Meuterei auf der Bounty
Parteitag ausgefallen — Schill
unter Druck
Es geht drunter und drüber bei der
Schill-Partei. Galt bis vor kurzem noch ein ehernes Gesetz: der Meister
hat immer Recht, so wird jetzt nicht nur Schills Haltung zu den Bundestagswahlen
(gegen eine Teilnahme) attackiert, sondern er selbst gerät ins Visier
innerparteilicher Gegner.
Am 11. Mai sollte der erste Bundesparteitag
der Schill-Partei in den Hamburger Messehallen stattfinden. Doch bereits
nach einer Stunde war er beendet! Die notwendige Mindestzahl anwesender
Mitglieder wurde um etwa 250 verpaßt — der Parteitag war beschlußunfähig.
Deutlich wurde aber schon hier, daß die Auseinandersetzung um die
Wahlbeteiligung unversöhnlicher wird. Während Schill und der
Hamburger Vorstand sie aus strategischen Gründen ablehnen, befürworten
sie zahlreiche Mitglieder v.a. aus NRW und Niedersachsen. Der Vorstand
versucht, die Entscheidung hinauszuzögern, weil er sich über
ihren Ausgang nicht sicher ist. Aus Hamburg wurden wenig Mitglieder mobilisiert,
die Parteisprecherin Karina Weber sagte zum Folgetreffen in frühestens
vier Wochen: "Allein aus zeitlichen Gründen klappt es mit der Wahl
dann nicht mehr."
Die Wahlbefürworter geben indes
nicht auf, wie sich an ihrem z.T. aggressiven Verhalten auf dem Parteitag
zeigt. Wenn Schill schon nicht kandidieren wolle, so heißt es aus
diesen Kreisen, "dann soll er uns bundesweit kein Bein stellen." Mittlerweile
ist ein internes Diskussionspapier aufgetaucht — seine Existenz wurde vom
Vorstand bestätigt —, indem sich namentlich nicht Genannte gegen Schill
aussprechen. "Leider werden wir Herrn Schill, bedingt durch seine Persönlichkeitsstruktur,
und die anderen Bundesvorstandsmitglieder nicht mehr überzeugen können,
an der Bundestagswahl teilzunehmen." Verlangt wird ein außerordentlicher
Parteitag, den man gegebenenfalls gerichtlich erzwingen will. Auf dem Parteitag
soll dann ein neuer Vorstand installiert werden.
Dieser Frontalangriff auf die bisherige
Parteiführung konnte von dieser nicht unbeantwortet bleiben, und wie
es in den Wald rief, so schallte es zurück. Flugs waren als Urheber
des königsmörderischen Pamphlets "ein paar Wilde aus Niedersachsen
und Nordrhein-Westfalen" (Mario Mettbach) ausgemacht worden. Man werde
"entsprechende Maßnahmen" gegen sie ergreifen. Schill warf den Verfassern
Profilneurosen und Karrierismus vor; mit beidem kennt er sich bestens aus.
Unterdessen haben die Verbände von Niedersachsen und NRW die Urheberschaft
des Brandbriefs dementiert. Jetzt wurde der Thüringer Landesbeauftragte
der Partei, Martin Moderegger, als Verfasser enttarnt
Die Attacken zeigen erste Wirkungen,
Schill tat kund, eventuell doch an den Bundestagswahlen teilnehmen zu wollen
— er sei durch "gute Argumente" zu überzeugen. Ein neuer Termin für
den ausgefallen Bundesparteitag steht aber noch immer nicht fest. Wie immer
dieser Streit ausgeht, er wird der Partei voraussichtlich Schaden zufügen.
Schwere Niederlage für Schill-Partei
in Sachsen-Anhalt
"Deutsche Konservative" wollen
Schill-Partei führen
Das Wahlergebnis aus Sachsen-Anhalt ist
bekannt, die Schill-Partei brachte es auf lediglich 4,5% der Stimmen —
das war so nicht zu erwarten. Die Erklärungen aus Reihen der Partei,
man habe "ein beachtliches Ergebnis für eine Partei erzielt, die nur
wenige Wochen Zeit hatte, sich den Wählern vorzustellen", so der Hamburger
Fraktionsvorsitzende Norbert Frühauf, klingen sehr nach dem Pfeifen
im Walde. Daß die Schill-Partei nicht das zweifelsohne vorhandene
rechte Potential (12,9% für die DVU vor vier Jahren) auszuschöpfen
vermochte, liege, so eine Auffassung, an der Integrationskraft, die die
CDU mit der Stoiber-Kandidatur nach rechts erworben habe. Entscheidender
scheint mir aber, daß die Person des Spitzenkandidaten Ulrich Marseille,
der zahlreiche Prozesse gegen das Land Sachsen-Anhalt führt, massiv
geschadet hat: zu windig, zu sehr mit seinem eigenen wirtschaftlichen Vorteil
beschäftigt.
Die Niederlage hat Konsequenzen,
die Partei wird nicht zu den Bundestagswahlen antreten. Endgültig
wird darüber aber erst auf dem Bundesparteitag am 11. Mai in den Messehallen,
Halle 4, entschieden.
Der bundesweite Organisationsaufbau
geht dennoch weiter. Ende Mai soll ein Landesverband in Nordrhein-Westfalen
gegründet werden. Zur Zeit will die Partei dort 800 Mitglieder und
verschiedene Ortsverbände haben. Der Gründungsbeauftragte ist
ein Dieter Mückeberger, der zuvor der "Deutschen Mittelstandspartei"
angehörte. Spannend wird, ob Schill und Co. weiterhin Zulauf von Ex-
oder Noch-Abgeordneten v.a. der CDU bekommen, denn der sachsen-anhaltinische
Dämpfer nimmt der Partei Möglichkeiten, den Karrieristen attraktive
Posten anbieten zu können. Auch der Nimbus des strahlenden und unbezwingbaren
Sunnyboys aus Hamburg dürfte Schill vorerst flöten gegangen sein.
Der politische Alltag wird einziehen.
In seiner Begründung für
den Rückzug von den Bundestagswahlen formulierte Schill erneut sein
strategisches Konzept eines rechten Wählerfangs, um diese Stimmen
dann in einen konservativen Block einzubringen: Da man möglicherweise
die 5%-Hürde nicht überspringe, schade man dem politischen Ziel.
"Wir würden dem konservativen Lager Stimmen wegnehmen."
In dieser strategischen Ausrichtung
liegt der Anknüpfungspunkt zu den "Deutschen Konservativen" (DK) um
den dubiosen Joachim Siegerist, die sich seit einiger Zeit (genauer gesagt
seit dem Hamburger Wahltriumph) um die Schill-Patrtei bemüht. Man
wäre wahrscheinlich ganz gern eine Art Strippenzieher hinter den Kulissen.
In Sachsen-Anhalt finanzierten die DK mehrere ganzseitige Zeitungsanzeigen
zugunsten der Schill-Partei. Dies, so jedenfalls Siegerist, habe er mit
Marseille abgesprochen.
Die DK sind auch die erste Rechtsaußenorganisation,
die eine eigenständige Publikation über die Schill-Partei herausgebracht
hat. In einer Broschüre legt Carl Gustaf Ströhm die Anschauungen
der DK dar. Ströhm war einst Osteuropakorrespondent der "Welt" und
Mitarbeiter der "Jungen Freiheit".
Die Broschüre führt keine
Programmdebatte, die Übereinstimmung der Schill-Partei mit den eigenen
reaktionären Positionen wird gleichsam vorausgesetzt. Abgeglichen
wird ausschließlich die Entwicklung der Schill-Partei mit den eigenen
Ideen einer "4. Partei". Das Konzept "4. Partei" ist schon etwas älter
und meint die parlamentarische Implementierung einer Gruppierung zwischen
Union und offenem Faschismus, die sowohl die CDU/CSU nach rechts ziehen
als ihr auch eine Koalitionsbildung möglichst ohne den "unsicheren
Kantonisten" FDP ermöglichen soll. Bekannteste Projekte dürften
wohl die REPs und die (gescheiterte) bundesweite Ausdehnung der CSU sein.
Ausgangspunkt aller Sorgen der DK
(aber bekanntermaßen auch Schills) ist der "tiefe Einschnitt" durch
die "68er Revolte", durch die "das bürgerliche Deutschland ... in
seinen Grundfesten erschüttert und, wie man später sehen sollte,
aus den Angeln gehoben" wurde. "Vor allem aber: die sogenannte '68er-Generation'
hat es — nicht ohne tatkräftige Mithilfe interessierter ausländischer
Kreise — geschafft, die deutsche Geschichte vor und nach 1945 in dem Sinne
umzuschreiben, daß daraus eine Geschichte nicht enden wollender und
verdrängter deutscher Schuld wurde."
Der nächste Einschnitt soll
dann die "Wiedervereinigung" gewesen sein, die in der Hauptsache natürlich
emphatisch bejubelt wird, aber auch "zur Re-installierung und Rehabilitierung
der zunächst bankrott gegangenen kommunistischen Kräfte und Ideen"
geführt habe. Zugleich habe die CDU bei der Umwandlung der BRD in
einen "Antifa-Staat" zugesehen.
Aber nicht nur sei die CDU dergestalt
vom konservativen Lager abgerückt, ihr fehle auch ein Koalitionspartner
auf der Rechten, wodurch sie auf die FDP angewiesen sei. Das rechte Korrektiv
fehle. Schill biete in dieser Situation die Möglichkeit einer "bürgerliche(n)
Alternative". Warum dieser schlichte Gedanke zu einer ganzen Broschüre
ausgewalzt wurde, bleibt Ströhms Geheimnis. Die strategische Überlegung
verdient jedoch, im Auge behalten zu werden, zumal sie sich mit den Auffassungen
Ronald Schills deckt.
Umso größer ist die Enttäuschung
nun bei den DK über die Schill-Niederlage von Sachsen-Anhalt. Man
ist sauer auf die Partei, die zu viele Fehler begangen habe: "1. Es war
falsch, einen leicht zu bekämpfenden 'Millionen-Wessi' als Spitzenfigur
ausgerechnet nach Sachsen-Anhalt zu schicken." Man hätte sich, 2.,
nicht von den Rechten abzugrenzen suchen dürfen. Der Wahlkampf ist,
3., amateurhaft geführt worden. Angebliche FDP-Mitglieder, die zur
Schill-Partei hätten übertreten wollen, seien, 4., nicht einmal
angehört worden. Dennoch will man weiter "kräftig" am Ziel einer
"konservative(n) Partei in Deutschland" weiter arbeiten. Dabei steht für
die DK die Option "Schill" ganz weit oben auf der Liste.
Schillpartei bundesweit?
Nach dem überraschend guten Abschneiden
bei der Bürgerschaftswahl und dem Eintritt in die Regierungskoalition
war der Gedanke einer bundesweiten Ausdehnung der Schillpartei schnell
geboren. Denn warum sollte, was in Hamburg gelang, nicht andernorts ebenso
funktionieren?
Letztes Wochenende
wurde in Sachsen-Anhalt der erste offizielle Landesverband außerhalb
Hamburgs gegründet. Hier plant die Partei eine Kandidatur zu den im
April stattfindenden Landtagswahlen. Sie kann dabei davon ausgehen, daß
die DVU, die 1998 noch 12,9 % der Stimmen erhielt, durch ihre zahlreichen
fraktionsinternen Streitereien nicht mehr gewählt
werden wird — ein ideales Wählerreservoir
für die Newcomer aus Hamburg. Zum Landesvorsitzenden wurde Ulrich
Marseille gekürt, der in Hamburg die "Marseille-Kliniken" betreibt,
private Krankenhäuser, die bei der Zerschlagung des öffentlichen
Gesundheitswesens eine Vorreiterrolle spielen. In Sachsen-Anhalt hat er
einen zwielichtigen Ruf, verklagt er das Land doch in zahlreichen Prozessen
— z.B. 1999 (erfolglos) auf mehrere Millionen Schadenersatz, weil 2700
Wohnungen, die er in Halle erworben hatte, in schlechtem Zustand seien.
Diese Spitzenpersonalie erboste etliche Schillfans derart, daß sie
der Partei den Rücken kehrten und eine "Rechtsstaatliche Bürgerpartei"
gründeten. Ein Ergebnis davon ist, daß die Partei laut Umfragen
nur 2 oder 3 % der Stimmen bekäme, aber bis zur Wahl ist es noch eine
Weile hin.
Ansonsten konzentrieren
sich die Ausdehnungsbestrebungen auf Norddeutschland:
In Mecklenburg-Vorpommern
möchte man bei den Wahlen im September diesen Jahres antreten. Bisher
gibt es Vertreter in Rostock Schwerin und Greifswald, die von dem tschechischen
Honorarkonsul Helmut Schmidt koordiniert werden. In Niedersachsen haben
die Bemühungen dagegen noch keine konkreteren Formen angenommen. Allerdings
hat man mit Hans-Joachim Selenz, einem ehemaligen Vorstandschef der Salzgitter
AG, einen vorzeigbaren Aufbauhelfer gewonnen. Er erklärte, man werde
kandidieren, um mit CDU und FDP einen Regierungswechsel herbeizuführen.
In Schleswig-Holstein behauptet die Partei 300 Mitglieder zu haben, 60
% aus der CDU, 20 % aus der SPD, der Rest war zuvor nicht engagiert, so
der Koordinator für den Aufbau im
Norden, Dieter Schreck.
Außer im Norden
versucht man sein Glück noch in Brandenburg (eine Delegation aus Potsdam
sollte auf ihre Eignung hin überprüft werden) und Sachsen (hier
wirkt ein gewisser Peter Schindler). In Hessen soll im Februar oder März
ein Frankfurter Ortsverband gebildet werden. Der Hessen-Beauftragte ist
der CDU-Landtagsabgeordnete Heiner Hofsommer, der
als Lehrer kürzlich wegen rassistischer
Äußerungen versetzt worden ist.
Weniger Erfolgsaussichten
haben die Kontakte nach Köln, denn der dortige Ansprechpartner, eine
Initiative gegen einen Straßenstrich namens "Pro Köln", ist
nichts weiter als eine Tarnorganisation der rechtsextremen "Deutschen Liga
für Volk und Heimat". Die Hamburger Kontaktfrau nach Köln, Gerda
Witthuhn, ist bekennende Leserin der "Jungen Freiheit". Dennoch lautet
die Prognose in diesem Fall: die Kontakte kommen zum Erliegen.
Die Schillpartei geht
bei ihren Bemühungen um eine bundesweite Ausdehnung weitaus planvoller
vor, als viele ihr das zugetraut hatten. Nach wie vor ist sie sehr um bürgerliche
Reputation bemüht, und das bedeutet, daß bekannte Rechtsextremisten
ferngehalten werden. Strategisch ist die Option - dies bekundet Schill
zunehmend offener -, mit einer Kandidatur NichtwählerInnen, CDU- und
SPD-AnhängerInnen zu gewinnen, um ihre Stimmen in eine Koalition mit
der CDU einzubringen. Deshalb sind Kandidaturen bislang nur dort geplant,
wo die CDU (auch gemeinsam mit der FDP) voraussichtlich keine Mehrheit
fände. Gelänge der Aufbau der Schillpartei auch außerhalb
Hamburgs, erwüchse der CDU eine neuer Koalitionspartner, der ihr neue
Möglichkeiten politischer Mehrheitsbildung einbrächte. Eine erschreckende
Variante reaktionärer Mobilisierung stünde damit ins Haus.
ältere Artikel zur Schillpartei
Aufruf zur Anti-Schill-Demo am 18.09.2001
Aufrufe
zur Anti-Schill-Demo am 10.07.2001