Genova 2001
Bochumer Antifas fuhren 2001 in die lingurische Hafenstadt Genova in Italien und beteiligten sich an den Protesten gegen das dort stattfindenden G8-Treffen.
Die Ereignisse im Juli diesen Jahres sind vielen sicherlich bekannt und müssen hier nicht noch einmal à Detail aufgezählt werden.
Wir dokumentieren hier:
1) Fotos der „kleinen Strolche“ aus Genova vom 20. und 21. 7. 2001
2) Solidaritäts-Sticker, die zur Erinnerung an Carlo Giuliani und die Gefangenen von Genova produziert wurden
3) Fotos des Wandgemäldes, dass Sprayer aus dem CSOA BULK zu Ehren Carlo Giulianis Anfang August in Mailand anfertigten
Ende Juli 2007, fand zum 6ten Todestag von Carlo Giuliani eine Erneuerung des Murales in Mailand statt, dass im August 2001 die GenossInnen des CSOA BULK anfertigten. Die Spray-Aktion dieses Wochenendes lässt sich hier ansehen.
4) Fotos von Transparentaktionen, die die Antifas auf einem Fermin Muguruza-Konzert und einem Konzert von der italienischen Band Mau Mau im Stadtpark machten (Das Transparent ging ihnen 2002 auf der Jahresdemo zu Genova dort abhanden.)
5) Flugblatt zu einer Veranstaltung mit Mailänder Genossen des CSOA BULK am 5.Oktober 2001 im Bahnhof Langendreer
Zusammen mit „Cable Street Gütersloh“ und „Mad Butcher“ produzierten die „kleinen Strolche“ eine Soli-CD für die Gefangenen von Genova und Göteborg mit dem Titel: „La lotta continua“.
Auf dieser CD gibt es einen inhaltlichen Beitrag der Gruppe zur Repression in Genova und einen sehr guten Gastbeitrag von Ulrich Brand:
6) Globalisierung, Neoliberalismus und Widerstand (27.10.01, von Ulrich Brand)
Man sagt uns, daß es sich bei der Globalisierung um einen unvermeidlichen Prozeß handle, der wie die Schwerkraft wirke. Darauf antworten wir: Dann müssen wir eben die Gesetze der Schwerkraft außer Kraft setzen.
Subcomandante Marcos von den Zapatistas im mexikanischen Chiapas
“Globalisierung” war das Wort schlechthin der 90er Jahre. Dazu wurde es, weil unter Globalisierung sehr Unterschiedliches verstanden wird. Vor allem herrschende Kräfte benutzten und benutzen es bis heute gerne, um die “Unvermeidlichkeit” gesellschaftlicher Entwicklungen zu rechtfertigen: Sozialabbau, Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrisen, etc. Insofern ist Globalisierung ein ideologischer Kampfbegriff – und eine politische Aufgabe, diesen als solchen zu entlarven. “Globalisierung” ist aber mehr. Sie zeigt tiefgreifende gesellschaftliche Umbrüche innerhalb des Kapitalismus an. Für emanzipatives Handeln ist es wichtig, diese Umbrüche zu verstehen, um die eigenen Strategien daran ausrichten zu können.
Meist wird unter Globalisierung die Internationalisierung ökonomischer Verhältnisse (Waren, Dienstleistungen, Finanzströme) verstanden. Reisen werden billiger, Konsumgüter kommen aus aller Welt in unsere Küchen. Auch die Politik internationalisiert sich, muß mit den Krisen der Globalisierung umgehen. Dann wird häufig etwas verniedlichend von den “Chancen und Gefahren” gesprochen, wobei die Chancen erhöht und die Gefahren verringert werden müßten. Soweit die offizielle Lesart.
Aus kritischer Perspektive geht es zunächst darum, die Herrschaftsförmigkeit der aktuellen Veränderungen zu sehen. Die Finanzmärkte wurden nämlich Anfang der 80er Jahre nicht dereguliert, um Glück und Wohlstand für die Menschheit zu schaffen, sondern um dem Kapital international mehr Beweglichkeit auf der Suche nach profitträchtigen Anlagemöglichkeiten zu schaffen. Und die Produkte “Made in China” finden hierzulande Absatz, sind aber zuvorderst Teil einer Strategie, in bestimmten - lohnintensiven - Branchen die Kosten zu senken (gerne auch in chinesischen Arbeitslagern).
Die Politik internationalisiert sich in der Tat. Dies geschieht aber weniger, um die negativen Konsequenzen der Globalisierung abzufedern oder den wachsenden Kuchen gerecht aufzuteilen. Internationale Politik dient vor allem der Absicherung von internationalen Investitionen der Global Players. Bestes Beispiel ist die 1995 gegründete Welthandeltorganisation WTO.
Globalisierung ist also kein Homogenisierungsprozeß, sondern bedeutet in vielen Bereichen gesellschaftliche Spaltung. Vor allem im Nord-Süd- Verhältnis. Daß für viele Menschen Migration zu einer brutalen “Lebensform” wird, interessiert die jet-settenden Vordenker der Globalisierung in der Regel wenig. Spaltungen werden auch bewusst erzeugt, indem über rassistische, nationalistische und patriarchale Muster die Konkurrenz zwischen den Menschen verstärkt wird. Schließlich: Die intensiveren wirtschaftlichen Verflechtungen laufen nicht global, sondern vor allem in den kapitalistischen Zentren (der sog. Triade) ab. Der Süden ist weiterhin Rohstofflieferant und in einigen Teilen Produktionsstandort mit billiger, weil gewerkschaftlich nicht organisierter Arbeitskraft. Hinter Globalisierung stehen Interessen, Strategien und Kämpfe. Globalisierung ist Kapitalismus und dieser, wie eh und je, für die meisten Menschen ein Katastrophenprogramm. Und dies heute wieder stärker als in der Nachkriegszeit, während der starke Gewerkschaften und Zugeständnisse der Herrschenden wegen der “roten Gefahr” wenigsten in einigen Teilen der Welt für die Bevölkerungsmehrheit materiell akzeptable Verhältnisse bestanden. Wenn von Globalisierung gesprochen wird, dann sollte zumindest von neoliberaler Globalisierung gesprochen werden. Denn damit wird deutlicher, daß sie nicht einfach über uns gekommen ist oder sich “kapitallogisch” entwickelt. Daher ein Schritt zurück. Was hat es also mit dem “Neoliberalismus” auf sich? Ein bißchen Theoriegeschichte (keine Angst, es ist nicht trocken).
Grundlagen des Neoliberalismus
Bereits in der Nachkriegszeit wurden neoliberale Grundsätze und ein Theorieprogramm formuliert, die später großen Einfluß ausübten. Die führenden neoliberalen Intellektuellen waren Friedrich A. Hayek, Milton Friedman, Wilhelm Röpke und Ludwig von Mises. Im Kern ging es um die “Rückgewinnung von Freiheit”, die Durchsetzung eines “sich selbst regulierenden Marktes” und freien Wettbewerbs. Insbesondere Hayek argumentierte vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus und sieht in diesem, im Sowjetsozialismus und in der sozialistischen Regierung Großbritanniens eine Gemeinsamkeit: den “Kollektivismus”, der die Freiheit zerstöre. (Privatkapitalistischer) Markt und Freiheit wurden synonym gesetzt. Das zentrale Argument der Neoliberalen lautet, daß individuelle Freiheit der überragende gesellschaftliche Wert sei, womit sie insbesondere die ökonomische Freiheit der Unternehmer meinten. Im Spannungsfeld zwischen der Freiheit des Individuums und der Freiheit zur Kapitalverwertung entschieden sich die Neoliberalen eindeutig für letztere.
Die einzige Wirtschaftsorganisation, die die Freiheit des einzelnen garantiere, sei die “freie Tauschwirtschaft mit Privatunternehmen” (Friedman), die auch gegen Mehrheiten zu verteidigen sei (Hayek). Dies alles sollte unter dem Primat des Eigentums an Produktionsmitteln und einem - gar nicht schwachen - law and order-Staat geschehen, dessen wichtigste Funktion die Sicherung des Wettbewerbs und der Märkte sei. Der erklärte Gegner waren innergesellschaftlich die Gewerkschaften und der Sozialstaat sowie international der Realsozialismus, dessen Planwirtschaft die Verkörperung von Zwang und Unterdrückung war. Sozialismus in all diesen Varianten, also auch jener der westeuropäischen Sozialdemokratie, bedeute Sklaverei (Hayek).
Eine andere Grundlage des Neoliberalismus ist die bis heute dominierende wirtschaftswissenschaftliche Theorie, die Neoklassik. Diese geht in hochabstrakten Modellen davon aus, daß nur der Markt für die effiziente Verwendung von Produktionsfaktoren sorgt und daher Freiheit und Wohlstand für alle bringt. Die zentralen Annahmen dieser völlig ahistorischen Theorie sind, daß die Marktteilnehmer völlig rational handeln, daß alle über alle Informationen verfügen und daß alle Marktteilnehmer völlig individualisiert sind und agieren. Der Markt reguliert sich weitgehend selbst, staatliche Interventionen sind im abstrakten Modell gar nicht, in den etwas wirklichkeitsnäheren Varianten kaum vorgesehen. So etwas wie gesellschaftliche Macht kommt genausowenig vor wie Prozesse der Kapitalkonzentration und Monopol- bzw. Oligopolbildung.
Neoliberalismus als Praxis
Das neoliberale Programm entwickelte sich in den 70er und 80er Jahren zur “historisch organischen Ideologie” (Antonio Gramsci) der herrschenden Klassen. Innerhalb letzterer setzten sich die weltmarktorientierten Fraktionen, das Finanzkapital und die Besitzer von Geldvermögen durch, die vom neoliberalen Umbau der Gesellschaft am stärksten profitierten. Das neoliberale Projekt basierte von Beginn an auf einer dramatischen Verschiebung sozialer Kräfteverhältnisse bzw. trieb diese voran. Aber mehr noch: “Der Neoliberalismus schwingt sich nun zum Anwalt der radikalisierten Kleinbürger auf: gegen Verschwendung und Ineffizienz, gegen die Gleichmacherei und für mehr Freiheit vom Staat, für das Individuum und für den Markt.” (so Elmar Altvater 1981) Der blutige Anfang der Durchsetzung neoliberaler Politiken wurde aber in einem peripheren Land gemacht: 1973 in Chile mit dem Militärputsch von Agosto Pinochet gegen den Sozialisten Salvador Allende. In den Metropolen übernahmen in den 70er Jahren schon teilweise sozialdemokratische Regierungen das neoliberale Gedankengut und mit den Regierungsübernahmen von Margaret Thatcher in Großbritannien (1979) und Ronald Reagan in den USA (1981) begann die “neoliberale Konterrevolution”. Das Beispiel Chile zeigt auch, daß neoliberale Politiken in autoritären Gesellschaften besonders gut durchgesetzt werden konnten.
Neoliberalismus als politische Praxis zur Transformation von Gesellschaften formierte sich in einzelnen Ländern unterschiedlich aus. In den metropolitanen Ländern wurde am ehesten in Großbritannien unter Thatcher das neoliberale Programm umgesetzt. Unter Reagan in den USA muß viel eher von einem Rüstungskeynesianismus gesprochen werden, der die staatliche Verschuldung eher vorantrieb, in der BRD begann unter der Kohl-Regierung der Umbau eher langsam und unter korporatistischen Vorzeichen. In Frankreich oder den südeuropäischen Ländern wurden neoliberale Politiken in den 70er Jahren von sozialdemokratischen Regierungen vorangetrieben. Das zentrale neoliberale Argument war die Gegenüberstellung von “Markt” und “Staat” und eine notwendige, “ökonomisch vernünftige” Zurückdrängung des Staates. Heute gängige Argumente aus der Debatte um Globalisierung spielten dabei kaum eine Rolle; neoliberale Politiken waren zuvorderst eine innerstaatliche Angelegenheit.
Von Beginn an kam das neoliberale Projekt als “konservative Revolution” (Ronald Reagan) daher. Auch “die Wende” in Westdeutschland verband neokonservative und neoliberale Politiken. Auf der Suche nach neuen Legitimationsmustern stellte zu Beginn eher die “geistig-moralische Krise” des sozialstaatlich verwalteten Kapitalismus und weniger der “Sachzwang Weltmarkt” einen Ausgangspunkt dar. Mitte der 80er Jahre, auf dem Höhepunkt des Ansehens der Politiken unter Ronald Reagen und Margaret Thatcher sprach niemand von Globalisierung. Das konservative Projekt propagierte nicht nur den law and order-Staat, sondern stand auch gegen die ineffektive staatliche “Gleichmacherei” und von Beginn an für staatliche Interventionen beim sozialen Umbau. Die neoliberalen und die neokonservativen Strategien trafen sich darin, daß die Gesellschaft “dereguliert” werden müsse, insbesondere was bestimmte staatliche Regulierungen anging. Auch in ihrer elitären Ausrichtung und der Rechtfertigung sozialer Hierarchien korrespondierten Neoliberalismus und Neokonservatismus. Den neoliberalen Individualismus ergänzte die neokonservative Vorstellung von “Ordnung” und “Normalität”, die partiarchale Familie wurde zur zentralen Instanz der Abfederung sozialer Risiken.
Zentrale Elemente des Neoliberalismus sind: Die Organisationen der Nicht-Herrschenden zu schwächen (insbesondere die Gewerkschaften), eine Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben und die Herstellung eines “kapitalfreundlichen” Klimas (bis zur physischen Verfolgung von Gewerkschaften). Die Ausrichtung an “internationaler Wettbewerbsfähigkeit” reduziert staatliche Politik immer stärker auf Standortpolitik. Alle müssen zusammenstehen, wenn es um dessen Rettung geht. Der Staat verschwindet also nicht, sondern verändert sich grundlegend. Seine Funktionen als Ordnungs- und Wettbewerbsstaat werden deutlicher, seine sozialpolitischen Funktionen zurückgedrängt.
In vielen peripheren Ländern kommt noch etwas dazu: Anfang der 80er Jahre wurde die Schuldenkrise zu einem neoliberalen Hebel, nämlich zur Durchsetzung sog. Strukturanpassungsprogramme, um neue Kredite zu erhalten.
Neoliberale Globalisierung ist aber viel mehr, als nur Veränderungen in der Ökonomie und der Politik. Der Neoliberalismus ist nicht zuletzt deshalb so stabil, weil er auf kulturellem Gebiet relativ erfolgreich war, d.h. er ist tiefgreifend in den Köpfen, Alltagspraxen und Institutionen wie Schule, Universität oder Betrieb verankert. Im Bildungsbereich wird uns gesagt, daß wir in uns investieren müssen, um später im Konkurrenzkampf auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen. Bloß keine Zeit vertrödeln, für was für spannende, rebellische oder Umwegserfahrungen in der eigenen Biographie auch immer. - Wir alle sind unser eigener Standort.
Der Sozialwissenschaftler Bernd Röttger (Recklinghausen) bringt es auf den Punkt: “Der Neoliberalismus gelangte im Umbruch zu den 90er Jahren in die Position eines alternativlosen Sachzwangs zur Privatisierung und Durchkapitalisierung der Gesellschaften, der sich nun weitgehend unabhängig von parteipolitischen Ideologien und Regierungsmehrheiten durchzusetzen vermochte.” Ungeheure soziale Kraft bekam er durch den Zusammenbruch des Realsozialismus. Nicht nur der Kapitalismus, sondern seine aktuelle neoliberale Ausrichtung standen alternativlos da.
Widerstand – jenseits von Seattle und Genua
Genau dies ändert sich seit einigen Jahren. Die scheinbare Alternativlosigkeit wird immer stärker in Frage gestellt. “Seattle”, “Genua” und die anderen Demonstrationen sind internationale Kristallisationspunkte sozialer Bewegungen nach Jahren politischer Lähmung. Waren während der 80er Jahre die Proteste der metropolitanen Solidaritätsbewegung gegen Weltbank und IWF noch eher einer klassischen - und keineswegs falschen – Imperialismuskritik verbunden, so agieren die Initiativen heute gegen einen wirklich globalen Kapitalismus.
Um aber Mißverständnissen vorzubeugen. Diese Bewegung ist nicht “vom Himmel gefallen”, wie es der bürgerlichen Berichterstattung zufolge scheinen könnte. Hier werden Menschen aus sehr unterschiedlichen Spektren aktiv, die über mehr oder weniger große politische Erfahrungen verfügen. Widerstand gab es immer, mehr oder weniger sichtbar. Seit einigen Jahren wird er nun deutlicher und entwickelt offenbar gemeinsame Bezugspunkte.
Ein Kern vieler Proteste liegt darin, zunächst einmal den Unmut über die dominanten Entwicklungen zu äußern, ohne gleich einen “konstruktiven” bzw. “politikfähigen” Vorschlag” parat zu haben. Führte ein wütendes “es reicht!” vor einigen Jahren noch zu mildem Lächeln der Expertokraten, so ist das heute anders. Protest, so scheint es, erfährt in einigen Bereichen eine Rehabilitation – insbesondere die Form des Massenprotests.
Es können drei Gemeinsamkeiten innerhalb des linken anti-neoliberalen Spektrums ausgemacht werden: Zum einen verstehen sich die Initiativen, zumindest vom Anspruch her, jenseits der Realpolitik, die mit dem Argument der Machbarkeit jegliche Kritik und Alternative vom Tisch zu wischen versucht. Die Initiativen haben zweitens dahingehend ein konfliktorisches Politikverständnis, dass sie einen oder mehrere Gegner identifizieren, gegen den Gegenmacht aufgebaut werden müsse. So vereinfachend Begriffe wie “gegen Kapitalismus”, “gegen Neoliberalismus”, “gegen die Herrschaft der Finanzmärkte” o.ä. sind – so sehr schaffen sie etwas, was jede Bewegung benötigt: einen Gegner. Daher ist es zunächst als Vorteil, unter der Formel “gegen Neoliberalismus” verschiedene Spektren zu vereinen und vor allem handlungsfähig zu machen. Die Formel selbst ist ambivalent, denn zum einen ermöglicht sie erst wieder die Auseinandersetzung über radikale Praxen. Dies ist angesichts der jahrelangen Lähmung linker Positionen nicht zu unterschätzen. Andererseits droht der Begriff des Neoliberalismus zum Alleskleber zu werden, der Differenzen und notwendige Diskussionen zu kleistert. Wichtig wird daher in Zukunft sein, ausgehend von solchen Formeln genauer zu evaluieren, wo die Widersprüche und sozialen Spaltungslinien heute verlaufen. Drittens greifen die verschiedenen Initiativen Widersprüche auf, die im Prozess der neoliberalen Globalisierung immer deutlicher werden: An der Tatsache, dass das neoliberale Versprechen von Glück (“jeder ist seines/ihres Glückes...”) und Gerechtigkeit immer offenkundiger Katastrophen aller Art produziert, dass ein diffuses Unwohlsein angesichts der immer stärkeren Ökonomisierung des Lebens (Bildung/Wissen, Körper/Nahrung, etc.) zunimmt, dass die Kontrolle über das eigene Leben zunehmend vermeintlichen Markt- und Standorterfordernissen ausgeliefert wird. Hier kann die Kritik an der zunehmenden Mono-Kultur sowie die Forderungen nach Vielfalt und Demokratie politisierend wirken. Die WTO steht dann eher als Symbol für eine auf internationaler Ebene viel unverblümtere Politik des Kapitals als es ohnehin schon auf nationaler Ebene der Fall ist. Der relative Optimismus im emanzipativen Spektrum nach Genua – zumindest bis zu den Anschlägen in den USA – muß dazu genutzt werden, die Proteste politisch fruchtbar zu machen. Dies kann sich aber nicht in der nächsten Mobilisierung erschöpfen, sondern muß in Klärungs-, Politisierungs- und Organisierungsprozesse in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen eingehen. Wenn eben GewerkschafterInnen sich nicht mehr mit dem “Wir-stehen-am-Standort-zusammen”-Gedöns der Chefs abfinden, dann geht das in die richtige Richtung. Mit dem bereits zitierten italienischen Marxisten Antonio Gramsci gesprochen: Es geht um die Auseinandersetzungen um gesellschaftliche Hegemonie in langwierigen Stellungskämpfen: in und außerhalb von Institutionen, um Werthaltungen und gegen den neoliberalen “Alltagsverstand” sowie um die Delegitimierung herrschender Sichtweisen und Diskurse.
Eines sollte nicht vergessen werden: Die konkreten Bedingungen linker Politik sind ja der weiterhin weitgehend ungebrochene Durchmarsch neoliberaler Politik – Seattle und Genua zum Trotz. Auch wenn sich der Neoliberalismus auf der ideologischen Ebene vielleicht erschöpft hat und heute mit “anti-neoliberalen” Politiken durchgesetzt wird, so sind die neoliberalen Kräfte weiterhin am Zuge und gestalten die Gesellschaften tiefgreifend um. Ihr Erfolg liegt ja gerade darin, daß zentrale Merkmal wie die Herstellung von Wettbewerbsfähigkeit oder Standortpolitik vor großen Teilen der Bevölkerung nicht mehr in Frage gestellt werden.
Eine Gefahr der Proteste besteht darin, dass sie in gewisser Weise zum routinierten Begleitprogramm internationaler Konferenzen werden. Die “großen” internationalen Proteste mit entsprechender medialer Aufmerksamkeit drohen – entgegen ihrer Absicht – andere Kämpfe zu entwerten. Gerade in peripheren Ländern gibt es vielfältige Ansätze, die die herrschenden Verhältnisse viel konkreter und nachhaltiger in Frage stellen, international jedoch kaum wahrgenommen werden.
Ein Dilemma besteht darin, dass "Globalisierungskritik" momentan zwar "in" ist und den Anliegen wie selten zuvor gesellschaftliche Aufmerksamkeit geschenkt wird. Eine postkapitalistische Orientierung muß jedoch ernst nehmen, dass die Grundlagen eine anderen Gesellschaft in komplizierten Lern- und Erfahrungsprozessen liegen. Dies kann nicht durch mediale Aufmerksamkeit und die Schaffung anerkannter SprecherInnen kompensiert werden. Denn zweifellos besteht die Gefahr, Teil der "Politik in der Manege" (Wolf Dieter Narr/Roland Roth) zu werden.
Emanzipative Politik "geht" nicht schnell - wenngleich "Sprünge" vor allem auf der symbolischen Ebene und jener der positiveren Selbsteinschätzung unverzichtbar sind. (deswegen sind "Genua" und "Seattle" wichtig). Emanzipation ist aber kompliziert und muß an alltägliche Praxen in Uni, Betrieb, Stadtteil, politischen Organisationen oder persönlichen Beziehungen zurück gebunden werden. Sonst wird nämlich unterschätzt, dass der Neoliberalismus gerade auf der kulturellen Ebene überaus erfolgreich war. Daher müßte stärker auf die kleinen Veränderungen, die “Gärungsprozesse” geblickt werden, die es ja überhaupt erst ermöglichen, daß emanzipative Prozesse jenseits des medialen Geklappers nachhaltig sind. Die internationale Protestbewegung wird stärker, weil sie sich aus lokal und nationalstaatlich organisierten Zusammenhängen bildet. Tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen benötigen jedoch gleichsam umfassender “kulturrevolutionärer” Prozesse.
Postscriptum: Nach dem 11. September 2001
Die Anschläge in den USA und die Reaktion der USANATO darauf werden die Koordinaten nicht nur der “großen” Politik gründlich verschieben, sondern auch die Bedingungen emanzipativer Praxis. Zum einen wird der dramatische Rückbau von BürgerInennrechten und Rechtsstaatlichkeit auch linke Handlungsbedingungen beschneiden. Zum anderen werden die von den meisten Menschen als dominant wahrgenommenen Konfliktstrukturen wieder verschoben. War ein Erfolg des Neoliberalsimus, daß gesellschaftliche Interessen sich durch den dominanten “horizontalen” Konflikt (Marco Revelli) begreifen, nämlich den Standortwettbewerb, so haben die jüngsten Proteste es erreicht, dass vertikale Konflikte zwischen Oben und Unten und innergesellschaftliche Herrschaftsfragen wieder legitim werden. Dies könnte sich dramatisch ändern. Politik wird mit dem Muster des “Kulturkampfes” interpretiert, Ökonomie als “Standortkampf”. Für Auseinandersetzungen, die sich am gesellschaftlichen Oben und Unten orientieren, bleibt weniger Raum. Die jüngsten Proteste und deren “unsichtbare” Vorarbeiten in Stadtteilen, Betrieben, Unis, politischen Vereinigungen und persönlichen Beziehungen dürfen nicht ohne Weiteres im aktuellen Wahn des Kampfes der “Zivilisation” gegen das “Böse” verpuffen.
7) Text der Antifa „die kleinen Strolche“ im booklet der CD „la lotta continua“
Die Repression von Genua
Dem G8-Gipfel und den Gegenaktivitäten vom 19.-22.Juli 2001 gingen in Italien und Europa zahlreiche staatliche Bemühungen voraus, die Proteste gegen das G8 Treffen zu diffamieren, die erwarteten DemonstrantInnen einzuschüchtern oder an den Protesten zu hindern.
Besonders in Italien heizten die Medien die öffentliche Meinung gegen die DemonstrantInnen an. und diffamierten sie als irrational und gewaltbereit. Dies ging soweit, daß es Pressemitteilungen gab, die den Protestierenden unterstellten, Aidsinviziertes Blut auf Polizisten werfen zu wollen.
Zeitgleich kam es bei den OrganisatorInnen und beteiligen Gruppen des Genua Soial Forums zu zahlreichen Hausdurchsuchungen und Razzien.
Genua selbst wurde zu einer militarisierten Stadt, in der eine hochgerüstete und meterhoch eingezäunte sogenannte “rote Zone” für die Sicherheit der G8 KongressteilnehmerInnen eingerichtet wurde. Rund 20000 Polizisten, Carabineris und Militärs wurden in die lingurische Hafenstadt beordert, um den G8 Gipfel zu beschützen. Und die Stadtverwaltung mietete demonstrativ 200 body sacks und ein entsprechendes Kühlhaus für Leichname an.
Zusätzlich kam es in zahlreichen Städten Italiens zu fingierten und realen Sprengstoffanschlägen, für die sich angeblich AnarchistInnen verantwortlich zeichneten. Eine Situation, die wie ein Deja vue aus den Zeiten der 70iger Jahre und der geheimdienstlichen “Strategie der Spannung” anmutete.
Um dies Bild des Ausnahmezustands abzurunden, setzte Italien kurzfristig das Schengener Abkommen außer Kraft und wies DemonstrantInnen an ihren Grenzen bei der Einreise ab. Flankiert wurde dies seitens der BRD durch Ausreiseverbote gegenüber mehr als 100 linken AktivistInnen.
Vom 19. bis 21. Juli fanden drei Goßdemonstrationen in Genua statt.
Verlief die Demonstration zu Gunsten der Rechte von MigrantInnen am Donnerstag den 19. Juli mit 50000 Beteiligten friedlich, änderte sich dies Bild am 20.
Die fünf Demonstrationszüge mit ca 100000 TeilnehmerInnen, die zur roten Zone zogen, wurden unterschiedslos von Polizei- und Militäreinheiten der Carabinieri angegriffen. Dabei fuhren Panzer- und Polizeifahrzeuge rücksichtslos in die Demonstrationszüge, wurden unzählige Tränengaskartuschen aus nächster Nähe gezielt auf die Köpfe der DemonstrantInnen verschossen und friedliche wie militante AktivistInnen auf brutalste Art und Weise (auch nach ihrer Festnahme) mißhandelt. Mehrmals zogen Polizisten ihre Waffen und schossen mindestens 17 mal.
Zwei Schüsse davon töteten Carlo Giuliani. Nachdem mehrere Fahrzeuge der Polizei durch Ansammlungen von Demonstrantinnen gerast waren, griffen diese die Fahrzeuge an. Aus einem Jeep, der sich vor eine Hauswand gesetzt hatte zielte ein 20jähriger Carabinieri auf die Angreifer. Er schrie.”Bastarde, ich werde Euch töten, ich werde Euch töten.”. Diese flohen. Carlo, der die Bedrohungslage nicht mitbekommen hatte, wollte einen aus dem Jeep geschleuderten Feuerlöscher zurückwerfen und der Beamte erschoss ihn mit zwei Schüssen in Kopf und Brust.
Am Samstag, den 21.7. demonstrierten fast 300000 Menschen unter den Eindrücken der Polizeibrutalität und des Mordes durch Genua.
Unter dem Vorwand militantes Vorgehen einzudämmen veranstaltete die Polizei daraufhin Maßnahmen, die man nur als reine Menschenjagden bezeichnen kann. Der Demonstrationszug auf der Promenade “Corso Italia” wurde von Schiffen, Hubschraubern und von der Straße aus gnadenlos mit Tränengas eingedeckt und von anrasenden Panzerwagen und knüppelden Polizisten angegriffen. Wer in der darauf folgenden Massenpanik stürzte oder zurückblieb wurde blutig geknüppelt und inhaftiert. Die Polizei- und Carabinierieinheiten marschierten an diesem Tag in Kolonnen und in Gleichschritt über die Piazzen und durch die Straßen von Genua, schlugen neben DemonstrantInnen Kleinkinder und Senioren zusammen, attackierten Behinderte und Passanten und machten gezielt Jagd auf Sanitäter des Genua Social Forums und Journalisten, die es wagten diese Maßnahmen zu dokumentieren.
In der Nacht vom 21. auf den 22. kam es zu dem Polizeieinsatz, den man heute in Italien als die “Chilenische Nacht” bezeichnet. Ein vermummtes Polizeikommando stürmte den Schlafplatz von ca 100 G8-GegnerInnen und das gegenüberliegende Pressezentrum von Indymedia, dem Ort der Gegenöffentlichkeit der G8-GegnerInnen. Die Anwesendheit von Parlamentarier verhinderte im Pressezentrum Schlimmeres. Hier wurden “nur” Filme, Festplatten und andere Datenträger entwendet, die die Übergriffe der Polizei belegten. In der Scuola Diaz wurden die G8 GegnerInnen im Schlaf überrascht und obwohl sie keine Gegenwehr leisteten so schwer mißhandelt, daß weit über die Hälfte auf Tragen aus der Schule befördert werden mußten. Die Schule glich nach dem Einsatz einem Schlachtfeld. Überall war Blut am Boden, den Heißkörpern und den Wänden. Einem der Schlafenden wurden von beiden Seiten der Kiefer gebrochen und eine entsicherte Pistole auf die Stirn gesetzt. Ein anderer so schwer am Kopf verletzt, daß er in Koma fiel und nur mit einer Notoperation überlebte. Die so Verhafteten wurden in die Polizeikaserne Bolzaneto gebracht, wo sie und andere Verhaftete gefoltert wurden. Sie mußten stundenlang auf Zehenspitzen an den Wänden mit erhobenen Händen stehen. Wurden geschlagen, getreten und ihre Zellen unter Tränengas gesetzt. Den Frauen wurde in die Genitalien getreten und geschlagen und mit Vergewaltigung gedroht. Inhaftierten wurden Zigaretten auf den Handflächen ausgedrückt und die Knochen gebrochen. Dabei wurden sie durch die Beamten verspottetet, die sich rühmten schon einen Demonstranten umgebracht zu haben. Die Inhaftierten wurden bespuckt, angepißt und gezwungen den faschistischen Gruß zu machen. Währenddessen sangen die Beamte faschistische Lieder, zeigten den Gefangenen Ducebilder und beschimpften sie als “Scheiß Neger”, “rote Bastarde”, “scheißjüdische Zigeuner” und “Der Faschismus ist zurück. Wir suchen Juden”. Eingeforderte medizinische Versorgung oder Kontakte zu Anwälten und Verwandten verweigerten sie und angebliche Geständnisse erzwangen sie unter Androhung von Gewalt. Dies Ganze war nicht ein Ausnahmefall, sondern die Regel und wurde gedeckt von allerhöchster Stelle. Schon am Nachmittag war der Vize Chef der politischen Polizei von Genua, Alessandrio Perugini, richtungweisend in den Straßen Genuas aktiv geworden. Dieser trat auf offener Straße einen Demonstranten zusammen.
Der Justizminister von Italien, Roberto Castelli (Lega Nord), der zeitgleich zu den Mißhandlungen die Kaserne besuchte, will von diesen Vorgehen nichts bemerkt haben. Und der Vizechef Italiens und Chef der faschistischen Alleanza Nazionale , Gianfranco Fini, der sich während der Polizeieinsätze in der Einsatzzentrale im Fort San Giuliano aufhielt, kommentierte die Geschehnisse mit: ”Die Demonstranten haben es darauf angelegt, daß Blut fließt. Sie haben bekommen, was sie wollten.” Der Ortsverband von Regierungspräsident Silvio Berlusconis Partei Forza Italia rundete die Sache ab, in dem er dem Todesschützen von Carlo einen Gratisurlaub spendierte.
Insgesamt wurden über 500 DemonstrantInnen in diesen drei Tagen so schwer von der Polizei in Genua verletzt, daß sie die örtlichen Krankenhäuser aufsuchten. Weit mehr zogen es vor, sich erst gar nicht in die Krankenhäuser zu begeben, da sie dort befürchten mußten durch die anwesende Polizei verhaftet zu werden.
Es gab über 300 Festnahmen von denen über 200 kurzfristig in U-Haft saßen. Und Dutzende Deutsche und Österreicher, die nur deswegen über Wochen in mehreren Gefängnissen einsaßen, weil man sie auf der Rückfahrt in ihre Länder kontrollierte und schwarze Kleidung bei ihnen fand. Mittlerweile gab es mehrere Wellen von Hausdurchsuchungen und Verhaftungen in Italien und über 400 Anzeigen sind erstellt worden.
Vor allem die Rot-Grüne Bundesregierung profilierte sich im Nachhinein als Verlängerer der Repression. Bundeskanzler Schröder äußerte, man müsse “mit aller Härte gegen die Gewalttäter vorgehen” und sein Innenminister Schily traf sich im August mit dem italienischen Innenminister Claudio Scajola, der den Polizeieinsatz in Genua zu verantworten hat, und forcierte mit diesem die Idee einer “Europäischen Anti-Krawall-Polizei”.
Das was in Genua der seit Seattle immer größer werdenden linken Bewegung/en an Repression entgegenschlug läßt sich als faschistische Repression bezeichnen. Was man in Westeuropa in den letzten 20 Jahren als “demokratische” Repression kennt: allgemeine Einschüchterung und Diffamierung von Oppositionellen, ist hier an den Punkt angelangt, daß gezielt polizeiliche Gewaltexesse auf der Straße und in Haft gegen jede Form von Protest durchgeführt wurden. Mit Demütigungen, Verletzungen, Folter und auch Mord. Dies um eine Angst unter den linken AktivistInnen zu verbreiten, selbst das grundlegendste Recht auf Demonstrationsfreiheit nicht mehr für sich in Anspruch zu nehmen.
Dass diese in Italien stattfand, das durch eine Allianz der rechten Forza Italia, der faschistischen Allianza Nazionale und der rassistischen und sozialchauvinistischen Lega Nord regiert wird, ist einerseits ein Zeichen, was möglich ist in Ländern mit einer rechtspopulistischen Regierung wie Italien und Österreich. Andererseits hat Genua sich schon in der sozialdemokratischen Repression im schwedischen Göteborg im Juni 2001 angekündigt. Anläßlich des EU Treffens in Göteborg fand hier in Juni 2001 ein Gegenkongress und eine Demonstration mit 20000 TeilnehmerInnen statt. Trotz Bereitstellung einer Schule für den Gegenkongress verhinderte die Polizei diesen Kongress durch eine Einmauerung mit Schiffscontainern und griff auch am folgenden Tag eine Reclaim the Streets Party brutal mit Pferdeeinsätzen und Knüppeln an. Als die so terrorisierten GipfelgegnerInnen sich zur Wehr setzten schoß die Polizei scharf auf die Demonstranten. Sie verletzte drei von ihnen. Hannes Westberg wurde dabei von einem Polizisten in den Rücken geschossen. Er überlebte seine schweren Verletzungen und verlor eine Niere und die Milz. Auch hier wurde wieder, wie in Genua, das Ammenmärchen der Notwehrsituation für den Polizisten gesponnen. Und wie in Italien wird in Schweden jetzt die linke, vor allem autonome und anarchistische, Opposition mit schwerer Repression und hanebüchenen Gerichtsurteilen überzogen.
Die Repression von Göteborg und Genua ist somit ein Zeichen, wie sozialdemokratische und rechte Regierungen in Zukunft mit linker Opposition umzugehen bereit sind. Die Festung Europa birgt somit in Zukunft nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für linke Opposition (wenn sie denn eine ernstzunehmende Opposition ist) eine todbringende Gefahr.