelt distanzieren oder zumindest abheben und isoliert sich somit selbst. Das soziale Umfeld des Korporierten wird allein die Verbindung, überspitzt formuliert bietet die Verbindung einen Familienersatz. Durch die verschiedenen Erziehungsmittel und ihre Integrationswirkung wird es dem Korporierten nahezu unmöglich gemacht, den exklusiven Kreis der Verbindung wieder zu verlassen. Wollte er dennoch austreten, würde er zur Unperson erklärt und sein gesamtes soziales Umfeld verlieren (für gewöhnlich erfolgt unter den verschiedenen Korporationen im Falle eines Austrittes ein Rundschrieb, in dem den der Austritt eines Ehemaligen mit Namen mitgeteilt wird). Offiziell liest sich die Drohung im Falle eines Austritts so:
„Als Angehöriger einer Lebensverbindung kann er sich nicht mehr wegstehlen, ohne Ehrverlust zu erleiden.“ (20)
Die Exklusivität stellt für die Korporation ein zwingendes Bindemittel für die Mitglieder dar.
Die sieben geschilderten Erziehungsbereiche der Korporationen zeigen, wie und wozu die Korporation ihre Mitglieder erziehen will. Das Persönlichkeitsideal ist das eines autoritär, hierarchisch, patriarchal und elitär denkenden Menschen, der dazu berufen ist, die Geschicke der Gesellschaft maßgeblich zu beeinflussen. Der korporierte Erziehungsauftrag und das elitäre Sendungsbewußtsein werden von den Korporationen nicht in Abrede gestellt, ganz im Gegenteil. Im Handbuch des Kösener Corpsstudenten 1985, Band 2 heißt es in den Statuten unter Punkt A. Zweckbestimmung, § 1:
„Das Corps ist eine Vereinigung immatrikulierter Studenten mit dem Zweck, die Mitglieder (...) auf Lebenszeit zu verbinden und (...) zu Vertretern eines ehrenhaften Studententums und zu charakterfesten, tatkräftigen, pflichtreuen Persönlichkeiten zu erziehen.“
Zum Sendungsbewußtsein steht im CV-Handbuch 1990, Seite 269:
„Das in der kleineren Gemeinschaft der Korporation Geübte soll den einzelnen Bundesbruder befähigen zur Übernahme seiner Verantwortung in dem größeren Kreis von Staat und Gesellschaft.“
Begründet wird der Erziehungsauftrag mit der angeblichen Vernachlässigung der allgemeinen Erziehung durch die Universität, die aus Sicht der Korporationen nur noch eine Ausbildung zum Fachwissenschaftler bietet. Tatsächlich geht es den Korporationen aber eher um den Machterhalt als akademisch-bürgerliche Elite, die nicht in der Lage und auch nicht Willens ist, sich von ihren auf Autorität hin fixierten Wertvorstellungen zu lösen. Sie könnten es auch gar nicht, da das korporierte System schließlich autoritäres Denken und politisch-männliche Identität beinhaltet, eine Ablösung von den ihr typischen Wertvorstellungen wird daher sofort als Bedrohung empfunden werden und demnach »tatkräftig und pflichttreu« bekämpft und abgelehnt werden. Ein gut funktionierendes Mittel für den Machterhalt ist das der Protektion, die gezielte Positionierung der Korporierten in Staat und Gesellschaft.
Nachweise für einen gezielten Protektionismus gibt es genügend, dazu drei Beispiele:
u In der Versicherungsgruppe Allianz sind verstärkt Corpsstudenten der Verbindungen Rhenania Würzburg und der Franconia München zu finden, die beide zum Kösener Senioren-Convents-Verband gehören.
u In Berlin liefern bis heute Eberhard Diepgen (Burschenschaft Saravia), Peter Kittelmann und Klaus Landowsky (beide schlagende Sängerschaft Borussia) ein „Lehrstück für konsequente Kaderpolitik“ (21). Die drei besetzen seit den 80ern verschiedene zentrale Führungspositionen in der Berliner CDU.
Diepgen war lange Vorsitzender der CDU Fraktion und ist heute wieder Regierender Bürgermeister von Berlin, während Kittelmann bis 1996 stellvertretender Landesvorsitzender der CDU war und heute als stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss für Wissenschaft und Forschung sitzt; Landowsky war bis 1991 Generalsekretär der CDU Berlin und im Landesvorstand und ist seit 1990 Vorsitzender der CDU Fraktion in Berlin.
u Altbundespräsident Heuss stellte schon früh fest, dass in Bonn der Zufall mit CV (Cartellverband der Katholischen Deutschen Studentenverbindungen) geschrieben würde. Das stimmt immer noch. 24 Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion gehören dem CV an, 7 dem KV (Kartellverband Katholischen Deutscher Studentenvereine). Unter den CV-Angehörigen im Bundestag sind Persönlichkeiten wie Matthias Wissmann, Jürgen Rüttgers, Edmund Stoiber und Friedrich Merz.
Es ist Arno Klönne zuzustimmen, wenn er zusammenfassend festhält:
„Nur einer oberflächlichen Betrachtung kann der »Stil«, mit dessen Hilfe die Verbindungen ein eigenes Sozialisationsmilieu herausbildeten, »als rückwärtsgerichtete, vorindustriellen Träumen gewidmete Mischung von geselliger, bier- oder weinseliger Sentimentalität und romantisch-kitschigem Ritterspiel erscheinen«; tatsächlich handelt es sich aber »um ein hohes Maß an Funktionalität, um eine interessengeleitete, sozial-materiell leistungsfähige Kreation.«“ (22)
Die im Titel gestellte Frage, ob eine studentische Verbindung harmlos sei, ist mit einem klaren »Nein« zu beantworten, denn das studentische Brauchtum und insbesondere die korporierte Erziehung ist hochideologisch geprägt und läßt sich nicht unabhängig ihrer spezifischen und historisch-politischen Entstehungsbedingungen betrachten. Um mit den Worten Klönnes zu schließen:
„Da ist keine Tradition, die sich auf Freiheit und Gleichheit hinwenden könnte.“ (23)
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