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Inhaltsverzeichnis Inhalt Die Fortsetzung des Krieges mit kulturellen Aufwärts

Voherige Seite »Bosna!« und die pathische Schlichtheit eines Kulturoffensive an der Heimatfront Nächste Seite

Das Kulturunternehmen BHL

Selbst der FAZ (vom 18.5.94) war das Ganze zu dick aufgetragen, und vorsichtig ging sie auf Distanz, wenn auch nur aus dem Grund, daß ihr der PR-Rummel der Sache nicht angemessen schien: »Bernhard-Henri Lévy an allen Fronten: von Sarajevo direkt nach Cannes, wo der Film, den er im ehemaligen Jugoslawien gedreht hat und hat drehen lassen, zwar außer Programm gezeigt wurde, aber bisher mit Abstand die größte Aufmerksamkeit beanspruchte. Mehrere Seiten im Nouvel Observateur, Interviews in allen Gazetten, Magazinen und Kanälen. Und am Montag im öffentlichrechtlichen Rundfunk France-Inter BHL total: Von morgens bis abends war er live im Äther. Der Rummel um seinen Film ''Bosna!'' ist so gigantisch, daß man dazu am liebsten ''basta!'' sagen würde. ... Lévy will zusammen mit ein paar Intellektuellen (André Glucksmann, Edgar Morin) bei der Europawahl vom 12. Juni mit seiner eigenen Bosna!-Liste antreten.

Dieses Projekt wurde am Tag der Vorführung bei den Fimfestspielen in Cannes publik und als PR-Aktion für den Lévy-Film lanciert. Unwidersprochen läßt sich sein Regisseur als neuer Malraux feiern. ... Man wird bei BHL den Eindruck nicht los, daß es ihm vor allem um den Werbeeffekt in eigener Person geht. Neben seinem feinen Instinkt für die intellektuelle Macht verfügt BHL auch über einen Riecher für die politische Konjunktur. Verzweifelt sucht er nach einer historischen Legitimierung seines Tuns, und es wäre ihm zuzutrauen, den Vergleich mit André Malraux selbst suggeriert zu haben. Nach Jugoslawien pilgerte er auf der Suche nach seiner Legende. Er brachte sie in Form eines Schnellfilms nach Hause und mußte dabei nicht einmal sein Leben riskieren - die französische Presse hat diesbezüglich kompromittierende Bilder veröffentlicht. Lévy hat sich stets so aufdringlich inszeniert ... Mit den Malraux-Lévy-Vergleichen ist der Lernprozeß der Vergangenheitsbewältigung, der sich lange auf die Vichy-Phase konzentriert hatte, nun bei der Vorkriegszeit angekommen. Auf diesem kurvenreichen Weg haben seine Protagonisten etwas von ihrer persönlichen Glaubwürdigkeit verloren.«

Auch die Zeit meldete ihre Zweifel am Unternehmen BHL an, und sie zeigt, mit welcher Beliebigkeit die Guten für eine Sache eintreten: »Früher hatte er sich für Bangladesch engagiert, gegen die argentinischen Generäle und die französischen Kommunisten, für Salman Rushdie.« Nicht zu vergessen die afghanischen Freunde Lévys. In Landestracht, mit Turban und Burnus, hatte er sich mit Mudschaheddin-Kämpfern zusammen photographieren lassen, als diese Unterstützung im Kampf gegen den Kommunismus brauchten. »Und jetzt kämpft er eben für seine bosnischen Freunde, die ihm den Ehrendoktortitel der Universität Sarajevo verliehen. Immer wieder hat er sie eingeladen nach Paris, wo Präsident IŠzetbegovi´c, zu Gast in Lévys luxuriöser Wohnung, erstaunt ausrief: ''Wieso engagiert sich einer wie Sie so sehr für uns?'' Viele Male hat er auch sie besucht, das weiße Hemd unter einem Winterparka gerade noch zu erkennen, mit gepflegtem Dreitagebart; fast immer war ein Photograph dabei. Mit wachem Sinn für Effekte ließ er sich einmal mit vorgehaltenem Mikrophon befragen, geduckt vor einer Mauer, über die, wie der Zuschauer annehmen mußte, die Gewehrkugeln pfiffen. Das nicht vorgesehene Folgebild offenbart dann, daß hinter der Mauer gelassen zwei Soldaten vorbeigingen - also kein Kugelhagel, sondern eine Inszenierung zum Zwecke der Dramatik.« Lévy hätte besser im seichten Gewässer seiner Gespräche mit Françoise Giroud über die Liebe, Männer und Frauen weiterplätschern sollen. Die waren wenigstens nur harmlos und vertrottelt, während »Bosna!« gemeingefährlich war.

Zwar löste der »Bosna!«-Film und die anschließend ins Leben gerufene »Sarajevo«-Liste für die anstehenden Europaparlamentswahlen eine Debatte aus, aber wie bei jedem PR-Rummel wollte auch in diesem Fall jeder möglichst selbst im Zentrum des öffentlichen Interesses stehen. Also wetteiferte die »Säbelrasselbande« (FAZ) um Einschaltquoten, Publicity und öffentliche Auftritte. Die Aufmerksamkeit der Medien wird einem jedoch nur zuteil, wenn man selber etwas zur Debatte beisteuern kann, und das hatte jeder reichlich: »Während manche Listenmitglieder wie André Glucksmann, von der gereizten Reaktion Mitterands [der die Initiative seines Freundes Lévy negativ bewertete, K.B.] angespornt, sich mit aller Kraft in die Schlacht werfen möchten, hält Bernard-Henri Lévy sich eher zurück. ... Der Politologe Alain Joxe greift kritisch Mitterands Wort auf, wonach nicht ''dem Krieg noch ein Krieg hinzugefügt'' und aus diesem Grund das Waffenembargo aufrechterhalten werden solle ... Auch Alain Finkielkraut zweifelt an der Glaubwürdigkeit des Lévy-Kreises und kritisiert dessen einseitiges Vertrauen in den bosnischen Präsidenten IŠzetbegovi´c, einen ''Mann von gestern'', der heute dem muslimisch-kroatischen Schulterschluß alle erdenklichen Hindernisse in den Weg lege, als politisch naiv, ja verantwortungslos« (FAZ vom 27.5.94).

In der Aufgeregtheit der Debatte kündigte sich bereits das Ende der Initiative für Bosnien an. Zwar lag die »Sarajevo«-Liste laut Meinungsumfragen bei sieben bis zwölf Prozent in der Wählergunst, aber die Tatsache, daß nun auch die französische Sozialdemokratie in Gestalt ihres Parteivorsitzenden Rocard auf den abfahrenden Zug aufspringen wollte, war ein sicheres Indiz dafür, daß dieses Thema keine Zukunft hatte und die Öffentlichkeit bald langweilen würde. Und tatsächlich. Am Montag, den 30. Mai '94, wurde die erst am Freitag zuvor angemeldete »Sarajevo«-Liste wieder zurückgezogen. Die von der taz rapportierte offizielle Version Lévys lautete, daß das Ziel der Liste, den Bosnienkonflikt während des Wahlkampfes zur Sprache zu bringen, erreicht worden sei. Die Version der FAZ vom gleichen Tag hörte sich etwas anders an: »Die Gründe sind viel banaler. Am Sonntag vermeldeten die Meinungsumfragen nach einem relativ sonnigen Wochenende, an dem unvermittelt auch wieder andere Themen existierten, Wahlprognosen von deutlich unter fünf Prozent. Das ließ nicht nur keine Abgeordneten erwarten, sondern vor allem kein Geld. Doch ein Wahlkampf verschlingt im Minimum ein paar Millionen Francs. Nur wer die Fünf-Prozent-Hürde erreicht, kommt in den Genuß einer Rückerstattung.«

Und soviel waren den Pariser Intellektuellen die bosnischen Freunde nun auch wieder nicht wert. Scharf kritisiert hat die windelweiche Position einiger Sozialisten Régis Debray. Die Politiker würden »vor den moralischen Augenblicksgefühlen der Bildschirmhelden« kapitulieren und den »Demagogen der hehren Gefühle und kantigen Worte« das Feld überlassen, berichtete die FAZ, die die Zeichen der Zeit offensichtlich verstand, denn sie referierte Débray nicht ohne eine gewisse Sympathie: »Lautstark ''bis zum letzten Bosnier in Paris zu kämpfen'', hält Debray nicht für ein Modell der Ehrenhaftigkeit. Jedem sei es freigestellt, mit dem Gewehr auf dem Balkan für die gerechte Sache zu kämpfen. Wem der Bosnienkonflikt ein moralisches Problem stelle, der solle es auch moralisch angehen - in der ersten Person Singular.«

Als der »Bosna!«-Film in Cannes gezeigt wurde, lief unter weniger spektakulären Umständen ein Film von ŠZelimir ŠZilnik in Belgrad. Nach einer Idee von Ernst Lubitsch in »Sein oder Nichtsein« hatte ŠZilnik einen Schauspieler als Tito in Marschallsuniform in der Öffentlichkeit auftreten lassen und vorübergehende Passanten bei ihrer Begegnung mit der Vergangenheit interviewt. Keine Dramatik, kein Heroismus, keine Propaganda wie im »Bosna!«-Film von Lévy, sondern Ironie und Spott mitten in der »Zentrale des Faschismus«. »Der Film wurde produziert von Radio B92, einer kleinen Station, die nur in Belgrad zu hören, aber quicklebendig ist und bislang hartnäckig in ihrer Kritik am MilosŠevi´c-Regime. Wie lange sie durchhält, weiß niemand, und viele fragen sich, warum MilosŠevi´c die zwar im wesentlichen auf Belgrad begrenzte, aber doch bemerkenswerte Freiheit duldet«, schrieb die Zeit vom 20.5.94, der man keine Sympathien für die serbischen Kommunisten nachsagen kann.



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